Donnerstag, 23. Februar 2012
Der blaue Engel – Macht, Grausamkeit und Feigheit
Es gibt für mich kaum einen Film, der Doppelmoral, Untertanentum und Konservatismus so beeindruckend ausdrückt wie „Der blaue Engel“. Der Film spielt in der nachwilhelminischen Zeit, die gekennzeichnet ist durch kleinbürgerliche Enge und Autoritätsgläubigkeit. Es geht um das Zugrundegehen eines Gymnasialprofessors, das sich ereignet vor dem düsteren Hintergrund einer Erziehung, die durch Freudlosigkeit und ängstliches Ducken vor der Autorität gekennzeichnet ist. Es scheint, als ob sich Lehrer und Schüler gleichermaßen gegenseitig hassen.

Professor Unrat scheitert daran, dass seine Autorität verkörpernde Position nicht vereinbar ist mit der Heirat einer zweitklassigen Varietesängerin. Obwohl das Kleinbürgertum sich schon immer magisch angezogen fühlte von der Welt des Tingeltangels, in der all das erlaubt ist, was im eigenen starren und sittenstrengen Wertesystem verpönt ist, gilt die unumstößliche Regel, derzufolge sich niemand offen zu dieser Anziehung bekennen darf. An dem Wechsel in diese andere Welt zerbricht Professor Unrat.

Die Schüler des Professors sind keine Kinder mehr, sondern junge Erwachsene. Und trotzdem verstecken sich diese ängstlich blitzschnell unter dem Tisch oder hinter dem Paravent, als der die Autorität verkörpernde Professor naht. Auf bedrückende und anschauliche Weise fallen hier die sinnbildliche und konkrete Bedeutung des Begriffs „Ducken und Kuschen“ zusammen. Durch den gesellschaftlichen Abstieg des Professors wechseln die Positionen. Nicht mehr der Lehrer hat jetzt die Position des Überlegenen, sondern die Schüler. All jene, die zuvor noch geduckt und gekuscht hatten, schlagen jetzt zurück. Wobei bezeichnend ist, dass die Konstellation einer Einzelperson gegen eine Gruppe sich wandelt in die einer Gruppe gegen eine Einzelperson.

Für mich ist der Film nicht nur eine beeindruckende Charakterstudie eines gescheiterten Menschen, sondern auch eine bemerkenswert Studie über das zwangsläufige Zusammenspiel von Feigheit, Macht und Grausamkeit. Feigheit findet seine Entsprechung in der Freude an Grausamkeit. Wer einsteckt, ohne aufzumucken, konserviert seine Wut so lange, bis sie sich in Grausamkeit gewandelt hat. Und diese Grausamkeit gleicht einem Tier, das so lange auf der Lauer liegt, bis sich das potentielle Opfer in der unterlegenen Position befindet. Dann – und nur dann – schlägt sie zu. Immer aus dem sicheren Hinterhalt und dabei mit sichtbarem Genuss, denn schließlich wurde auf diesen Moment lange gewartet. Selbst wenn das Opfer schon wehrlos am Boden liegt, wird nochmals nachgetreten.

Ja sicher, die Schüler sind letztendlich auch nur Opfer eines entwürdigenden Erziehungssystems. Aber niemand ist ausschließlich Opfer. Wäre dies der Fall, dann würden wir alle als vorprogrammierte Maschinenmenschen in Diktaturen leben. Feigheit ist immer ein klares Ja zu allem Bestehenden und ein klares Nein zu Veränderung. Mögen die Machtverhältnisse auch noch so verhasst sein – Feigheit ist die Voraussetzung für deren Konservierung und bildet eine Koalition mit ihr und mit dem Unrecht.

Mit dem Film „Der blaue Engel“ assoziiere ich drei Bilder: Die Schüler, die sich – obwohl erwachsen – wie kleine Jungen mit schreckverzerrten Gesicht unter den Tisch ducken. Dann die die Szene, in der die Schüler im Schutz der sicheren Gruppe ihren Lehrer hasserfüllt und laut grölend verhöhnen. Und letztendlich Emil Jannings, der als Professor Unrat noch im Tod das Lehrerpult umkrallt, als würde es nichts anderes geben, das jemals wichtig für ihn war. Ein Mensch, dessen Dasein eine Metamorphose von der gefürchteten Autorität hin zur verlachten Witzfigur durchmachte.

Diese drei Bilder sind es, die diesen Film für mich so düster und unheimlich machen.



