Ernesto Cardenal – von der Allgegenwärtigkeit der Alphamännchen
Habe eben ein bisschen im Internet zu Ernesto Cardenal gegoogelt. Im Studium hatte ich das erste Mal von ihm gehört, als ich ein Referat zum Thema Theologie der Revolution schrieb. Jetzt lese ich zu meiner Bestürzung, dass Ernesto Cardenal im Jahr 2008 nach einer Europatournee nicht wieder in seine Heimat Nicaragua zurückkehren konnte, da ihm dort eine Strafe drohte. Sein schweres Vergehen bestand darin, die Amtsführung und den Lebensstil des Staatspräsidenten Ortega kritisiert zu haben.

Zur Zeit meines Referats genoss die sandinistische Regierung Nicaraguas eine glühende Verehrung. Es gab Leute, die ihre Ferien dazu nutzten, unentgeltlich auf den nicaraguanischen Kaffeeplantagen zu arbeiten, um damit die Aufbauarbeit der sozialistischen Regierung zu unterstützten. In den Bioläden wurden Produkte aus Nicaragua angepriesen, um damit die dortigen Bauern zu fördern.

Ernesto Cardenal war und ist jemand, dessen Herz immer links schlug und in seinem Engagement für die Armen sein Leben aufs Spiel setzte und dabei letztendlich auch seine Suspension als katholischer Priester in Kauf nahm.

Es entbehrt nicht einer gewissen Tragik, dass es anscheinend keine Seite gibt, von der Ernesto Cardenal nicht verfolgt oder sanktioniert wird: Die Diktatoren, der Klerus und jetzt auch noch der einstige Revolutionsführer. Wobei mich die Verfolgung durch die beiden erstgenannten nicht erstaunt und letztendlich nur konsequent ist. Aber es kommt schon ein bisschen bitter hoch, dass es dem einstigen glühenden Kämpfer gegen die Diktatur jetzt so schwer fällt, sich nicht wie ein Diktator zu verhalten.

Es bleibt die traurige Erkenntnis, dass Alphamännchen immer am längeren Hebel sitzen. Sie schaffen sich Positionen, in denen sie über den Kopf anderer hinweg entscheiden können. Positionen, die es ermöglichen, Menschen einfach in den Knast abzuschieben, wie es Putin gerade mit den Frauen von Pussy Riot gemacht hat. Oder eben wie Ortega, der es in bester Diktatorenmanier für sein Recht hält, einen Menschen aus dem eigenen Land zu verbannen. Alphamännchen haben eine naturgegebene tiefste Abneigung dagegen, sich mit Kritik an ihrer Person auseinanderzusetzen. Das stellt für sie eine Art Gotteslästerung dar, die sie – obwohl meist Atheisten – nicht billigen können und wollen.

Alphamännchen sind genauso überflüssig wie ein Blinddarm oder ein Krebsgeschwür. Und genauso krank. Aber sie sind da und man muss mit ihnen leben. Ich habe ja auch so meine Erfahrungen mit Alphamännchen, aber glücklicherweise bei weitem nicht in so gravierendem Ausmaß. Irgendwie beruhigt es mich, dass anscheinend niemand vor diesem Krebsgeschwür gefeit ist. Es kann jeden treffen, der sich das Grundrecht – und es handelt sich zweifellos um ein Grundrecht – nimmt, Kritik frei zu äußern. Ernesto Cardenal hat die Angriffe gegen ihn anscheinend mit Contenance ertragen und lebt mittlerweile wieder in Managua.

Was ich bewundere an Ernesto Cardenal ist sein ungetrübter Optimismus. Nach wie vor glaubt er an das Gute im Menschen und an die Möglichkeit einer gerechteren Welt. Und er tut dies in einer Art, die vielen gläubigen Menschen zu eigen ist – ohne Hass und Verbitterung (bei mir ist das leider nicht so...). Ernesto Cardenal ist nicht nur ein großer Kämpfer für die Gerechtigkeit, sondern auch ein großer Verfasser von Lyrik, die weit über den lateinamerikanischen Raum hinaus Beachtung und Bewunderung findet. Vielleicht ist das das Geheimnis seiner Unerschütterlichkeit – er hat sich niemals darauf beschränkt, die Welt nur aus rationaler Sicht zu erfassen und zu erklären, sondern auch oder gerade aus der Kunst und dem Glauben heraus.

Bevor ich jetzt endlich schlafen gehe, werde ich noch kurz nach einem wundervollen Gedicht Ernesto Cardenals suchen, dass ich mir vor langer Zeit notiert habe.




