Donnerstag, 20. September 2012
Eskalation
Das, was sich zur Zeit zusammenbraut, macht mir Angst. Nein, es ist nicht nur dieses Video. Es sind die unzähligen Anlässe, die genauso nichtig waren und die trotz ihrer Nichtigkeit zu Wellen von Gewalt geführt haben. Da gab es beispielsweise vor vielen Jahren einen kleinen Fernsehspot von Rudi Carrell, in dem ein Filmschnitt den Eindruck vermittelt, der Ayatollah Khomeini transportiert in seinem Koffer Damenunterwäsche. Reaktion: Morddrohungen und Ausweisungen des deutschen Botschafters! Da gibt es eine Zeitung, die es wagt, unter den vielen Menschen, die von ihr karikiert werden, auch irgendwann einmal ein paar Karikaturen des Propheten zu mischen. Reaktion: eine Welle von Gewalt mit vielen Toten. Dann gibt es eine Lehrerin, die ohne sich dabei etwas Böses zu denken, den Teddy eines muslimischen Schülers Mohammed tauft. Reaktion: Androhung der Todesstrafe!

Was passiert hier eigentlich? Wie kann es dazu kommen, dass jede kritische oder ironische Äußerung als Kriegserklärung aufgenommen wird, auf die zwangsläufig und ohne Diskussion umgehend mit kriegsähnlichen Aktionen reagiert werden muss?

Vor einigen Wochen gab es in einer Zeitschrift ein Bild des Papstes, das ihn mit kot- und urinverschmutzter Soutane zeigte. Ziemlich geschmacklos und nur bedingt komisch. Auch der Vatikan reagierte und wollte die Verbreitung der Auflage verbieten lassen, allerdings wurde der Antrag wieder zurückgezogen. Ich empfand es als einigermaßen peinlich, dass sich die Zeitungsmacher in Märtyrerhaltung als Opfer der Zensur darstellten, denn es gibt sicherlich noch so manche andere, die es auch nicht gern sehen würden, auf so entwürdigende Weise dargestellt zu werden und die folglich eine Verbreitung verhindern würden. Aber wie dem auch sei – es gab weder Gewaltakte, geschweige denn Tote. Ein weiteres Beispiel ist Monty Pythons „Das Leben des Brian“. Der Film lebt zum großen Teil davon, das Leben Jesu ins Lächerliche zu ziehen und man kann darüber streiten, ob dies nun vom Grundsatz her so viel anders ist als besagtes Mohammed-Video. Es gab bei Erscheinen des Films zwar von Seiten der Kirche Kritik und Proteste aber weder Ausschreitungen noch sonstige Gewalttätigkeiten. In unserer westlichen Welt hat es sich eingebürgert, dass das Recht auf freie Meinungsäußerung sehr hoch bewertet wird.

Wer jetzt meint, dass es sich ausschließlich um ein religiöses Problem handelt, irrt gewaltig. In Gestapogefängnisse, in den Gulag, nach Bautzen oder nach Choeung Ek kam man nicht, weil man irgendeine Religion kritisierte, sondern weil man das kritisierte, was als unantastbare Wahrheit galt. Atheistische Ideologien können in Bezug auf ihren Absolutheitsanspruch und Dogmatik durchaus den religiösen Ideologien das Wasser reichen. Und sie können genauso menschenverachtend sein. Das nämlich ist es, worum es eigentlich geht. Um die Vermessenheit, Menschen mit Gewalt daran hindern zu wollen, andere Wertsysteme zu besitzen.

Man kann im Fall des Islams sicher noch weiter in die Tiefe gehen und sich fragen, warum selbst schon der kleinste und banalste Scherz den angeblich so festen Glauben sofort gefährlich ins Wanken bringen kann. Und warum so hartnäckig ausgeblendet wird, dass in der westlichen Kultur grundsätzlich auch andere Religionen kritisiert und karikiert werden. Es scheint fast, als ob Muslime überall eine gezielte Verschwörung gegen den Islam wittern, gegen die sie sich gar nicht schnell genug zur Wehr setzen können. Wird da nicht vielleicht ganz heftig die eigene Intoleranz und Gewaltbereitschaft projiziert? Ich erinnere nur an die Buddha-Statuen von Bamiyan. In beispielloser Ignoranz wurde dieses UNESCO Kulturerbe in die Luft gesprengt, nur weil die Statuen einen anderen Glauben verkörperten. Übrigens hat es trotz der tiefen Betroffenheit, die dies bei Buddhisten ausgelöst hat, nicht zu Gewaltakten geführt. Im Buddhismus herrscht ein tiefer Respekt vor dem Leben aller Lebewesen.

Irgendwie kommt es mir vor, als hätten so manche Muslime nur auf diesen Film gewartet. Es wird ja auch im Koran geschrieben, dass es zwar gut sei, friedlich zuhause zu bleiben, es aber besser wäre, in den Krieg zu ziehen. Es gibt so manches, was beim Islam nachdenklich macht.

