Straf-Steuer für die genusssüchtige Party-Generation
Ich habe gerade erfahren, dass ich zur Gruppe der „Genusssüchtigen Party-Generation“ gehöre, da ich keine Kinder habe. Selbst in einer Pro- und Kontra Kolumne wird dieser Begriff tatsächlich ohne Gänsefüßchen geschrieben. Na klar, für Kinderlosigkeit gibt es nur einen einzigen Grund, nämlich Bock auf Feiern, Feiern, Feiern!

Wir – also die "genussüchtige Party Generation" – sind Schuld am Kollaps unseres Pflege- und Rentensystems. Es ist eigentlich zu dämlich um darauf zu antworten. Aber man sollte spaßeshalber mal auf dem gleichen Niveau bleiben, und kontern, dass wir – also wieder die "genusssüchtige Party-Generation" – unserem Staat auch keine Kosten für Schulen, Kindergärten, Kinder- und Erziehungsgeld, Familienhelfer, Jugendwohngruppen, Sozialpädagogen und Erzieher e.t.c. verursachen.

Aber mal im Ernst – es gibt eine Unmenge von Gründen, keine Kinder zu haben. Übrigens sind auch längst nicht alle "genusssüchtigen Partygänger" kinderlos. Und wenn der Staat mit dieser Steuer ein Zeichen setzen will, dann setzt er es auch in die Richtung der immer zahlreicher werdenden Menschen, die Kinder in die Welt setzen, ohne diese auch eigenständig und eigenverantwortlich aufziehen zu können.

Nur so nebenbei: die Rechnung, dass Eltern für jedes Kind etwa 122 000 Euro bis zum 18. Lebensjahr zahlen, trifft auf die unteren Lohngruppen nicht zu. Dort wird wohl kaum ein Betrag von rund 560,00 Euro pro Monat und pro Kind übrig sein. Aber von diesen Einkommensschichten wissen unsere Politiker ja ohnehin nicht allzu viel.




Ja, ich gehöre auch dazu.

Ich frage mich, in was für einem Land wir eigentlich leben. Die Rentenproblematik wird immer auf die These "Wir haben nicht genügend Kinder" heruntergebrochen, und schnell ist dann auch ein Schuldiger gefunden. Die "genusssüchtige Party-Generation", wahlweise auch "karrieregeile Emanzenzicken" oder "konsumfixierte, bindungsscheue Singles". Ich warte immer noch auf den wissenschaftlich fundierten Beweis, dass das tatsächlich so ist.

Ich fand den Wiki-Artikel dazu interessant, der insbesondere im Bezug auf die Ursachen von Kinderlosigkeit ein differenzierteres Bild zeichnet. Kinderlosen-Bashing scheint enorm populär zu sein zur Zeit. Neulich las ich noch einen Artikel bei Spiegel Online, der postulierte, dass die beziehungslosen, ungebundenen jungen Menschen in Wirklichkeit die Weicheier seien, die sich nichts mehr trauten und eigentlich spießig seien, während die Leute, die schon in jungen Jahren (z.B. während des Studiums) eine Familie gründeten, die wahren Revoluzzer seien. Ich finde solche Schwarz-Weiß-Zeichnerei zum Kotzen.

Was mich aber außerdem ganz besonders nervt ist, dass sich die Diskriminierung Kinderloser sehr auf Frauen konzentriert. Die Kinderzahl wird immer noch pro Frau angegeben, in den Statistiken werden die Frauen erfasst, das Problem "sind" die kinderlosen Akademikerinnen, die die Reproduktion verweigern... Keine Sau redet über Zeugungsverweigerer, Karrieremänner, die Zahl der kinderlosen Männer wird nirgendwo erfasst, und die Kinderlosigkeit wird ihnen auch nicht in dem Maße angelastet wie den Frauen. Die Konservativen greifen dann zurück auf die klassische Hausfrauen- und Mutterrolle, der sich die Frau gefälligst fügen soll, damit "Deutschland nicht ausstirbt". Rückwärtsgewandter geht's nimmer. Und bemerkenswerterweise nimmt keiner z.B. die Unternehmen in die Pflicht (flexiblere Arbeitszeiten, Betriebskindergärten, Möglichkeit zu Heimarbeit für Frauen und Männer etc.). Die heilige Kuh Wirtschaft tastet man lieber nicht an, schon gar nicht per Gesetz. Da zahlt man lieber den Frauen eine Belohnung dafür, wenn sie zuhause bleiben (und die dann noch aus unser aller Fundus, will heißen, auch wir Kinderlosen zahlen dann dafür).

