Manchmal ist es besser, doch nicht soviel zu wissen?
Gestern habe ich mir den Film „Der Stellvertreter“ angesehen, in dem es um die Rolle des Vatikans zur Zeit der Nazis ging. Der Film basierte auf einer Erzählung Rolf Hochhuths. Im Vordergrund steht die Figur des SS-Offiziers Kurt Gerstein, der einerseits gläubiger Christ war und andererseits für den Einsatz von Zyklon B verantwortlich war. Vor der Kenntnis von der Massenvernichtung war Gerstein als Hygienefachmann mit dem Einsatz des Zyklon B im Bereich der Schädlingsbekämpfung beschäftigt. Nachdem Gerstein davon Kenntnis hatte, wozu das Gift tatsächlich verwendet wurde, blieb er weiterhin in der Tötungsmaschinerie, tat aber alles, um die Information an die Öffentlichkeit zu bringen und insbesondere den Vatikan zur Intervention zu bewegen.
Einige sehen in Gerstein jemanden, der versuchte, die Greuel der Nazis zu bekämpfen, andere sehen in Gerstein einen Mittäter am Massenmord. Bewiesen ist allerdings zweifellos, dass er tatsächlich alles Mögliche unternommen hat, um das Massenmorden an die Öffentlichkeit zu bringen und dabei – das darf man meines Erachtens auf keinen Fall außer Acht lassen – natürlich auch sein Leben und Gefahr für seine Familie riskierte.
Und wie immer, wenn mich ein Film sehr berührt, bleibe ich hinterher förmlich im Internet kleben. Und das Internet macht es einem ja auch einfach, sich immer noch gezielt weitere Informationen zu holen. Was ich dabei – konkret auf das Thema Widerstand zur NS-Zeit – entdeckte, war mir zwar nicht neu, aber in seiner Fülle doch schockierend. Was ich damit konkret meine, ist die Zeit, die man sich dafür gelassen hat, auf der einen Seite Widerständler als solche anzuerkennen und auf der anderen Seite Schuldige schuldig zu sprechen. Mir war nicht bekannt, dass die Todesurteile gegen die Widerstandskämpfer noch bis in die 1990er (!) als wirksam galten und dadurch Verwandten der Anspruch auf eine Entschädigung als Verfolgte des Naziregimes verwehrt wurde.
Der Witwe von Kurt Gerstein hatte da noch Glück und ihr wurde immerhin „schon“ im Jahr 1969 durch Anerkennung Gersteins als Entlasteter eine Hinterbliebenenrente zugestanden. Und dies auch nur, weil sich ein ehemaliger KZ-Häftling und der Zentralrat der Juden sich für eine Rehabilitation eingesetzt haben.
Und dann die andere Seite: Chefrichter Otto Thorbeck, der für den Tod vieler Widerstandskämpfer verantwortlich war und dafür erst 1955 zu ganzen vier Jahren Zuchthaus verurteilt wurde, von denen er wiederum nur ein Jahr abgesessen hat, da er schon ein Jahr später vom Vorwurf der Beihilfe zum Mord freigesprochen wurde. SS-Offinzier Walter Huppenkothen bekam immerhin sechs Jahre, allerdings nicht wegen Mordes, sondern weil er die Bestätigung der Todesurteile nicht abgewartet hatte! Generalrichter Manfred Roeder, mitverantwortlich für 56 Todesurteile von NS-Gegnern, wurde überhaupt nicht verurteilt und war nach dem Krieg angesehenes und aktives Mitglied der CDU.
Und es wird noch viele, viele andere Namen geben, die denjenigen, die eine bessere politische Bildung als ich haben, natürlich auch bekannt sein werden. Wie bereits gesagt – neu war dies alles auch für mich nicht. Aber etwas im Großen und Ganzen zu kennen, ist nicht das Gleiche, wie sich im Detail damit zu beschäftigen. Und als ich dies in der vergangenen Nacht versucht habe, hatte ich das Gefühl, in einen Sumpf einzutauchen. Schon immer wusste ich, dass es diesen Sumpf gab, aber gestern habe ich es mir mal zugemutet, mir diesen Sumpf näher anzusehen. Aber ich weiß gar nicht, ob dies wirklich gut ist. Denn man riskiert dabei, auch noch das allerletzte Fünkchen Glauben an die Menschheit und an die Hoffnung auf eine gerechtere Welt zu verlieren.
