Ist Gewalt gegen Frauen zum Totlachen? Und warum ich ein aussortiertes Buch doch nicht aussortiert habe
Wie so oft google ich nach einem Film noch ein wenig, um näheres zu erfahren. Heute Abend habe ich mir „Heute trage ich Rock!“ angesehen. Ein Film mit Isabelle Adjani, in dem eine Lehrerin in einer französischen Schulklasse während des Unterrichts die Pistole eines ihrer Schüler in die Hand bekommt. Damit setzt sie die Klasse unter Druck und dreht damit den Spieß herum, denn normalerweise wird sie in ziemlich respektloser Art von den Schülern drangsaliert. Die Situation der vertauschten Rollen nimmt eine bizarre Eigendynamik an, die mit dem Tod der Lehrerin und eines Schülers endet. Der Titel bezieht sich darauf, dass ihr vom Schulleiter das Tragen eines Rocks vorgeworfen wird, da sie damit die überwiegend aus Immigranten bestehenden Schüler provozieren würde.

Ich hatte vor einiger Zeit das Theaterstück „Verrücktes Blut“ gesehen, in dem die Handlung nach Berlin-Kreuzberg verlegt wurde. Ich empfand das Theaterstück fast noch bedrückender als den Film, da sich alles nur in einem Raum abspielte, wodurch die Atmosphäre noch beklemmender wurde.

Der Wikipedia-Artikel gibt die Handlung des Films neutral wieder. Allerdings wird darin auch eine Kritik des Spiegels wiedergegeben, in der der Film als „Reißerisch aber humorlos“ bezeichnet wird. Mich hat interessiert, was im Spiegel über das in Kreuzberg spielende Theaterstück geschrieben wurde. Eine dämlichere Kritik hätte man kaum schreiben können: „ Man nehme einen reißerischen, aber humorlosen Kinofilm über eine im Klassenzimmer durchdrehende französische Lehrerin, man verlagere die Geschichte nach Berlin-Kreuzberg, würze sie mit akrobatischen und humoristischen Einlagen und pflanze diesen Mix mitten in die Migrations-Debatte. Fertig ist der Überraschungserfolg der Theatersaison. Und tatsächlich macht "Verrücktes Blut"… auch noch höllisch Spaß!...“Verrücktes Blut“ ist sehr lustig und sehr clever.“.

Ich bin höchst verwundert darüber, dass man einen Film, in dem es um menschenverachtendes Verhalten geht, als „humorlos“ bezeichnen kann. Der Kritiker vertritt anscheinend die Meinung, dass eine Thematik, in der es um Diskriminierung, Gewalt und Vergewaltigung geht, genau der Stoff ist, aus dem man eine Riesengaudi machen sollte. Folglich musste er auch vom Film enttäuscht sein, da der nicht dafür geeignet ist, die Lachmuskeln zu strapazieren.

Ich empfand sowohl das Original als auch das danach inszenierte Theaterstück als äußerst bedrückend. Primitives und abstoßendes Verhalten, mit dem die eine Hälfte der Menschheit drangsaliert wird, ist nun mal nicht zum Totlachen – zumindest nicht für die Hälfte der Menschheit, die davon betroffen ist.

Jetzt mag man entgegnen, dass man über Geschmack nicht streiten kann und jeder das Recht auf Meinungsäußerung hat. Hätte der Schreiber – der übrigens Literatur und Politik studiert hat! – für Praline oder Wochenend geschrieben, wäre es mir auch keinen Kommentar wert gewesen. Der Spiegel sollte sich jedoch für die Veröffentlichung einer derartigen Plattitüde zu schade sein. Wobei mir gerade jetzt beim Schreiben einfällt, dass in einer meiner Frauenbücher*, die ich gerade aussortiert habe, ein Artikel des Spiegels beschrieben wurde, in dem es um Literatur von Frauen ging. Der Artikel war titelgebend mit „Romane von Seele und Sex“ und auf dem Titelblatt befand sich sinnigerweise eine nackte (!) Frau, die ein Blatt Papier beschrieb. Zufällig – wirklich rein zufällig – natürlich eine junge und sehr hübsche Frau.

