Samstag, 18. Dezember 2010
Die Lüge von den Durststrecken
Im Leben gäbe es Durststrecken, heißt es immer. Irrtum – es gibt im Leben keine Durstrecken, sondern das Leben ist eine Durststrecke. Die Durststrecke ist nicht die Ausnahme, sondern die Regel.

Der Mangel ist die Regel und die Erfüllung ist immer nur eine zeitlich begrenzte Ausnahme, die niemals den ersehnten Dauerzustand darstellt.

„Endlich geht es wieder bergauf“ gibt es in der Realität nicht, sondern allenfalls ein „Momentan geht es wieder bergauf“. Das Leben ist ein Bergab, das ab und zu – und dies auch nur, wenn man Glück hat – von einem Bergauf unterbrochen wird. Das ändert aber nie etwas an der grundsätzlichen Richtung.

Das Leben verbringt man fast immer im durstigen Zustand. Und auch wenn dieser Durst manchmal gestillt wird, reicht es immer nur gerade eben zum Durchhalten.

Nicht die Durstrecken muss man überstehen, sondern das Leben.



Überschwänglichkeit oder lieber laues Mittelmaß? – Nachschlag zum Thema Überschwänglichkeit
Überschwänglichkeit verursacht in erster Linie Probleme, wenn sie sich im Negativen, also in der Kritik, äußert. Leicht nachzuempfinden, da begreiflicherweise niemand gern heftig und impulsiv kritisiert wird. Die andere Seite der Überschwänglichkeit ist die der überschäumenden Freunde an oder über etwas. Die Lust an der Erfüllung der Wünsche, am Erhalt des Ersehnten. Das kann nur der empfinden, der überhaupt Wünsche und Sehnsüchte hat. Wer die gar nicht kennt, fühlt sich durch Überschwänglichkeit befremdet und verunsichert.

Die Kritiker der Überschwänglichkeit sind Verfechter des Mittelmaßes. Kritik ist bei ihnen nie akut und heftig, sondern chronifiziert und leblos. Was allerdings nicht gleichbedeutend mit dem Zustand der Zufriedenheit ist. Wer sich die laute und heftige Kritik verbietet, ist noch lange nicht still. Jene Menschen, denen jegliche Leidenschaft für oder gegen etwas fehlt, sind Spezialisten für das kontinuierliche Nörgeln im Hintergrund. Unmut wird nie zum Thema gemacht, ist aber dennoch immer präsent. Hier eine abfällige Bemerkung über jemanden, dort ein geringschätziger Kommentar – und dies gern indirekt in Form von Anspielungen. Diskussionen sind auch gar nicht erwünscht, denn um Klärung oder gar Behebung eines Kritikpunktes geht es auch gar nicht.

So wie den Gegnern der Überschwänglichkeit jegliche Leidenschaft in der Kritik oder Ablehnung fehlt, so fehlt ihnen auf der anderen Seite auch jegliche Beigeisterung für das Schöne im Leben. Sie schwärmen nie von etwas, sie verehren nichts, sie haben in keiner Sache Herzblut – für sie liegt der Ausdruck der Zustimmung schon allein darin, sich negativer Kommentare zu enthalten.

Ein schönes Beispiel ist hierfür immer wieder ein Restaurantbesuch mit diesem Menschentyp. Die Anhänger der lauen Mittelmäßigkeit nutzen jede Gelegenheit um ein Essen, das nicht so wie gewohnt schmeckt, mit negativen Kommentaren zu bedenken. Schmeckt es ihnen hingegen gut, dann gibt es für sie nichts Abwegigeres, als dies zu äußern. Auf eine Nachfrage reagieren sie deswegen immer leicht erstaunt. „Wozu um Himmelswillen soll man denn etwas ausdrücklich loben?“. Soooo wichtig ist das ja nun auch nicht.

Der Anhänger der lauen Mittelmäßigkeit kämpft weder für noch gegen etwas. Zum einen fehlt ihm hierfür die Leidenschaft. Zum anderen ist es für ihn die Garantie dafür, selbst auch niemals bekämpft zu werden. Sein Unmut explodiert niemals, sondern plänkelt leise vor sich hin. Gefühlsausbrüchen oder Leidenschaft wird ein eiserner Riegel vorgeschoben. Der Nachteil dabei ist allerdings, dass dieser eiserne Riegel alle anderen Gefühle gleich mit einschließt.

