Nach langer Zeit
Vor kurzem habe ich mich mit einem früheren Kollegen getroffen, den ich seit mittlerweile zwanzig Jahren nicht mehr gesehen habe. Wir waren damals beide auf befristeter Basis bei einem Beschäftigungsträger angestellt und unser Arbeitsort war das Arbeitsamt, wo ich Langzeitarbeitslose und er jugendliche Arbeitslose beraten haben. Im Gegensatz zu mir ist der Kollege der Sozialarbeit treu geblieben und arbeitet bei einem Fortbildungsträger.

Es ist schon merkwürdig, sich mit jemand nach so langer Zeit zu treffen. Eigentlich hätte man erwarten können, dass man sich irgendwie fremd ist. Dies war aber nicht der Fall. Im Grunde etwas, worüber man sich freuen könnte. Mich hat es aber eher nachdenklich gemacht. Denn mir ist schmerzhaft bewusst geworden, dass ich die Art Gespräch, wie ich sie an dem Abend geführt habe, schon seit langem nicht mehr erfahren habe. Wir konnten endlos über Reisen reden und für mich gibt es nichts Interessanteres, als sich über die Orte zu unterhalten, die man gemeinsam durch das Reisen kennengelernt hat. Es tut ungemein gut, die Faszination für fremde Kulturen mit jemandem zu teilen. Ich wurde ein wenig neidisch, als mein früherer Kollege von einem Sabbatjahr erzählte, in dem er gemeinsam mit seiner Frau Südamerika bereiste.

Zwanzig lange Jahre bieten auch die Möglichkeit eines Vergleichs der enormen gesellschaftlichen Veränderungen, mit denen wir beide in unserer Arbeit konfrontiert sind. Einen Vergleich, der auf praktischer Erfahrung jenseits jeglicher Theorie basiert. Dabei geht es dann nicht um das zweifelsfreie „richtig“ oder „falsch“, sondern um eine Bestandsaufnahme dessen, was sich in unserer Arbeit verändert hat.

Während ich immer der Meinung war, dass es außer mir niemanden mehr gibt, der eine Wohnung ohne Badezimmer bewohnt, wurde ich jetzt eines Besseren belehrt, denn mein früherer Kollege bewohnt mit seiner Frau ebenfalls eine Altbauwohnung ohne Bad und wir beide haben in der Küche eine sogenannte „Heimdusche“. Dadurch rutscht die Wohnung im Mietenspiegel in eine Kategorie, in der die Miete erheblich geringer ausfällt. Das wiederum erhöht das Budget für die Reisen oder für eine berufliche Auszeit. Und damit wären wir wieder beim Thema: was steht an erster Stelle im Leben? Das ist eine Frage, die immer nur höchst individuell beantwortet werden kann. Aber wie auch immer die Antwort ausfallen mag – es lebt sich leichter, wenn man nicht nur mit Menschen zu tun hat, deren Antwort völlig konträr zur eigenen ausfällt.

Und deswegen hat mich das Treffen nachdenklich gemacht. Gespräche über Reisen oder über Arbeitsinhalte sind selten geworden in meinem Leben. Genauso wie Menschen, die kein Problem mit dem Verzicht auf materielle Annehmlichkeiten haben.

Und ich träume. Von einem Sabbatjahr.