Freitag, 24. Mai 2013
Winifred und Eva
Gestern und vorgestern wurde ein fünfstündiges Interview aus dem Jahre 1975 mit Winifred Wagner, der Schwiegertochter Richard Wagners, im Fernsehen gezeigt. Obwohl hochinteressant, so doch auch ziemlich anstrengend und infolge dessen habe ich längst nicht alles verfolgt. Meine Reaktion ist eine merkwürdige Mischung aus Staunen und einer Art Faszination. Faszination deswegen, weil die zum Zeitpunkt des Interviews 78jährige Winifred Wagner so verwachsen mit dem Werk ihres Schwiegervaters war und fast all ihre Positionen so messerscharf und überzeugt formuliert, dass es einen irgendwie in den Bann zieht. Erstaunt war ich deswegen, weil Winifred Wagner es schaffte, voll und ganz alles an der damaligen politischen Realität auszublenden.

Zwei Zitate:
„Mich interessiert an einem Menschen immer nur die ganz persönliche Erfahrung“.
„Ich war (bei den Verhören) immer erstaunt, dass man mir immer meine unpolitische Haltung vorwarf“.


Ich habe mir bisher einen durch und durch unpolitischen Menschen meist mehr oder weniger als nicht besonders intelligent vorgestellt – jemand, der gar nicht in der Lage ist, wirkliches geistiges oder künstlerisches Interesse zu entwickeln. Genau dies trifft aber auf Winifred Wagner nicht zu, denn sie hat sich der Aufgabe der Leitung der wagnerischen Festspiele mit Leib und Seele gewidmet. Sie tat dies in einem Maße, die keinen Platz mehr ließ für irgendwelche anderen Bereiche. Dies hat es ihr möglich gemacht, Hitler einfach nur als einen Wohltäter anzusehen, der die Liebe zu Wagner teilt und sie bei der Umsetzung ihrer Aufgabe nach besten Vermögen unterstützt.

Natürlich wird sie im Interview auch darauf angesprochen, wie es ihr möglich war, trotz der Greueltaten des Dritten Reichs mit Hitler befreundet zu sein. Bei der Beantwortung dieser Frage wirkt Winifred Wagner nicht mehr ganz so souverän, dennoch kann sie auch diese Frage klar begründen, wie ihr Ausspruch deutlich macht, dass sie an einem Menschen immer nur die ganz persönliche Erfahrung interessiert.

Den Antisemitismus Richard Wagners sieht sie nicht als geistige Wegbereitung der Ausrottung der Juden sondern lediglich als den Wunsch nach „Stilllegung des geistigen Einflusses der Juden“.

Winifred Wagner ist das genaue Gegenteil von Eva Braun. Während Winifred Wagner verwachsen mit ihrer Lebensaufgabe der Leitung der Bayreuther Festspiele war, gab es bei Eva Braun keine Lebensaufgabe außer der, Hitlers Geliebte zu sein. Entsprechend kann man die Einstellung Winifred Wagners gegenüber Eva Braun auch als reine Ignoranz bezeichnen, denn Eva Braun existierte für sie schlichtweg gar nicht.

Zwei Frauen, die Hitler anbeteten und die ihrerseits im Leben Hitlers eine wichtige Rolle spielten. Zwei Frauen, die unterschiedlicher gar nicht hätten sein können und die trotzdem in einem Punkt identisch waren: im rigorosen Ausblenden all dessen, was über das Private hinausgeht. Ein Ausblenden, das in einer erschreckenden und kaum noch fassbaren Gleichgültigkeit und Ignoranz gegenüber all dem unermesslichen und unbeschreiblichen Leid mündet, das Hitler über fast die ganze die Welt gebracht hat.

Es übersteigt mein Vorstellungsvermögen, dass menschliche Wesen zu einer derartigen Ignoranz fähig sind. Verständlich wäre es für mich allenfalls dann noch, wenn Menschen von dem gleichen Hass wie Hitler zerfressen gewesen wären und folglich in ihm den Vollstrecker ihres Hasses gesehen hätten. Dies war aber weder bei Winifred Wagner noch bei Eva Braun der Fall. Bei beiden war es kein Hass, sondern Freundschaft und Liebe, die es möglich machten, seelenruhig und unbeteiligt zuzusehen, wie eine Katastrophe ihren Lauf nimmt.



Samstag, 11. Mai 2013
Ich habe mir gerade schöne alte Fotos im Blog von Sturmfrau angesehen. Insbesondere haben mich die alten Hochzeitsbilder interessiert. Während ich davon ausging, dass schon seit ewigen Zeiten in weiß geheiratet wird, ist es noch gar nicht so lange her, dass die Trachten bunt oder sogar schwarz - bis auf die blütenweiße Schürze - waren. Sogar hier bei uns im alten Land, wie man sehen kann.




