Freitag, 12. März 2010
Das kommt drauf an...
Die zwischenmenschliche Kommunikation hat höchste Bedeutung: denn nur durch den anderen kommt der Mensch zur Klarheit über sich selbst.
Carl Jaspers (1883 – 1969)

Dies habe ich zwar ausnahmsweise auf Anhieb verstanden, stimme aber nur bedingt zu. Denn die Rolle des anderen kann nicht nur zur Klarheit verhelfen, sondern kann – im Gegenteil – auch die Klarheit verschleiern. Bestes Beispiel sind die Kindheitserfahrungen vieler Menschen. Diese Erfahrungen waren oftmals alles andere als glücklich. Zum Beispiel dann, wenn Eltern ihr Kind in irgendeine Richtung drängen, in die es gar nicht will und auch überhaupt nicht paßt. Die vielen Eltern, die ihr Kind als Projektionsfläche sowohl für die eigenen Ideale als auch für ihre Verdrängungen benutzen. Psychoanalytiker finanzieren mit diesen Traumen ihren Lebensunterhalt.

Aber auch unter Erwachsenen kann die Kommunikation zur Falle werden. Dort ist Klarheit oftmals alles andere als erwünscht. Ein Mensch, dem es nur auf die Außenwirkung ankommt, wird jegliche Klarheit vermeiden. Ein Mensch, der sich jeder Auseinandersetzung entzieht, ebenfalls. Und dann gibt es da noch diese Menschen, die jegliches Nachdenken verweigern, die unsäglich und dumpf losplappern, bevor man überhaupt zuende gesprochen hat. All diese Menschen sind denkbar ungeeignet, um zu Klarheit über sich selbst zu gelangen, man entfernt sich von sich selbst anstatt sich zu nähern.

Aber Jaspers spricht vermutlich von einem Idealzustand. So wie es eigentlich sein sollte, damit der Mensch sich zu dem entwickeln kann, was ihm bestimmt ist. Für mich kann das aber nur heißen:

Nur durch die zwischenmenschliche Kommunikation mit den richtigen Menschen kommt der Mensch zur Klarheit über sich selbst. Das sind Menschen, die das Wesen eines anderen erfassen und widerspiegeln - mit seinen Stärken und Schwächen. Und die uns in die richtige Richtung lotsen können, wenn wir uns auf falsche Wege verirrt haben. Dann kann man allerdings erstaunliche Erkenntnisse erlangen. Wer jemals an einer wirklich guten Gruppentherapie teilgenommen hat, hat vielleicht die Möglichkeit gehabt, so eine Erfahrung zu machen. Und dies übrigens nicht nur in Bezug auf das Widerspiegeln durch die anderen, sondern vielmehr durch die Teilhabe am anderen. Denn was uns bei uns selbst die Sicht versperrt, ist für uns bei anderen klar erkennbar. Daraus ergibt sich ein Nehmen und Geben - aber eben nur bei den "richtigen" Menschen.



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Dass der Mensch nur im Umkreis seines durch den Sinnanspruch bestimmten Wesens, und nicht im Hinblick auf sein Vorkommen, Handeln und Leisten innerhalb des Seienden zur Seinsgeschichte gehört, bedeut eine Einschränkung eigener Art. Sie kann als Auszeichnung offenbar werden , sooft das Sein selbst zu wissen gibt, was sich ereignet, wenn der Mensch sein Wesen wagen darf, das ihm durch den Vorrang des Seienden in die Vergessenheit versunken ist.
(Martin Heidegger (1889-1976)

Gibt es jemanden, der das versteht? Ich jedenfalls nicht. Aber ich bin über das „wenn der Mensch sein Wesen wagen darf“ gestolpert . Sein Wesen wagen dürfen – das hört sich nach Abenteuer und Experiment an. Nach Geheimnisvollem, das man sich zu eigen machen kann – wenn man eben nur den Mut dazu hat. Sich das nehmen, was einem eigentlich ja schon in ureigenster Form gehört. Und das ist nicht etwa etwas ganz Alltägliches. Nein – das ist ein Wagnis. Und irgendwie wird Neugier auf etwas geweckt.



