Samstag, 1. Dezember 2012
Wahrheit und Zynismus
"Ein Feigling ist ein Mensch, bei dem der Selbsterhaltungstrieb noch normal funktioniert."
Ambrose Bierce (1842-1914)


Das hieße im Umkehrschluss, dass ein Mensch, der nicht feige ist, keinen intakten Selbsterhaltungstrieb mehr besitzt. Und das wiederum ist gleichbedeutend damit, gegen die Widrigkeiten des Lebens schlechter gewappnet zu sein. Es sind die Feiglinge, die überleben werden. Oder zumindest besser und länger leben.

Keine rosige Aussicht. Aber ich befürchte, es steckt eine tiefe Wahrheit in diesem Spruch des ausgesprochenen Zynikers Bierce. So wie er ja selbst auch Zynismus definiert: „Ein Zyniker ist ein Schuft, dessen mangelhafte Wahrnehmung Dinge sieht, wie sie sind, statt wie sie sein sollten."

Ich glaube, ich muss mir Bierce "Wörterbuch des Teufels" mal näher ansehen.



Montag, 26. November 2012
Ernesto Cardenal – von der Allgegenwärtigkeit der Alphamännchen
Habe eben ein bisschen im Internet zu Ernesto Cardenal gegoogelt. Im Studium hatte ich das erste Mal von ihm gehört, als ich ein Referat zum Thema Theologie der Revolution schrieb. Jetzt lese ich zu meiner Bestürzung, dass Ernesto Cardenal im Jahr 2008 nach einer Europatournee nicht wieder in seine Heimat Nicaragua zurückkehren konnte, da ihm dort eine Strafe drohte. Sein schweres Vergehen bestand darin, die Amtsführung und den Lebensstil des Staatspräsidenten Ortega kritisiert zu haben.

Zur Zeit meines Referats genoss die sandinistische Regierung Nicaraguas eine glühende Verehrung. Es gab Leute, die ihre Ferien dazu nutzten, unentgeltlich auf den nicaraguanischen Kaffeeplantagen zu arbeiten, um damit die Aufbauarbeit der sozialistischen Regierung zu unterstützten. In den Bioläden wurden Produkte aus Nicaragua angepriesen, um damit die dortigen Bauern zu fördern.

Ernesto Cardenal war und ist jemand, dessen Herz immer links schlug und in seinem Engagement für die Armen sein Leben aufs Spiel setzte und dabei letztendlich auch seine Suspension als katholischer Priester in Kauf nahm.

Es entbehrt nicht einer gewissen Tragik, dass es anscheinend keine Seite gibt, von der Ernesto Cardenal nicht verfolgt oder sanktioniert wird: Die Diktatoren, der Klerus und jetzt auch noch der einstige Revolutionsführer. Wobei mich die Verfolgung durch die beiden erstgenannten nicht erstaunt und letztendlich nur konsequent ist. Aber es kommt schon ein bisschen bitter hoch, dass es dem einstigen glühenden Kämpfer gegen die Diktatur jetzt so schwer fällt, sich nicht wie ein Diktator zu verhalten.

Es bleibt die traurige Erkenntnis, dass Alphamännchen immer am längeren Hebel sitzen. Sie schaffen sich Positionen, in denen sie über den Kopf anderer hinweg entscheiden können. Positionen, die es ermöglichen, Menschen einfach in den Knast abzuschieben, wie es Putin gerade mit den Frauen von Pussy Riot gemacht hat. Oder eben wie Ortega, der es in bester Diktatorenmanier für sein Recht hält, einen Menschen aus dem eigenen Land zu verbannen. Alphamännchen haben eine naturgegebene tiefste Abneigung dagegen, sich mit Kritik an ihrer Person auseinanderzusetzen. Das stellt für sie eine Art Gotteslästerung dar, die sie – obwohl meist Atheisten – nicht billigen können und wollen.

