Mittwoch, 17. März 2010
Arbeitsauftrag ist nicht gleich Arbeitsauftrag
Vor längerer Zeit habe ich mich ein bisschen mit dem theoretischen Hintergrund des Vergleichs der Arbeitsweise von Sozialarbeit mit der von kaufmännischer Arbeit beschäftigt. Ich hatte immer noch vor, mich dabei auch mit dem Thema des Arbeitsauftrags zu beschäftigen. Die Idee kam mir, als ich eine Bürokraft eines anderen Büros auf etwas Belangloses ansprach und ich dafür keine Antwort erhielt, sondern stattdessen nur eine hochempörte Reaktion über mein Anliegen. Hochempört, weil ich einfach einen Vorschlag gemacht hatte und dies natürlich nur der Chef höchstpersönlich tun darf. Und verärgert wurde mir vorgehalten, dass für mein Anliegen doch überhaupt kein Arbeitsauftrag bestehen würde. Und da wurde ich wieder unsanft daran erinnert – ich bin nicht mehr im Sozialen Bereich, wo Ideen einfach nur Ideen sind und man über alle Vorschläge nachdenkt, bevor man sie ablehnt. Ich bin unter Kaufmännern, wo der Arbeitsauftrag sich auf das Einhalten von starren Prinzipien und Vorschriften beschränkt und man grundsätzlich nicht darüber nachdenkt, ob man Dinge auch anders oder vielleicht sogar besser machen könnte.

Ja, und dann habe ich mir die beiden sehr verschiedenen Formen von Arbeitsaufträgen einfach mal näher angesehen.



Freitag, 19. Februar 2010
Der Mensch und seine Homepage – das Ende der Bescheidenheit
Die Möglichkeit, sich über eine Homepage darzustellen, mag man als sinnvoll oder auch nicht beurteilen. Auf jeden Fall hat diese Möglichkeit die Ära der Bescheidenheit endgültig beendet. Es wird hemmungslos alles aufgeführt, was irgendwann mal irgendwo getan wurde. Und selbst wenn niemals und nirgends etwas getan wurde, wird trotzdem etwas daraus gemacht, was sich nach außen gut darstellt. Da werden simple Erholungsurlaube zu einem beruflichen Auslandsaufenthalt umfunktioniert oder zumindest wird ein „Sprachstudium“ daraus gemacht, selbst wenn dieses nur aus nächtlichen Gesprächen bei Ouzo in der Taverne bestand. Aus einer einfachen Beratertätigkeit wird eine leitende Funktion gemacht und stundenweise Honorartätigkeiten werden zu Vollzeitbeschäftigung umgewandelt.

Eine merkwürdige Homepage habe ich vor kurzem entdeckt. Die Homepage eines Psychologen, dessen Vita voller Auszeichnungen und Publikationen ist. Wobei ich in diesem Fall ausnahmsweise davon überzeugt bin, daß es sich dabei nicht um Phantasiegebilde handelt, da ich den Betreffenden kenne. Aber diese geballte Auflistung von Qualifikationen und Auszeichnungen geht soweit, daß sogar die Berufe der Eltern (!), der Kinder (!) und der Ehefrau (!) aufgeführt werden. Alles kann sich sehen lassen – keine Fließbandarbeiter oder Kantinenhilfen, sondern nur diplomierte Psychologen oder zumindest Kaufmänner (natürlich auch diplomiert).

Was ist eigentlich die Botschaft so einer Homepage? Wer einen qualifizierten Psychologen sucht, wird sicher zufrieden sein, da es Auszeichnungen und Fortbildungen in Hülle und Fülle gibt. Aber die Seite platzt vor lauter Auflistungen so aus den Nähten, daß man sich unweigerlich fragt, warum jemand in einer fast schon zwanghaften Akribie alles, aber auch wirklich alles auflistet, was es an gesellschaftlichen Titeln gibt. Die über den rein sachlichen Inhalt hinausgehende Information lautet ganz klar „Ich bin ein Mensch mit Erfolg! Ich habe es zu etwas gebracht. Und nicht nur ich, sondern jeder in meiner Familie hat ebenfalls Erfolg!“

Gute wissenschaftliche Arbeiten und Publikationen geleistet zu haben, ist die eine Seite. Die andere Seite ist, sich völlig darüber zu identifizieren. Aber sich selbst über alle Maßen zu loben, entspricht voll und ganz dem Zeitgeist – wogegen Bescheidenheit in unserer Zeit keinen hohen Kurswert hat. Dennoch stimmt mich ein völliger Mangel an Bescheidenheit nachdenklich. Zumindest, was den Umgang mit so einem Menschen angeht. Den kann ich mir – auch mit viel Phantasie – nicht als angenehm vorstellen.

Die Machart der meisten Homepages erinnert mich an Bundeswehroffiziere, deren Uniform mit Orden übersäht ist. Oder an Schützenkönige, die manchmal so viele Orden haben, daß hierfür eine Art Lederweste getragen werden muß, damit die Jacke unter der Last der Orden nicht zerreißt. Orden, Orden, Orden. Für jede Heldentat einer. Es reicht nicht, irgendwann etwas Heldenhaftes getan zu haben, sondern es muß jederzeit und überall stolz daran erinnert werden.



