Die Invasion der Nobodys, oder wer zum Teufel ist der Wendler?
Ich wollte schon seit langem mal etwas über diejenigen schreiben, die immer und überall in den Medien auftauchen, ohne dass diese Menschen irgendeine Wichtigkeit haben.
Jetzt nehme ich mir die Zeit dazu und das ist ausgerechnet eine Folge von – Corona!
Nein, nicht weil man da mehr Zeit hat. Der Grund liegt vielmehr darin, dass das Phänomen der Nobodys jetzt noch deutlicher wird, denn egal welche erschreckende Ausmaße die Pandemie annimmt, egal welche neuen Hiobsbotschaften es geben mag, egal was für wirtschaftliche Ausmaße die Folge sind – wirklich interessant sind immer noch andere Dinge: was sagt der Wendler, was macht Heidi Klum mit Tom Kaulitz unter der Dusche, in wen ist Piedro Lombardi verknallt, wie sieht der Brautstrauß von Silvi Meis und die neue Frisur von Daniela Katzenberger aus und vor allem, warum guckt Kim Kardashian auf einem Instagramm Foto so merkwürdig?
Nein, auch ich bin leider nicht unempfänglich für Tratsch und ich schließe mich voll und ganz Erica Jongs Erkenntnis „Tratsch ist Opium fürs Volk“ an. Aber selbst Tratsch sollte eine Mindestanforderung erfüllen und die betreffende Person sollte durch irgendetwas aus der Masse herausragen. Reicht es wirklich, dass jemand mal vor neun Jahren von einem Bachelor bis zur zweiten Halbzeit eine Rose erhalten hat? Ist jemand tatsächlich schon ein Promi, wenn er bei DSDS mitgemacht hat oder vielleicht noch nicht mal dies, sondern es lediglich zu einem „Recall“ gebracht hat? Muss man jedes Mal, wenn man im Handy Nachrichten lesen will, auf jemanden aufmerksam gemacht werden, weil der in der vierten Staffel im Dschungelkamp war?
Es gibt mehrere Wege, um Nobody-Promi zu werden. Für Frauen eignet sich da besonders der Start als Spielerfrau, der Aufstiegchancen bietet zur Jurorin von Gesangswettbewerben und dann die Möglichkeiten wie beispielsweise die einer Unterwäsche-Designerin bietet. Für Männer besteht diese Möglichkeit nicht, die müssen in der Regel erstmal selbst den Gesangskandidaten, den Bachelor oder den Bauern auf Brautschau abgeben um dann in Dschungelcamps, Sommerhäuser oder Container eingeladen zu werden.
Ja, es mag stimmen, Tratsch ist immer und überall dämlich und früher war es auch nicht anders. Ich kann da ganz gut mitreden, da meine Eltern einen Lesezirkel hatten. Neue Revue, Bunte, Quick, Neue Post etc. Kaum fing ich an zu lesen, wurde ich auch schon vertraut mit dem schweren Schicksal von Soraya, den Eheproblemen von Liz Taylor und Richard Burton und den Wohnverhältnissen von Heino. Ich erinnere mich noch genau, wie ich von unendlichem Neid erfüllt war, als ich mir die Fotoreportage über die Geburtstagsfeier irgendeines der Kinder des Schahs ansah. Ein eigener Spielplatz! Und dann erst die schönen Kleider von Farahnaz!
Die Welt der Illustrierten bestand aus Königen, Prinzessinnen, Schlagersängern, Schauspielern, Familiendynastien wie die der Thyssens, Bohlen-Halbachs und den Krupps sowie den Politikergattinnen, sofern sie sich Wohltätigkeitszwecken widmeten.
Also doch das Gleiche wie die Lombardis, Kadashians und die Wendlers? Ja und nein. Ein Schauspieler wird durch seine Filme bekannt, ein Schlagersänger durch seine Musik. Diese Bekanntheit stellt sich aber erst nach getaner Arbeit ein und ist abhängig davon, ob die Masse Gefallen daran findet. Angehörige von Monarchien stehen vom Tag der Geburt an im Focus, ohne dazu irgendetwas beigetragen zu haben und später kann der Job Repräsentationspflichten beinhalten, deren Wichtigkeit für eine Gesellschaft nicht unbedingt hoch ist, aber immerhin mit Arbeit verbunden ist. Zu einer Familiendynastie zu gehören, kann mit Arbeit verbunden sein, oder aber sich aufs Jet-Setting beschränken, wie dies bei Arndt von Bohlen-Halbach der Fall war.