Ich finde es schrecklich, dass Kinderlose (auch und besonders gewollt Kinderlose) als unsoziale Schmarotzer stigmatisiert werden und Eltern (gleich welcher Qualität auch immer) zu Heiligen stilisiert.

Die 122.000 Euro haben übrigens einen Aussagewert, der gegen Null tendiert. Menschen überall auf der Welt, nicht nur in Deutschland, werden dem, der interessiert fragt, versichern, dass man Kinder auch mit erheblich weniger Geld groß kriegen kann, ohne dass sie einen existenziellen Schaden davon tragen. Ich glaube, das ist ein Upper-Class-Problem. Da sind viele Dinge, ohne die es nicht mehr zu gehen scheint, angefangen beim "pädagogisch wertvollen" Spielzeug bis hin zum Minivan in doppelter Ausführung, der dann im Carport stehen muss. Und die ganzen Frühförderkurse und später die Markenklamotten gehen halt auch ins Geld. Der Betrag, den Eltern für ihre Kinder ausgeben, sagt noch längst nichts über deren Bedürftigkeit aus. Allenfalls über ihr Konsumverhalten.

Ich brauchte ein bisschen Zeit für die Antwort, da ich erstmal den von Dir genannten Wiki-Artikel gelesen habe. Das ist soviel Information, dass man Bücher dazu schreiben könnte. Aber letztendlich besagt eben genau diese Fülle der Information, dass der Grund für Kinderlosigkeit eben nicht einfach nur die „Genusssüchtigkeit“ ist. Ich gehöre ja noch der Generation an, die „einfach so“ gezeugt wurde. Durch die Entwicklung empfängnisverhütender Mittel ist erstmalig auch die Möglichkeit einer bewussten Entscheidung für oder gegen Kinder entstanden. Und genau die hat eben deutlich gemacht – zumindest in unserem Kulturkreis – dass Kinderkriegen nicht zwangsläufig den Sinn des Lebens ausmachen muss.

Ich weiß, dass ich durch meinen Beruf nur mit einem Teil der Gesellschaft konfrontiert werde und ich nicht den Rückschluss ziehen darf, dass dieser Teil repräsentativ für die gesamte Gesellschaft ist. Aber dennoch ist es wichtig, diesen stetig wachsenden Teil der Gesellschaft anzusehen und nicht auszublenden. Menschen, die völlig unbedarft Kinder in die Welt setzen, obwohl sie nicht im Geringsten in der Lage sind, diese Kinder auch eigenständig zu erziehen. Die Antwort auf diese Entwicklung besteht dann in immer mehr öffentlicher Erziehung und immer mehr Kontrolle. Man greift quasi zu einer „Auslagerung der Erziehung“. Aber ist das wirklich die Lösung? Ist es nicht vielmehr so, dass Kinder, die primär von öffentlichen Einrichtungen (Ganztagsschulen, Ganztagskindergärten) aufwachsen und dadurch den Ort Familie gar nicht mehr kennenlernen, dadurch auch zwangsläufig vom „Lernfeld Familie“ ausgeschlossen werden? „Familie“ spielt sich dann nur noch abends ab, wobei die Eltern sich dann oftmals noch um sehr viele andere Dinge (Haushalt, Einkaufen, Elternabende, e.t.c.) kümmern müssen.