Eine kleine Spitze muss ich noch loswerden: Ist es wirklich so unangebracht, von Pädophilie zu sprechen, wenn ein fast fünfzigjähriger Mann ein Kind von neun Jahren heiratet und mit ihm auch die Ehe „vollzieht“ (so heißt es wörtlich in den entsprechenden Quellen). Merkwürdigerweise wird dies, seitdem man in der westlichen Welt darauf aufmerksam geworden ist, plötzlich mit viel Eifer recherchiert und man kommt jetzt zu Berechnungen, bzw. Quellen, die ein höheres Alters des Kindes belegen sollen.
Edit:
Dass auch Muslime Karrikaturen und Videos machen, wurde schon vor mehreren Jahren in einer Sendung von FRONTAL berichtet:

Zitat des Frontal-Moderators: Wer Respekt verlangt, sollte ihn zollen
...oder aber die Respektlosigkeit anderer hinnehmen.



Samstag, 25. August 2012
Ganz banale Gründe
Eben bin ich auf einen Artikel einer Ausgabe des Spiegels aus dem Jahr 1976 gestoßen, in dem Jean Améry zu seinem Buch „Hand an sich legen“ interviewt wurde. Das Interview wurde schon mehr als zwei Jahre zuvor gemacht. Veröffentlicht wurde das Interview zwei Wochen nachdem sich Jean Améry im Jahr 1978 fünfundsechzigjährig das Leben nahm. Jean Améry war im Widerstand gegen das Dritte Reich aktiv und ein Überlebender aus Auschwitz und Bergen-Belsen. Nach Kriegsende war Améry sehr enttäuscht darüber, dass es niemals zu einer wirklichen Aufarbeitung des Dritten Reichs kam. Und er war auch enttäuscht über die Linke.

Einfach ein gewisser Ekel vor den Leuten in der Straßenbahn, zu viele Menschen zu nah um mich herum, zu viele Gesichter, die ich nicht mochte, Häuser, die ich scheußlich fand und Straßen, die kein Ende nahmen. Und dann kam der Gedanke: das geht eigentlich nicht.

Diese Zeilen stehen wie ein unverrückbares Monument, dem man nichts entgegensetzen kann. Einen Lebensekel, den wahrscheinlich so manche Menschen kennen. Vielleicht nicht unbedingt als grundsätzliches sondern nur als zeitweiliges Lebensgefühl. Ein Gefühl, dessen Ursache nicht als eine kranke Wahrnehmung, sondern als eine durchaus realistische angesehen wird.

Selbstmord zu verteidigen ist eine äußerst heikle Sache. Nicht wegen der moralischen Wertung und der sogenannten Freiheit des Individuums. Die Gefahr liegt vielmehr in dem Missbrauch, den man damit betreiben kann, wenn es eigentlich gar nicht um Respekt vor der Entscheidung des anderen geht, sondern schlichtweg nur um Gleichgültigkeit und Desinteresse anderen (ausgenommen die eigene Familie) gegenüber. Gleichgültigkeit ist noch lange keine Toleranz und als ebensolche wird die Verteidigung des Rechts auf Freitod gern deklariert. Man muss sich weder um Mitmenschen kümmern, geschweige denn Mitgefühl haben und vor allen Dingen muss man sich nicht mit einem schlechten Gewissen belasten, weil man ja einfach nur tolerant ist.

Aber darüber wollte ich eigentlich gar nicht schreiben, denn auch das endet in einer Schubladendiskussion. Mir geht es einfach um die Zeilen, mit denen Améry beschreibt, dass es möglich ist, sich unendlich tief vor dem Leben zu ekeln und dabei gleichzeitig die Gründe für diesen Ekel erschreckend banal sein können. Und wie kompromislos Améry darauf besteht, dass es sich bei diesem Ekel nicht um etwas Krankhaftes und somit Heilbares handelt. Er proklamiert damit das Recht auf eine völlige Negation der menschlichen Existenz. Nicht der Wunsch zu sterben ist krankhaft, sondern das Leben an sich. Ohne Wenn und Aber. Und ehrlicherweise sollte man zugeben, dass es – auch bei aller Anstrengung – kein rechtes Gegenargument gibt.



Freitag, 24. August 2012
Gnade reicht manchmal nicht – und nochmals Pussy Riot
Mut ist der Widerstand gegen die Angst, Sieg über die Angst, aber nicht Abwesenheit von Angst.
Mark Twain (1835-1910)

Ich komme einfach nicht umhin, nochmals meinen tiefen Respekt vor diesen jungen Frauen auszudrücken, die sich nicht mit einem Gnadenakt abspeisen lassen, sondern ihr Recht einfordern. Die tatsächlich zwei Jahre Haft in Kauf nehmen, weil sie nicht einknicken wollen. Diese Haltung empfinde ich als durch und durch ungewohnt und wenn ich ehrlich bin, hätte ich auch nicht geglaubt, dass es diese Form des konsequenten Widerstands in Verbindung mit dem ebenso konsequenten Gewaltverzicht noch gibt.

Mut ist nicht die Abwesenheit von Angst. Aber Mut ist die gezielte Abwesenheit von Opportunismus.