Dem Anhänger der lauen Mittelmäßigkeit ist die Überschwänglichkeit ein Dorn im Auge, denn sie gefährdet seine wohltemperierte Balance. Und stellt einen unbequemen Appell an seine Gefühlsarmut dar. Der Anhänger der lauen Mittelmäßigkeit macht aus der Welt ein Sanatorium, in dem aus Rücksicht auf die anderen nur leise gesprochen werden darf. In dem es keine Hochs und keine Tiefs gibt, weil dies seine Ruhe gefährden würde – sein Ideal ist die lauwarme Zimmertemperatur. Aus der Perspektive seines wohlig warmen Zimmers sieht er dem Treiben der Welt zu, ohne sich daran zu beteiligen.

Es soll sich möglichst wenig bewegen in der kleinen überschaubaren Welt des Verfechters des lauen Mittelmaßes. Denn das ist es, was er liebt und braucht - den Stillstand.



Mittwoch, 15. Dezember 2010
Die Lust am Wollen. Oder was ist eigentlich Überschwänglichkeit?
Diese Frage stelle ich mir in Bezug auf eine Kritik, die ich vor kurzem erhalten habe. Auf der einen Seite würde ich überschwänglich loben und auf der anderen Seite überschwänglich kritisieren. Und das scheint ein völlig falsches Verhalten zu sein.

Wie wäre es denn richtig? Und was mache ich falsch? Anscheinend zuviel Begeisterung und zuviel Kritik anstelle von Ausgewogenheit und Harmonie, die ja offensichtlich so dringend erforderlich ist. Wofür eigentlich? Aber das „wofür“ ist vielleicht gar nicht die entscheidende Frage, die Frage des“ für wen?“ ist sehr viel aufschlussreicher.

Menschen, die selbst sehr differenziert denken, die selbstkritisch und nachdenklich reflektieren, sollten in der gleichen Weise behandelt werden. Aber Menschen, die sich überhaupt nicht die Mühe machen, über Dinge nachzudenken, deren Lebensphilosophie schwarzweiß ist und deren Reaktionen aus plumpen Floskeln bestehen, die noch dazu ständig von ermüdenden Projektionen begleitet sind – bei diesen Menschen fällt es mir in der Tat schwer, mit Kritik sparsam vorzugehen. Sicher, es wäre edel und korrekt, auch bei diesen Menschen differenziert und behutsam zu beurteilen. Und es würde unsere Welt sehr viel friedlicher machen. So würde Jesus handeln, der bei einem Schlag ins Gesicht die andere Wange hinhält. Aber Jesus hat die menschlichen Schwächen überwunden - ganz im Gegensatz zu mir.

Obwohl ich es manchmal sogar schaffe, mich ein bisschen an der „Feindesliebe“ zu orientieren. Immer dann, wenn es sich um jemanden handelt, der Kritik von allen Seiten erhält und der sich noch dazu nicht wehren kann. Dann schreckt mich davon ab, mich in die Masse der Draufhauer einzureihen. Aber genau umgekehrt ist es für mich bei denjenigen Menschen, vor denen alle ängstlich kuschen. Diejenigen, die ihre Mitmenschen nur als Mittel zum Zweck nutzen und die sich wie Oberfeldwebel aufführen, welche andere in die Rolle der Rekruten drängen. Die professionellen Ausnutzer und Diktatoren.

Und was ist mit dem zweiten Vorwurf? Der der überschwänglichen Begeisterung? Sicher, es gibt diese Menschen, die dieses Gefühl nicht kennen. Die allenfalls ein gleichgültiges „ganz nett“ über die Lippen bringen – wenn überhaupt. Bei mir ist das anders. Ich könnte vor Freude an die Decke springen, wenn sich irgendjemand mal nicht eigennützig und opportun verhält – gerade weil so etwas ja sehr selten geworden ist (zumindest in einigen Kreisen…). Und ich kann mich auch über ein gutes Essen, einen tolles Konzert oder ein liebevolles Geschenk ausgiebig und lange freuen.

Aber bevor ich mich jetzt im Beispielnennen verliere. Man kann – glaube ich – alles in einem Satz ausdrücken: „Die Lust am Wollen“. Ich will bestimmte Dinge und ich will bestimmte Dinge nicht.