Dienstag, 16. Februar 2010
Zeiten das Neinsagens – Zeiten des Jasagens
Wenn man sich die Geschichte ansieht, dann gibt es Zeiten des Jasagens und des Neinsagens. Zeiten, in denen alles mitgemacht wird und Zeiten in denen rebelliert wird. Was dabei rauskommt, ist oftmals nicht das Erwartete. Aber wahrscheinlich gibt es auch diese beiden Menschentypen. Der an Veränderungen desinteressierte Mensch und der Mensch, der eine tiefe Sehnsucht nach Veränderung hat.

In den 70/80 er bestand eine ständige Skepsis gegen technische Neuerungen. Gegen zuviel Datentransparenz. Gegen Manipulation. Gegen Machtkonzentration. Gegen Diskriminierung von Minderheiten. Oftmals schoß man dabei übers Ziel hinaus. Aber man schoß zumindest und hielt nicht einfach den Mund.

Wo ist das eigentlich alles abgeblieben? Jede technische Neuerung wird mit tosendem Applaus begrüßt. Diskriminierung ist nicht nur gesellschaftsfähig geworden, sondern bringt zudem auch viel Geld, wenn man es gut in Szene setzt. Statt Demos gibt es jetzt Raveparaden. Statt unerträglichen politischen Diskussionen gibt es unerträgliche Castingshows, in denen sich Jugendliche zu kompletten Deppen machen lassen, bevor sie wieder vollständig in der Versenkung verschwinden. Joshkas Anzüge werden immer schicker und seine Ehefrauen immer jünger.

Es hilft, wenn man sich vor Augen hält, daß sich gesellschaftliche Entwicklungen in Wellen entwickeln. Die Generation der autoritätsgläubigen Jasager des Dritten Reichs hat eine Generation von autoritätskritischen Neinsagern hervorgebracht. Die jetzige Generation von Technik-Gläubigen Jasagern wird vielleicht auch wieder eine Generation hervorbringen, die auf kritische Distanz geht. Und wer weiß – vielleicht wird Bushido einen Sohn bekommen, dem Papas dumpfbackige Sprüche genauso peinlich sind, wie den Kindern von Nazis die dumpfbackigen Sprüche ihrer Papas peinlich waren.

Nein, ich meine nicht, daß früher alles besser war! Aber es gab früher nachdenkliche und mahnende Stimmen. Und die gibt es nicht mehr. Es gibt soviel Euphorie und viel gnadenlose Zustimmung, daß einem Bange wird. Das Motto des "Let's have fun" wird zur Religion.

Der Sohn von Osama bin Laden hat übrigens ein Buch geschrieben, indem er heftig mit seinem gewalttätigen Vater abrechnet. Das sollte eigentlich Anlaß zur Hoffnung geben, zumal der Sohn damit – anders als die Kinder von Nazis – sein Leben aufs Spiel setzt. Hoffen wir also auf die Wellenbewegung der Entwicklung und auf die nächste Welle...



Samstag, 23. Januar 2010
Hoppla - Geistig obdachlos!
Heute Nacht habe ich ein wenig über die Weimarer Republik gelesen. Unter dem Kapitel „Deuter und Denker“ wurden Wissenschaftler und Philosophen aus der Weimarer Zeit vorgestellt. Unter anderem auch Siegfried Kracauer (1889-1966), ein soziologisch geschulter Journalist, der einer der ersten war, der sich dem Film als Phänomen der neuen Massenkultur widmete. Und dabei stieß ich zu schon sehr später Stunde auf ein Zitat, das mich wieder hellwach machte:“ Die Masse der Angestellten unterscheidet sich vom Arbeiter-Proletariat darin, daß sie geistig obdachlos ist“.

Da gab es also schon vor langer Zeit jemanden, der nicht, wie allgemein üblich, den Arbeitern einen geistigen Mangel - denn Obdachlosigkeit ist ein Mangel - diagnostiziert, sondern den Angestellten. Das stellt die herkömmliche Ansicht auf den Kopf. Trifft aber mitten ins Schwarze. Auch wenn man heute den verstaubten Begriff des Arbeiter-Proletariats zu Seite legen muss, gibt es immer noch Differenzierungen in der Arbeitswelt, die vielleicht nicht so sehr aus einer wirklich soziologischen Sicht resultieren als vielmehr aus der Sicht der Menschen über sich selbst. Die Menschen, die nicht körperlich arbeiten, definieren sich nach wie vor als diejenigen, deren Arbeit anspruchsvoller ist als die körperliche Arbeit. Und schon seit ewigen Zeiten beizeichnen diese Menschen ihre Arbeit als „Geistige Arbeit“.

Im Mittelalter, als Lesen und Schreiben eine Fähigkeit weniger Auserwählter und fast immer mit einer umfangreichen Bildung verknüpft war, mag der Begriff „Geistig“ zugetroffen haben. Aber heutzutage ist dies nicht nur falsch sondern auch völlig lächerlich. Ein Standesdünkel einer Klasse ohne Stand.

