Überschwänglichkeit oder lieber laues Mittelmaß? – Nachschlag zum Thema Überschwänglichkeit
Überschwänglichkeit verursacht in erster Linie Probleme, wenn sie sich im Negativen, also in der Kritik, äußert. Leicht nachzuempfinden, da begreiflicherweise niemand gern heftig und impulsiv kritisiert wird. Die andere Seite der Überschwänglichkeit ist die der überschäumenden Freunde an oder über etwas. Die Lust an der Erfüllung der Wünsche, am Erhalt des Ersehnten. Das kann nur der empfinden, der überhaupt Wünsche und Sehnsüchte hat. Wer die gar nicht kennt, fühlt sich durch Überschwänglichkeit befremdet und verunsichert.

Die Kritiker der Überschwänglichkeit sind Verfechter des Mittelmaßes. Kritik ist bei ihnen nie akut und heftig, sondern chronifiziert und leblos. Was allerdings nicht gleichbedeutend mit dem Zustand der Zufriedenheit ist. Wer sich die laute und heftige Kritik verbietet, ist noch lange nicht still. Jene Menschen, denen jegliche Leidenschaft für oder gegen etwas fehlt, sind Spezialisten für das kontinuierliche Nörgeln im Hintergrund. Unmut wird nie zum Thema gemacht, ist aber dennoch immer präsent. Hier eine abfällige Bemerkung über jemanden, dort ein geringschätziger Kommentar – und dies gern indirekt in Form von Anspielungen. Diskussionen sind auch gar nicht erwünscht, denn um Klärung oder gar Behebung eines Kritikpunktes geht es auch gar nicht.

So wie den Gegnern der Überschwänglichkeit jegliche Leidenschaft in der Kritik oder Ablehnung fehlt, so fehlt ihnen auf der anderen Seite auch jegliche Beigeisterung für das Schöne im Leben. Sie schwärmen nie von etwas, sie verehren nichts, sie haben in keiner Sache Herzblut – für sie liegt der Ausdruck der Zustimmung schon allein darin, sich negativer Kommentare zu enthalten.

Ein schönes Beispiel ist hierfür immer wieder ein Restaurantbesuch mit diesem Menschentyp. Die Anhänger der lauen Mittelmäßigkeit nutzen jede Gelegenheit um ein Essen, das nicht so wie gewohnt schmeckt, mit negativen Kommentaren zu bedenken. Schmeckt es ihnen hingegen gut, dann gibt es für sie nichts Abwegigeres, als dies zu äußern. Auf eine Nachfrage reagieren sie deswegen immer leicht erstaunt. „Wozu um Himmelswillen soll man denn etwas ausdrücklich loben?“. Soooo wichtig ist das ja nun auch nicht.

Der Anhänger der lauen Mittelmäßigkeit kämpft weder für noch gegen etwas. Zum einen fehlt ihm hierfür die Leidenschaft. Zum anderen ist es für ihn die Garantie dafür, selbst auch niemals bekämpft zu werden. Sein Unmut explodiert niemals, sondern plänkelt leise vor sich hin. Gefühlsausbrüchen oder Leidenschaft wird ein eiserner Riegel vorgeschoben. Der Nachteil dabei ist allerdings, dass dieser eiserne Riegel alle anderen Gefühle gleich mit einschließt.

Dem Anhänger der lauen Mittelmäßigkeit ist die Überschwänglichkeit ein Dorn im Auge, denn sie gefährdet seine wohltemperierte Balance. Und stellt einen unbequemen Appell an seine Gefühlsarmut dar. Der Anhänger der lauen Mittelmäßigkeit macht aus der Welt ein Sanatorium, in dem aus Rücksicht auf die anderen nur leise gesprochen werden darf. In dem es keine Hochs und keine Tiefs gibt, weil dies seine Ruhe gefährden würde – sein Ideal ist die lauwarme Zimmertemperatur. Aus der Perspektive seines wohlig warmen Zimmers sieht er dem Treiben der Welt zu, ohne sich daran zu beteiligen.

Es soll sich möglichst wenig bewegen in der kleinen überschaubaren Welt des Verfechters des lauen Mittelmaßes. Denn das ist es, was er liebt und braucht - den Stillstand.