Freitag, 21. Oktober 2011
Wir sind alle Borgias
Bis jetzt habe ich durchgehalten und mir die ZDF-Serie über Papst Alexander VI angesehen. Wie erwartet, ist die Serie ziemlich reißerisch und hat wahrscheinlich auch so manches zu den historischen Fakten hinzugedichtet. Dennoch finde ich die Serie spannend. Allerdings ist es manchmal kaum erträglich, dieses Gemisch aus Intrigen, Machtgier, Heuchelei und Brutalität mit anzusehen. Ich frage mich dann, ob das wirklich alles nichts mehr mit uns in unserer heutigen Zeit zu tun hat. Nepotismus – besser bekannt als Vetternwirtschaft – das Versorgen aller Verwandten mit Posten und Pöstchen, ob nun eine Eignung dafür vorliegt oder nicht. Selbst die größte Niete kann hoch hinauskommen, vorausgesetzt sie trägt die gleichen Gene. Das, was diesem Prinzip zugrunde liegt, ist eine Grundhaltung, in der ein rigoroser Unterschied gemacht wird zwischen fremden Menschen und Menschen, die zur Familie gehören. Der Mensch fängt erst an, als menschliches Wesen zu zählen, wenn Blutsbande verbinden. Diese Haltung scheint die Jahrhunderte überdauert zu haben.

Was außerdem so charakteristisch für diese Haltung ist, ist die Spaltung in zweierlei Recht und zweierlei Pflicht. Das Recht, das für einen Borgia und seine Blutsverwandten galt, unterschied sich erheblich von dem anderer Menschen. Und die für die ganze Menschheit als zwingend geltenden Pflichten galten noch lange nicht für den Clan der Borgia. Die Gleichheit vor dem Gesetz ist ein Prinzip, für das noch immer hart gekämpft werden muss. Und unabhängig von dem gesellschaftlichen Überbau gibt es die jeweils individuelle Ebene der Gleichheit. Und da sind vielleicht mehr Borgias unter uns als man glauben möchte.

Gewiss, ein Individuum kann sich nur begrenzt um andere kümmern und kann nicht für alle da sein, die Hilfe bedürfen. Aber es stellt einen erheblichen Unterschied dar, ob von vorneherein völlig unterschiedliche Maßstäbe für Familienmitglieder und für Nichtfamilienmitglieder angelegt werden. Dadurch entsteht ein Zweiklassensystem, das sich nicht an den gesellschaftlichen Klassen orientiert, sondern an dem archaischen Bund der Blutsbande. Überwunden haben das vielleicht manche. Aber manche eben auch nicht. Und deswegen ist die Serie über die Borgias leider keine reine Geschichtsstudie, sondern findet so manche Entsprechung in der Gegenwart.

Edit/Nachtrag
Sehr interessant war eine im Anschluss an den zweiten Teil der Serie gesendete Dokumentation über die Borgias. Es kam auch ein Nachfahre – in der 18. Generation! – zu Wort. Und obwohl dieser keinen ungebildeten Eindruck machte (ich glaube er war sogar Historiker), war er felsenfest davon überzeugt, dass bei den Berichten über die Borgias viel verfälscht wurde. Er war sich völlig sicher, dass irgendwann die geschichtlichen Nachforschungen ergeben werden, dass die Gesellschaft Papst Alexander VI viel verdankt!

Was das sein mag, erläuterte der Ur-Ur-Enkel leider nicht. Vielleicht meinte er die vielen Gemälde und Skulpturen, die den Papstpalast dekorieren? Mir ist es schleierhaft, wie man einfach ausblenden kann, dass jemand, der fast alle Gesetze und Vorschriften ignorierte und bei allem Tun in erster Linie immer nur die Protektion seiner Familie im Kopf hatte, damit irgend etwas für die Allgemeinheit geschaffen haben soll. Der Ur-Ur-Enkel setzt da das Familienwohl mit dem Allgemeinwohl gleich. Und macht damit genau das deutlich, worum es beim Nepotismus geht: um riesige Scheuklappen, die es verhindern, dass man überhaupt noch in der Lage ist, Familienwohl und Allgemeinwohl zu unterscheiden.