Nach Kracauer geht es dem Angestellten nie um Inhalte, sondern nur um Glanz (im Sinne von Wirkung nach außen), er möchte in erster Linie auf unkomplizierte Art genießen und sich nicht mit Problemen auseinandersetzen. Von dem Genuß der Umwelt möchte er sich nicht durch ernste Gespräche ablenken lassen:

Das Höhere ist dem/der Angestellten nicht Gehalt, sondern Glanz. Es ergibt sich ihm nicht durch Sammlung, sondern in der Zerstreuung".

Geistig obdachlos – darüber könnte man lange nachdenken, denn Kracauer sagt ja nicht Geistig beschränkt. Es dreht sich also nicht um ein eingeschränktes Wissen sondern um ein Wissen, das in irgendeiner Weise unbeheimatet ist. Ein beliebiges überall anwendbares und austauschbares Wissen. Ohne Bezug auf irgendetwas oder irgendwen und ohne jeden Hintergrund. Lesen, Schreiben, Rechnen. Vielleicht für ein Möbelgeschäft, ein Ingenieurbüro, ein Krankenhaussekretariat – vielleicht auch für eine rechte Partei oder aber eine linke. Auswechselbar und überall einsetzbar - eben ohne Obdach.

Und ob ich will oder nicht - mir kommt die Darstellung Etty Hillesums ins Gedächtnis, die über ihre Arbeit in einem Büro klagt und ihre Kollegen dabei nicht gerade liebevoll beschreibt als: " sie sind in bezug auf ihre eigene Person optimistisch verblendet, sie intrigieren und verteidigen ehrgeizig ihre Pöstchen, das Ganze ein riesiger Saustall". Das deckt sich mit Kracauers Begriff der geistigen Obdachlosigkeit, denn es fehlt in der Tat das "gemeinsame Dach", das über das formale Arbeiten Hinausgehende.



Donnerstag, 24. Dezember 2009
Lösungsorientierte Kommunikation
Nachdem in den 60er, 70er, und 80er Jahren zuviel und zu lange über alles und jedes diskutiert wurde, wurde endlich Abhilfe geschaffen: die lösungsorientierte Kommunikation! Endlich hat das zeitvergeudende Schnick-Schnack der Basis-Demokratie ein Ende.

Man fühlt sich ein bißchen an Dalli-Dalli erinnert (kennt das noch jemand?), das Ratespiel auf Schnelligkeit. Und genau wie bei Dalli-Dalli braucht man einen Moderator, der die anderen Beteiligten durch die Diskussion hetzt.

Der Wandel in der Kommunikation hat auch etwas mit dem Wandel des Männlichkeitsideals zu tun. Nicht mehr der indifferente Softie, nicht mehr das verständnisvolle Weichei ist gefragt. Nein - jetzt müssen wieder echte Männer her, die uns die Entscheidungen abnehmen!

Und dem echten Mann ist nichts so verhaßt wie Leerlauf und Ratlosigkeit. Nach dem Motto: "Zeit ist Geld" wird auf Teufel-komm-raus angetrieben, als würde irgendwo eine Bombe explodieren, wenn länger als drei Sekunden Stillschweigen herrscht.

Ja, endlich haben wir wieder richtige Kerle, die uns zeigen, wo's längs geht. Und prompt haben wir auch auch im Null-Komma-Nix eine Lösung. Kein kostenträchtiges Hin- und Herüberlegen. Kein langwieriges Abwägen und Aufeinandereingehen. Besser eine schlechte Lösung als den Dingen ihren Lauf lassen.

Die im Schnellverfahren gefundene Lösung hat nur einen Haken:

Die meisten dieser Express-Lösungen sind der komplette und vollendete Mist und richten nur Unheil an!

Denn meistens kommt nichts anderes heraus, als daß der Großteil derBeteiligten völlig unzufrieden ist. Dennoch ist die lösungsorientierte Kommunikation wahrscheinlich für die nächsten Jahre das Modell. Wir müssen also noch eine Weile Dalli-Dalli spielen. Zumindest dem Moderator gefällt's.



Mittwoch, 25. November 2009
Bin ich schön? Bin ich häßlich? Und wenn interessiert das eigentlich?
Es gibt Menschen, die nicht mit anderen kommunizieren können, ohne deren Äußeres zu kommentieren – und dies leider meist in diffamierender und abwertender Weise. Sämtliche Spuren geistiger Entwicklung und Zivilisation scheinen an diesen Menschen spurlos vorübergegangen zu sein und wie im Neandertal reduziert sich die Wahrnehmung ausschließlich auf das Auge. Schon in der normalen und alltäglichen Kommunikation ist dies ebenso unangenehm wie überflüssig. Wenn es aber einmal tatsächlich zu Konflikten kommt, laufen solche Menschen zu Höchstformen auf. Kleinste Kleinigkeiten werden hierbei – ähnlich wie bei Tieren – geortet und nichts ist mehr vor ihnen sicher.