In meinem Bekanntenkreis gibt es sowohl Kinderlose als auch Menschen mit Kindern. Und es ist beileibe nicht so, dass die Kinderlosen die Mentalität von Genusssüchtigen haben. Wenn ich in diese Betrachtung auch noch mein früheres berufliches Umfeld hinzuziehe, dann gibt es da doch so einige sehr sozial engagierte Kinderlose. Das deckt sich mit der Ansicht von dem im Wiki-Artikel zitierten Michel de Montaigne, der keinen Unterschied macht zwischen der Zuneigung zu den leiblichen Kindern und nicht leiblichen. Da fällig mir dann auch sofort Alice Miller ein, die sich schon vor ihrer Mutterschaft mit Leidenschaft den Belangen des Kindes gewidmet hat.

Irgendeine Politikerin hat mal gesagt, dass man einen Mann nie fragen würde, ob er Karriere machen oder aber Kinder haben möchte. Bei Frauen existiert dieses „Entweder –Oder“ immer noch. Man benutzt zum Beispiel den Ausdruck „Karrierefrauen“ – den Ausdruck „Karrieremann“ gibt es gar nicht.

Aber nehmen wir mal an, es gäbe sie tatsächlich, die „Genusssüchtige Party-Generation“. Wäre dies dann nicht die Konsequenz all dessen, was diese Gesellschaft so vehement fördert? Es geht doch letztendlich nur um Wirtschaftswachstum und das wiederum hat doch als Grundbedingung, dass die Menschen genießen wollen. In einer Gesellschaft, in der Eventmanager als anerkannter Beruf gilt, in einer Gesellschaft, in der einem an jeder Ecke Werbung ist Auge und Ohr springt und man eigentlich jedes Jahr seine elektronischen Geräte komplett auswechseln muss, weil man sonst als völlig dämlich dasteht, wird plötzlich der mahnende Zeigefinger erhoben, weil die Menschen diesen gewollten Mechanismen auf den Leim gehen. Da passt etwas überhaupt nicht zusammen.

Du solltest Dich nicht über Plattitüden gegen Kinderlose ärgern. Das ist jetzt ein blöder Ratschlag, weil ich selbst mich darüber auch immer geärgert habe. Denn es wird der Komplexität der Entscheidung überhaupt nicht gerecht (wie dies immer bei Platituden der Fall ist). Ich kann mich noch erinnern, als ein Kollege aus meiner Kellnerinnenzeit meine Antwort nach meinem Kinderwunsch kommentierte mit dem Satz: „Du hast wohl Angst, dir die Figur zu verderben“. Das ist noch dämlicher, als die unterstellte Motivation der Vorliebe fürs Party-Feiern.

Vor längerer Zeit habe ich mal eine Dokumentation angesehen über Frauen, die noch in der Entscheidungsphase zur Frage nach eigenen Kindern waren. Einige hatten heftig mit ihrer Ambivalenz zu kämpfen – weil es sich eben um eine sehr existentielle Entscheidung handelt. Ich erinnere mich noch an eine Psychologin, die sich speziell mit dieser Thematik beschäftigte. Sie sagte, dass es sich in der Regel um Frauen handelt, die ein sehr hohes Verantwortungsgefühl haben und die sich gerade weil sie sich mit der durch eine Mutterschaft bedingten hohen Verantwortung so intensiv auseinandersetzten, nicht sicher waren, ob sie in der Lage wären, dieser Aufgabe auch gerecht zu werden. Mit anderen Worten – Frauen, die genau das Gegenteil von dem Bild der „genusssüchtigen Party-Gängerin“ sind.

...dass Kinderkriegen nicht zwangsläufig den Sinn des Lebens ausmachen muss.