Samstag, 6. März 2010
Sie sind zum Fürchten - Totengräber der Seele
Wenn Goethe weise feststellt „Mit rechten Leuten wird man was“, dann muß zwangsläufig auch der Umkehrschluß gelten„Mit unrechten Leuten wird man nichts“.

Und das trifft den Nagel auf den Kopf: genauso wie manche Menschen uns bei der Weiterentwicklung helfen, so gibt es andere Menschen, die uns dazu bringen, still zu stehen oder viel schlimmer – uns wieder zurück zu entwickeln.

So wie Menschen die Funktion eines "Geburtshelfers der Seele" haben können, so können Menschen auch die Funktion eines „Totengräbers der Seele“ haben. Sie schaufeln Dich langsam zu. Mit ihrer Dominanz. Mit ihren Projektionen. Mit ihrem gnadenlosen Materialismus. Mit ihrer erbärmlichen Feigheit. Wenn man nicht aufpaßt, dann wird man lebendig begraben.

Geburtshelfer der Seele helfen uns dabei, unser wahres Selbst zu entwickeln. Totengräber hingegen können nichts anderes, als unser wahres Selbst zu zerstören. Geburtshelfer brauchen Leben. Totengräber brauchen Leichen. Sie ruhen nicht eher, bis sie alles Lebendige in anderen Menschen vernichtet haben. Damit sie sich endlich ihrer Bestimmung widmen können – der Zerstörung von Seelen.

Das Schlimme ist, daß man sie nicht sofort erkennt. Und wenn man ihnen in die Hände gefallen ist, ist es meist schon zu spät und man steht schon bis zum Hals in seinem sorgfältig geschaufelten Grab.

Und während einem die letzten Schaufeln Erde auf den Kopf geschüttet werden, fragt man sich verzweifelt, warum die Totengräber das tun. Aber dann ist es schon zu spät...



Der Umgang mit dem Unveränderlichen
Ich, der ich nichts mehr liebe,
Als die Unzufriedenheit mit dem Änderbaren
Hasse auch nichts mehr als
Die tiefe Unzufriedenheit mit dem Unveränderlichen.


Zum Teufel mit der Perle,
ich ziehe die gesunde Auster vor.

Berthold Brecht

Brecht hat sein Leben der „Unzufriedenheit mit dem Änderbaren“ gewidmet und der Nachwelt damit unvergleichliche und wichtige Werke hinterlassen, die nie ihre Aktualität einbüßen werden. Und dennoch – ein bißchen einfach ist sie schon, diese Philosophie, deren Maxime lautet: „Mit Problemen, die wir nicht ändern können, beschäftigen wir uns gar nicht erst“. Der Ausspruch über die Auster ist eine Absage an eine Sichtweise, die im Leid auch noch eine andere Seite als die des Schmerzes sieht. Für die Leid auch die Möglichkeit des Schaffens darstellt – analog der aus einem schmerzlichen Prozeß entstandenen Perle.

Naturkatastrophen und klassengeschichtlich bedingte Katastrophen werden abstrakt auf die gleiche Stufe gestellt, auf diese Weise wird der bürgerlich-dekadenten Stimmung der „Unentrinnbarkeit vor dem Abgründigen und Bodenlosen“ entsprochen und das alte Liedchen mitgesungen, daß Einsamkeit, Melancholie, Nihilismus und Schuldgefühl nicht Symptome einer zerfallenen bürgerlichen Gesellschaft seien, sondern „es sie immer gegeben hat“.
Leo Kofler

Für Kofler sind Einsamkeit, Melancholie, Nihilismus und Schuldgefühle also Symptome einer zerfallenen bürgerlichen Gesellschaft. Mit anderen Worten: der Marxismus kennt kein Unglück, da Unglück ja nur durch ungerechte Gesellschaftsformen entstehen kann. Keinen Liebeskummer, keine Angst vorm Tod, keine schmerzhaften Krankheiten – Marxismus als absolutes Allheilmittel.