Alphamännchen sind genauso überflüssig wie ein Blinddarm oder ein Krebsgeschwür. Und genauso krank. Aber sie sind da und man muss mit ihnen leben. Ich habe ja auch so meine Erfahrungen mit Alphamännchen, aber glücklicherweise bei weitem nicht in so gravierendem Ausmaß. Irgendwie beruhigt es mich, dass anscheinend niemand vor diesem Krebsgeschwür gefeit ist. Es kann jeden treffen, der sich das Grundrecht – und es handelt sich zweifellos um ein Grundrecht – nimmt, Kritik frei zu äußern. Ernesto Cardenal hat die Angriffe gegen ihn anscheinend mit Contenance ertragen und lebt mittlerweile wieder in Managua.

Was ich bewundere an Ernesto Cardenal ist sein ungetrübter Optimismus. Nach wie vor glaubt er an das Gute im Menschen und an die Möglichkeit einer gerechteren Welt. Und er tut dies in einer Art, die vielen gläubigen Menschen zu eigen ist – ohne Hass und Verbitterung (bei mir ist das leider nicht so...). Ernesto Cardenal ist nicht nur ein großer Kämpfer für die Gerechtigkeit, sondern auch ein großer Verfasser von Lyrik, die weit über den lateinamerikanischen Raum hinaus Beachtung und Bewunderung findet. Vielleicht ist das das Geheimnis seiner Unerschütterlichkeit – er hat sich niemals darauf beschränkt, die Welt nur aus rationaler Sicht zu erfassen und zu erklären, sondern auch oder gerade aus der Kunst und dem Glauben heraus.

Bevor ich jetzt endlich schlafen gehe, werde ich noch kurz nach einem wundervollen Gedicht Ernesto Cardenals suchen, dass ich mir vor langer Zeit notiert habe.



Freitag, 16. November 2012
Kann nur ein Kompromiss faul sein oder gibt es auch faule Kompromisslosigkeit?
Was ist denn nun besser – um des lieben Friedens Willen einen Kompromiss schließen oder kompromisslos seine Ansicht vertreten?

Es gibt viele Formen von Kompromissen, wie zum Beispiel die Einigung auf einen Mittelwert. Auch wenn dann wahrscheinlich beide Parteien nicht auf ihre Kosten kommen, so ist dennoch ein Miteinander möglich. Oder es gibt die Kompromisse, die darin bestehen, sich abzuwechseln im Nachgeben. Als faulen Kompromiss empfinde ich die Form der Kommunikation, in der jemand sofort seine Ansicht und seine Wünsche aufgibt, damit der Friede gewahrt bleibt. Faul an dem Ganzen ist dabei das nur scheinbar Friedliche.

Aber bei völlig konträrer Meinung gibt es oftmals keinen Kompromiss. Es gibt nur die Wahl zwischen Nachgeben und Entzweiung. Oder anders ausgedrückt: die Wahl zwischen Klappe halten und auf den Tisch hauen. Wobei letzteres dann entweder darin mündet, dass der andere nachgibt oder aber darin, dass er dies eben nicht tut und man sich dadurch zwangsläufig entzweit.

Ich bin erschreckt darüber, wie schnell menschliche Beziehungen in die Brüche gehen, wenn man kompromisslos ist. Will man sich selbst treu bleiben, muss man befürchten, irgendwann völlig allein dazustehen. Während im Streit immerhin noch ein Gegenüber vorhanden ist und somit quasi etwas Verbindendes darstellt, zieht die Entzweiung dann einen Schlussstrich unter die Beziehung. Den erlangten Frieden muss man dann allein genießen.

Es stimmt zutiefst pessimistisch, dass man allein durch die Beibehaltung seiner Meinung den Bruch einer Beziehung riskiert. Irgendetwas ist daran genauso faul, wie an den vielen scheinheiligen Kompromissen. Nicht „faul“ im Sinne von marode oder unecht. Eher „faul“ im Sinne eines Armutszeugnisses für das Zusammenleben. Kompromisslosigkeit mit der Konsequenz der Entzweiung macht deutlich, dass freundschaftliche oder doch zumindest friedliche Beziehungen im Grunde nie eine wirkliche Tragfähigkeit besaßen.

Es bleibt die philosophische Frage, was besser ist. Sich selbst treu zu bleiben und nicht jede von anderen erhobene Erwartung zu erfüllen oder aber sich selbst zurückzunehmen, damit Beziehungen erhalten bleiben. „Allein oder Miteinander“ könnte man die Frage auf einen Kurzformel bringen.