Ach ja, jetzt bin ich abgeschweift – aber in meinem Blog darf man dies grundsätzlich – und bin vom Film und Theaterstück zum Spiegel gelangt. Dennoch schließt sich irgendwie der Kreis in ungeplanter Weise. Im Film und im Theaterstück ging es um die Präsenz von Diskriminierung und Gewalt gegen Frauen. Der Film ist von 2009, das Theaterstück und die denkwürdige Spiegel-Kritik von 2010. Der ebenfalls denkwürdige Artikel über schreibende (nackte) Frauen stammt aus – 1976! Fasst man dies zusammen, dann führt dies zu der traurigen Erkenntnis, dass die gesellschaftliche Entwicklung anscheinend einen hartnäckigen Bogen um manche Journalisten gemacht hat. Wie heißt doch der schöne Titel der von mir sehr verehrten Journalistinnen Edit Schlaffer und Cheryl Benard: „Viel erlebt und nichts begriffen – die Männer und die Frauenbewegung“ (1985).

Ich werde in Zukunft davon absehen, Frauenbücher auszusortieren, denn wie man sieht, ist die Aktualität unverändert.


*“Weibs-Bilder. Zeugnisse zum öffentlichen Ansehen der Frau“ von Heide Hering




Nein, Gewalt an Frauen ist überhaupt nicht zum totlachen. Aber da war der Herr Kritiker mit etwas am Werke, das ich oft bemerke, wenn es um Frauenrechte und Frauenleben geht. Der Vorwurf der Humorlosigkeit ist (genau wie der der Prüderie) eine sehr effektive Maßnahme des Derailings. Indem man ernste Anliegen durch den Kakao zieht, zeigt man recht deutlich, dass man nicht bereit ist, sich auf das eigentliche Thema einzulassen und es an sich heranzulassen. Es gibt Männer, die altherrenclubmäßig über alles lachen, das Frauen in Wut und Ärger so von sich geben, und es gibt auch Frauen, die zu jedem niveaulosen Witz süßlich kichern müssen, selbst dann, wenn ihr eigenes Geschlecht diskriminiert wird. Umgekehrt geht das natürlich auch, wenn Frauen über ernsthafte Schwierigkeiten und vor allem Gefühlsbelange der Männer herziehen mit einem spöttischen "Ach, der arme Kerl!".

Das Theaterstück musste, wenn es sich mit diesem Thema befasst, humorlos sein. Es gibt einfach Dinge, die so ganz und gar nicht zum lachen sind. Die Angewohnheit von Männern, die Belange von Frauen wegzulachen, zeigt ganz deutlich das Gefälle in der Beziehung. Es zeigt, dass der betreffende Mann weder gewillt noch in der Lage ist, sich wirklich auseinanderzusetzen, und diese Form der Verweigerung ist es, die auch im Alltagsleben Schwierigkeiten bereitet. Sie zieht die gesamte Geschlechterproblematik auf ein Niveau der Belanglosigkeit, auf das Parkett des Nicht-Zuhören-Könnens und Nicht-Einparken-Könnens. Es gibt ja (außer den Peases) auch noch etliche andere Autoren, die dazu neigen, sämtliche schwere Charakterfehler und Macht-Missverhältnisse mit einem "So sind Männer/Frauen eben, nimm's mit Humor!" zu bagatellisieren. Um allerdings zu begreifen, dass vieles, was Frauen erleben, überhaupt nicht witzig ist, muss man sich in die Schuhe des anderen begeben. Die Bereitschaft dazu ist unter manchen Männern eher wenig verbreitet.

Die humorlose und prüde Kampfemanze, das ist ein Feindbild, das Männer und neuerdings auch Frauen (z.B. Kristina Schröder) pflegen und denjenigen, die sich gegen Ungerechtigkeiten und strukturelle Gewalt wehren wollen auf den Leib schneidern. Ich selbst habe in meinem Leben oft genug "lach doch mal" und "stell dich nicht so an" gehört, um diese ganze Verharmlosung überhaupt nicht mehr witzig zu finden. Die einzige Möglichkeit, sich dagegen zu wehren, besteht darin, die Äußerungen solcher Menschen selbst nicht ernst zu nehmen, sprich, bei der eigenen Haltung zu bleiben und sich nicht in Anpassung und Gefallenwollen hineindrängen zu lassen. Nicht mitzulachen, wenn es nichts zu lachen gibt, sondern die Humorlose heraushängen zu lassen, auch auf die Gefahr hin, dass die Lacher und Macher einen dann nicht mehr nett und adrett finden. Damit bräche man dann auch zugleich mit einer weiblichen Rollenzuschreibung, was sicher manchen nicht gefallen dürfte: Ja sagen, nett sein, charmant sein, über eigene Probleme hinweggehen, sich einfügen, den Mund halten.

Ich las auf "Pink Stinks" neulich den treffenden Spruch:

The problem is not that I see sexism everywhere. The problem is that you don't.