Das eigentlich Dramatische ist aber nicht die dumpfe Einfachheit dieser Menschen sondern deren Auswirkung auf all jene, die normalerweise nie auf die Idee kommen würden, dem Äußeren anderer Menschen Beachtung zu schenken. Plötzlich gibt es eine Art Ping-Pong-Effekt und unwillkürlich gucken auch jene sich das äußere Erscheinungsbild der Kontrahenten mal genauer an. Und dann bemerken sie, daß eben genau diejenigen Menschen, deren Vorliebe es ist, das Äußere anderer verächtlich zu kommentieren, weit davon entfernt sind, selbst den allgemeinen Maßstäben von Schönheit zu entsprechen. Dies wiederum löst dann ein klammheimliches Gefühl der Genugtuung aus, das noch größer wird, wenn Dritte den Eindruck der Häßlichkeit bestätigen.

Damit ist genau das passiert, was beim Kontakt mit tollwütigen Tieren passiert – kommt man ihnen zu nah, dann infiziert man sich und hat plötzlich selbst Schaum vorm Mund. Man ist in die Falle getappt und hat sich auf ein tierähnliches Niveau hinunterziehen lassen. Man kann der Versuchung einfach nicht widerstehen, dieser erbärmlichen Selbstgefälligkeit, die nicht nur die eigenen Unzulänglichkeiten ausblendet, sondern obendrein noch in andere hineinprojiziert, mit den gleichen Mitteln einen Gegenschlag zu verpassen.

Und leider gibt es für diese Art Tollwut keine Impfung und so bleibt nur die gleiche Strategie wie bei der realen Tollwut: man muß sich so fern wie möglich halten. Diese Spezies wirft das gesamte zwischenmenschliche Niveau um Lichtjahre zurück. Niemand braucht diese Spezies und niemand will diese Spezies. Wenn es nicht schade um den Dschungel wäre, sollte man sie dorthin zurückschicken.
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Samstag, 24. Oktober 2009
Das Papa-Mama-Konto – ein gern geleugnetes Privileg
Die Frage, ob man denn nun eigentlich gut oder schlecht verdient oder ob man denn nun genug oder nicht genug gespart hat, ist fast unmöglich zu klären. Da gibt es Faktoren wie die Ausbildung, in die man investiert hat und für die man ein höheres Gehalt beansprucht als jemand, der diese Investitionen nicht gemacht hat. Da gibt es Faktoren wie hohe Kredite, die abgezahlt werden müssen. Kinder, denen ebenfalls wieder eine Ausbildung bezahlt werden muß. Die Liste ist endlos lang und macht einen wirklichen Vergleich unmöglich.

Was aber bei all den Versuchen, seine finanzielle Situation in Relation zu anderen zu stellen, grundsätzlich und hartnäckig ignoriert wird, ist das Papa-Mama-Konto. Auf dieses Konto war ich schon als Kind immer ein bißchen neidisch. Menschen, die durch ihre Eltern einen zinslosen Dauerkredit haben oder eine regelmäßige Apanage beziehen, genießen beachtliche Privilegien. Das kann man als gerecht empfinden oder auch nicht – erstaunlich ist, daß dieses Privileg von den Nutznießern völlig ignoriert wird.

Viele Menschen müssen ihren Lebensweg allein aus eigner Kraft bestreiten. Das fängt an beim Zeitungsaustragen als Schüler, das erforderlich ist, weil das Papa-Mama-Konto nicht vorhanden ist. Während Kinder mit einem Papa-Mama-Konto bei Schulschwäche Nachhilfestunden erhalten, müssen sich Kinder ohne Papa-Mama-Konto oftmals durch das Erteilen von Nachhilfestunden Geld dazuverdienen. Die Schulferien werden durch das Papa-Mama-Konto angenehm zur Erholung und zum Kennenlernen fremder Länder genutzt, während Schüler ohne dieses Konto die Arbeitswelt im Supermarkt kennenlernen, wo sie als Zuverdienst Regale einräumen.

Es geht dann später weiter beim Studium, wo die Zeit fürs Lernen eingeschränkt wird durch jede Menge Nebenjobs. Ist das Studium dann beendet, fällt ohne das Papa-Mama-Konto schon nach kurzer Zeit die Abzahlung des BAFöGs an, die schon mal bis zur Lebensmitte dauern kann. Aber schon zuvor gibt es erhebliche Unterschiede im Lebensstil. Dort wo ein Papa-Mama-Konto vorhanden ist, gibt es einen Führerschein und passend dazu das erste Auto. Die anderen fahren erstmal Fahrrad.

Kommt es dann zur Familiengründung, kommen diejenigen mit dem Papa-Mama-Konto in den Genuß eines meist nicht unerheblichen Zuschusses zum Eigenheim, ohne den dasselbe oftmals gar nicht erst möglich wäre. Ohne das Papa-Mama-Konto muß erstmal in einer engen Zweieinhalbzimmerwohnung gewohnt werden. Kommen dann die Kinder, stehen Menschen mit einem Papa-Mama-Konto nicht allein vor den damit verbundenen Ausgaben, sondern regelmäßige, lukrative Geschenke zur Geburt, Einschulung, Weihnachten e.t.c. machen die Kindererziehung einfacher.

