Sonntag, 31. Oktober 2010
The roaring seventies – Programmkinos
Gerade habe ich in unserer Hamburger Tageszeitung gelesen, dass das Abaton 40jähriges Jubiläum hat. Was ist das Abaton? Das erste Programmkino Hamburgs. Und was ist ein Programmkino? Das habe ich als Jugendliche mal gefragt und die Antwort erhalten: das ist ein Kino, das nur gute Filme bringt. Diese Antwort ist ein wenig einfach und würde sofort von den herkömmlichen Kinos in Frage gestellt werden. Aber manchmal bringen einfache Definitionen es besser auf den Punkt als komplizierte.

Interessant zu lesen, dass es einen regelrechten Kampf der regulären Kinos und der Verleihfirmen gab, die ihre Marktmacht dafür einsetzten, dass das kleine Abaton keine Filme bekam. Der erste Film von Warner war "Der Club der toten Dicher", der ja immerhin erst 1989 erschien, als das Abaton schon fast 20 Jahre bestand. Aber es lief eben auch ohne Hollywood. Was gab’s denn vorher? Zum Beispiel Filme wie 2001 – Odyssee im Weltraum. Oder Rosa von Praunheims „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Gesellschaft, in der er lebt“.

Und ich habe eine ganz persönliche Erinnerung an das Abaton. Als ich zwölf Jahre alt war, nahm mich meine ältere Schwester – man kann sich wirklich glücklich schätzen, eine zu haben – mit ins Kino um den Film „Woodstock“ anzusehen. Ich war hin- und weggerissen und fühlte mich anschließend allen gegenüber, die den Film nicht gesehen hatten, überlegen und weiser. Heute wird Woodstock regelmäßig im Fernsehen wiederholt und wann immer man will, kann man auf Youtube Santana, Richie Heavens und wen auch immer ansehen. Es ist alles jederzeit verfügbar. So war es aber damals eben nicht und somit war es etwas völlig Besonderes und Einmaliges.

Bleibt noch anzumerken, dass mein Vater einen regelrechten Tobsuchtsanfall erlitt, als er hörte, dass ich diesen Film gesehen hatte. So genau wusste er sicherlich gar nicht, worum es in Woodstock ging. Wahrscheinlich war aber allein schon ausreichend, was die vorab veröffentlichten Fotos deutlich machen: Langhaarige, Haschischraucher, Nacktbader, freie Liebe und Anti-Kriegsbewegung. Genug also, um bei der zwölfjährigen Tochter Schaden zu verursachen.

Herzlichen Glückwunsch Abaton!



Freitag, 29. Oktober 2010
Der kleine Pinochet
Ob man will oder nicht – der kleine Pinochet läuft einem irgendwann einmal über den Weg. Dann wird es eng, denn der kleine Pinochet lässt wenig Platz für andere. Man muss sich schon sehr, sehr dünne machen, damit für beide Platz ist. Da kann man nichts machen.

Der kleine Pinochet hat Ellbogen wie Schaufelbagger. Da kommt keiner so leicht vorbei. Und manchmal wird auch jemand zerquetscht – so ganz aus Versehen. Das passiert schon mal.

Der kleine Pinochet sagt uns, was zu tun ist. Denn das weiß er ganz genau. Und was für uns gut ist, weiß er noch viel besser. Wir können uns freuen, dass wir so einen Pinochet haben. Man wüsste gar nicht, wo es längs ging ohne ihn.

Der kleine Pinochet hat eine laute Stimme. Damit ihn auch jeder hört. Auch die, die's gar nicht wollen. Manchmal wird es ein bisschen sehr laut. Da platzt schon mal ein Trommelfell. Das kommt schon mal vor.

Der kleine Pinochet kann zaubern. Plötzlich sind alle still, die vorher noch gesprochen haben. Und alle sagen etwas Nettes zu ihm. Selbst die, die vorher Böses über ihn sagten. Das gefällt dem kleinen Pinochet. Das ist gut so.

So richtig mag niemand den kleinen Pinochet. Aber sagen tut dies keiner. Denn vor dem kleinen Pinochet haben viele Angst. Und manche fangen sogar an zu stottern. Oder zu schwitzen. Oder beides. Und manche werden klein wie Gartenzwerge. So endet das.

Pinochet und die Gartenzwerge. Die sind Koalitionspartner. Da passt einfach alles.