Montag, 6. Mai 2013
Ist Gewalt gegen Frauen zum Totlachen? Und warum ich ein aussortiertes Buch doch nicht aussortiert habe
Wie so oft google ich nach einem Film noch ein wenig, um näheres zu erfahren. Heute Abend habe ich mir „Heute trage ich Rock!“ angesehen. Ein Film mit Isabelle Adjani, in dem eine Lehrerin in einer französischen Schulklasse während des Unterrichts die Pistole eines ihrer Schüler in die Hand bekommt. Damit setzt sie die Klasse unter Druck und dreht damit den Spieß herum, denn normalerweise wird sie in ziemlich respektloser Art von den Schülern drangsaliert. Die Situation der vertauschten Rollen nimmt eine bizarre Eigendynamik an, die mit dem Tod der Lehrerin und eines Schülers endet. Der Titel bezieht sich darauf, dass ihr vom Schulleiter das Tragen eines Rocks vorgeworfen wird, da sie damit die überwiegend aus Immigranten bestehenden Schüler provozieren würde.

Ich hatte vor einiger Zeit das Theaterstück „Verrücktes Blut“ gesehen, in dem die Handlung nach Berlin-Kreuzberg verlegt wurde. Ich empfand das Theaterstück fast noch bedrückender als den Film, da sich alles nur in einem Raum abspielte, wodurch die Atmosphäre noch beklemmender wurde.

Der Wikipedia-Artikel gibt die Handlung des Films neutral wieder. Allerdings wird darin auch eine Kritik des Spiegels wiedergegeben, in der der Film als „Reißerisch aber humorlos“ bezeichnet wird. Mich hat interessiert, was im Spiegel über das in Kreuzberg spielende Theaterstück geschrieben wurde. Eine dämlichere Kritik hätte man kaum schreiben können: „ Man nehme einen reißerischen, aber humorlosen Kinofilm über eine im Klassenzimmer durchdrehende französische Lehrerin, man verlagere die Geschichte nach Berlin-Kreuzberg, würze sie mit akrobatischen und humoristischen Einlagen und pflanze diesen Mix mitten in die Migrations-Debatte. Fertig ist der Überraschungserfolg der Theatersaison. Und tatsächlich macht "Verrücktes Blut"… auch noch höllisch Spaß!...“Verrücktes Blut“ ist sehr lustig und sehr clever.“.

Ich bin höchst verwundert darüber, dass man einen Film, in dem es um menschenverachtendes Verhalten geht, als „humorlos“ bezeichnen kann. Der Kritiker vertritt anscheinend die Meinung, dass eine Thematik, in der es um Diskriminierung, Gewalt und Vergewaltigung geht, genau der Stoff ist, aus dem man eine Riesengaudi machen sollte. Folglich musste er auch vom Film enttäuscht sein, da der nicht dafür geeignet ist, die Lachmuskeln zu strapazieren.

Ich empfand sowohl das Original als auch das danach inszenierte Theaterstück als äußerst bedrückend. Primitives und abstoßendes Verhalten, mit dem die eine Hälfte der Menschheit drangsaliert wird, ist nun mal nicht zum Totlachen – zumindest nicht für die Hälfte der Menschheit, die davon betroffen ist.

Jetzt mag man entgegnen, dass man über Geschmack nicht streiten kann und jeder das Recht auf Meinungsäußerung hat. Hätte der Schreiber – der übrigens Literatur und Politik studiert hat! – für Praline oder Wochenend geschrieben, wäre es mir auch keinen Kommentar wert gewesen. Der Spiegel sollte sich jedoch für die Veröffentlichung einer derartigen Plattitüde zu schade sein. Wobei mir gerade jetzt beim Schreiben einfällt, dass in einer meiner Frauenbücher*, die ich gerade aussortiert habe, ein Artikel des Spiegels beschrieben wurde, in dem es um Literatur von Frauen ging. Der Artikel war titelgebend mit „Romane von Seele und Sex“ und auf dem Titelblatt befand sich sinnigerweise eine nackte (!) Frau, die ein Blatt Papier beschrieb. Zufällig – wirklich rein zufällig – natürlich eine junge und sehr hübsche Frau.

Ach ja, jetzt bin ich abgeschweift – aber in meinem Blog darf man dies grundsätzlich – und bin vom Film und Theaterstück zum Spiegel gelangt. Dennoch schließt sich irgendwie der Kreis in ungeplanter Weise. Im Film und im Theaterstück ging es um die Präsenz von Diskriminierung und Gewalt gegen Frauen. Der Film ist von 2009, das Theaterstück und die denkwürdige Spiegel-Kritik von 2010. Der ebenfalls denkwürdige Artikel über schreibende (nackte) Frauen stammt aus – 1976! Fasst man dies zusammen, dann führt dies zu der traurigen Erkenntnis, dass die gesellschaftliche Entwicklung anscheinend einen hartnäckigen Bogen um manche Journalisten gemacht hat. Wie heißt doch der schöne Titel der von mir sehr verehrten Journalistinnen Edit Schlaffer und Cheryl Benard: „Viel erlebt und nichts begriffen – die Männer und die Frauenbewegung“ (1985).

Ich werde in Zukunft davon absehen, Frauenbücher auszusortieren, denn wie man sieht, ist die Aktualität unverändert.


*“Weibs-Bilder. Zeugnisse zum öffentlichen Ansehen der Frau“ von Heide Hering