Irgendwann geht alles zu Ende und wenn dann die Eltern das Zeitliche segnen, geht das Papa-Mama-Konto über in die Hände der Kinder, oft noch ergänzt durch ein Häuschen. Bei denjenigen ohne Papa-Mama-Konto geht gar nichts über – im Gegenteil, es entstehen Kosten durch Beerdigung und Haushaltsauflösung. Auch schon zuvor haben Menschen, die kein Mama-Papa-Konto haben in doppelter Weise mehr Verpflichtungen als diejenigen, die eben eins haben, denn oftmals müssen erstere einspringen, wenn es bei den Eltern finanziell eng wird.

Das Papa-Mama-Konto ist das Startpaket, das das Leben angenehmer und problemloser macht. Das Papa-Mama-Konto macht das Leben weniger risikoreich, denn es steht bei allen Plänen beruhigend im Hintergrund. Das Papa-Mama-Konto ist eine verläßliche Rückversicherung gegen alles, was vielleicht schief gehen könnte. Ein Privileg, das schon früh Weichen stellt für den Lebensweg und sogar den der Kinder. Das hat das Papa-Mama-Konto mit Erbkrankheiten gemeinsam - es pflanzt sich auch in die Folgegenerationen fort.

Mit Privilegien ist das allerdings so eine Sache. Haben möchte sie jeder, wahrhaben allerdings fast niemand. Ich persönlich habe nicht das Privileg eines Mama-Papa-Kontos gehabt. Aber dennoch gibt es andere Privilegien, in deren Genuß ich trotzdem gekommen bin und auch immer noch komme. Ich hatte beispielsweise die Möglichkeit zum Besuch des Gymnasiums. Ich mußte zwar als Kind mit meiner Schwester ein Winzzimmer teilen, als Jugendliche hatte ich aber dann ein eigenes Zimmer für mich allein. Ich mußte Gott-sei-Dank niemals in einer Hochhaussiedlung wohnen, sondern durfte Natur genießen. Nachdem ich eine Zeitlang eine körperliche schwere, völlig unterbezahlte Arbeit ausgeübt habe, war ich in meinem Beruf tätig und habe gut verdient (was allerdings alle meine Kollegen abstritten). Auch jetzt empfinde ich mich – wieder im Gegensatz zu meinen Kollegen – nicht als Geringverdiener und bin mir durchaus bewußt, welche Annehmlichkeiten meine Arbeit bietet. Vergleiche ich mich mit meinen Freunden und Bekannten, von denen viele im gewerblichen Bereich arbeiten oder Hartz-IV-Empfänger sind, fühle ich mich privilegiert – und dies nicht wenig.

Ich kenne Menschen, die sozial privilegiert sind und denen dies durchaus bewußt ist. Menschen, die sich trotz einer finanziell abgesicherten Situation für die Lage der Hartz-IV-Empänger interessieren und engagieren. Denen trotz der Tatsache, nicht selbst betroffen zu sein, das Thema Armut nicht egal ist. Soziale Ungleichheit gab es immer und wird es auch immer geben. Das Gefährliche ist daran, diese Tatsache einfach auszublenden und die eigenen Privilegien nicht als solche einzustufen oder als für jeden gegeben anzusehen.

Das, was Privilegien für andere so unerträglich macht, ist nicht die Tatsache des Privilegs an sich – daran kann man sich im zunehmenden Alter gewöhnen. Das Unerträgliche ist die Tatsache, daß Privilegierte ihre Privilegien nicht nur hartnäckig leugnen, sondern – im Gegenteil – sich meist auch noch auf der Seite der Benachteiligten wähnen. Und dies ist oft bei den Nutznießern eines Papa-Mama-Kontos nicht selten der Fall. Das Papa-Mama-Konto schafft Möglichkeiten, von denen diejenigen, die es nicht besitzen, nur träumen können. Wer ein Papa-Mama-Konto hat, hat enormes Glück. Und das sollte er verdammt noch mal auch zugeben!

P.S.: das Papa-Mama-Konto ist manchmal auch ein Schwiergerpapa-Schwiegermama-Konto!



Donnerstag, 13. August 2009
Sozialarbeit und Berufsbetreuung
Ich möchte hier den Versuch machen, mich ein bißchen näher mit der Begriffszuordnung unseres Berufs zu beschäftigen. Bisher gibt es keine wirkliche theoretische Auseinandersetzung mit der Zuordnung von Berufsbetreuern. Es gibt zwar einige lesenswerte Artikel (die ich auch verkürzt auf meiner Seite unserer Betreuerhomepage wiedergegeben habe) aber die sind immer vor einem rechtstheoretischen Hintergrund verfaßt worden und grundsätzlich niemals von Berufsbetreuern selbst. Ich werde diesen Artikel noch einige Zeit laufend fortsetzen.