Lassen Sie uns doch an dem Gedicht teilhaben.
Das mit Ortega wusste ich gar nicht. Testosteron ist schon manchmal ein Verstand vernebelndes Gift. Aber manchmal brauchen wir es ja auch ;-)

Das Herz aller Dinge von Ernesto Cardenal
Liebe Frau Fabry,
eigentlich schreibe ich nicht so gern etwas zum Thema christlicher Glauben, weil ich hier in der Bloggerszene schlechte Erfahrungen damit gemacht habe. Man landet unweigerlich in einer Schublade und wird mit Platituden abgefertigt. Aber da Sie mich darum bitten, habe ich das Gedicht nochmals herausgesucht (und merkwürdigerweise fast auf Anhieb gefunden). Hier ist es also

Das Herz aller Dinge

Gott ist die Heimat aller Menschen
Er ist unsere tiefste Sehnsucht
Gott ist im Innersten aller Kreaturen verborgen
und ruft uns
Das ist die geheimnisvolle Ausstrahlung,
die von allen Wesen ausgeht
Wir hören seinen Ruf in der Tiefe unseres Wesens
wie die Lerche, die frühe von ihren Gefährten geweckt wird.
Ernesto Cardenal

P.S.: habe vor kurzem Ihren anderen Blog gefunden – sehr interessant.

Ein schönes Gedicht! Im Übrigen glaube ich nicht, dass Alphamännchen (oder Alphafrauchen, die gibt es auch) so etwas Furchtbares sind. Sie können beherzt zugreifen und wirklich notwendige Änderungen auch durchdrücken (z.B. Daniel Ortega den Sturz Somozas oder Angela Merkel den Atomausstieg). Schlimm wird es erst, wenn sie auf Dauer regieren, denn sie können nicht von ihrer Methode des harten Drucks runterkommen, ihnen fehlt die Gelassenheit, die Balance, die Demut, die es für langfristige Entwicklungen braucht. Kein Mensch kann alles. Mein vielleicht naiver Wunsch ist, dass Menschen über sich selbst Bescheid wissen und da hervortreten, wo man ihresgleichen braucht, da zurücktreten, wo sie fehl am Platze sind.

Von mir auch Danke für das schöne Gedicht und das Interesse an meinem Kirchenblog. Und außerdem gefällt mir der Kommentar von "Damals", da ist was dran, dass man die Durchsetzungsfähigen manchaml braucht, aber eben nur manchmal und es wäre eine zu lösende Aufgabe, herauszufinden, wie man es schafft, sie wieder zurück treten zu lassen, ohne sie zu demütigen, zu verletzen oder gar zu vernichten. Denn das ist ja unmenschlich und außerdem braucht man sie ja vielleicht noch mal ;-)

Da stimme ich insofern zu, als dass es natürlich viele Situationen gibt, in denen man dankbar ist, wenn jemand die Initiative ergreift. Dies ist immer dann der Fall, wenn schnelles Handeln erforderlich ist, wie z.B. bei akuter Bedrohung oder Katastrophen.

Ich hatte bei meiner ersten Stelle ein ausgeprägtes Alphaweibchen (ja, auch das gibt es) an meiner Seite. Bei der Stelle handelte es sich um eine völlig neue Beratungsstelle, die erst aufgebaut werden musste. Ich selbst war in der damaligen Situation viel zu unsicher und zaghaft um den damit verbundenen Anforderungen völlig gerecht zu werden und weiß im nachherein sehr zu schätzen, dass meine damalige Kollegin da viel beherzter an die Sache heranging. Andererseits stellten sich einige ihrer Vorstellungen aber auch völliger Fehlschuss heraus, was ich wiederum gerade dadurch erkannte, dass ich erstmal alles mehrmals abwäge und immer davon ausgehe, mit meiner Meinung auch falsch liegen zu können.

Gerade als ich Ihre Kommentare las, wurde in unserer Hamburger Morgenpost das neue Buch von Kollegah „Das ist Alpha“ vorgestellt. Ja ich weiß, man sollte solchen Hirnis nicht so viel Aufmerksamkeit widmen, aber letztendlich sollte man auch nicht ignorieren, dass er unter Jugendlichen einen großen Einfluss hat. Wie dem auch sei – in seinem Buch gibt er mit seinen „10 Boss-Geboten“ all jenen Ratschläge, die es noch nicht geschafft haben, ein richtiger Kerl zu sein, der anderen sagt, wo es lang geht und dem die Frauen massenhaft hinterherlaufen.

Und das ist sie eben, die anstrengende und auch überaus lächerliche Seite des Alphatums: es führt uns direkt in die Welt der Steinzeit zurück, als die Menschen sich nur durch Grunzen verständigten und jeglicher Konflikt ausschließlich durch Zähne fletschen und Keule schwingen gelöst wurde. Vor kurzen gab es auf Arte eine Dokumentation über Schimpansen, in der die Position des Alphamännchens wunderbar dargestellt wurde. Dahin möchte ich nicht zurück, zumal ich mich während meiner Arbeit als rechtliche Betreuerin manchmal tatsächlich schon wie unter Primaten gefühlt habe. Nur das unser Alphamännchen weniger behaart war und schon in der Lage war, einfache Sätze zu formulieren.