Die Invasion der Nobodys, oder wer zum Teufel ist der Wendler?
Ich wollte schon seit langem mal etwas über diejenigen schreiben, die immer und überall in den Medien auftauchen, ohne dass diese Menschen irgendeine Wichtigkeit haben.

Jetzt nehme ich mir die Zeit dazu und das ist ausgerechnet eine Folge von – Corona!
Nein, nicht weil man da mehr Zeit hat. Der Grund liegt vielmehr darin, dass das Phänomen der Nobodys jetzt noch deutlicher wird, denn egal welche erschreckende Ausmaße die Pandemie annimmt, egal welche neuen Hiobsbotschaften es geben mag, egal was für wirtschaftliche Ausmaße die Folge sind – wirklich interessant sind immer noch andere Dinge: was sagt der Wendler, was macht Heidi Klum mit Tom Kaulitz unter der Dusche, in wen ist Piedro Lombardi verknallt, wie sieht der Brautstrauß von Silvi Meis und die neue Frisur von Daniela Katzenberger aus und vor allem, warum guckt Kim Kardashian auf einem Instagramm Foto so merkwürdig?

Nein, auch ich bin leider nicht unempfänglich für Tratsch und ich schließe mich voll und ganz Erica Jongs Erkenntnis „Tratsch ist Opium fürs Volk“ an. Aber selbst Tratsch sollte eine Mindestanforderung erfüllen und die betreffende Person sollte durch irgendetwas aus der Masse herausragen. Reicht es wirklich, dass jemand mal vor neun Jahren von einem Bachelor bis zur zweiten Halbzeit eine Rose erhalten hat? Ist jemand tatsächlich schon ein Promi, wenn er bei DSDS mitgemacht hat oder vielleicht noch nicht mal dies, sondern es lediglich zu einem „Recall“ gebracht hat? Muss man jedes Mal, wenn man im Handy Nachrichten lesen will, auf jemanden aufmerksam gemacht werden, weil der in der vierten Staffel im Dschungelkamp war?

Es gibt mehrere Wege, um Nobody-Promi zu werden. Für Frauen eignet sich da besonders der Start als Spielerfrau, der Aufstiegchancen bietet zur Jurorin von Gesangswettbewerben und dann die Möglichkeiten wie beispielsweise die einer Unterwäsche-Designerin bietet. Für Männer besteht diese Möglichkeit nicht, die müssen in der Regel erstmal selbst den Gesangskandidaten, den Bachelor oder den Bauern auf Brautschau abgeben um dann in Dschungelcamps, Sommerhäuser oder Container eingeladen zu werden.

Ja, es mag stimmen, Tratsch ist immer und überall dämlich und früher war es auch nicht anders. Ich kann da ganz gut mitreden, da meine Eltern einen Lesezirkel hatten. Neue Revue, Bunte, Quick, Neue Post etc. Kaum fing ich an zu lesen, wurde ich auch schon vertraut mit dem schweren Schicksal von Soraya, den Eheproblemen von Liz Taylor und Richard Burton und den Wohnverhältnissen von Heino. Ich erinnere mich noch genau, wie ich von unendlichem Neid erfüllt war, als ich mir die Fotoreportage über die Geburtstagsfeier irgendeines der Kinder des Schahs ansah. Ein eigener Spielplatz! Und dann erst die schönen Kleider von Farahnaz!

Die Welt der Illustrierten bestand aus Königen, Prinzessinnen, Schlagersängern, Schauspielern, Familiendynastien wie die der Thyssens, Bohlen-Halbachs und den Krupps sowie den Politikergattinnen, sofern sie sich Wohltätigkeitszwecken widmeten.

Also doch das Gleiche wie die Lombardis, Kadashians und die Wendlers? Ja und nein. Ein Schauspieler wird durch seine Filme bekannt, ein Schlagersänger durch seine Musik. Diese Bekanntheit stellt sich aber erst nach getaner Arbeit ein und ist abhängig davon, ob die Masse Gefallen daran findet. Angehörige von Monarchien stehen vom Tag der Geburt an im Focus, ohne dazu irgendetwas beigetragen zu haben und später kann der Job Repräsentationspflichten beinhalten, deren Wichtigkeit für eine Gesellschaft nicht unbedingt hoch ist, aber immerhin mit Arbeit verbunden ist. Zu einer Familiendynastie zu gehören, kann mit Arbeit verbunden sein, oder aber sich aufs Jet-Setting beschränken, wie dies bei Arndt von Bohlen-Halbach der Fall war.

Vielleicht ist das einer der Unterschiede – am Anfang eines Promis steht ein gesellschaftlicher Rang, eine künstlerische Arbeit, ein politisches Amt oder eine gesellschaftlich (mehr oder weniger) bedeutungsvolle Aufgabe. Am Anfang eines Nobodys jedoch steht eine Castingshow, in der mittelmäßige Künstler und andere mittelmäßige Nobodys nach ihrem mittelmäßigen Kriterien Mittelmäßigkeit küren. Und das setzt sich dann exponentiell – wie Corona – fort bis zur Invasion.

Und das ist er, der Unterschied: früher waren unbedeutende Menschen lediglich ein kleiner Teil des öffentlichen Lebens. Mittlerweile gibt es jedoch eine regelrechte Nobody-Industrie und die liefert unerschöpflichen Nachschub, so dass die Nobodys im öffentlichen Leben die Mehrheit bilden.




Mich interessieren die ja alle nicht, aber vielleicht hat sich da etwas verlagert. Politiker*innen und Künstler*innen halten ihr Privatleben heutzutage sehr viel mehr unter Verschluss als beispielsweise noch in den Siebzigern. Weil sie schlau sind. Die Bekloppten, die nach Ruhm um jeden Preis gieren, gleichen das aus. Sonst würde ja ein ganzer Industriezweig vor die Hunde gehen und die Klatschsüchtigen gingen an ihren Entzugserscheinungen zugrunde.

Aber Sie haben schon Recht, der Hype um diese talentfreien Schwerstneurotiker*innen ist recht befremdlich.

Und Ihr Text ist sehr erfrischend.

Mich interessieren die eigentlich ja auch nicht. Deswegen frage ich mich, warum ich manches trotzdem lese. Meine Freunde und Bekannten würden die meisten der Nobodys wahrscheinlich ebenfalls nicht kennen, wenn sie nicht pubertierende Kinder hätten, für die die Nobodys ein wichtiges Thema sind. Gut um zu fragen, wenn man doch mal wissen will, wofür ein Name steht.

Ich war übrigens im Bekanntenkreis schon immer die Lachnummer, weil ich die meisten Namen völlig falsch bzw. unvollständig auspreche. So ging die Trallalla-Musik von Modern Talking völlig an mir vorbei und als der Name "Bohlen" dann in aller Munde war, sprach ich von "Marc Bohlen", weil ich dachte, um den würde es wohl gehen.

P.S.: Marc Bolan war der Sänger von T. Rex, der aber auch schon damals nicht mehr unter uns weilte.