Vielleicht ist das einer der Unterschiede – am Anfang eines Promis steht ein gesellschaftlicher Rang, eine künstlerische Arbeit, ein politisches Amt oder eine gesellschaftlich (mehr oder weniger) bedeutungsvolle Aufgabe. Am Anfang eines Nobodys jedoch steht eine Castingshow, in der mittelmäßige Künstler und andere mittelmäßige Nobodys nach ihrem mittelmäßigen Kriterien Mittelmäßigkeit küren. Und das setzt sich dann exponentiell – wie Corona – fort bis zur Invasion.
Und das ist er, der Unterschied: früher waren unbedeutende Menschen lediglich ein kleiner Teil des öffentlichen Lebens. Mittlerweile gibt es jedoch eine regelrechte Nobody-Industrie und die liefert unerschöpflichen Nachschub, so dass die Nobodys im öffentlichen Leben die Mehrheit bilden.
Der einzig mögliche Kommentar zu den Staaten des G20 Gipfels und zum Schwarzen Block:
„Ich kann gar nicht so viel fressen, wie ich kotzen möchte“
Max Liebermann* (1847-1935)
Richtig gelesen: ich bin sowohl gegen die Politik der G20 Staaten als auch gegen die Aktionen des Schwarzen Blocks. Um es noch besser auf den Punkt zu bringen – ich finde beide zum Kotzen!
Man fragt sich unweigerlich, wieso sich die beiden Fronten bekämpfen – die könnten doch problemlos Jobsharing machen.
*Liebermann soll das beim Vorbeiziehen eines Fackelzugs der Nazis gesagt haben.
Mädels, Mamas, Papas, Kids und Babys – Sprache zuckersüß
Schon seit einiger Zeit zeigt sich im deutschen Sprachgebrauch die Tendenz, Begriffe nur noch in der Verniedlichungsform zu verwenden. Angefangen hat dies damit, erwachsene Frauen als "Mädels" zu bezeichnen. Dies mögen die meisten äußerst originell und sehr witzig empfinden, mir geht es allerdings so, dass ich es als albern und dämlich empfinde.
Die Ausdrücke „Mutter“ und „Vater“ scheinen ebenfalls nicht mehr sehr beliebt zu sein und werden zunehmend durch „Mama“ und „Papa“ ersetzt. Dies ist für kleine Kinder sicherlich völlig normal und auch für Erwachsene, die ihre Eltern direkt ansprechen. Auch ich habe meine Eltern im direkten Gespräch mit Mama und Papa angeredet. Allerdings käme es mir nie in den Sinn, dies gegenüber Dritten zu tun. Wenn ich über Dinge spreche, die meine Eltern betreffen, dann spreche ich von meiner Mutter und meinem Vater. Hätte ich oder jemand meiner Freunde beispielsweise als Teenager von „meiner Mama“ gesprochen, hätte dies mit ziemlicher Sicherheit Gelächter und ein breites Grinsen ausgelöst.
Kinder auch als Kinder zu bezeichnen, gilt inzwischen auch als völlig überholt und altbacken und kommt allenfalls in Formularen oder Gesetzestexten vor, wo es – zumindest zum jetzigen Zeitpunkt – noch Kindergeld und Kindeswohl anstatt „Kidsgeld“ oder „Kidswohl“ heißt.
Den Ausdruck Baby gibt es schon lange, allerdings wurden damit auch nur Babys bezeichnet und nicht grundsätzlich jedes Kind. In Bezug auf Kinderwunsch sprachen Paare grundsätzlich davon, sich ein Kind zu wünschen und Frauen sprachen in der Schwangerschaft davon, ein Kind zu erwarten. Heute wünschen sich Paare ausdrücklich ein Baby und Frauen sprechen davon ein Baby zu erwarten.
Warum geht mir dies alles so gegen den Strich? Es ist doch schließlich nichts Schlimmes dabei, wenn sich Menschen lieber locker und fortschrittlich ausdrücken, anstatt ernsthaft und hausbacken, oder etwa nicht?
