The roaring seventies – Bhagwan
Was für mich untrennbar mit den 70er Jahren verbunden ist, ist Bhagwan. Aufgefrischt wurden meine Erinnerungen jetzt durch ein Buch, das ich fast in einem Atemzug gelesen habe: „Bhagwan, Che und ich“ von Katharina Wulff-Bräutigam. Das Thema wird allerdings nicht von der Warte eines Erwachsenen beschrieben, sondern aus der Sicht eines Kindes bzw. einer Jugendlichen, denn die 1965 geborene Kartharia Wulff-Bräutigam ist ein Kind er 68er Generation und wurde durch ihre Mutter mit der Bhagwanbewegung konfrontiert.
Ende der 70er Jahre sah man plötzlich überall rotgekleidete Menschen mit einer Holzkette, an der das Foto eines alten Mannes hing. In Hamburg im Kaolinenviertel gab es einen Ashram und auch in meinem Bekanntenkreis gab es einige Sannyasins, so dass ich die Bewegung aus der Nähe mitbekam. Da ich schon immer ein Asienfan war, war ich grundsätzlich an der Bewegung interessiert, denn Bhagwan kam ja aus Indien.
Ziemlich schnell stieß mich dann aber an der Bewegung etwas ab. Hauptsächlich war es der Gleichschritt und die manchmal merkwürdige Veränderung, die mit den Sannyasins vor sich ging. Die ständige Entspanntheit hatte zeitweilig für mich schon wieder etwas Verkrampftes. Außerdem ähnelte sich das Vokabular der Sannyasins auf merkwürdige Weise. Ständig war von „Vibrations und Energie“ die Rede. Und es gab einen Spruch, der fast schon inflationär benutzt wurde „du, das ist dein Ding“. Das vorher in unserer Szene so wichtige Sozialverhalten galt plötzlich als antiquiert und wurde durch einen hemmungslosen Egotrip ersetzt. Mir fällt dazu eine Situation ein, in der eine Bekannte von mir einen Sannyasin darauf ansprach, dass er ihr schon seit langem Geld schuldete“. Der Sannyasin war offensichtlich sehr genervt über diese Störung und antwortete nur „Du, ich habe jetzt echt keinen Bock, mich damit zu befassen, das ist jetzt echt dein Ding“.
Ich habe auch ein paar Mal an einer Meditation teilgenommen und muss sagen, dass mir dies ausgesprochen gut gefallen hat. Dynamische Meditation oder Kundalini Meditation – beides tut sehr gut, wenn man angespannt ist. Die Workshops kenne ich nur vom Hörensagen oder aus den Programmbeschreibungen. Es ging immer um die direkte Konfrontation und um das Ausleben. Ich weiß nicht, ob es Ängstlichkeit oder aber einfach die sehr teuren Preise waren, die mich von den Workshops abgehalten haben.
Was mich an der Bhagwanbewegung so wunderte, was der bedingungslose Gehorsam und die völlig kritiklose Anbetung, die Bhagwan gezollt wurden. Menschen, denen noch kurze Zeit zuvor ihr kritisches Bewusstsein über alles ging, unterwarfen sich plötzlich den Ideen eines alten Mannes. Die Bücher, die Bhagwan geschrieben hat (zwei habe ich auch gelesen) sind zwar nicht schlecht – nur ist das Meiste eben nicht von Bhagwan selbst entwickelt worden, sondern ein Sammelsurium aus allen möglichen Richtungen. Urschrei nach Janov, Körpertherapie nach Lowen, Wilhelm Reichs Sexualtheorie, Fritz Perls Gestalttherapie aus dem Westen und Yoga, Meditation und Buddhismus aus dem Osten. Dazu noch ein bisschen Nietzsche, Hesse und Jesus – und die Mischung ist perfekt. Nicht, dass ich etwas gegen Universialgelehrte habe – im Gegenteil, ich bin von solchen Menschen sehr beeindruckt. Aber bei Bhagwan hatte das Ganze die Form eines bunt zusammengewürfelten amerikanischen Supermarktsystems angenommen. Als die Bhagwanbewegung dann im Jahr 1981 vom indischen Poona ins amerikanische Oregon wechselte, war dies auch nur konsequent.
