Na also, geht doch!
Dass es nicht immer zu unerfreulichem Schlagabtausch kommen muss, wenn es um Religion geht, habe ich vor kurzem bei dem Treffen mit meinem früheren Kollegen erfahren. Ich erwähnte ihm gegenüber, dass ich von Zeit zu Zeit Seminare mache, in denen es um Meditation geht. Allerdings nicht um buddhistische – das wäre für viele völlig in Ordnung – sondern um christliche. Und siehe da, obwohl mein Gesprächspartner selbst nichts mit Religion anfangen kann und bewusst aus der Kirche ausgetreten ist, musste ich mir weder Vorträge darüber anhören, wie dämlich es ist, gläubig zu sein, noch musste ich Belehrungen über mich ergehen lassen, wie übel die Kirche doch sei.
Man glaubt es kaum – aber es war möglich, sich völlig gelassen über das Thema Glauben auszutauschen. Ich empfinde dies als Respekt, der einem Andersdenkenden entgegengebracht wird. Und erst dieser Respekt macht es möglich, bei der Auseinandersetzung über das Thema Glauben in die Tiefe zu gehen und zu erfahren, was Glauben denn überhaupt für das Gegenüber bedeutet. Die Gottesvorstellung von jemand, der nicht gläubig ist, stimmt nur selten mit der desjenigen überein, der gläubig ist. Belässt man in einer Diskussionen bei der Projektion der eigenen Vorstellungen, ist dies einem wirklichen Austausch wenig nützlich. Aber um wirklichen Austausch geht es eben manchem auch gar nicht, sondern mehr um selbstgefälliges Dozieren, in welchem sowieso schon feststeht, was richtig und was falsch ist.
Würde man dieses Gespräch auf die übergeordnete Ebene des Dialogs der verschiedenen Glaubensrichtungen übertragen, könnte man tatsächlich doch so etwas wie Hoffnung auf Verständigung entwickeln. Und die wird man bei dem Konfliktpotential, das zwischen den Kulturen besteht, mehr denn je brauchen.
behrens am 27. November 11
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Nach langer Zeit
Vor kurzem habe ich mich mit einem früheren Kollegen getroffen, den ich seit mittlerweile zwanzig Jahren nicht mehr gesehen habe. Wir waren damals beide auf befristeter Basis bei einem Beschäftigungsträger angestellt und unser Arbeitsort war das Arbeitsamt, wo ich Langzeitarbeitslose und er jugendliche Arbeitslose beraten haben. Im Gegensatz zu mir ist der Kollege der Sozialarbeit treu geblieben und arbeitet bei einem Fortbildungsträger.
Es ist schon merkwürdig, sich mit jemand nach so langer Zeit zu treffen. Eigentlich hätte man erwarten können, dass man sich irgendwie fremd ist. Dies war aber nicht der Fall. Im Grunde etwas, worüber man sich freuen könnte. Mich hat es aber eher nachdenklich gemacht. Denn mir ist schmerzhaft bewusst geworden, dass ich die Art Gespräch, wie ich sie an dem Abend geführt habe, schon seit langem nicht mehr erfahren habe. Wir konnten endlos über Reisen reden und für mich gibt es nichts Interessanteres, als sich über die Orte zu unterhalten, die man gemeinsam durch das Reisen kennengelernt hat. Es tut ungemein gut, die Faszination für fremde Kulturen mit jemandem zu teilen. Ich wurde ein wenig neidisch, als mein früherer Kollege von einem Sabbatjahr erzählte, in dem er gemeinsam mit seiner Frau Südamerika bereiste.
Zwanzig lange Jahre bieten auch die Möglichkeit eines Vergleichs der enormen gesellschaftlichen Veränderungen, mit denen wir beide in unserer Arbeit konfrontiert sind. Einen Vergleich, der auf praktischer Erfahrung jenseits jeglicher Theorie basiert. Dabei geht es dann nicht um das zweifelsfreie „richtig“ oder „falsch“, sondern um eine Bestandsaufnahme dessen, was sich in unserer Arbeit verändert hat.