Samstag, 15. Oktober 2011
Alles schon erreicht?
Alice Scharzer ist wie die Krake in dem Film „Arielle, die Meerjungfrau. Die ist schon so lange da, und es gibt immer nur eine Einzige, die befragt wird.“
Charlotte Roche

Charlotte, da magst Du ja nicht ganz falsch liegen. Allerdings muss ich zur Verteidigung von Alice Schwarzer sagen, dass es – so weit ich mich auch umschaue – keine gibt, die nachrücken will. Deine Altersgenossinnen schwören Stein und Bein, dass doch alles schon erreicht ist und scheinen noch nie etwas davon gehört zu haben, dass die Frauenhäuser nach wie vor überfüllt sind, dass sexuelle Gewalt keinen Deut zurückgegangen ist und dass nach wie vor Frauen in den Chefetagen eine Ausnahme darstellen dafür aber die Mehrheit, was Altersarmut anbetrifft. Männer bilden hingegen eine eindeutige Minderheit im Bereich der Alleinerziehenden.

Es hat sich viel verändert – stimmt! Aber es ist eben auch viel beim Alten geblieben…



Freitag, 14. Oktober 2011
Vierländerurlaub
So richtig Sinn macht es nicht, wenn man ein Reisetagebuch erst nach der Reise schreibt. Aber es gab in diesem Urlaub kaum Internetcafés, weil mittlerweile jeder seinen Laptop mit auf Reisen nimmt und da ich dies nicht gemacht habe – weil es mir verboten wurde, damit ich nicht auch noch im Urlaub arbeite – mache ich jetzt nachträglich ein paar Notizen.

Angefangen mit einer Woche in Bayern – ganz ohne Essen! – in einer F.X.Maier-Fasten-Pension, wo wir viel gewandert sind. Zuvor eine Übernachtung in Homberg im "Lutherischen Jugendgästehaus", einem 500 Jahre alten Gebäude, in dem wir die ruhigste Nacht des ganzen Urlaubs verbracht haben. Als Norddeutsche kann ich mich an den Bergen nicht sattsehen. Abtrieb in der Schweiz Und was ich bisher nur aus dem Fernsehen kenne, habe ich jetzt das erste Mal live gesehen – einen sogenannten Abtrieb, also das Heruntertreiben der Kühe. In Oberstaufen mit einem großen Fest gefeiert. Jede Menge Maß Bier, Lederhosen, Weißwürste (die wir leider nur riechen durften) und Volksmusik.

Dann weiter nach Norditalien, wo eine Autopanne unsere Reisepläne erstmal völlig durcheinander geworfen hat. Statt in einem idyllischen Platz auf dem Lande mussten wir mitten im Industriegebiet Halt machen, wo wir für drei Hotelübernachtungen soviel gezahlt haben, wie sonst noch nie in unserem Leben (und bestimmt auch in Zukunft nicht, es sei denn, ich gewinne im Lotto). Glück im Unglück, denn da es sich um ein Industriegebiet mit jeder Menge Autofabriken handelte, haben wir auch eine Fordwerkstatt gefunden und die Reparatur dauerte nicht länger als anderhalb Tage. Die Stadt Rho haben wir erst beim zweiten Blick schätzen gelernt. Außendrum alles potthässlich, aber mittendrin eine kleine hübsche Altstadt. Aufgrund der mangelnden touristischen Attraktivität waren wir die einzigen Deutschen und konnten dadurch ein bisschen mehr von Italien mitbekommen, als an Urlaubsorten. Was mir auffiel, war, wie oft sich jüngere Menschen um alte Menschen kümmerten, denn man sah immer wieder junge Menschen oder Menschen mittleren Alters, die mit alten Menschen spazieren gingen und sich dabei rührend um die Alten kümmerten.