Ich empfand es nie als etwas Verwerfliches, wenn Menschen, die die gleiche Gesinnung haben, sich irgendwo gemeinsam niederlassen und der übrigen Gesellschaft Adieu sagen. Auch dass es kein Privateigentum mehr gab, empfinde ich nicht als verwerflich. Warum dies Ganze dann aber in einer streng hierarchischen Struktur geschehen muss, in der niemand mehr an irgendetwas mitbestimmen darf und dafür gearbeitet wird, dass dreiundneunzig Rolls Royces in einem Carport vor sich hin rosten, das leuchtet mir – wie so vielen anderen – nicht ein.
Wie jeder weiß, kam es dann irgendwann auch wie es kommen musste, das Ganze brach zusammen und löste sich auf. Kurze Zeit später starb Bhagwan, die Managerin Sheela kam für einige Zeit ins Gefängnis und die rote Kleidung und die Mala verschwanden aus dem öffentlichen Bild.
Fast alle ehemaligen Sannyasins sagen, dass sie ihre Zeit in der Bewegung nicht bereuen, was für mich auch durchaus glaubhaft ist. Aber es ist merkwürdig, dass eine Bewegung, die zwar von jedem ihrer früheren Angehörenden als positiv und wichtig eingestuft und empfunden wird, trotzdem weitgehend spurlos verschwunden ist.
Kleine Anekdote am Rande: als ich Anfang der 90er meinen Freund kennenlernte und ihn zu seiner Meinung über Bhagwan fragte, kannte er ihn nicht. Ich führte dies auf unsere damaligen Verständigungsschwierigkeiten zurück und ging davon aus, dass man in Frankreich Bhagwan anscheinend anders nennen (oder aussprechen) würde. Mein Freund fragte dann sämtliche Freunde, ob sie einen berühmten Guru namens „Batman“ kennen würden, was natürlich jeder verwundert verneinte. Aber auch als dann irgendwann ein kompetenter Übersetzer zur Verfügung stand, änderte dies nichts daran, dass Bhagwan den französischen Freunden unbekannt war. Dies wunderte mich sehr, da sogar mein Vater – der Bhagwan natürlich völlig ablehnte – genau wusste, wer Bhagwan war.
Und irgendwie hat dies dazu geführt, dass ich mich der Vorstellung nicht erwehren kann, dass dieses Phänomen einer Massenbewegung auch etwas mit der deutschen Mentalität zu tun haben muss. Natürlich gab es in den Ashrams auch Franzosen, da dort nahezu alle Nationalitäten vertreten waren. Aber zahlenmäßig ist das kaum vergleichbar. Bei aller Phantasie – einen Franzosen kann ich mir nur schwer in Einheitskleidung und mit einem 16stündigen Arbeitstag vorstellen. Erst recht kann ich mir Franzosen, die ja so stolz auf den Sturz der Monarchie sind, nicht dabei vorstellen, wie sie in ordentlichen Reihen aufgestellt, dem im Rolls vorbeifahrenden Meister huldigen.
Vielleicht suchen wir Deutschen immer noch ein wenig nach einem Führer? Nach einer Struktur, in der alles geregelt ist und es ein Oben und ein Unten gibt? Nach dem Eintauchen in eine konforme Masse, in der man sich wohlig aufgehoben fühlt?
Was bleibt, ist die Erkenntnis, dass Masseneuphorie selten von Dauer ist. Einer Masseneuphorie fehlt das Fundament und die wirkliche Substanz, um mehr als eine Mode zu sein.
Man hat im Leben die Wahl...
Die Lüge von den Durststrecken
Im Leben gäbe es Durststrecken, heißt es immer. Irrtum – es gibt im Leben keine Durstrecken, sondern das Leben ist eine Durststrecke. Die Durststrecke ist nicht die Ausnahme, sondern die Regel.
Der Mangel ist die Regel und die Erfüllung ist immer nur eine zeitlich begrenzte Ausnahme, die niemals den ersehnten Dauerzustand darstellt.
„Endlich geht es wieder bergauf“ gibt es in der Realität nicht, sondern allenfalls ein „Momentan geht es wieder bergauf“. Das Leben ist ein Bergab, das ab und zu – und dies auch nur, wenn man Glück hat – von einem Bergauf unterbrochen wird. Das ändert aber nie etwas an der grundsätzlichen Richtung.
Das Leben verbringt man fast immer im durstigen Zustand. Und auch wenn dieser Durst manchmal gestillt wird, reicht es immer nur gerade eben zum Durchhalten.