Nein, schlimm ist es tatsächlich nicht, aber ziemlich albern und lächerlich. Im Grunde stellt die Tendenz zur Verniedlichung das sprachliche Pendant zur Fungesellschaft dar, in der alles lustig, unterhaltsam und quietschvergnügt zugehen muss. Allerdings ergibt dies einen merkwürdigen Kontrast zur der ebenfalls schon seit längerem bestehenden Tendenz der Verrohung der Sprache. Niedlichen Begriffen wie Mädels, Mamas, Papas, Kids und Babys stehen auf der anderen Seite gar nicht mehr so niedliche Begriffe wie Schlampe, Hurensohn, Spasti, schwule Sau, Fotze etc. gegenüber.
Wenn Sprache auch immer ein Spiegel gesellschaftlicher Verhältnisse ist, dann muss man sich fragen, ob die Welt der Mädels, Mamas, Papas, Kids und Babys tatsächlich so zuckersüß ist, wie sie sich anhört. Als Sozialarbeiterin kann ich dies nur verneinen. Insbesondere, wenn junge Menschen davon sprechen, sich ein „Baby“ zu wünschen, sehe ich vor meinem geistigen Auge bereits die Zeit vor mir, wenn das das kleine süße Baby eben nicht mehr klein und süß ist, sondern ein Kind, das Ansprüche stellt und sehr anstrengend sein kann, was dann sehr viel öfter als früher nur noch funktioniert, wenn diverse staatliche Hilfen geleistet werden.
Der Begriff "Mädel" löst bei mir wehmütige Erinnerung an die Zeit aus, als es noch eine Frauenbewegung gab und der Ausdrück Mädel ausschließlich im dunklen geschichtlichen Zusammenhang des "Bund Deutscher Mädel" - benutzt wurde. Auch mit viel Fantasie kann ich mir den (inzwischen längst geschlossenen) Frauenbuchladen nicht als "Mädelsbuchladen" vorstellen und die (inzwischen längst nicht mehr stattfindende) Hamburger Frauenwoche auch nicht als "Mädelswoche". Manche Sachen scheinen nur bei erwachsenen Frauen zu funktionieren und nicht bei Mädels...
Vielleicht wird der Unterschied der sprachlichen Aussage deutlich, wenn man einfach mal die konservative Ausdrucksform in die verniedlichende Ausdrucksform übersetzt. Das habe ich gemacht und das hier kam dabei heraus:
Aus August Bebels: “Die Frau und der Sozialismus” wird jetzt „Das Mädel und der Sozialismus“.
Aus Hermann Hesses oder Franz Kafkas „Brief an den Vater“ wird jetzt der „Brief an den Papa”.
Aus Heinrich Heines Gedicht "An meine Mutter" wird jetzt das Gedicht "An meine Mama".
Aus Nancy Fridays “Wie meine Mutter“ bzw. „My mother myself“ wird jetzt “Wie meine Mama“ bzw. “My mummy myself”.
Aus Alice Millers: "Das Drama des begabten Kindes“ wird jetzt „Das Drama des begabten Kids“
Aus Oriana Fallacis „Brief an ein nie geborenes Kind“ wird jetzt „Brief an ein nie geborenes Baby“.
Wie bereits gesagt – alles keine Katastrophe. Aber dennoch alles seines sprachlichen Ausdrucks beraubt und zu einer lächerlichen Babysprache degradiert. Ich bin mir übrigens ganz sicher, dass ich mir niemals ein Buch mit dem Titel „Wie meine Mama“ gekauft hätte und auch niemals Interesse daran gezeigt hätte, einen „Brief an den Papa“ zu lesen. Jedenfalls nicht, seitdem ich älter als neun Jahre alt bin….
Nackte Kinder sind echt cool, oder?
Die Musik der Scorpions hat mich eigentlich nie übermäßig interessiert. Trotzdem las ich einen dem 50jährigen Jubiläum gewidmeten Artikel, in dem einzelne Stationen der Band beschrieben wurden. Dabei entdeckte ich dann ein abstoßendes Plattencover*, auf dem ein kleines Mädchen von vielleicht sechs bis neun Jahren splitternackt mit leicht gespreizten Beinen in Pinup-Pose provozierend in die Kamera schaute. Das Kind sitzt hinter einer Glasscheibe und genau über dem Geschlechtsteil befindet sich ein Sprung. Die Platte trug den sinnigen Namen „Virgin Killer“.