Ist die Trauer jemals aufzuheben? Ist sie nicht immanent den Phänomenen des menschlich-individuellen Daseins, des irdischen, todgeweihten, vergänglichen Daseins überhaupt? Ist die Einsamkeit der Individuation, das gnadenlose Getrenntsein des Menschen vom Nächsten – der immer zugleich der Fernste ist - , wegzuschaffen durch die sozialistische Umorganisation? Ist das Bewußtsein für Vergänglichkeit und Einsamkeit nur die dekadente Stimmung spätbürgerlicher Generationen? (...) Wenn von den „heilbaren“ Schmerzen die ärgsten geheilt sind (...) dann werden die „unheilbaren“ Schmerzen sich wieder zum Worte melden, um jedes Kunstwerk wird ihre Stimme sein.
Klaus Mann

Leid und menschliches Dasein sind voneinander nicht zu trennen und werden auch nicht durch gerechtere Gesellschaftsformen behoben. Klaus Manns trauriges Resümee der menschlichen Existenz – aber ein realistisches. Es gibt keine Allheilmittel gegen menschliches Leid.

Die Schwermut ist etwas zu Schmerzliches, und sie reicht zu tief in die Wurzeln unseres menschlichen Daseins hinab, als daß wir sie den Psychiatern überlassen dürften (...) Und zwar glaube ich, daß wir die Schwermut als etwas verstehen müssen, in welchem der kritische Punkt unserer menschlichen Situation überhaupt deutlich wird.
Romano Guardini

Guardini wendet sich auch gegen die Pathologisierung des Leidens. Allerdings nicht als Folge einer marxistischen Sichweise. Vielmehr als Herausforderung des menschlichen Daseins, der man sich stellen muß.

Und mein ganz persönliches Resümee lautet: durch gesellschaftliche Mißstände bedingtes Leiden muß bekämpft werden – immer und überall und mit aller Kraft. Aber es gibt keinen Grund, das von den gesellschaftlichen Verhältnissen unabhängig existierende Leiden zu ignorieren. Und obwohl ich im tiefsten Herzen grenzenlos pessimistisch bin, glaube ich fest daran, daß das sogenannte Unveränderliche zwar selbst nicht verändert werden kann – wir können nicht Tod und Alter abschaffen – aber es kann vielleicht in uns Veränderungen hervorrufen. Diese Veränderungen sind viel subtiler und vielschichtiger als die gesellschaftlichen. Aber sie sind möglich.



Samstag, 27. Februar 2010
Seelenverwandtschaften

Gestern sah ich den Film "Kirschblüten – Hanami". Ein stiller poetischer Film, in dem es um Verlust, Schmerz und Seelenverwandtschaft geht. Ein Mann, der den plötzlichen Tod seiner Frau nicht verkraftet und sich auf die Suche nach ihr macht, indem er ihrer Liebe zum Buthotanz nachspürt. Diese Liebe hatte er zu Lebzeiten seiner Frau nie wirklich ernst genommen, was er bereut und jetzt nachholen möchte.

In Tokio trifft er auf Yu, eine junge obdachlose Frau, deren Mutter verstorben ist und die ebenfalls sehr unter diesem Verlust leidet. Sie tritt durch einen Tanz wieder in Kontakt mit ihrer Mutter. Bei diesem Tanz tanzt Yu in traditioneller Kleidung mit einem kirschblütenfarbenen Telefon. Obwohl die sprachliche Verständigung schwierig ist, gibt es sofort ein unsichtbares Band zwischen den beiden.

Der Mann ist schon seit langem schwerkrank und es kommt, wie es kommen muß. Aber bevor er stirbt, gelingt es ihm, die Seele seiner geliebten Frau wiederzufinden, was ihn glücklich sterben läßt.

Ein Film über zwei verlorene und verletzte Seelen, die sich in ihrem Schmerz begegnen und verstehen. Und neben dieser Begegnung wirken alle anderen menschlichen Beziehungen merkwürdig dumpf und grob. Und man spürt, daß menschliche Beziehungen auch eine andere Dimension haben können, als die übliche. Der tiefe Respekt vor dem Schmerz des anderen läßt ahnen, was Seelenverwandtschaft bedeutet. Vielleicht ist es das, was mich an diesem Film verzaubert hat - die Darstellung einer Seelenverwandschaft. Zwei Menschen, die zwar von ihrer Außenwelt als verrückt angesehen werden, aber die in der Lage sind, gegenseitig ihre - alles andere als verrückte - Einzigartigkeit wahrzunehmen.

Heute habe ich mir Blumen gekauft. Und erst zuhause wurde mir bewußt, welche Blumen – rosarote Kirschblütenzweige.