Soziale Arbeit
Der Begriff Soziale Arbeit dient seit den 1990er Jahren als Ober- und Sammelbegriff der traditionellen Fachrichtungen Sozialpädagogik und Sozialarbeit. Seit 2001 ist Soziale Arbeit auch in Deutschland durch die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) und die Kultusministerkonferenz (KMK) offiziell als Fachwissenschaft anerkannt. Soziale Arbeit versteht sich als Profession, die wissenschaftsfundiert versucht, praktische soziale Probleme zu lösen, zu lindern oder zu verhindern, genauso wie es Aufgabe von anderen Professionen ist, praktische biologische (Medizin) oder psychische Probleme (Psychiatrie, Psychotherapie) zu lösen. Im Zuge der fortschreitenden Entwicklung der Sozialen Arbeit zur Profession und des gemeinsamen Handlungssystems der immer weniger klar differenzierbaren Teilgebiete, hat sich der mit einer langen Tradition belegte Oberbegriff Soziale Arbeit herausgebildet.

Da die Befähigung eines Individuums am gesellschaftlichen und öffentlichen Leben teilzunehmen nicht bei allen gleich ausgebildet ist, beschäftigt sich die Soziale Arbeit auch mit der Möglichkeit, gesellschaftliche Benachteiligung abzubauen, die eben diese Befähigung zum Ziel hat.
Gegenstand Sozialer Arbeit sind allgemein gesellschaftlich und professionell als relevant angesehene menschliche „Problemsituationen“. Hierzu gehören überwiegend Probleme mit der alltäglichen Lebensbewältigung, der „Lebenspraxis“ – dem alltäglichen „Zurechtkommen und Zurechtfinden“. Sozialpädagogik bedeutet aber nicht allein Fähigkeiten und Ressourcen der Einzelnen zu fördern; in der Sozialpädagogik steckt auch eine gesellschaftliche Zielsetzung des „Miteinander-Auskommens“. Sozialpädagogik betrachtet das Individuum in seiner Wechselbeziehung mit der sozialen Umwelt. Ziel Sozialer Arbeit ist das Lösen, Lindern oder Verhindern praktischer sozialer Probleme, die sich aus einer unzureichenden Integration von Individuen in ihren sozialen Systemen ergibt, was gleichbedeutend ist, seine biopsychosozialen Bedürfnisse dauerhaft nicht befriedigen zu können.

Soziale Arbeit als Disziplin erforscht die Zusammenhänge der sozialen Problementstehung und Problemlösung. Soziale Arbeit als Profession arbeitet an der Lösung und der möglichen Prävention dieser Probleme.Silvia Staub-Bernasconi betont den fachlichen Auftrag einer Sozialen Arbeit als (eine) Menschenrechtsprofession, die die Verletzung von Menschenrechten (in Bezug auf organismisch verankerten biopsychosozialen Bedürfnissen) lokal, national und global erkennen und benennen soll und sich als wert- und bedürfnisorientierte Disziplin und Profession an der Minimierung von Menschenrechtsverletzungen beteiligen soll. Soziale Arbeit hat ein dreifaches Mandat: die Klientel, den Staat und den Kodex der Sozialen Arbeit. Sie sind also den Bedürfnissen des Individuums sowie der Mikrosysteme genauso verpflichtet wie den Bedingungen des staatlichen Rechtssystems oder der aktuellen Sozialpolitik. Als drittes sind sie außerdem dem Kodex der Sozialen Arbeit verpflichtet, der vergleichbare Traktanden hat wie etwa die Menschenrechtsabkommen.
Die vergangenen Jahre brachten vermehrt eine an betriebswirtschaftlichen Prinzipien orientierte Strömung in der Sozialen Arbeit. Neben pädagogischen Erwägungen gewinnen Überlegungen zur Qualitätsprüfung, -maximierung, Effizienzsteigerung, Standardisierung, etc. mehr und mehr an Bedeutung, dies insbesondere durch Spardruck (Mittelkürzungen) und auch durch die gesteigerte Pflicht zum Nachweis der Wirtschaftlichkeit der Dienstleistungen, z.B. durch die Einführung des § 93 BSHG. Die Zunahme äußeren Drucks durch Sparmaßnahmen sowohl der kirchlichen als insbesondere der öffentlichen Finanzierungsträger/innen führte zwar auch zu einer begrüßenswerten Qualitätsdiskussion und hierdurch fundierteren Begründung sozialarbeiterischen Handelns, die politische Dimension wurde im Gegenzug wieder mehr und mehr aus begreiflichen Gründen zurückgestellt. Soziale Arbeit ist dennoch gefordert, mehr als nur Krisenintervention zu leisten.

Die Profession der Sozialen Arbeit ist noch und wieder durch die aktuellen Entwicklungen im Spannungsfeld zwischen Gesellschaft, Individuum und Sozialarbeiter/in zu verorten. Dabei muss das Handlungsfeld insbesondere durch die Gesellschaft definiert werden, die gleichzeitig sowohl als Auftraggeberin, Problemursache und Problemlösungs-Teilinhaberin anzusehen ist. 2006 verabschiedeten 70 Fachbereiche für Soziale Arbeit an deutschen Hochschulen einen „Qualifikationsrahmen“.

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Diese Thesen habe ich größtenteils dem Wikipedia Eintrag "Soziale Arbeit" entnommen.