Bei Wikipedia las ich dann nach, dass das Cover, „
das ein kindliches nacktes Mädchen hinter einer gesprungenen Glasscheibe zeigte, von vielen Leuten als pornografisch empfunden wurde und teilweise mit Kinderpornografie in Verbindung gebracht wurde.“ Eine etwas verwirrende Beschreibung „
Ein kindliches nacktes Mädchen“ das kann auch eine 18jährige sein, die einfach noch ein wenig kindlich aussieht. Hier handelt es sich jedoch ganz eindeutig um ein Kind, dass noch weit von der Pubertät entfernt ist. „
Als pornographisch empfunden“ und „
teilweise mit Kinderpornographie in Verbindung gebracht“ – das ist ebenfalls sehr vage ausgedrückt, denn bei der Abbildung handelt es sich definitiv um Kinderpornographie.
Die 1976 produzierte Platte, die übrigens später den Titel der „LP des Jahres“ erhielt, landete bei einigen Ländern auf dem Index, was dann letztendlich die Scorpions bewog, sich für ein anderes Cover zu entscheiden. Was geht in den Köpfen solcher Männer vor, die sich darin gefallen, ein kleines Kind als kleines geiles Luder zu inszenieren? Darüber kann man nur spekulieren, aber wahrscheinlich gar nichts. Da die 70er Jahre meine Zeit sind, kann ich mit ziemlicher Sicherheit sagen, warum es keine Einwände gab, die einen derartig menschenverachtenden Dreck von vorneherein verhindert hätten. „Spießig, kleinbürgerlich, verklemmt, frigide, scheinheilig, reaktionär“ – das waren die gängigen Totschlagargumente, die Diskussionen von vorneherein unmöglich machten. Natürlich wollte niemand mit solchen Attributen identifiziert werden und so wurde dann oftmals brav der Mund gehalten. Die Macher und Befürworter derartiger Bilder empfanden sich meist als coole progressive Kunstavantgardisten, die ihre künstlerischen Ergüsse als unverzichtbare Befreiung von kleinbürgerlichen Zwängen hochstilisierten.
Aber um ehrlich zu sein – so viel anders ist dies auch jetzt noch nicht. Während ich diese Zeilen schreibe, erinnere ich mich wieder daran, dass vor längerer Zeit
einer meiner Beiträge zu einem anderen Blog verlinkt wurde, in dem dann eine ziemlich dümmliche Interpretation erfolgte. Meine Kritik an der allgegenwärtigen Vermarktung der Sexualität (die wohl kaum jemand ernsthaft bestreiten wird) wurde in Verbindung gebracht mit überkommenden Moralvorstellungen, die – wie sollte es auch anders sein – nur eine Folge christlich verklemmter Ethik sein können. Besagter Blogbetreiber weilt jedoch nicht mehr unter uns, so dass ich jetzt frank und frei schreiben kann, ohne dabei eine Verlinkung zu einer oberlehrerhaften Abhandlung über die Zerstörung der ach-so-freien-Sexualität durch christliche Moralvorstellungen zu riskieren.
Übrigens treibt das besagte Plattencover bei Ebay den Preis in die Höhe, denn während man die Platte mit dem späteren Cover schon für den Preis von 15,50 € ersteigern kann, kostet die Platte mit dem ursprünglichen Cover 89,00 €.
Mittlerweile haben die Mitglieder der Scorpions selbst Kinder und wahrscheinlich auch schon Enkelkinder. Ob die Scorpions ihr kleinen Töchter oder Enkeltöchter wohl auch für so ein Plattencover zur Verfügung stellen würden? Wohl kaum. Aber das ist natürlich etwas gaaanz anderes...
*
Wer sich selbst von der Machart des Covers überzeugen will, kann unter Eingabe der Begriffe "Scorpions" und "Virgin Killer" bei Google-Bilder das Cover aufrufen.