Montag, 25. Oktober 2010
Schlampe – Renaissance eines Schimpfwortes
Die Bezeichnung Schlampe ist kein neues Schimpfwort, sondern existiert schon lange und wurde sogar schon im Wörterbuch Jakob Grimms aufgeführt. Allerdings war die Bezeichnung Schlampe jahrzehntelang fast gänzlich vom Erdbogen verschwunden. Doch seit einigen Jahren ist der Begriff Schlampe plötzlich wieder aufgetaucht. Woran mag dies liegen? Was ist passiert? Gab es möglicherweise eine Phase, in der es einfach keine Frauen gab, die die dem Begriff Schlampe zugeordneten Charakteristika erfüllen? War die Zeit der 60er bis Anfang der 90er eine Zeit, in der man diesen Typus nirgendwo antraf? Und wieso tauchte dieser Typus dann plötzlich doch wieder auf?

Natürlich liegt der Grund für die Renaissance des Schimpfworts Schlampe nicht in dem Verschwinden und Wiederauftauchen desjenigen Frauentypus, für die manche diesen Begriff als passend ansehen. Vielmehr handelt es sich um ein Wiederauftauchen des Männertyps, für den es unverzichtbar ist, Frauen zu beleidigen. Genauer gesagt, nicht irgendwelche Frauen – sondern eben die, die es „verdienen“. Was sind das denn nun eigentlich für Frauen, aufgrund derer man dieses antiquierte Schimpfwort wieder reanimiert hat?

Um dies zu erklären, gehen wir einfach mal zurück in die Zeit, in der die Bezeichnung Schlampe noch zum normalen Vokabular gehörte. Schlampen – so hat man früher Frauen bezeichnet, denen bestimmte, für Frauen unverzichtbare Eigenschaften fehlten. Ordentlich, sittsam, bescheiden, anständig, gehorsam, strebsam – so und nicht anders hatten Frauen zu sein. Dies wäre bestimmt auch heute noch die Rollenvorschrift, wenn nicht irgendwann die Idee der Gleichheit und Selbstbestimmung erwacht wäre. Irgendwann wurde das enge Korsett der Selbstverleugnung von den Frauen gesprengt und der Raum für Selbstentfaltung eingefordert. Das wurde nicht in den Schoß gelegt, sondern war mit vielen Kämpfen und auch mit vielen Rückschlägen verbunden. Aber es hat sich gelohnt.

Ein Schimpfwort ist immer auch ein soziologisches Merkmal. Es sagt etwas darüber aus, welche Rollenerwartungen in einer Gesellschaft vorherrschen und welche Machtverhältnisse. Und ein Schimpfwort sagt sehr viel über das Weltbild desjenigen aus, der es benutzt. Ein Weltbild, das in ein striktes Unten und Oben eingeteilt wird und dabei das Unten den anderen zuweist.

Schlampe – damit ist nicht jede Frau gemeint, sondern nur diejenige, die sich das Recht herausnimmt, frei und selbstbestimmt zu leben und die sich keinem männlichen Rollendiktat beugen will. Bezeichnend ist, dass es kein männliches Pendant zu diesem Ausdruck gibt. Ein Mann, der nicht ordentlich, sittsam, bescheiden, anständig, gehorsam und strebsam ist, kann in der Gesellschaft durchaus anerkannt sein (wobei er dazu allerdings meist einer Frau bedarf, die über eben diese Attribute verfügt).

Die Analogie zum Rassismus ist eigentlich unübersehbar. Die Verachtung gegenüber Menschen anderer Hautfarbe drückt sich darin aus, dass man diesen Menschen nicht die gleichen Rechte zugesteht und nur dann duldet, wenn sie die weiße Vorherrschaft anerkennen. Solange Schwarze ohne zu Murren unterbezahlte schwere Arbeiten verrichten oder Weißen als Bedienstete zur Verfügung stehen, haben sie auch ein Existenzrecht. Erst wenn daran gerüttelt wird und gleiche Rechte eingefordert werden, werden sie zur Bedrohung, die bekämpft werden muss.

Aber genau die Analogie zum Rassismus macht eines deutlich: wer einen Schwarzen als Nigger bezeichnet, beleidigt damit ausnahmslos alle Schwarzen. Und jemand, der eine Frau als Schlampe bezeichnet, meint damit ausnahmslos alle Frauen. Alles andere ist Augenwischerei.

Und das scheint bei denjenigen Männern, die Frauen als Schlampen bezeichnen, nicht viel anders zu sein. Die Frau, die sich unterordnet und eigene Bedürfnisse verleugnet, ist keine Bedrohung. Die Bedrohung geht von den anderen Frauen aus. Von all den Frauen, die selbstbestimmt leben wollen und die sich ihre Bedürfnisse nicht vorschreiben lassen. Für die Freiheit unverzichtbar ist und über die man nicht bestimmen kann. Die widersprechen und eigene Entscheidungen fällen.

Was mag passiert sein, dass der mühsam erkämpfte Respekt wieder verschwunden ist? Dass man Frauen wieder unterteilt in jene, die Respekt verdienen und jene, die man beleidigen darf?