Man sollte sich die eigene Feinfühligkeit und Wahrnehmung für Unrecht und Ungerechtigkeiten nicht durch solche platten Vorwürfe vernebeln lassen. Das gesteht denjenigen, die sie äußern, eine viel zu große Definitionshoheit zu. Es ist unser Leben.

Der Vorwurf der Humorlosigkeit, den Du hier beschreibst, ist ja so alt wie die Frauenbewegung selbst. Dieser Vorwurf zieht sich hartnäckig durch alle Diskussionen, insbesondere, wenn es um Sexualität geht. Was daran zu zermürbend ist, ist die Tatsache, dass es nicht nur einfache Geister sind, die sich dieses Vorwurfs bedienen. In Zeitschriften wie Playboy, St. Pauli-Nachrichten e.t.c. wird über Politik geschrieben und die politischen Artikel wechseln sich ab mit Fotos von nackten Frauenkörpern. Diese sind dann meist mit weniger intelligenten Kommentaren versehen, die oftmals neckisch gestaltet sind, weil man anscheinend damit seinen Humor bekunden will, als Abwechslung zu den oftmals sehr nüchternen politischen Fakten. Wer’s nicht komisch findet ist eben – krankhaft humorlos.

Allerdings kann ich ehrlicherweise nicht leugnen, dass es in der Frauenbewegung oftmals tatsächlich äußerst humorlos zuging. Ich kann mich noch an eine Szene während meines Praktikums im Frauenhaus erinnern, als eine Kollegin sich gerade ein Eis gekauft hatte, bei dem man – wenn man wollte – eine gewisse Ähnlichkeit mit einem männlichen Geschlechtsteil feststellen konnte. „Ach, das ist ja dieses frauenfeindliche Eis“ kommentierte eine Kollegin in der Annahme, dass jede Frau sich durch die Form des Eis beleidigt fühlen müsst, was aber ganz sicher nicht der Fall war und ist, da es nun mal auch Frauen geben soll, bei denen das männliche Geschlechtsteil keinen Ekel hervorruft.

Jede/r hat seine eigene Grenze, was Humor angeht. Ich kenne beispielsweise auch viele Ausländer, die sich ab und zu über ihre Landsmänner lustig machen, denn natürlich gibt es nun mal auch Eigenheiten, die in irgendeiner Form komisch sind. Es wäre schlimm, wenn dies nicht so wäre.

Aber es gibt meines Erachtens Grenzen, die nicht überschritten werden sollten. Und das ist bei der Kritik des besagten Journalisten für mich ganz klar der Fall. In dem Film geht es auch um eine Vergewaltigung, die mit dem Handy gefilmt wurde. Und in dem Film sowie in dem Theaterstück werden grundsätzlich die Ausdrücke „Schlampe“ und „Hure“ für Frauen (ausgenommen natürlich die Schwestern und Mütter) verwendet. Beides ist genauso wenig lustig wie das Zusammenschlagen eines Ausländers oder Bezeichnungen wie Kanake oder Bimbo.

P.S.: man soll sich nicht auf die automatische Rechtschreibkorrektur verlassen, denn natürlich schreibt man zum Totlachen und nicht zum Todlachen!

Humor an sich ist ja auch was Wundervolles. Ich bin sehr glücklich darüber, dass es in meinem Leben einiges zu lachen gibt, und man muss wirklich nicht alles finster und ernst nehmen und zu Tode analysieren. Das, was Du über die Frauenbewegung schilderst, hat ja auch etwas damit zu tun, anderen seine eigenen Maßstäbe von Humor oder eben Humorlosigkeit aufzudrücken.

Problematisch ist, dass der Vorwurf der Humorlosigkeit instrumentalisiert wird. Kein Mensch hat etwas gegen herzhaftes Lachen - das kann manche angespannte Situation entkrampfen und deutlich machen, wie absurd einige Situationen sind. Der Vorwurf der Humorlosigkeit hingegen wird eben dazu benutzt, die Anliegen anderer ins Lächerliche zu ziehen, und das finde ich problematisch. Insbesondere dann, wenn man merkt, es geht auf der Gegenseite nicht um Kleinigkeiten, sondern um existenzielle Fragen. Als solche empfinde ich die Frage der geschlechtsgebundenen Diskriminierung. Über die inflationäre Verwendung des Binnen-I kann ich lachen. Über die Beschimpfung, Vergewaltigung und den immer noch in vielen Köpfen vorherrschenden Objektstatus der Frauen nicht.