Das kleine Stalingrad zu Sylvester
Es ist schon lange her, dass ich wirklich Spaß an Sylvester hatte. Mittlerweile könnte ich gut und gern darauf verzichten. Ich wohne in einem Viertel, in dem regelrecht aufgerüstet wird was Böller und Raketen angeht. Und längst scheint es den Betreffenden dabei riesigen Spaß zu machen, die Raketen nicht gen Himmel, sondern direkt auf Autos oder Fenster zu schießen. Böller in Richtung von Menschen zu werfen gab’s schon zu meiner Jugend, allerdings waren die wesentlich kleiner und nicht vergleichbar mit den jetzigen XXL-Böllern, die weitaus gefährlich sind. Ich erinnere mich mit Wehmut an einige Sylvesterabende, die ich in einem Ferienhaus in Dänemark verbracht habe. Nur von weitem einige Raketen und Böllerschüsse – so richtig angenehm. Bei einem Sylvesterabend in Paris war es nicht viel anders.
Ältere Menschen, die den Krieg miterlebt haben, sagen oft, dass die Sylvesterknallerei wieder die fürchterlichen Kriegserinnerungen lebendig werden lässt. Und das fiel mir gestern ein, als wir die Rückkehr in unsere Wohnung erst antraten, als das Geballere ein wenig nachließ. Wobei man wirklich von „ein wenig“ sprechen muss, denn es knallte und schepperte immer noch heftig. Man fühlt sich wie ein gehetztes Tier, wenn man versucht, nicht in die Schusslinie von Jugendgruppen zu geraten, die es zum Brüllen komisch finden, ihre Böller in Richtung Menschen zu werfen. Vor unserer Wohnung dann ein Schlachtfeld aus Böllerkartons, Verpackungen und Flaschen fürs Abschießen der Raketen. Und es loderten tatsächlich aus einem der Müllhaufen Flammen, so dass der Begriff „Schlachtfeld“ wirklich nicht übertrieben ist. In Hamburg gab es fast 220 Brände in der Sylvesternacht und mehr als 1.000 Feuerwehreinsätze.
Leider lag ich die meiste Zeit zwischen Weihnachten und Sylvester krank auf dem Sofa, so dass aus unserem Plan nach Dänemark zu fahren nichts wurde. Aber nächstes Jahr wird mich keiner daran hindern Reißaus zu nehmen. Wohin ist mir letztendlich egal – Hauptsache weg aus dieser fürchterlichen Gegend, aus der ab dem 30.12. ein Miniaturstalingrad wird.
Ein bitterböses Gedicht...
Kinder reicher Leute
Sie wissen nichts von Schmutz und Wohnungsnot,
Von Stempelngehn und Armeleuteküchen.
Sie ahnen nichts von Hinterhausgerüchen,
Von Hungerslöhnen und von Trockenbrot.
Sie wohnen meist im herrschaftlichen Haus,
Zuweilen auch in eleganten Villen.
Sie kommen nie in Kneipen und Destillen,
Und gehen stets nur mit dem Fräulein aus.
Sie rechnen sich jetzt schon zur Hautevolée
Und zählen Armut zu den größten Sünden.
- Nicht mal ein Auto . . .? Nein, wie sie das finden!
Ihr Hochmut wächst mit Pappis Portemonnaie.
Sie kommen meist mit Abitur zur Welt,
- Zumindest aber schon mit Referenzen -
Und ziehn daraus die letzten Konsequenzen:
Wir sind die Herren, denn unser ist das Geld.
Mit vierzehn finden sie, der Armen Los
Sei zwar nicht gut. Doch werde übertrieben - -.
Mit vierzehn schon! - Wenn sie doch vierzehn blieben.
Jedoch die Kinder werden einmal groß . . .
Mascha Kaléko (1907 – 1975)
Bitterböse, verallgemeinernd und polarisierend dieses kleine Gedicht von Mascha Kaléko. Aber da ich selbst nicht aus begütertem Hause stamme, muss ich zugeben, zumindest ein wenig klammheimliche Genugtuung beim Lesen zu empfinden. Es sind gar nicht unbedingt die Privilegien, auf die ich neidisch bin. Es ist eher das Unbehagen, das ich spüre, wenn sich diese Menschen zu Dingen äußern, die sie gar nicht beurteilen können. Wenn sie über Lebensbedingungen sprechen, die sie selbst nur aus Büchern kennen und dennoch der Meinung sind, dass dies schon ausreichen würde. Es macht merkwürdigerweise gar nicht so viel Unterschied, ob dabei die Nase gerümpft oder aber ob sich demonstrativ solidarisiert wird. Oftmals beinhaltet beides die gleiche besserwisserische Arroganz, die auf Theorien gegründet ist, die weit entfernt von der Realität sind.