Stimmt, dieser Grundgedanke kommt erst durch die verbreitete Geburtenkontrolle ins Spiel. Früher waren es ja eher einzelne Personen, die sich gegen das Kinderkriegen entschieden, was dann aber auch oftmals die Entscheidung gegen Heirat (z.B. bei Nonnen und Mönchen) mit sich brachte oder die besondere Hingabe an ein anderes Lebensziel. Interessant finde ich aber, dass das Kinderkriegen vor der Marktreife und massenweisen Anwendung der Pille auch nicht zwangsläufig sinnstiftendes Element im Leben der Eltern war, sondern dass die Kinder eben ganz selbstverständlich kamen und lange auch ganz selbstverständlich als Existenzsicherung für das Alter herhalten mussten. Davon mag man halten, was man will, aber ich glaube, die Überladung der Kinder mit dieser Sinnstiftungsaufgabe ist etwas, das erst mit der bewussten Entscheidung für sie Einzug hielt. Ich halte diese Entwicklung für problematisch für die Kinder. Klar, es war früher nicht unbedingt ein Zuckerschlecken, Kind zu sein. Man hatte mitzuarbeiten, lange war Schulbildung nicht für alle Kinder selbstverständlich, geschweige denn, dass im Vordergrund stand, dass sie ihre Wünsche im Bezug auf ihr eigenes Leben auch tatsächlich leben konnten. Da wurden von Söhnen Geschäfts- oder Bauernhof-Übernahmen erwartet, von den Töchtern eine "gute Partie" in Sachen Heirat. Weit entfernt also von einem selbstbestimmten Leben. Was mir aber Angst macht ist, dass Kinder im Gegensatz dazu heute in hohem Maße zur emotionalen Versorgung ihrer Eltern beitragen müssen. "Ihr sollt es mal besser haben als wir!" ist glaube ich so ein Satz, den jedes heute erwachsenes Kind in der einen oder anderen Abwandlung kennt. Damit wird die Entscheidung für das eigene Kind und die Art und Weise, es aufzuziehen, zur Kompensation der eigenen, erlittenen Defizite. Und das halte ich für eine schwere Hypothek, die um so schwieriger zu händeln und zu verkraften ist, da sie so schwer greifbar ist. Wer kann sich schon guten Gewissens darüber ärgern, dass die Eltern "nur das Beste" für ihren Nachwuchs wollen? Aber die Frage ist inzwischen, was das denn wohl sein soll, das "Beste". Insbesondere bei Paaren, die nur ein einziges, akribisch geplantes Kind bekommen, ist die Überfrachtung an Wünschen und Erwartungen immens hoch.

Ähnlich, wenn auch umgeschlagen in gegenteiliges Verhalten, sehe ich auch die Entwicklung in den sozial schwächeren Familien, die Du ja auch anschneidest. Hier wird meines Erachtens irgendwie diffus gespürt, dass Kinder das eigene Leben kuscheliger, verbindlicher, wärmer machen könnten, und genau dazu sollen sie dann auch dienen, aber natürlich kann diesem elterlichen emotionalen Defizit kein Kind auf Dauer gerecht werden, weil Kinder nun mal in all ihrer Hilflosigkeit und Schutzbedürftigkeit in erster Linie Menschen sind, die auf gebende, emotional fürsorgliche Eltern angewiesen sind. Es sollte nicht umgekehrt sein, ist aber meistens so. Wird dann die Enttäuschung deutlich darüber, dass Klein-Justin und Klein-Chantalle nicht mehr so süß und rosig sind sondern auch sehr oft lästig, lebendig und kummervoll, dann verebbt schnell das Interesse. Dann würde man lieber ungestört fernsehen und versteht das noch nicht einmal als eigenen Fehler, sondern als Fehler im Verhalten der lieben Kleinen. Auch hier sind manchmal gute Vorsätze am Werk, nämlich gern die, es besser zu machen als die eigenen Eltern, aber so lange man nicht zulassen kann zu spüren, was genau die denn verbaselt haben, reicht man den Schmerz doch nur unreflektiert an die nächste Generation weiter.