Nicht die Durstrecken muss man überstehen, sondern das Leben.
Überschwänglichkeit oder lieber laues Mittelmaß? – Nachschlag zum Thema Überschwänglichkeit
Überschwänglichkeit verursacht in erster Linie Probleme, wenn sie sich im Negativen, also in der Kritik, äußert. Leicht nachzuempfinden, da begreiflicherweise niemand gern heftig und impulsiv kritisiert wird. Die andere Seite der Überschwänglichkeit ist die der überschäumenden Freunde an oder über etwas. Die Lust an der Erfüllung der Wünsche, am Erhalt des Ersehnten. Das kann nur der empfinden, der überhaupt Wünsche und Sehnsüchte hat. Wer die gar nicht kennt, fühlt sich durch Überschwänglichkeit befremdet und verunsichert.
Die Kritiker der Überschwänglichkeit sind Verfechter des Mittelmaßes. Kritik ist bei ihnen nie akut und heftig, sondern chronifiziert und leblos. Was allerdings nicht gleichbedeutend mit dem Zustand der Zufriedenheit ist. Wer sich die laute und heftige Kritik verbietet, ist noch lange nicht still. Jene Menschen, denen jegliche Leidenschaft für oder gegen etwas fehlt, sind Spezialisten für das kontinuierliche Nörgeln im Hintergrund. Unmut wird nie zum Thema gemacht, ist aber dennoch immer präsent. Hier eine abfällige Bemerkung über jemanden, dort ein geringschätziger Kommentar – und dies gern indirekt in Form von Anspielungen. Diskussionen sind auch gar nicht erwünscht, denn um Klärung oder gar Behebung eines Kritikpunktes geht es auch gar nicht.
So wie den Gegnern der Überschwänglichkeit jegliche Leidenschaft in der Kritik oder Ablehnung fehlt, so fehlt ihnen auf der anderen Seite auch jegliche Beigeisterung für das Schöne im Leben. Sie schwärmen nie von etwas, sie verehren nichts, sie haben in keiner Sache Herzblut – für sie liegt der Ausdruck der Zustimmung schon allein darin, sich negativer Kommentare zu enthalten.
Ein schönes Beispiel ist hierfür immer wieder ein Restaurantbesuch mit diesem Menschentyp. Die Anhänger der lauen Mittelmäßigkeit nutzen jede Gelegenheit um ein Essen, das nicht so wie gewohnt schmeckt, mit negativen Kommentaren zu bedenken. Schmeckt es ihnen hingegen gut, dann gibt es für sie nichts Abwegigeres, als dies zu äußern. Auf eine Nachfrage reagieren sie deswegen immer leicht erstaunt. „Wozu um Himmelswillen soll man denn etwas ausdrücklich loben?“. Soooo wichtig ist das ja nun auch nicht.
Der Anhänger der lauen Mittelmäßigkeit kämpft weder für noch gegen etwas. Zum einen fehlt ihm hierfür die Leidenschaft. Zum anderen ist es für ihn die Garantie dafür, selbst auch niemals bekämpft zu werden. Sein Unmut explodiert niemals, sondern plänkelt leise vor sich hin. Gefühlsausbrüchen oder Leidenschaft wird ein eiserner Riegel vorgeschoben. Der Nachteil dabei ist allerdings, dass dieser eiserne Riegel alle anderen Gefühle gleich mit einschließt.
Dem Anhänger der lauen Mittelmäßigkeit ist die Überschwänglichkeit ein Dorn im Auge, denn sie gefährdet seine wohltemperierte Balance. Und stellt einen unbequemen Appell an seine Gefühlsarmut dar. Der Anhänger der lauen Mittelmäßigkeit macht aus der Welt ein Sanatorium, in dem aus Rücksicht auf die anderen nur leise gesprochen werden darf. In dem es keine Hochs und keine Tiefs gibt, weil dies seine Ruhe gefährden würde – sein Ideal ist die lauwarme Zimmertemperatur. Aus der Perspektive seines wohlig warmen Zimmers sieht er dem Treiben der Welt zu, ohne sich daran zu beteiligen.
Es soll sich möglichst wenig bewegen in der kleinen überschaubaren Welt des Verfechters des lauen Mittelmaßes. Denn das ist es, was er liebt und braucht - den Stillstand.
behrens am 18. Dezember 10
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