Ich will keine diktatorischen Alphamännchen. Ich will keinen Homo oeconomicus, der andere Menschen bis aufs Blut ausnutzt. Ich will keine dumpfen grobschlächtigen Beleidigungen. Aber ich will Menschen, auf die ich mich verlassen kann. Ich will Rückgrat. Ich will differenzierte und respektvolle Umgehensweise.

Vielleicht erreiche ich ja irgendwann einmal die Stufe der höchsten Erleuchtung, so wie ein japanischer Zen-Meister, der überhaupt nichts mehr will. Oder die Stufe eines selbstlosen Christen, der fähig ist, allen Menschen zu verzeihen. Aber so weit bin ich noch nicht. Und bis ich soweit bin, werde ich auch genaue Vorstellung davon haben, was ich will und was nicht. Und solange ich diese Vorstellung habe, werde ich aus Herzenskräften kritisieren und loben. Und dabei immer schön überschwänglich sein.



Donnerstag, 9. Dezember 2010
Weihnachtshasserin mit Einschränkungen
Obwohl ich mittlerweile eine absolute Weihnachtshasserin bin, war ich eben mit meiner Freundin stundenlang auf dem Hamburger Weihnachtsmarkt. Wenngleich inzwischen jedem halbwegs sensiblen Menschen das ganze quäkende „Jingle bells“ und die grellbunten Flackerlichter auf den Wecker gehen, gibt es irgendwo im tiefsten Innersten noch eine Erinnerung daran, dass all dies früher einmal als schön empfunden wurde. Und diese Erinnerung ist wahrscheinlich ein nicht totzukriegendes Relikt aus der Kindheit.

Es gibt da auf der einen Seite den Verstand, der einem sagt, was für eine fürchterlich verlogene Konsumorgie das alles ist. Und auf der anderen Seite gibt es ein unbelehrbares Kind, das Schmalzgebäck essen und Punsch (jetzt mit Alkohol) trinken will und kitschige bunte Weihnachtskugeln und viel zu teuere Räuchermännchen kaufen möchte. Und seit einiger Zeit gibt es wieder all die nostalgischen Dinge von früher zu kaufen, so als hätte man die Zeit um 40 Jahre zurück gedreht. Und merkwürdigerweise gefallen einem all diese Dinge noch genauso wie früher, als man dafür auch noch Verwendung hatte.

Weihnachten lebt von der Erinnerung. Weihnachten als Fest des Schenkens macht in einer Überflussgesellschaft keinen Sinn mehr. Deswegen spielen sich alle die schönen Weihnachtsgeschichten im Szenarium der Armut und der Zeit des Entbehrens ab. Das fängt schon mit der biblischen Weihnachtsgeschichte an, in der ein Paar, das ein Kind erwartet, keine Obdach findet und in einem Stall übernachten muss. Auch in Charles Dickens Weihnachtsgeschichte, in Hans Christian Andersons "Mädchen mit den Schwefelhölzern" oder in Wolfdietrich Schnurres „Leihgabe“ geht es um Armut.

Und so sind auch alle anderen Weihnachtsgeschichten Erinnerungen an eine Zeit, in der Hunger und Verzicht herrschte und es etwas ganz Besonders war, ein Geschenk zu machen oder zu erhalten und dazu noch ein luxuriöses Mahl genießen zu dürfen. Mit den oft bedichteten Pfeffernüssen und Mandelkern könnte man heute kein Kind mehr hinter dem Ofen hervorlocken.

Eine Geschichte über ein Weihnachtsfest, in dem es Handys, Gameboys, CD-Player und Gutscheine für Beautyfarmen gibt, hätte nichts Lesenswertes. Und deswegen werden alljährlich die Erinnerungen an eine längst vergangene Zeit hervorgeholt obwohl das mit unserer Gegenwart nicht mehr das Geringste zu tun hat.

Aber trotz alledem tut es gut, mit einer guten Freundin auf den Weihnachtsmarkt zu gehen. Und hat man erst einigen Glühwein oder Eierpunsch getrunken, sieht man auch alles gar nicht mehr so kritisch. Erinnerungen können manchmal ein starkes Gegenmittel für die Unzulänglichkeiten der Gegenwart darstellen. Ab und zu muss man sich das einfach gönnen.