Der hat tatsächlich nichts begriffen!
.. und ich glaube auch zu ahnen, warum: Mir scheint, der besagte Spiegel-Journalist ist ziemlich gedankenlos an die Sache herangegangen. Die Oberfläche des Films beschreibt er ja recht gut: Natürlich überrascht "Heute trage ich Rock" mit knalligen Effekten und überraschenden, absurd überdrehten Wendungen (die übrigens manchmal durchaus ironisch sind - insofern halte ich den Vorwurf der Humorlosigkeit für verfehlt). Nur scheint dem Journalisten entgangen zu sein, dass der Film auch einen Inhalt hat: Es wird darin durchaus etwas erzählt und es kommen Probleme zur Sprache. Und diese Probleme sind dem Kritiker offensichtlich völlig egal.
Mir ging es umgekehrt: Mich hat der Film bewegt und verstört, gerade weil er das modische Thema "Jugendgewalt" nicht entlang der gängigen Klischeees und üblichen Erklärungsmuster abhandelt, sondern die Konflikte mit jeder der überrraschenden Wendungen differenzierter zeichnet. Das kann man "clever" nennen, wenn man es als Effekthascherei missversteht. Ich finde es klug.
Und es hat mich sehr für das Ballhaus Naunynstraße eingenommen, dass es diesen Film auf deutsche Verhältnisse umgemünzt hat (ebenso übrigens wie meinen Lieblingsroman "Schnee").
Ein besondere Ironie liegt allerdings darin, dass der gedankenlose Spiegel-Kritiker, als ich ihn heute nachgoogelte, sich mir gleich mit enem der ersten Google-Treffer als Befürworter der Quote darbot. Vermutlich ist er sich keiner Schuld bewusst und hält sich für sehr emanzipiert - an ihren Taten sollt ihr sie erkennen, nicht an ihren politischen Deklarationen!

" Der hat tatsächlich nichts begriffen"
Ich glaube, das bringt es auf den Punkt, denn es geht nicht einfach um Meinung über einen Film – die ja durchaus unterschiedlich ausfallen kann und darf – sondern darum, dass der betreffende Journalist tatsächlich nicht im Geringsten kapiert hat, worum es in diesem Film geht. Aber eben dies sollte man grundsätzlich von einem Kritiker erwarten können – sich differenziert mit der Thematik auseinanderzusetzen und nicht davon auszugehen, dass selbst das sensibelste Thema in Form einer Komödie dargestellt werden muss.

Sowohl beim Film als auch beim Theaterstück habe ich intensiv die Ohnmacht und die Wut der Lehrerin wahrgenommen. Und auch das Dilemma, in dem eine Lehrerin steckt, die nicht wütend sein darf, weil grundsätzlich Verständnis für Schüler erwartet wird. Die Tatsache, dass der Schuldirektor tatsächlich auch noch indirekt ihr die Schuld gibt, weil sie durch das Tragen eines Rocks ja die Schüler provozieren würde, macht die Situation unerträglich. Trotz aller Verzweiflung machen in beiden Fällen die Lehrerinnen den Versuch, einen Bezug zu Molière bzw. Schiller herzustellen.

Auch wenn ich mich wiederhole – ich stelle die Frage, was anders wäre, wenn in den Schulklassen nicht von „Schlampen und Huren“ die Rede wäre, sondern von „Kanaken und Bimbos“. Aber man muss sich dies gar nicht fragen, denn mit absoluter Sicherheit würde sowohl die Öffentlichkeit als auch die Politik entrüsteter reagieren und es würden gezielt Konzepte entwickelt werden. Die Tatsache, dass jemand wie Bushido allen Ernstes einen Preis für gelungene Integration erhält, führt vor Augen, welchen Stellenwert das Thema Sexismus in unserer Gesellschaft hat. Der besagte Journalist ist hier nur ein Teil einer traurigen Realität, die durch Blindheit auf beiden Augen gekennzeichnet ist.

Hätte ich das Zeug dazu – ist leider nicht der Fall – würde ich ein Theaterstück schreiben, in dem entlarvt wird, dass Rassismus und Sexismus die gleichen Wurzeln haben, nämlich eine tiefe Verachtung für diejenigen Menschen, die anders sind. Und dieses Bedürfnis geht Hand in Hand mit dem Willen auf ein verbrieftes Recht, über eben diese anderen Menschen Macht auszuüben.

Vielleicht kennen Sie Anja Meulenbelt und Verena Stefan? In den Büchern „Die Scham ist vorbei“ und „Häutungen“ wird unter anderem auch diese Thematik gestreift. Beide Autorinnen sind in den Vierzigern geboren und waren in der Frauenbewegung quasi „Pflichtlektüre“.