Eigentlich wollte ich meinen Blog für eine Weile nicht mehr öffentlich machen, weil ich mir die Art des Umgangs miteinander anders vorgestellt habe. Aber eben bin ich auf dieses Video gestoßen. Ich liebe dieses Gedicht von Paul Celan - obwohl es nicht im eigentlichen Sinne Liebe ist, sondern vielleicht mehr Ehrfurcht. Und es ist tatsächlich von Paul Celan selbst gesprochen, so dass es mir noch viel mehr Gänsehaut verursacht als dies schon beim Lesen der Fall ist. Und da ist die Lust einfach zu groß, weiterzumachen und ich kann der Versuchung nicht widerstehen, hier auf dieses Juwel hinzuweisen. Todesfuge:
Übrigens hat dieses Video bei YouTube einen schauerlichen Kommentar erhalten (wobei mir bei Youtube schon sehr oft fürchterliche Kommentare aufgefallen sind). Vielleicht eine Erinnerung daran, dass man Kommentare einfach nicht immer so ernst nehmen sollte...
Und tatsächlich gibt es ein Gedicht über die Gegend, die ich meine Heimat nenne. Viele Gegenden und Landstriche sind schöner und spektakulärer. Aber Heimat entzieht sich den objektiven Kriterien. Und es ist berührend, wie jemand liebevoll und zugleich auch mit einem Anflug von Bitterkeit über die Heimat schreibt:
Von Karin Kiwus (geb. 1942):
Lange bin ich nicht mehr
wie früher im Dezember
im Alten Land
die Feldwege entlanggekommen an Backsteingehöften
hinter braunen Kanälen hinter niedrigen
splitternden Zäunen und runden Rhododendronbüschen
Die ziehende Wärme aus den Fenstern
nach außen geöffnete Flügel verhakt
im Wind die milchigen Gardinen
weich gerafft über dem Efeu im Topf
den Alpenveilchen und den Begonien
Die gelben Äpfel an unbelaubten Bäumen
die Wäscheleinen in den Gärten
das Brombeergestrüpp und der zertretene Kohl
das graue Gerümpel vor dem Schuppen
und scharrende Tiere am Verschlag
Die nackte Luft zwischen den Deichen
der blanke Ausblick über die Ebenen
scharf wie eine Kaltnadelradierung
weitwinklig bis zum Meer
die flache Sönne klirrend unter den Fußsohlen
und die Hände fühllos fremd wie Prothesen
Die Nachmittage waren voll
selbstverständlicher Versprechen
der Himmel schneehell
wie eine Märzbecherwiese
und die Zukunft dahinter
ein sicherer Schimmer über dem Tau
so leicht und groß und griffbereit
Wie so oft zeigt sich hier, dass jemand, wenn er über etwas redet, das er nicht wirklich kennt und von dem er vielleicht auch wenig Ahnung hat, er meist nicht über die Sache spricht, sondern viel mehr etwas über sich selbst aussagt.
Wunibald Müller (geb. 1950)
Das ist es wohl, was die menschliche Kommunikation so unerträglich macht. Gleichzeitig gibt der Ausspruch den Hinweis darauf, was unerlässlich ist, wenn man wahrhaft kommunizieren will: man muss sich die Mühe machen, etwas zu ergründen, bevor man sich dazu äußert. Man muss wirkliches Interesse haben am Anderen. Interesse daran, vorgefertigte Bilder immer wieder zu korrigieren. Und man kommt auch nicht umhin, sich über sich selbst Gedanken zu machen. Über die Gründe für Abneigungen, Ängste und Unsicherheiten. Nicht immer einfach. Andere Menschen können dabei hilfreich sein und ich habe solche Menschen gefunden. Aber dennoch ist es auch viel schwieriger, als ich es mir wünsche. Denn im Grunde brauche ich meine Helfer jeden Tag und nicht nur für ein paar Wochenenden im Jahr.
Kehrt man Wunnibald Müllers Ausspruch um ins Positive und ersetzt „Sache“ durch „Mensch“, dann lautet er ungefähr so:
Wie so oft zeigt sich hier, dass jemand, wenn er über jemanden redet, den er wirklich kennt und von dem er vielleicht viel weiß, er etwas über diesen Menschen aussagt und nichts über sich selbst.
Das ist dann die Form der Kommunikation, in der das Gegenüber Subjekt ist und nicht zum Objekt degradiert wird. Die Kommunikation, wie sie von Martin Buber als dialogisches Prinzip zwischen "Ich und Du" beschrieben wird. Derjenige, der sich nicht die Mühe macht, sein Gegenüber kennenzulernen, wird immer auf sich selbst bezogen kommunizieren. Wir erfahren dann viel über die Projektionen desjenigen. Das war's dann aber auch schon. Wirkliche Interaktion findet nicht statt. Und ein Lernprozess erst Recht nicht.