Aber genug über Erziehungsfragen und das Eltern-Kind-Verhältnis (über das auszusagen man als selbst Kinderlose übrigens auch gern als unqualifiziert abgestempelt wird). In meinem Bekanntenkreis gibt es auch Kinderlose sowie Leute mit Kindern. Zugegebenermaßen mehr der ersten Gruppe. Zwei befreundete Paare sind gewollt kinderlos und begründen dies ganz ähnlich wie wir: Sie hätten sich niemals selbst als Eltern sehen können, hätten zum Teil auch Angst, alte Traumata weiterzugeben, fühlten sich aber vor allem auch ohne Kinder rund und komplett als Menschen. Diejenigen unter meinen Freunden, die Eltern sind oder es noch werden wollen, sind dies zum Glück mit so großer Natürlichkeit und Selbstverständlichkeit und erkennen unsere Entscheidung gegen eigene(!) Kinder genau so an, wie wir die ihre für Kinder respektieren, ja sogar befürworten. Ich sagte meiner Schwägerin (die zugleich auch eine enge Freundin ist), dass ich mir nichts besseres für Kinder vorstellen kann, als Eltern, die tatsächlich auch aus ganzem Herzen Eltern sein wollen. Und sie macht ihre Sache gut, wenn auch manches Mal etwas chaotisch. An Lebensfreude mangelt's jedenfalls nicht in diesem Haushalt.

Da wird uns Kinderlosen immer schnell ein Defizit unterstellt. Ohne Kinder wisse man ja gar nicht, wie reich das Leben sein könnte und was wahre Lebensfreude tatsächlich sei. Ich denke schon auch, dass Kinder einem viel geben können, jetzt nicht im Sinne einer Bringschuld, sondern als Bereicherung im Bezug auf Weisheit, Ehrlichkeit, Staunen, Wachstum. Aber ich bin es so Leid, als freudloses, verbissenes Karrierebiest hingestellt zu werden. Du schreibst, ich solle mich nicht ärgern, und die meiste Zeit tue ich das auch wirklich nicht. Aber wenn dann Angriffe kommen, dann treffen sie mich sehr. Das fängt damit an, dass ich mir vermehrt sagen lassen musste, keine "richtige Frau" zu sein ohne Kinder bis hin zu dem generalisierten Vorwurf, ein unsoziales und beziehungsunfähiges Wesen zu sein. Auch, dass dann extra der Gegenbeweis angetreten werden muss dadurch, dass man auflistet, was Kinderlose alles trotzdem im sozialen Bereich machen, geht mir auf die Nerven. Jemand, der mich nicht kennt, darf doch gar nicht beurteilen, ob ich ein mitfühlender, sozial und gesellschaftlich engagierter und interessierter Mensch bin oder nicht, und schon gar nicht allein anhand der Tatsache, dass ich mich nicht reproduziere. Denn das allein sagt auch noch nichts aus. Ich weiß, wie rücksichtslos auch insbesondere Mütter sein können, die es z.B. (nicht ganz klischeefrei, aber immer und immer wieder erlebt) überhaupt nicht interessiert, ob sie einem in der Supermarktkasse ihre Kinderkarre in die Hacken schieben und die sich noch nicht einmal dafür entschuldigen. Vor allem, wenn es um den eigenen Nachwuchs geht, wird dem manches Mal auch das Wohlergehen des restlichen Umfelds untergeordnet, und was ist daran noch sozial? Ich habe schon manche Mutter (und auch einige Väter) erlebt, die sich allein durch die Existenz ihrer Kinder als schon derart im Nachteil empfunden haben, dass sie ohne mit der Wimper zu zucken auch alles weitere sozialverträgliche Verhalten haben fallen lassen, so nach dem Motto: "Ich bin schon Mutter, da muss ich nicht auch noch nett zu Dir sein!"