Es gibt nur eine einzige Möglichkeit, zu wissen, wie sich jemand fühlt, dessen Eltern sich Tag und Nacht unter miesen Arbeitsbedingungen abrackerten und sich dabei ihre Gesundheit kaputt gemacht haben ohne dafür auch nur ansatzweise angemessen zu verdienen: Man muss es selbst erlebt haben!!
behrens am 20. Januar 14
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Ist Gewalt gegen Frauen zum Totlachen? Und warum ich ein aussortiertes Buch doch nicht aussortiert habe
Wie so oft google ich nach einem Film noch ein wenig, um näheres zu erfahren. Heute Abend habe ich mir „Heute trage ich Rock!“ angesehen. Ein Film mit Isabelle Adjani, in dem eine Lehrerin in einer französischen Schulklasse während des Unterrichts die Pistole eines ihrer Schüler in die Hand bekommt. Damit setzt sie die Klasse unter Druck und dreht damit den Spieß herum, denn normalerweise wird sie in ziemlich respektloser Art von den Schülern drangsaliert. Die Situation der vertauschten Rollen nimmt eine bizarre Eigendynamik an, die mit dem Tod der Lehrerin und eines Schülers endet. Der Titel bezieht sich darauf, dass ihr vom Schulleiter das Tragen eines Rocks vorgeworfen wird, da sie damit die überwiegend aus Immigranten bestehenden Schüler provozieren würde.
Ich hatte vor einiger Zeit das Theaterstück „Verrücktes Blut“ gesehen, in dem die Handlung nach Berlin-Kreuzberg verlegt wurde. Ich empfand das Theaterstück fast noch bedrückender als den Film, da sich alles nur in einem Raum abspielte, wodurch die Atmosphäre noch beklemmender wurde.
Der Wikipedia-Artikel gibt die Handlung des Films neutral wieder. Allerdings wird darin auch eine Kritik des Spiegels wiedergegeben, in der der Film als „Reißerisch aber humorlos“ bezeichnet wird. Mich hat interessiert, was im Spiegel über das in Kreuzberg spielende Theaterstück geschrieben wurde. Eine dämlichere Kritik hätte man kaum schreiben können: „ Man nehme einen reißerischen, aber humorlosen Kinofilm über eine im Klassenzimmer durchdrehende französische Lehrerin, man verlagere die Geschichte nach Berlin-Kreuzberg, würze sie mit akrobatischen und humoristischen Einlagen und pflanze diesen Mix mitten in die Migrations-Debatte. Fertig ist der Überraschungserfolg der Theatersaison. Und tatsächlich macht "Verrücktes Blut"… auch noch höllisch Spaß!...“Verrücktes Blut“ ist sehr lustig und sehr clever.“.
Ich bin höchst verwundert darüber, dass man einen Film, in dem es um menschenverachtendes Verhalten geht, als „humorlos“ bezeichnen kann. Der Kritiker vertritt anscheinend die Meinung, dass eine Thematik, in der es um Diskriminierung, Gewalt und Vergewaltigung geht, genau der Stoff ist, aus dem man eine Riesengaudi machen sollte. Folglich musste er auch vom Film enttäuscht sein, da der nicht dafür geeignet ist, die Lachmuskeln zu strapazieren.
Ich empfand sowohl das Original als auch das danach inszenierte Theaterstück als äußerst bedrückend. Primitives und abstoßendes Verhalten, mit dem die eine Hälfte der Menschheit drangsaliert wird, ist nun mal nicht zum Totlachen – zumindest nicht für die Hälfte der Menschheit, die davon betroffen ist.
Jetzt mag man entgegnen, dass man über Geschmack nicht streiten kann und jeder das Recht auf Meinungsäußerung hat. Hätte der Schreiber – der übrigens Literatur und Politik studiert hat! – für Praline oder Wochenend geschrieben, wäre es mir auch keinen Kommentar wert gewesen. Der Spiegel sollte sich jedoch für die Veröffentlichung einer derartigen Plattitüde zu schade sein. Wobei mir gerade jetzt beim Schreiben einfällt, dass in einer meiner Frauenbücher*, die ich gerade aussortiert habe, ein Artikel des Spiegels beschrieben wurde, in dem es um Literatur von Frauen ging. Der Artikel war titelgebend mit „Romane von Seele und Sex“ und auf dem Titelblatt befand sich sinnigerweise eine nackte (!) Frau, die ein Blatt Papier beschrieb. Zufällig – wirklich rein zufällig – natürlich eine junge und sehr hübsche Frau.
