Montag, 18. Oktober 2010
Eine Lesepause von 19 Jahren
Vor Kurzem habe ich in nur zwei Tagen das Buch „Muscheln in meiner Hand“von Anne Morrow Lindbergh gelesen. Eigentlich nicht das ganze Buch, sondern nur die zweite Hälfte. Die erste Hälfte habe ich vor 19 (!) Jahren gelesen und das Lesezeichen steckte immer noch im Buch.

Und ich frage mich natürlich, wieso ich das Buch vor 19 Jahren nicht interessant genug zum Weiterlesen fand, aber jetzt das Buch gar nicht aus der Hand legen konnte und auch den ersten Teil gleich nochmals las.

Die Antwort liegt auf der Hand - nicht alles passt zu jeder Zeit. Der Abschnitt, an dem ich zu lesen aufgehört hatte, handelte bezeichnenderweise von einer Reflexion über den Lebensabschnitt, der ab 50 folgt. Das war mir anscheinend im Alter von 32 Jahren nicht spannend genug. Jetzt schon. Aber das Hauptthema des Buches ist nicht das Alter, sondern Beziehung. Und die wird von Anne Morrow Lindbergh in einer sehr poetischen Weise beschrieben, wofür sie sich für einige Tage bewusst von allen Menschen zurückzog, um auf einer kleinen Insel für sich allein zu sein.

Beziehungen und Lebensphasen werden von Anne Morrow Lindbergh mit den Formen verschiedener Muscheln verglichen. Wellhornschnecke, Mondmuschel, Austern und Argonauta werden zu Symbolen für die verschiedenen Phasen des Daseins. Es geht um Alleinsein, um Zweisamkeit, um die Fürsorge für andere, um Freiheit, um den Prozess des Loslassens und des Alterns.

Wir verlangen Beständigkeit, Haltbarkeit und Fortdauer; und die einzig mögliche Fortdauer des Lebens wie der Liebe liegt im Wachstum, im täglichen Auf und Ab – in der Freiheit; einer Freiheit im Sinne von Tänzern, die sich kaum berühren und doch Partner in der gleichen Bewegung sind.

Und Anne Morrow Lindbergh liebt genau wie ich Rilke, der wie kein anderer versteht, Gefühle in Bilder zu kleiden. Bilder, die nicht immer leicht zu verstehen sind, aber die die menschliche Tiefe zum Ausdruck bringen. Und das ist es wohl, was mich an dem Buch so gefesselt hat – die Tiefgründigkeit und der Respekt, mit dem von menschlichen Gefühlen gesprochen wird. In einer Zeit, in der das Banale und das Grobe Hochkonjunktur hat und es schon fast verpönt ist, sich respektvoll und behutsam mit etwas zu beschäftigen, kommt mir diese kleine Buch wie ein Juwel vor. Vielleicht war ich vor 19 Jahren noch nicht so übersättigt vom Banalen und Groben, wie es mittlerweile der Fall ist. Und vielleicht habe ich das Buch damals noch nicht so gebraucht wie jetzt, weil in meinen damaligen Lebenszusammenhängen eine differenzierte und anspruchsvolle Auseinandersetzung mit der Thematik noch selbstverständlich war. Wie dem auch sei – anscheinend war die 19jährige Lesepause gut so.

Zum Abschluss nochmals Rilke, wie er im Buch zitiert wird:

Ein Miteinander zweier Menschen ist eine Unmöglichkeit und, wo es doch vorhanden scheint, eine Beschränkung, eine geistige Übereinkunft, welchen einen Teil oder beide Teile ihrer vollsten Freiheit und Entwicklung beraubt. Aber das Bewusstsein vorausgesetzt, dass auch zwischen den nächsten Menschen unendliche Fernen bestehen bleiben, kann ihnen ein wundervolles Nebeneinanderwohnen erwachsen, wenn es ihnen gelingt, die Weite zwischen sich zu lieben, die ihnen die Möglichkeit gibt, einander immer in ganzer Gestalt und vor einem großen Himmel zu sehen!



Samstag, 16. Oktober 2010
Sehnsucht
Alles beginnt mit der Sehnsucht, immer ist im Herzen Raum für mehr, für Schöneres, für Größeres.
Nelly Sachs (1891 – 1970)

Dieses Zitat stellt das Thema eines Seminars ignatianischer Exerzitien dar, in dem es darum geht, dem je eigenen Lebensweg nachzuspüren.

Und ich denke ein wenig über den Begriff Sehnsucht nach:

Leidet man eigentlich an Sehnsucht? Oder bezieht man aus der Sehnsucht Stärke?

Was passiert eigentlich mit nicht erfüllter Sehnsucht? Und was mit erfüllter?

Was folgt auf eine erfüllte Sehnsucht? Glück oder Gewöhnung?