Mich trieb mein nachwuchsloser Status vor längerer Zeit einmal in ein englischsprachiges Forum, wo sich gewollt Kinderlose treffenderweise nicht als "childless" sondern als "childfree" bezeichnen. Ich hatte manche interessante Unterhaltung dort, auch wenn es natürlich nicht immer unpolemisch zuging. Würde ich hierzulande sagen, ich sei "kinderfrei", dann würde mir aber sofort unterstellt, ich sei in gesellschaftlicher Hinsicht ein Schmarotzer. Wohin das führt, haben wir ja nach den Aussagen der konservativen Damen und Herren Politiker wieder erleben dürfen. Aber ja, ich fühle mich in mancher Hinsicht auch frei, und ich habe überhaupt kein schlechtes Gewissen deswegen. Frei zum Beispiel, hier zu sitzen und diesen Text schreiben zu können, ohne dass ich dauernd auf Abruf bereitstehen muss, um Schnürsenkel zuzubinden, Windeln zu wechseln, Spielzeug aufzuräumen oder Streit zu schlichten. Frei auch, diese Tür hinter mir schließen zu können und meine Ruhe und Privatsphäre zu haben, ohne dass jemand darunter leidet. Ich genieße das. Ich geb's zu. Ich bin eine Egomanin, "childfree by choice".

Was die Genusssucht betrifft, hast Du einen interessanten Punkt getroffen. Es stimmt, wir sollen alle genießen (sprich, konsumieren), bis zum Geht-Nicht-Mehr. Das ist die eine Seite der Medaille.

Auf der anderen Seite soll aber auch gewährleistet sein, dass das System funktioniert, sprich, dass die Mühlen weitermahlen und sich die "human ressources" dafür aufopfern, dass die Räder der Verwertungsmaschinerie zu keinem Zeitpunkt stillstehen.

Die Rechnung der betreffenden Unionspolitiker zeigt ganz deutlich, dass hier auch keine Kinder im eigentlichen Sinne, nämlich Personen und Persönlichkeiten, geboren und großgezogen werden sollen, sondern Konsumenten, Produzenten und Rentenbeitragszahler. Man kann aber nicht auf der einen Seite den moralischen Zeigefinger heben und den Leuten sagen, sie müssten mehr Kinder in die Welt setzen, und zugleich (wie es die Union und auch die FDP ja in großem Maßstab tun) ein Wirtschaftssystem unterstützen und befürworten, dass auf hemmungsloses Wachstum und damit auf die totale Verausgabung der ArbeitnehmerInnen ausgerichtet ist. Da werden auch die Kinder zu Ressourcen und Waren und die Reproduktion wird zur Wertschöpfung. Das ist pervers und menschenunwürdig. Das System frisst im wahrsten Wortsinne seine Kinder.

Da ist ja schon recht heftig, was Du Dir schon so alles anhören musstest. Ich frage mich, mit welchem Recht Menschen so über andere urteilen. Ich kann es mir nur so erklären, dass jene Menschen eben doch nicht so überglücklich mit ihren Kindern sind, wie sie ständig behaupten, denn es spricht auch eine ganze Menge Neid aus den Vorwürfen.

Ich habe schon manche Mutter (und auch einige Väter) erlebt, die sich allein durch die Existenz ihrer Kinder als schon derart im Nachteil empfunden haben, dass sie ohne mit der Wimper zu zucken auch alles weitere sozialverträgliche Verhalten haben fallen lassen Das trifft ja genau auf das zu, was ich in dem Kommentar zu dem vorletzten Beitrag über meinen früheren Chef geschrieben habe („Ich kann nicht sozial sein, denn ich bin schließlich Familienvater!“). Als vor Jahren die Diskussion über höhere Pflegekassenbeiträge für Kinderlose lief, die ja letztendlich, wie Du richtig angemerkt hast, tatsächlich zuungunsten der Kinderlosen entschieden wurde, sagte mir eben jener Chef, dass er die ungleiche Besteuerung als völlig gerecht empfinden würde, da er als Familienvater ja schon einen höheren Beitrag zum gesellschaftlichen Wohl beigesteuert hat. Ich frage mich manchmal, ob solche Leute diesen Mist tatsächlich selbst glauben.