Die Rechtsprechung im Falle der Verurteilung von NS-Verbrechern und im Falle der Rehabilitation von Widerstandskämpfern ist ihren Namen nicht wert.
behrens am 03. November 10
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The roaring seventies – Programmkinos
Gerade habe ich in unserer Hamburger Tageszeitung gelesen, dass das Abaton 40jähriges Jubiläum hat. Was ist das Abaton? Das erste Programmkino Hamburgs. Und was ist ein Programmkino? Das habe ich als Jugendliche mal gefragt und die Antwort erhalten: das ist ein Kino, das nur gute Filme bringt. Diese Antwort ist ein wenig einfach und würde sofort von den herkömmlichen Kinos in Frage gestellt werden. Aber manchmal bringen einfache Definitionen es besser auf den Punkt als komplizierte.
Interessant zu lesen, dass es einen regelrechten Kampf der regulären Kinos und der Verleihfirmen gab, die ihre Marktmacht dafür einsetzten, dass das kleine Abaton keine Filme bekam. Der erste Film von Warner war "Der Club der toten Dicher", der ja immerhin erst 1989 erschien, als das Abaton schon fast 20 Jahre bestand. Aber es lief eben auch ohne Hollywood. Was gab’s denn vorher? Zum Beispiel Filme wie 2001 – Odyssee im Weltraum. Oder Rosa von Praunheims „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Gesellschaft, in der er lebt“.
Und ich habe eine ganz persönliche Erinnerung an das Abaton. Als ich zwölf Jahre alt war, nahm mich meine ältere Schwester – man kann sich wirklich glücklich schätzen, eine zu haben – mit ins Kino um den Film „Woodstock“ anzusehen. Ich war hin- und weggerissen und fühlte mich anschließend allen gegenüber, die den Film nicht gesehen hatten, überlegen und weiser. Heute wird Woodstock regelmäßig im Fernsehen wiederholt und wann immer man will, kann man auf Youtube Santana, Richie Heavens und wen auch immer ansehen. Es ist alles jederzeit verfügbar. So war es aber damals eben nicht und somit war es etwas völlig Besonderes und Einmaliges.
Bleibt noch anzumerken, dass mein Vater einen regelrechten Tobsuchtsanfall erlitt, als er hörte, dass ich diesen Film gesehen hatte. So genau wusste er sicherlich gar nicht, worum es in Woodstock ging. Wahrscheinlich war aber allein schon ausreichend, was die vorab veröffentlichten Fotos deutlich machen: Langhaarige, Haschischraucher, Nacktbader, freie Liebe und Anti-Kriegsbewegung. Genug also, um bei der zwölfjährigen Tochter Schaden zu verursachen.
Herzlichen Glückwunsch Abaton!
behrens am 31. Oktober 10
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Der kleine Pinochet
Ob man will oder nicht – der kleine Pinochet läuft einem irgendwann einmal über den Weg. Dann wird es eng, denn der kleine Pinochet lässt wenig Platz für andere. Man muss sich schon sehr, sehr dünne machen, damit für beide Platz ist. Da kann man nichts machen.
Der kleine Pinochet hat Ellbogen wie Schaufelbagger. Da kommt keiner so leicht vorbei. Und manchmal wird auch jemand zerquetscht – so ganz aus Versehen. Das passiert schon mal.
Der kleine Pinochet sagt uns, was zu tun ist. Denn das weiß er ganz genau. Und was für uns gut ist, weiß er noch viel besser. Wir können uns freuen, dass wir so einen Pinochet haben. Man wüsste gar nicht, wo es längs ging ohne ihn.
Der kleine Pinochet hat eine laute Stimme. Damit ihn auch jeder hört. Auch die, die's gar nicht wollen. Manchmal wird es ein bisschen sehr laut. Da platzt schon mal ein Trommelfell. Das kommt schon mal vor.
Der kleine Pinochet kann zaubern. Plötzlich sind alle still, die vorher noch gesprochen haben. Und alle sagen etwas Nettes zu ihm. Selbst die, die vorher Böses über ihn sagten. Das gefällt dem kleinen Pinochet. Das ist gut so.
So richtig mag niemand den kleinen Pinochet. Aber sagen tut dies keiner. Denn vor dem kleinen Pinochet haben viele Angst. Und manche fangen sogar an zu stottern. Oder zu schwitzen. Oder beides. Und manche werden klein wie Gartenzwerge. So endet das.
Pinochet und die Gartenzwerge. Die sind Koalitionspartner. Da passt einfach alles.