Alles schon erreicht?
Alice Scharzer ist wie die Krake in dem Film „Arielle, die Meerjungfrau. Die ist schon so lange da, und es gibt immer nur eine Einzige, die befragt wird.“
Charlotte Roche

Charlotte, da magst Du ja nicht ganz falsch liegen. Allerdings muss ich zur Verteidigung von Alice Schwarzer sagen, dass es – so weit ich mich auch umschaue – keine gibt, die nachrücken will. Deine Altersgenossinnen schwören Stein und Bein, dass doch alles schon erreicht ist und scheinen noch nie etwas davon gehört zu haben, dass die Frauenhäuser nach wie vor überfüllt sind, dass sexuelle Gewalt keinen Deut zurückgegangen ist und dass nach wie vor Frauen in den Chefetagen eine Ausnahme darstellen dafür aber die Mehrheit, was Altersarmut anbetrifft. Männer bilden hingegen eine eindeutige Minderheit im Bereich der Alleinerziehenden.

Es hat sich viel verändert – stimmt! Aber es ist eben auch viel beim Alten geblieben…




Charlotte Roche ist für mich ein Paradebeispiel der mißlungenen und völlig mißverstandenen Emanzipation.

Emanzipation gibt es tatsächlich immer noch im weitaus geringerem Maße, als vermutet.
Dies darf jede Frau erfahren, wenn sie sich entschließt Kinder zu bekommen. Unabhängig vom Bildungsgrad erfährt die bis dahin gut verlaufende 'Karriere' einen abrupten Stop, ohne Option nochmals je dort wieder anzuknüpfen. Das dies selbstverständlich wirtschaftliche Einbußen mit sich bringt ist klar.
Zudem kommen noch veränderte 'Machtstrukturen' in der Beziehung (natürlich treten sie erst bei 'Auseinandersetzungen' zutage) ein permanent schlechtes Gewissen weil weder Job noch Kindererziehung und Haushalt auch nur annähernd perfekt unter einen Hut zu kriegen ist.
Wenn Frau dann alleinerziehend ist bekommt sie schlecht Arbeit, weil sie ja mit Kind am Hals nicht soooo flexibel ist und zudem ständig Ausfallzeiten durch Krankheit hinzukommen. Dabei wissen die Arbeitgeber einfach nicht, dass gerade die Alleinerziehenden generell wesentlich besser strukturiert, motiviert und auch belastbarer sind als andere Arbeitnehmer. Sonst bekämen sie ihren normalen Alltag gar nicht hin! Ich beschäftige eine Alleinerziehende und erfahre dies immer wieder im Vergleich zu einer Kollegin die den 'Haupt-Verdiener' zu Hause hat.
Wenn endlich die Verantwortung der Versorgung unserer Nachkommen gleichmäßig zwischen Vater und Mutter aufgeteilt wäre, würden viele Zwänge und auch Machtverhältnisse wegfallen.
So soll Alice weiterhin stänkern - wir brauchen sie - viele berufstätige und (vor allem!) alleinerziehende Frauen haben nämlich nach ihrem Alltag keine Kraft mehr für die Politik.

Das, was Du schreibst, entspricht genau meinen Erfahrungen. Und zwar nicht nur in meinem beruflichen Arbeitsfeld, wo ja nun mal zwangsläufig soziale Probleme das Thema sind, sondern auch im Bekanntenkreis. Auch wenn es mittlerweile Ausnahmen gibt – wenn sich Paare trennen, dann hat die Frau nach wie vor fast immer die Alleinverantwortung. Ich kenne Frauen, die an der Last der Verantwortung fast zerbrechen. Dazu kommt dann das chronisch schlechte Gewissen, wenn die Kinder dann irgendwann auffällig reagieren. Und es gibt jede Menge Männer aus der ach-so-aufklärten Alternativszene, bei der ja angeblich die Rollenverteilung gar nicht existiert, die sich einfach verdrücken und die Frau mit ihrer Verantwortung allein lassen.

@ruhrtina:
Schade, dass Du keinen Blog mehr hast. Emanzipation gibt es tatsächlich immer noch im weitaus geringerem Maße, als vermutet. Diese Einschätzung bestätigt sich für mich täglich. Gerade hat wieder ein Vater seine Tochter umgebracht, weil sie einfach nur frei leben wollte. Gerade läuft wieder ein Prozess gegen einen Vater, der seine Tochter jahrzehntelang missbraucht hat. An Männern wie Josef Fritzl, Wolfgang Priklopil oder wie Ahmad Obeidi wird deutlich, wie immens hoch das Ausmaß der Gewalt gegen Frauen immer noch ist. Der Unterschied zu früher – damit meine ich die 60er, 70er und 80er – ist, dass es damals noch eine starke Bewegung gab, die diese Gewalt thematisiert hat. Spätestens seitdem es keine Frauen mehr gibt sondern nur noch „Mädels“ hält man die Thematisierung von Gewalt und Benachteiligung für überholt.