Ich teile Deine Ansicht, dass es nicht nur Vorteile hat, dass inzwischen alle Kinder Wunschkinder sind. Ich mache immer wieder die Beobachtung, dass diese Kinder oftmals nicht Teil der Familie sind, sondern deren Mittelpunkt. Es hat sicher auch Vorteile, wenn die Familie sich voll und ganz auf die Bedürfnisse ihres Kindes einrichtet, aber es stellt auch eine hohe Anforderung an das Kind. Niemand fragt sich, ob es für eine Kinderseele nicht auch eine Überforderung sein kann, den Mittelpunkt im Leben eines Menschen dazustellen. Ich gehöre ja noch der Generation vor der Pille an und meine Kindheit war nicht unbedingt das, was man eine schöne Kindheit nennen kann. Aber da ich nicht der Mittelpunkt im Leben meiner Eltern war, hatte ich auch viele Freiheiten. Ich wurde nicht ständig bewacht und beobachtet und da ich nicht ständig wichtig genommen wurde, konnte ich auch vieles tun und ausprobieren. was meine Eltern gar nicht mitbekommen haben. Ich würde dies als „unbeobachteten Raum“ bezeichnen, den ich zur Verfügung hatte. Ich hätte diese Freiheit des Unbeobachtetseins nicht missen mögen.

Du sprichst an, dass es auch früher schon einzelne Personen wie z.B. Mönche und Nonnen gab, die sich bewusst gegen ein Leben mit eigenen Kindern entschieden haben. Ich habe vor längerer Zeit eine hochinteressante Sendung dazu auf ARTE gesehen, in der es um genau diesen Punkt in den unterschiedlichen Kulturen ging. Während im Christentum, im Hinduismus und im Buddhismus schon immer möglich war, ein Leben ohne eigene Kinder zu wählen, wird dies im Islam und im Judentum völlig abgelehnt. Ein Imam und ein Rabbi hatten in der Diskussion auch ganz deutlich vertreten, dass es nicht richtig sei, keine Familie zu gründen, weil der Mensch von Natur aus für ein Familienleben bestimmt sei. Es ist schon erschreckend, dass es für beide schlichtweg überhaupt keine Wahl gab und gibt. Mir fällt da eine Begebenheit ein, die schon Jahre zurückliegt. Ich war in einem Asia-Shop und der Besitzer – ich glaube es war ein Pakistani – fragte mich, ob ich einen Freund hätte oder verheiratet wäre. Ich habe damals in solchen Situationen oftmals geantwortet, dass ich einen Ehemann hätte, weil ich mir damit ein Angebändel vom Hals hielt. Als ich dann also antwortete, ich sei verheiratet, fragte der Besitzer weiter, wie lange und ob ich Kinder hätte. Als er hörte, dass ich schon einige Jahre mit einem Mann zusammen war und trotzdem keine Kinder hatte, sagte er mir: „Du müssen gehn zum Arzt“. Ich lachte und antwortete, dass ich keine Kinder wolle. Das ließ er aber in keiner Weise gelten und sagte immer wieder: „Du müssen gehen zum Arzt. Arzt kann helfen“. Es war nicht möglich – und ich habe mir wirklich Mühe gegeben – ihm begreiflich zu machen, dass ich einfach keine Kinder haben möchte.

Das ist vielleicht das Charakteristische in Bezug auf die Toleranz gegenüber anderen Lebensentwürfen. Ich kann es sowohl verstehen, als auch voll und ganz nachempfinden, wenn jemand Kinder haben möchte. Dieses Verständnis wird uns Kinderlosen aber leider oftmals nicht entgegengebracht.

Dieses Verständnis wird uns Kinderlosen aber leider oftmals nicht entgegengebracht.

Das stimmt - für die Mehrzahl dieser Gespräche. Ich habe das oft ja auch erlebt. Insbesondere als Frau wird man schnell gefragt, ob Kinder da sind, und wenn man diese Frage abschlägig bescheidet, dann wird verkrampft nach dem Fehler gesucht. Kinderkriegen ist gesellschaftliche Norm, Kinderlosigkeit abweichendes Verhalten, das sanktioniert gehört.