Donnerstag, 16. Februar 2012
Straf-Steuer für die genusssüchtige Party-Generation
Ich habe gerade erfahren, dass ich zur Gruppe der „Genusssüchtigen Party-Generation“ gehöre, da ich keine Kinder habe. Selbst in einer Pro- und Kontra Kolumne wird dieser Begriff tatsächlich ohne Gänsefüßchen geschrieben. Na klar, für Kinderlosigkeit gibt es nur einen einzigen Grund, nämlich Bock auf Feiern, Feiern, Feiern!

Wir – also die "genussüchtige Party Generation" – sind Schuld am Kollaps unseres Pflege- und Rentensystems. Es ist eigentlich zu dämlich um darauf zu antworten. Aber man sollte spaßeshalber mal auf dem gleichen Niveau bleiben, und kontern, dass wir – also wieder die "genusssüchtige Party-Generation" – unserem Staat auch keine Kosten für Schulen, Kindergärten, Kinder- und Erziehungsgeld, Familienhelfer, Jugendwohngruppen, Sozialpädagogen und Erzieher e.t.c. verursachen.

Aber mal im Ernst – es gibt eine Unmenge von Gründen, keine Kinder zu haben. Übrigens sind auch längst nicht alle "genusssüchtigen Partygänger" kinderlos. Und wenn der Staat mit dieser Steuer ein Zeichen setzen will, dann setzt er es auch in die Richtung der immer zahlreicher werdenden Menschen, die Kinder in die Welt setzen, ohne diese auch eigenständig und eigenverantwortlich aufziehen zu können.

Nur so nebenbei: die Rechnung, dass Eltern für jedes Kind etwa 122 000 Euro bis zum 18. Lebensjahr zahlen, trifft auf die unteren Lohngruppen nicht zu. Dort wird wohl kaum ein Betrag von rund 560,00 Euro pro Monat und pro Kind übrig sein. Aber von diesen Einkommensschichten wissen unsere Politiker ja ohnehin nicht allzu viel.



Samstag, 11. Februar 2012
The roaring seventies – Aufbruchstimmung
Manchmal wünsche ich mir die Aufbruchsstimmung der 70er wieder zurück. Die Zeit der Bürgerinitiativen, Demos und Hausbesetzungen. Diese unglaubliche Euphorie, als sich das erste Mal eine Partei gründete, deren Mitglieder Ähnlichkeit mit einem selber hatten. Keine grauen Schlipsträger, die selbstüberheblich Parolen verkündeten, an die wahrscheinlich noch nicht einmal sie selbst glaubten.

Die Grünen hießen hier in Hamburg zuerst „Die Bunten“. Und bunt waren sie auch. Anhänger der Friedensbewegung, Tierschützer, bekennende Schwule und Lesben, Feministinnen, Reformpädagogen, Atomkraftgegner, bekennende Kiffer e.t.c. Jeder der Elterngeneration hat prophezeit, dass dieser Haufen nie und nimmer an die Macht kommen würde. Mein Vater als alter SPD-ler machte mir bittere Vorwürfet, als ich die Bunten/Grünen wählte, weil ich seiner Ansicht nach damit meine Stimme an die CDU verschenken würde.

Nein, sie alle sollten Unrecht haben, die Kopfschüttler mit ihren Unkenrufen. 1983 war es nämlich soweit – die Grünen zogen ein in den Bundestag. Voller Entsetzen berieten die etablierten Parteien sofort über eine Kleiderordnung, weil sie panische Angst vor schlipslosen Politikern im Norwegerpullover hatten (die auch durchaus begründet war). Plötzlich machte es Spaß, sich Bundestagsdebatten anzusehen. Feministinnen hielten am Rednerpult Reden über Sex als Machtinstrument und Pazifisten über den Ausstieg aus der Nato. Es war irgendwie immer etwas los.

Ja, die Skeptiker hatten Unrecht mit ihrer Prophezeiung, dass die Grünen schon bald vom Erdboden verschwunden wären. Aber irgendwie trug die Prophezeiung leider doch ein Fünkchen Wahrheit in sich. Die Grünen, so wie sie vor dem Einzug in die große Politik waren, gab es tatsächlich schon nach kurzer Zeit nicht mehr.

P.S. ich würde zu gern das Video ausfindig machen, in dem gezeigt wird, wie Joschka Fischer von den Saaldiener gewaltsam aus dem Bundestag getragen wird. Aber ich finde es leider nicht - wahrscheinlich hat Herr Fischer das Video aufgekauft.