Ach ja, jetzt bin ich abgeschweift – aber in meinem Blog darf man dies grundsätzlich – und bin vom Film und Theaterstück zum Spiegel gelangt. Dennoch schließt sich irgendwie der Kreis in ungeplanter Weise. Im Film und im Theaterstück ging es um die Präsenz von Diskriminierung und Gewalt gegen Frauen. Der Film ist von 2009, das Theaterstück und die denkwürdige Spiegel-Kritik von 2010. Der ebenfalls denkwürdige Artikel über schreibende (nackte) Frauen stammt aus – 1976! Fasst man dies zusammen, dann führt dies zu der traurigen Erkenntnis, dass die gesellschaftliche Entwicklung anscheinend einen hartnäckigen Bogen um manche Journalisten gemacht hat. Wie heißt doch der schöne Titel der von mir sehr verehrten Journalistinnen Edit Schlaffer und Cheryl Benard: „Viel erlebt und nichts begriffen – die Männer und die Frauenbewegung“ (1985).
Ich werde in Zukunft davon absehen, Frauenbücher auszusortieren, denn wie man sieht, ist die Aktualität unverändert.
*“Weibs-Bilder. Zeugnisse zum öffentlichen Ansehen der Frau“ von Heide Hering
Wenn die Argumente ausgehen – Sozialneid
Was macht man, wenn in einer Diskussion die Argumente ausgehen und man Mühe hat, konträre Meinungen zu widerlegen? Man verwendet merkwürdige Begriffe, deren geistiger Gehalt genauso dürftig ist, wie die sonstigen Gedankengänge ihrer Benutzer. Und dann kommt so etwas heraus wie der Begriff „Sozialneid“.
Dieser Begriff macht mit einem Schlag jegliche Diskussion über soziale Gerechtigkeit überflüssig. Denn diesem Begriff zufolge ist der Wunsch nach mehr Gerechtigkeit in Wahrheit nichts anderes als purer Neid. Man missgönnt den anderen einfach das, was man selbst nicht hat.
Nur gut, dass man den guten alten freudschen Begriff der Projektion zur Verfügung hat. Denn etwas anderes steckt nicht hinter Konstruktion dieses Unworts. Da wird in bemerkenswerter Unbedarftheit die eigene Werteskala in den anderen hineinprojiziert und wer selbst den Hals nie voll kriegen kann, vermutet dies auch bei anderen.
Diese äußerst einfach gestrickte Philosophie blendet allerdings aus, dass diejenigen, deren Ziel soziale Gerechtigkeit ist, gar nicht immer zu denen gehören, die selbst von sozialer Ungerechtigkeit betroffen sind. Und genau dieses Ausblenden ist das Bezeichnende an dieser Denkstruktur, die in ihrer Begrenztheit immer im eigenen Wertesystem steckenbleibt und sich um sich selbst dreht.
Es gibt Menschen, die sich unwohl fühlen in einer Welt, in der manche Menschen immer mehr an den Rand gedrängt werden. Eine Welt in der die Schere zwischen arm und reich immer größer wird. Menschen, die sich unwohl fühlen, obwohl sie selbst noch weit vom Rand entfernt sind.
Im besten Sinne zeugt der Begriff Sozialneid einfach nur von einem Mangel an Phantasie. Im schlimmsten Fall offenbart er jedoch ein beängstigendes Ausmaß an plumper Dummheit, die man in ihrer Gefährlichkeit nicht unterschätzen sollte.
behrens am 01. März 13
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Einfach nur widerlich
Eigentlich ist Missbrauch oder sexuelle Gewalt ein zu heikles Thema um es mal eben so abzuhandeln. Aber mir kommt einfach die Galle hoch, wenn ich diesen ekelhaften Berufsplayboy Rolf Eden mit seiner menschenverachtenden Reaktion auf Pola Kinskis biographisches Buch höre: Dieses Fräulein Kinski, sie will in die Schlagzeilen kommen. Das hatte er gar nicht nötig. Er konnte jede Frau kriegen."