Eine weitere Besonderheit in Italien waren für mich die überaus üppig ausgestatteten barocken Kirchen, Kircheninnereswobei gar nicht so die üppige Ausstattung das eigentlich Besondere war, sondern die Tatsache, dass sehr viele Menschen in der Kirche beteten. Bei uns handelt es sich bei Kirchen meist entweder um einfache und schlichte Gebäude, die nur zum Gottesdienst besucht werden oder aber es handelt sich um historisch interessante Kirchen, die hauptsächlich von Touristenscharen zum Zweck des Fotografierens aufgesucht werden.Der Anblick von andächtig betenden Gläubigen ist mir bisher eigentlich mehr aus buddhistischen oder hinduistischen Tempeln vertraut.

Mit dem endlich wieder funktionsfähigem Auto ging es dann weiter nach Verona, wo wir den schönen "Castel San Pietro"-Campingplatz gefunden haben, von dem man einen Blick über die ganze Stadt hatte. Blick auf VeronaVerona war ein wenig so, wie ich mir Rom – das ich noch nie besucht habe – vorstelle. Das Colosseum löste bei mir eigentümliche Assoziationen aus, denn ich hatte mir als Reiselektüre ein Geo-Epoche-Heft über das römische Reich mitgenommen, in dem auch über den Alltag der Gladiatoren geschrieben wurde. Da am Abend ein Konzert von George Michael stattfand, machte man im Colosseum einen Soundcheck, bei dem ich an die lauten Fanfaren dachte, die das Auftreten der Gladiatoren ankündigten. Und irgendwie fühlte ich mich dann an dem Ort überhaupt nicht mehr wohl, denn ich musste an das unendlich grausame und unmenschliche Spektakel denken, bei dem sich die reichen Veroner zum Zeitvertreib das in Szene gesetzte Töten ansahen.

Nach zwei Tagen ging es dann weiter nach Chioggia, das in Italien auch „Kleines Venedig“ genannt wird, wo wir auf einem Campingplatz einen Caravan mieteten. Chioggia war sehr schön, aber unser eigentliches Ziel war Venedig, zu dem wir uns um die Parkplatzsuche zu vermeiden, mit endlos vielen Bussen und Schiffen aufmachten. Venedig
So touristisch Venedig auch sein mag – es gibt doch etwas an dieser zauberhaften Stadt, was dem Tourismus trotzt. Ich glaube, es ist einfach eine Entscheidung, ob man Venedig als einen Ort der touristischen Vermarktung ansieht oder ob man diesen Aspekt ausblendet und sich von dieser Stadt in den Bann einer anderen Zeit ziehen lässt. Wenn zum Beispiel der Gondoliere – wir sind natürlich auch Gondel gefahren – stolz auf Häuser hinweist, in denen angeblich Casanova oder Marco Polo gewohnt haben, dann kann man dies stirnrunzelnd als Lüge werten oder aber schmunzelnd als liebevolle Hochstapelei.

Die Rückfahrt traten wir dann über Österreich an, wo wir in dem kleinen Ort Vomp übernachteten und man sich beim Blick aus dem Fenster an Heidi-Filme erinnert fühlte. Das war beim nächsten Ort, dem bayrischen Schliersee, nicht viel anders und als wir dort das riesige Markus Wasmeier Museum
Freilichtmuseum „Markus Wasmeier“ ansahen, fühlte man sich durch die uralten Bauernhäuser und Bauerngärten erst recht an eine andere Zeit erinnert.

Ich hatte mir gewünscht, den Rückweg entlang der romantischen Straße zu fahren und unsere erste Station war die kleine Fachwerkstadt Harburg, in der wir laut französischem Reiseführer die angeblich „plus grand, plus ancien, mieux conservé“ Burg Südbayerns ansahen. Ich mag Burgen, weil mich das Mittelalter interessiert und mich die Vorstellung fasziniert, in den gleichen Räumen zu wandeln, in denen Ritter, Prinzessinnen und Herzöge wohnten.