Innerhalb der Sozialarbeit gab und gibt es - wie in allen anderen Fachbereichen auch - unterschiedliche Theorien und Schwerpunkte. Es ist nicht mein Anliegen, diese hier gegenüberzustellen und miteinander zu vergleichen. Vielmehr möchte ich die grundlegenden Elemente zusammenfassen und auf meine Arbeit als Berufsbetreuerin anwenden.

Unter den vielen Beispielen für Soziale Arbeit wird ausdrücklich auch das des Berufsbetreuers genannt. Jetzt könnte man in zwei Schritten fortfahren: zum Einen könnte man analysieren, was in der konkret stattfindenden Betreuungsarbeit von der Theorie der Sozialen Arbeit tatsächlich auch umgesetzt wird. Zum anderen kann man natürlich auch grundsätzlich thematisieren, ob Betreuungsarbeit denn tatsächlich als Soziale Arbeit zu betrachten ist. Fällt unsere Arbeit überhaupt in die Kategorie Soziale Arbeit? Falls dies verneint wird, welcher Profession ist sie dann zuzurechnen?

Würde man hier einmal tatsächlich ganz wissenschaftlich vorgehen und Zielsetzung, Methodik und Rahmenbedingungen einer Analyse unterziehen, würde man den Bereich der Berufsbetreuer mit großer Wahrscheinlichkeit nicht aus dem Begriffsfeld der Sozialen Arbeit lösen können. Würde man dann wiederum überprüfen, in wieweit die an die Profession der Sozialen Arbeit geknüpften Qualitätsanforderungen auch erfüllt werden, wäre das Offensichtlichwerden von erheblichen Mängeln voraussehbar.

Der entscheidende Punkt für die qualitative Beurteilung der Profession der Berufsbetreuer ist also der der Zuordnung. Dies ist erforderlich, bevor man überhaupt an dem Thema Qualität arbeitet.

16.08.09

Bevor man jetzt die Zuordnung der Profession Berufsbetreuer thematisiert, sollte man sich die Definition des Begriffs des Kaufmanns ansehen. Auch die habe ich - gekürzt - Wikipedia entnommen:

Kaufmann ist im weiteren Sinn des Sprachgebrauchs, jeder der erwerbsmäßig Waren anbietet oder daran mitarbeitet Waren anzubieten. Daraus leitet sich die allgemeine Berufsbezeichnung kaufmännischer Beruf ab, die historische Standesbezeichnung Kaufleute, spezielle Berufsbezeichnungen und die handelsrechtliche Bezeichnung.

Kaufleute handeln kaufmännisch, nach kaufmännischen Prinzipien und mit kaufmännischen Methoden, also vor allem wirtschaftlich, daher werden diese Berufe auch kaufmännische Berufe genannt. Sie denken und wirtschaften im Rahmen des Unternehmens betriebswirtschaftlich oder übergreifend volkswirtschaftlich.

Während der Begriff Händler den Ein- und Verkauf von Waren in den Vordergrund stellt - auch als Arbeitnehmer, kennzeichnet der Begriff Kaufmann das berufsmäßige – und auch wirtschaftlich eigenständige – Wirtschaften und Handeln, das auch Herstellung und Verarbeitung einbeziehen kann. Kaufmann und Händler sind auch mit Kalkulation, Rechnungswesen, Logistik, Gütertransport, Lagerhaltung und Marketing befasst, befasst, oft nur mit einigen dieser Bereiche. Das klassische Bild des Kaufmanns, der auch Händler im eigenen Laden oder Geschäft ist, ist nur im Bereich des Einzelhandels gegeben.

Viele Kaufleute sind Händler im rechtlichen und allgemeinen Sinn. Ein Händler ist (fast) immer auch ein Kaufmann.
Nach der Mehrzahl Kaufleute wird besonders im Mittelalter auch ihr Stand (Gesellschaft) benannt. Oft wird der Kaufmann als gesellschaftlich höherstehend angesehen, als der Händler. Die Geschichte der Händler und Kaufleute ist die Geschichte des Handels. Im Mittelalter waren Kaufleute oft in einer Gilde oder Hanse organisiert und gehörten zur städtischen Oberschicht, zum Patriziat. Bis ins 19. Jahrhundert trugen meist nur selbstständige Unternehmer die Berufsbezeichnung Kaufmann, später wurden zunehmend auch Angestellte als Kaufmann geführt.



Dienstag, 11. August 2009
Dummheit ist laut. Und telefoniert.
Es gibt keine stille Dummheit. Dummheit ist immer laut. Dummheit äußert sich in Schrift, Bild und Wort. Und das Wort äußert sich per Handy. Vor der Handy-Ära gab es genauso viel dumme Menschen wie jetzt. Aber die Kommunikation war begrenzt auf den direkten, unmittelbaren Kontakt.

Ein dummer, schweigender Mensch ist erträglich. Ein dummer und redender Mensch hört auf, erträglich zu sein. Man kann seine Gedanken hören. Mit dem Handy ist immer ein Gesprächspartner präsent. Der Dumme hat sich gegen die Stille rückversichert. Mit seinem Handy kann er jederzeit zu einen anderen Dummen Kontakt herstellen. Und seine Dummheit aus der Stille in das Hörbare transportieren.