Eben, lieber Berufsplayboy – wer jede Frau kriegen kann, möchte das, was man nicht so einfach haben kann. Tabus gelten nur für Spießer und Kleinbürger. Und ein Spießer will man ja auf keinen Fall sein…
Wann hört dies furchtbare alte Mähr auf, derzufolge jeder Missbraucher, jeder Vergewaltiger und jeder Frauenmörder ein kleines, erfolgloses, von Komplexen gebeuteltes Hutzelmännchen ist? Das mag manchmal zutreffen, aber längst nicht immer. Sexuelle Gewalt hat etwas mit Machtdemonstration zu tun. Und danach dürstet es nicht nur die Erfolglosen, sondern auch die Überflieger und Genies.
Manche Auslaufmodelle sind einfach nicht totzukriegen – John Wayne
Bei meinem Treffen mit alten Freunden kamen wir – wie dies so ist unter Freunden – natürlich auch auf den ein- oder anderen aus dem gemeinsamen Bekanntenkreis zu sprechen. Ich sprach dann über Konflikte, die aus dem Verhalten eines meiner Bekannten entstanden sind, sowohl in Bezug auf mich als auch auf einige andere. Es geht dabei um einen Mann, der genau das verkörpert, was man landläufig als Macho oder vielleicht auch einfach als Rüpel bezeichnet. Ein Mann, für den eine Diskussion nur dann eine Diskussion ist, wenn er diese mit kurzen und knappen Statements so schnell wie möglich beendet. Für den jedes fragende Nachhaken einen existentiellen Verlust der Männlichkeit darstellt.
Bei Diskussionen ist so ein Verhalten schon unangenehm genug. Wenn es um soziales Miteinander geht, dann wird es allerdings unerträglich. Grundsätzlich wird jede Form des Verständnisses für andere sofort als gefühlsduselig und lächerlich abgetan. Und grundsätzlich weiß der Typus des Machos genau, was richtig und falsch ist und reagiert äußerst ungehalten, wenn auch nur die kleinsten Zweifel an seiner Ansicht auftauchen. Er scheint unter einem unerklärlichen und extremen Zeitdruck zu stehen, der es zwingend erforderlich macht, sofort und auf der Stelle jeden und alles abzuwürgen. Ein kleiner John Wayne, der keine Zeit für Nebensächlichkeiten hat, weil er ja gegen feindliche Indianer, hinterhältige Banditen und gefährliche Pumas kämpfen muss. Und so gallopiert John Wayne dann mit einem Riesentempo munter über die Gefühle der anderen hinweg.
Meine Freunde bestätigten dies alles mehr oder weniger schulterzuckend und kommentierten, dass der Betreffende ja schon seit frühester Jugend so war. Was mir aber wohltuend im Gedächtnis geblieben ist, ist der Kommentar meines alten Freundes: „Es ist merkwürdig, dass manche immer noch nicht bemerkt haben, dass so ein rüpeliges und dominantes Verhalten schon lange nicht mehr als männlich gilt und die meisten darüber nur noch mitleidig den Kopf schütteln.“
Und genau das erstaunt mich auch. Wieso hält sich so ein Auslaufmodell so hartnäckig, wo doch jeder nur noch genervt oder gelangweilt darauf reagiert? Nicht, dass mir die Filme mit John Wayne nie gefallen haben – im Gegenteil, manche fand ich sehr spannend und ab und zu würde ich mir sogar auch wieder einen ansehen. Aber Film ist Film und in der realen Alltagswelt wirkt John Wayne wie ein prähistorisches Tier, das nicht mehr in seine Umwelt passt.
Wieso bekommt dieses Auslaufmodell bloß nicht mit, dass seine Zeit abgelaufen ist und ihn niemand mehr männlich, sondern nur noch peinlich findet?
Vielleicht liegt es daran, dass es auch immer noch weibliche Auslaufmodelle gibt, die zu diesem Rüpel mit großen Kulleraugen aufschauen. Jene Frauen, die auch aus der Zeit der Säbelzahntiger und Mammuts zu stammen scheinen und die einen Mann brauchen, der sie mit Keule und Faustkeil beschützt. Ja, so muss es wahrscheinlich sein und deswegen stirbt dieses Auslaufmodell auch nicht aus und wird uns – ähnlich wie ein resistenter Virus – noch bis ans Ende unserer Tage daran hindern, wirklich in der Zivilisation angekommen zu sein.