Am nächsten Tag ging es dann über Würzburg nach Augsburg, wo ich mir unbedingt die Fuggerei ansehen wollte. Der reiche Kaufmann Jakob Fugger hatte im Jahr 1521 für bedürftige Bürger eine Wohnsiedlung gebaut, die gern als älteste Sozialsiedlung der Welt bezeichnet wird. Die Monatsmiete beträgt tatsächlich noch den gleichen Preis wie vor rund 500 Jahren, nämlich den Gegenwert eines rheinischen Guldens, der heute umgerechnet 0,88 Euro beträgt. FuggereiWas ich aber viel bemerkenswerter finde, ist die Tatsache, dass die Bürger neben dieser auch damals schon sehr geringen Miete noch eine andere Leistung für den Stifter erbringen mussten: nämlich täglich drei Gebete! Wenn man jetzt man den Oberlehrer-Standpunkt außer Acht lässt, demzufolge sowieso jeder Gläubige ein hirnloser Idiot ist, dann kann man sich über die Weise, wie sich ein schwerreicher Geschäftsmann seinen Platz im Himmelreich sichern will, nur wundern. Eine clevere Art, neben dem durch den Ablasshandel von der Kirche garantierten Platz im Himmel auch noch das gemeine Volk für das Seelenheil einzuspannen. Das bestärkt einmal mehr meine Ansicht, dass Geschäftsmänner eisern die Regel befolgen, niemals etwas umsonst zu tun.

Nächste Station war Rotenburg ob der Tauber. Die ganze Stadt, die von einer riesigen Stadtmauer umgeben ist, könnte ohne viel Umgestaltung als Filmkulisse für im Mittelalter spielende Filme genutzt werden. Wie es aber nun mal so ist mit schönen Orten, finden auch viele andere diese Orte sehenswert und so ist man zwangsläufig nie allein, sondern befindet sich immer in einer Menschenmenge. Eine Entscheidung, die wir ein wenig bereut haben, war der Besuch des Kriminalmuseums. Kriminalmuseum Es gab dort so viele Folterwerkzeuge und Bilddokumente von Folterungen, dass es einem aufs Gemüt schlägt und man froh ist, wieder draußen zu sein. Wenn man bedenkt, wie unendlich viel Leid die Daumenschrauben, Eiserne Jungfrauen und Streckbänke verursacht haben, dann läuft es einem nicht nur kalt den Rücken herunter, sondern man ist auch fassungslos, dass sich Menschen imstande sind, sich derartige Perversitäten auszudenken.

Nachdem wir in Fulda übernachtet haben, in dem es mitten in der Woche fast unmöglich war, ein Hotelzimmer zu finden, machten wir noch eine letzte Rast in Hannoversch Münden. Wir hatten den ganzen Urlaub über immer wieder auch Kirchen und Kathedralen besichtigt und als ich dort eine kleine sehr alte Kirche sah, wollte ich mir dann ein letztes Mail das Kircheninnere ansehen. Ich war aber irritiert, denn vor dem Eingang stand ein Schild, in dem Kuchen und Café angepriesen wurden. Als ich dann hineinging, befand ich mich gar nicht in einer Kirche, sondern in einem Café. Aegidienkirche Die Kirche war zugegebenermaßen sehr geschmackvoll umgestaltet worden. Aber irgendetwas kam mir merkwürdig vor. An diesem Ort, an dem Taufen, Konfirmationen, Kommunionen, Trauungen und Trauergottesdienste stattgefunden hatten, wurde jetzt Kuchen gegessen und Latte Macciato serviert. Die Fresken, die ja immerhin schon Hunderte von Jahren alt waren, waren übermalt worden. Für viele wird die Wandlung von Sakralem in Profanes sicherlich freudig als Fortschritt und Befreiung von religiöser Infantilität begrüßt, wobei es allerdings für Angehörige anderer Kulturen, wie Buddhisten, Hindus, Juden und Muslime wiederum höchstwahrscheinlich völlig unvorstellbar wäre, sakrale Orte in Cafés umzuwandeln. Aber wer weiß, vielleicht folgen bald auch andere Kulturen unserem Beispiel und man kann dann demnächst in der blauen Moschee oder im Borobudur irgendwann auch Kaffee und Kuchen essen.

Warum der Beitrag Vierländerurlaub heißt? Wir waren auch in Liechtenstein, aber darüber gibt es absolut nichts zu schreiben.