Weihnachtshasserin mit Einschränkungen
Obwohl ich mittlerweile eine absolute Weihnachtshasserin bin, war ich eben mit meiner Freundin stundenlang auf dem Hamburger Weihnachtsmarkt. Wenngleich inzwischen jedem halbwegs sensiblen Menschen das ganze quäkende „Jingle bells“ und die grellbunten Flackerlichter auf den Wecker gehen, gibt es irgendwo im tiefsten Innersten noch eine Erinnerung daran, dass all dies früher einmal als schön empfunden wurde. Und diese Erinnerung ist wahrscheinlich ein nicht totzukriegendes Relikt aus der Kindheit.

Es gibt da auf der einen Seite den Verstand, der einem sagt, was für eine fürchterlich verlogene Konsumorgie das alles ist. Und auf der anderen Seite gibt es ein unbelehrbares Kind, das Schmalzgebäck essen und Punsch (jetzt mit Alkohol) trinken will und kitschige bunte Weihnachtskugeln und viel zu teuere Räuchermännchen kaufen möchte. Und seit einiger Zeit gibt es wieder all die nostalgischen Dinge von früher zu kaufen, so als hätte man die Zeit um 40 Jahre zurück gedreht. Und merkwürdigerweise gefallen einem all diese Dinge noch genauso wie früher, als man dafür auch noch Verwendung hatte.

Weihnachten lebt von der Erinnerung. Weihnachten als Fest des Schenkens macht in einer Überflussgesellschaft keinen Sinn mehr. Deswegen spielen sich alle die schönen Weihnachtsgeschichten im Szenarium der Armut und der Zeit des Entbehrens ab. Das fängt schon mit der biblischen Weihnachtsgeschichte an, in der ein Paar, das ein Kind erwartet, keine Obdach findet und in einem Stall übernachten muss. Auch in Charles Dickens Weihnachtsgeschichte, in Hans Christian Andersons "Mädchen mit den Schwefelhölzern" oder in Wolfdietrich Schnurres „Leihgabe“ geht es um Armut.

Und so sind auch alle anderen Weihnachtsgeschichten Erinnerungen an eine Zeit, in der Hunger und Verzicht herrschte und es etwas ganz Besonders war, ein Geschenk zu machen oder zu erhalten und dazu noch ein luxuriöses Mahl genießen zu dürfen. Mit den oft bedichteten Pfeffernüssen und Mandelkern könnte man heute kein Kind mehr hinter dem Ofen hervorlocken.

Eine Geschichte über ein Weihnachtsfest, in dem es Handys, Gameboys, CD-Player und Gutscheine für Beautyfarmen gibt, hätte nichts Lesenswertes. Und deswegen werden alljährlich die Erinnerungen an eine längst vergangene Zeit hervorgeholt obwohl das mit unserer Gegenwart nicht mehr das Geringste zu tun hat.

Aber trotz alledem tut es gut, mit einer guten Freundin auf den Weihnachtsmarkt zu gehen. Und hat man erst einigen Glühwein oder Eierpunsch getrunken, sieht man auch alles gar nicht mehr so kritisch. Erinnerungen können manchmal ein starkes Gegenmittel für die Unzulänglichkeiten der Gegenwart darstellen. Ab und zu muss man sich das einfach gönnen.




Und dennoch...
Und dennoch...
...ist es Besser in der Vergangenheit zu schwelgen als sich vor der Zukunft zu fuerchten!
Ich denke wir brauchen diese Kindheitserinnerungen, die eine gewisse Leichtigkeit vermitteln um dem enormen Druck der heutigen Zeit Stand zu halten.
Merry Christmas

Das hast Du sehr schön beschrieben.

Ich dachte in den letzten Tagen oft, wie man einem Außenstehenden, der von Weihnachten nicht die kleinste Spur einer Ahnung hat, als eine Art Fremdenführer wohl das Konzept der ganzen Angelegenheit und die Dinge, die gerade vor sich gehen, erklären wollte. Wenn man die Grundzüge des christlichen Glaubens erklärt hat, dann ist es vielleicht noch nachvollziehbar, warum hierzulande die Geburt eines Kindes gefeiert wird, das sich schließlich als eine Art revolutionärer, aber gewaltloser Quertreiber seiner Zeit mit Hoffnungspotential entpuppt hatte.

Ab da wird's dann kompliziert. Fragen des interessierten Touristen könnten sein:

- "Weshalb werden überall kleine Statuen von dicken Männern in roten Mänteln aufgestellt?"

- "Haben die Sound- und Lichteffekte irgendeine tiefere rituelle Bedeutung?"

- "Sind Rentiere, Elche und Artverwandte irgendwie wichtig für Maria, Josef und das Kind gewesen?"

- "Wieso verehrt man in Mitteleuropa Nadelbäume?"

- "Die hohen, hell erleuchteten und glänzend geschmückten Hallen mit den Preisscannern am Ausgang sehen aus wie Tempel. Sind es welche? Wenn ja, wird dort dem Christkind gehuldigt?"

- "Wieso sind alle Menschen in den Innenstädten so schlecht gelaunt, und das umso mehr, je näher es auf den großen Tag zugeht?"

- "Wieso spielt Materielles eine so große Rolle, obwohl es sich bei der ganzen Sache doch um eine seelisch-geistige Angelegenheit handelt?"

- "Wieso denken so viele bei Weihnachten zuerst an Haben-Wollen?"

- ...

Ich finde es völlig in Ordnung, sich selbst (auch mit Hilfe nostalgischer Erinnerungen) ein bisschen Behaglichkeit in die kalte Zeit zu zaubern. Wenn die Erinnerungen an die Weihnachtsfeste Deiner Kindheit etwas dazu beitragen, dann ist das doch okay. Und obwohl einem heute auch die Nostalgie, die an diese Erinnerungen anknüpft, im Dienste der Gewinnmaximierung verkauft wird, halte ich Dich doch nicht wirklich für eine Person, die dem Konsum-Schmuh auf den Leim geht. Selbst dann nicht, wenn Du Dich randvoll mit Punsch abfüllen würdest. Genieße es einfach. Über Motive spekulieren kannst Du ja, wenn sich der Kater am nächsten Tag verkrümelt hat.

Zeit des Zuviel
Ich habe heute morgen in meiner Tageszeitung einen Spruch gelesen, der alles, was von Euch und mir hier geschrieben wurde, gut zusammenfasst: „Weihnachten ist die große Zeit des Zuviel“ (James Henry Leigh Hunt 1784-1859). Wobei ich jetzt natürlich über die Zeit stutze, in der der Verfasser gelebt hat. Dann war es tatsächlich vor rund 200 Jahren auch schon so? Obwohl es keine Flackerlichtreklame, keine Nonstop Musikberieselung, kein Weihnachtsfernsehprogramm und keine Konsumtempel gab. Was war denn dann zuviel? Die Weihnachtsgans? Das finde ich höchst erstaunlich und wert, darüber nachzudenken.

Dann habe ich noch einen Ausdruck gelesen, den ich bisher nicht kannte, der aber treffend bissig ist: „Kampfshoppen mit Glühwein-Absacker“.

Aber ich werde natürlich trotzdem mit einigen lieben Menschen Weihnachten freiern – allerdings ohne Geschenke (zumindest nicht für die Erwachsenen). Und meine schönen Erinnerungen gestehe ich mir zu. Aber gerade, weil man es mal anders erlebt hat, ist es schade.