Während ich immer der Meinung war, dass es außer mir niemanden mehr gibt, der eine Wohnung ohne Badezimmer bewohnt, wurde ich jetzt eines Besseren belehrt, denn mein früherer Kollege bewohnt mit seiner Frau ebenfalls eine Altbauwohnung ohne Bad und wir beide haben in der Küche eine sogenannte „Heimdusche“. Dadurch rutscht die Wohnung im Mietenspiegel in eine Kategorie, in der die Miete erheblich geringer ausfällt. Das wiederum erhöht das Budget für die Reisen oder für eine berufliche Auszeit. Und damit wären wir wieder beim Thema: was steht an erster Stelle im Leben? Das ist eine Frage, die immer nur höchst individuell beantwortet werden kann. Aber wie auch immer die Antwort ausfallen mag – es lebt sich leichter, wenn man nicht nur mit Menschen zu tun hat, deren Antwort völlig konträr zur eigenen ausfällt.
Und deswegen hat mich das Treffen nachdenklich gemacht. Gespräche über Reisen oder über Arbeitsinhalte sind selten geworden in meinem Leben. Genauso wie Menschen, die kein Problem mit dem Verzicht auf materielle Annehmlichkeiten haben.
Und ich träume. Von einem Sabbatjahr.
behrens am 26. November 11
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Gibt es Contrarys unter uns?
Endlich habe ich einen Erklärungsansatz für das Phänomen gefunden, dass so mancher Betreiber einer Homepage sich völlig anders darstellt, als er tatsächlich ist. In meiner Erklärung muss ich dafür etwas ausholen:
Unter den nordamerikanischen Indianerstämmen gab es den kuriosen Typus des sogenannten „Contrary“. Gemeint ist damit jemand, der seine Verhaltensweisen in den genauen Gegensatz verkehrt und ausführt. Charakteristisch ist dabei eine ins Gegenteil verkehrte Sprache, bei der die tatsächliche Bedeutung umgekehrt, gewendet wird. Beispielsweise bedeutet diesem Prinzip zufolge "Nein" grundsätzlich "Ja" und "Guten Tag" bedeutet "Auf Wiedersehen!" Die verkehrte Sprache beinhaltete auch eine sogenannte „umgekehrte Reaktion“, das heißt, dass genau das Gegenteil von dem getan wird, was andere verlangen. Ruft zum Beispiel jemand, der nach dem Prinzip des Contrary handelt, "Komm näher“", so meint er jedoch, dass derjenige sich entfernen solle.
Und als ich dies las, fiel es mir schlagartig wie Schuppen von den Augen, dass es nicht nur unter den Cheyenne, Sioux oder Kiowa Menschen gibt, die das genaue Gegenteil von dem tun, was sie sagen – nein, auch mitten unter uns in unserer abendländischen zivilisierten Hightechgesellschaft ist dieser merkwürdige Typus in allen Bereichen präsent.
Und genauso wenig, wie man sich auf die Aussage eines Contrary verlassen sollte, genauso wenig sollte man sich auf Aussagen so mancher Websitebetreiber verlassen. Aber ist man erstmal mit dem Begriff des Contrary vertraut, dann hat man jetzt zumindest eine Richtlinie dafür, wie man mit den Contrarys unter uns umgehen sollte. Attribute wie „hochqualifiziert“ und „engagiert“ kann man jetzt getrost gemäß ihrem Antonym verwenden, was bedeutet, dass es sich um jemanden handelt, der mittelmäßig ist und Dienst nach Vorschrift macht.Und die Aussage eines Contrarys: „Für mich steht der Mensch im Mittelpunkt“ heißt nichts anderes, als dass es um alles Mögliche geht, aber ganz sicher nicht um den Menschen. Will man wissen, woran man wirklich ist, sollte man einfach die Contrary-Übersetzung anwenden.
P.S.: wer’s nicht glaubt, dass Contrarys tatsächlich existierten: der auf nordamerikanische Indianerkulturen spezialisierte Anthropologe Julian Steward hat die Rolle des „Contrary“ wissenschaftlich untersucht. Vielleicht haben auch manche von den Älteren unter uns schon mal Arthur Penns „Little big man“ angesehen, in dem ein Contrary sehr eindrucksvoll dargestellt wird.
behrens am 24. November 11
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