In der Öffentlichkeit verdreckt er damit die Gedankenwelt der anderen. Unmöglich, sich noch zu konzentrieren, wenn in unmittelbarer Nähe ein Dummer mit einem anderen Dummen seine Gedanken austauscht. Man wird zur Teilhabe gezwungen.

Ich wußte früher nie, wie man sich die Hölle vorzustellen hatte. Jetzt weiß ich es. In der Hölle gibt Handys. Und es gibt Unmengen von dummen Menschen, die damit laut telefonieren.

So sieht die Hölle aus. Und so hört sie sich an.



Mittwoch, 8. Juli 2009
Ehe und Moral
Das Werk "Ehe und Moral" wurde 1929 von Bertrand Russel (1882 - 1970) verfaßt und 1950 mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet. Russel gilt als der Begründer der "analytischen Philosophie".

Man mag kaum glauben, daß dieses Werk tatsächlich schon 80 Jahre alt ist noch weniger kann man sich vorstellen, daß dieses Buch zur damaligen Zeit nicht sofort verboten wurde - bricht es doch mit allen gängigen Moralvorstellungen und hätte von seiner kritischen Auseinandersetzung mehr in die 68er Bewegung gepaßt.

Meist ist das Eheleben dort am einfachsten, wo die Menschen am wenigsten differenziert sind. Wenn sich ein Mann von anderen Männern und eine Frau von anderen Frauen kaum unterscheidet, liegt kein besonderer Grund vor zu bedauern, daß man nicht jemand anderes geheiratet hat. Menschen aber mit vielseitigen Neigungen, Beschäftigungen und Interessen werden von ihren Partner eine gewisse Geistesverwandtschaft verlangen und unzufrieden sein, wenn sie feststellen, daß sie weniger erhalten haben, als sie vielleicht hätten erreichen können. Die Kirche, die dahin tendiert, die Ehe allein vom Gesichtspunkt der Sexualität aus zu betrachten, sieht keinen Grund, warum ein Partner nicht ebenso gut sein sollte wie ein anderer. Sie kann daher auf Unlösbarkeit bestehen, ohne sich um die Härten zu kümmern, die darin oft liegen (S. 93)

Man sollte nach meiner Meinung erwarten, daß die Verbindung lebenslang besteht, aber nicht, daß sie andere geschlechtliche Beziehungen ausschließt...Es darf keine gegenseitige Behinderung der Freiheit geben; es muß absolute körperliche und geistige Vertrautheit bestehen; es muß eine gewisse Übereinstimmung in bezug auf Wertmaßstäbe vorhanden sein... Wenn dieses Ideal bisher noch nicht oft verwirklicht wurde, so liegt es vor allem daran, daß Ehemänner und Ehefrauen sich gegenseitig als Aufpasser betrachtet haben (S. 98).

Ich bin der Ansicht, daß die Form der Liebe, welche ein Ehe glücklich bleiben und ihren sozialen Zweck erfüllen läßt, nicht romantisch ist, sondern etwas Tieferes, Innigeres und Realistischeres (S. 55).


Auch wenn Russel die romatische Liebe ablehnt, hört sich seine These träumerisch an. Träumerisch deswegen, weil auch er die Basis einer Beziehung im geistigen Bereich sieht. In der Realität ist alles viel profaner und die Gemeinsamkeiten liegen nicht so sehr im Geistigen sondern vielmehr im Materiellen: nicht gemeinsame Wertmaßstäbe und Ziele, sondern gemeinsame Einbauküche und Couchgarnitur bilden die Basis. Frauen möchten irgendwann ein- bis zwei Kinder und ein Haus. Männern bleibt da oftmals nicht viel Wahl.

Aber auch wenn bei Männern Haus und Kinder nicht die Hauptmotivation für eine Ehe bilden - geistige Übereinstimmung ist es meist auch nicht. Männer möchten gern emotionell und sexuell versorgt sein. Wer tagsüber den Buisinessmann abgibt, möchte gern nach der Arbeit mal etwas anderes als kaufmännisches Kalkül.

Natürlich muß es nicht zwangsläufig so materialistisch und platt ablaufen, aber dennoch sind die Motive für Eheschließungen selten die edelsten. Die Ehe bietet wie kaum eine andere Beziehung die Möglichkeit, in einer Art rechsfreiem Raum zu leben. Hier darf man sich all das herausnehmen, was bei Freunden und Bekannten unweigerlich zum Bruch der Beziehung führen würde. Mal so richtig die Sau rauslassen - wo sonst kann man das schon?

Ja, ich weiß, es hört sich alles so furchtbar negativ an. Aber vielleicht liegt das an der Überdosis Hochzeitssendungen und dergleichen. Diese elende, amerkanisch-zuckersüße Art, Lebensbereiche auf grausamste Weise in rosarotes Disneyland zu verwandeln. Und die Realität sieht eben nicht nur anders aus, sondern hat damit nicht mehr das Geringste zu tun. Meine Einbildungskraft ist damit hoffnungslos überfordert.