Ich habe allerdings auch schon mal anderes erlebt, und das brachte mich zum Staunen. In meinem Blog schrieb ich mal von dem "Männlein", vielleicht erinnerst Du Dich. Dieser kleine, 88jährige Mann fragte mich auch danach, ob ich verheiratet sei und Kinder habe, und ich dachte damals: "Oh nein, bitte nicht schon wieder die Kinderfrage!" Aber ich beantwortete die Frage wahrheitsgemäß - nein, ich habe keine Kinder. Da sagte das Männlein: "Nein, das müssen Sie auch nicht. Kinder machen so viel Arbeit!" Und gerade, als ich auf dem Weg zum Bäcker bin, um mir einen Snack zu gönnen, treffe ich ihn wieder mal, und er fragt mit einem zwinkernden Auge: "Na, was machen Ihre sieben Kinder?" Und wir lachen.

Erstaunlich (und für mich auch beglückend) daran ist, dass jemand, der mein Großvater sein könnte, gelassener und liberaler über diese Frage denkt als die "jungen" Unionspolitiker, die in meinem Alter sind und solche hanebüchenen Ideen wie diese "Demografie-Abgabe" vorschlagen. Das sollte einem schon zu denken geben.

Da kann ich Ihnen beiden aus der Sicht eines Vaters nur zustimmen - zunächst einmal, was diese idiotische Berechnung betrifft, wie viel so ein Kind kosten soll. In meinem Lieblingsfilm, "Calendar" von Atom Egoyan, fragt ein einsamer Single eine Mutter, wie viel sie denn ihr Kind so im Monat koste. Diese muss sich bezwingen, darufhin nicht in Lachen auszubrechen, denn natürlich kann man das nicht "ausrechnen". Denn selbst wenn man das, was man für sein Kind tut, als "Investition" im Sinne einer "geldwerten Leistung" auffassen wollte (was an sich schon ein äußerst fragwürdiges Denkmuster ist), so ist doch das allermeitste davon - Zuwendung, Zeit haben, Regeln einhalten, Vorbild sein, organisatorische Entscheidungen treffen usw. - nicht in Geld umrechenbar.
Daher gruselt es mich auch bei dem Satz „Ich kann nicht sozial sein, denn ich bin schließlich Familienvater!“ - Na, umso schlimmer! Wenn man für sich selber Arschloch ist, das mag ja noch angehen - es aber als Vater vor den Augen seiner Kinder zu sein, das ist ein Verbrechen an der nächsten Generation (Stichwort "Warum unsere Kinder Tyrannen werden" ). Und vor allem: Seine Kinder als Ausrede für das eigene Fehlverhalten zu benutzen, das grenzt an Missbrauch.

Es beruhigt, dass Kritik zum Thema "Steuer für Genusssüchtige" auch mal von jemandem kommt, der selbst Kinder hat. Bei Kinderlosen wird die Kritik oftmals nur als reiner Selbstzweck – die haben einfach nur keine Lust, auch mal zu zahlen – abgetan.

Seine Kinder als Ausrede für das eigene Fehlverhalten zu benutzen, das grenzt an Missbrauch.. Für mich ist diese Ausrede auch das klassische Beispiel schlechthin für Doppelmoral: es gibt die moralischen Wertmassstäbe, die innerhalb der Familie gelten und es gibt die moralischen Wertmassstäbe für den Rest der Welt. Wenn sich dann gerade solche Menschen damit rühmen, dass sie ja etwas für die Gesellschaft tun, indem sie Kindern in die Welt setzen, dann kann man sich nur noch an den Kopf fassen, denn jene Kinder leben natürlich genau das nach, was ihnen vorgelebt wurde und so pflanzt sich dann das Übel weiter fort und die nächste Generation von Egomanen entsteht.