Bedeutet erfüllte Sehnsucht Stillstand?

Ist die Sehnsucht immer etwas Ursprüngliches oder kann Sehnsucht auch nur ein fader Ersatz für etwas anderes sein?

Beginnt mit der Sehnsucht tatsächlich immer etwas Schöneres und Größeres? Kann Sehnsucht nicht auch etwas Hässlicheres und etwas Kleineres hervorbringen?

Haben individuelle und kollektive Sehnsucht die gleichen Wurzeln?



Donnerstag, 7. Oktober 2010
Reise-Resümee
Seit fast zwei Wochen wieder zuhause, ziehe ich jetzt mein Reise-Resümee. Ein Erholungsurlaub war es diesmal nicht, zu schwierig war die Stehgreiforganisation, die wir nach Verweigerung des burmesischen Visums vornehmen mussten und zu anstrengend waren die damit verbundenen Aufenthalte in der Millionenstadt Kuala Lumpur. Dennoch – natürlich ist es angenehmer, die mit einer Reise verbundenen Anstrengungen zu erleben, als die Anstrengungen der Arbeitssituation.
Schmetterling
Wie immer habe ich den Dschungel genossen – die Unberührtheit der Natur, die fremdartigen Geräusche und die in Freiheit lebenden Tiere. Ein Spaziergang bei Vollmond auf Dschungelwegen lässt wieder spüren, dass Natur heilsame Kräfte birgt. Genauso das Schnorcheln im tiefblauen chinesischen Meer, bei dem man im wahrsten Sinne des Wortes eintaucht in eine andere Zeit.
Sonnenuntergang2
Und ich habe jetzt ganz hautnah erfahren, was ein sogenannter Tigerstaat ist – nichts, was sich grundlegend von einem westlichen Industriestaat unterscheidet! Wolkenkratzer, High Tech Produkte an jeder Straßenecke, Handy und Laptop als selbstverständliches Accessoire und jede Menge Verkehrsstaus. Asien ist angekommen in der Moderne. Aber dennoch möchte ich erwähnen, dass ich in der Millionenstadt Kuala Lumpur erhebliche weniger Bettler gesehen habe, als in meiner Heimatstadt Hamburg.
Drachenfrucht
Der Kontakt zu anderen Reisenden – immer wieder ein hochinteressanter Austausch. Ein Australier, der schon vor zwanzig Jahren auf Perhentian war und vor rund dreißig Jahren in China und uns dies interessant beschreibt. Zwei Deutsche, die nahezu schon überall waren und von denen einer uns von seiner fünfzehn Jahre zurückliegenden Burmareise erzählt, so dass wir erfahren, was wir alles versäumt haben. Ein Austausch über die Eindrücke der seltsamen und manchmal befremdlichen Bestattungsrituale im Torajahochland auf Sulawesi. Außerdem ein junges holländisches Pärchen, dass sich auf Bali nach einem Tauchcrashkurs weder von 25 Meter Tiefe noch von Haien abschrecken ließ. Dank Digitalkamera und hatten wir Einblick in die abenteuerlichen Unterwasseraufnahmen.
Sonnenuntergang
Sicher, man kann sich mittlerweile auch die entferntesten Plätze im Fernsehen oder im Internet ansehen. Aber der direkte Austausch mit anderen haucht dem erst Leben ein. Und es bringt soviel Spaß, Eindrücke und Erlebnisse auszutauschen.
Schiff
Und ich habe den riesigen Luxus eines quasi Privatflugs genossen. Ein Erkundungsflug über Borneo fast zum Nulltarif. Irgenwie war ich beim Einstieg in das Flugzeug genauso aufgeregt, wie vor vielen Jahren, als ich als kleines Kind das erste allererste Mal Karussel fahren durfte. Auf dem kleinen Film, den mein Freund machte, sehe ich irgenwie auch aus wie ein glückliches Kind.

Nicht zu vergessen auch die Reiselektüre - Sabriye Tenberken: "Mein Weg führt nach Tibet" - bei der man nur noch darüber staunen kann, was Mut alles zustande bringen kann. In Ermangelung von weiterer Lektüre habe ich meinen Burma-Reiseführer mehrmals gelesen. Und dabei erfahren, dass auch strenggläubige Buddhisten nicht immer friedlich sind und auch sie anderen Menschen Leid zufügen. Prinz Thibaw, der Nachfolger von König Mindon, hat bei dessen Tod im Jahr 1866 alle anderen Kinder seines Vaters - 80 Prinzen und Prinzessinen - hinrichten lassen. Prinz Thibaw hat vor seiner Krönung lange Jahre als Mönch gelebt!
Blumen
Ein Tapetenwechsel tut immer gut, selbst wenn er anstrengend ist. Und so ein Ausflug in andere Welten ist unerlässlich, um nicht den Sinn für die Vielfalt des Lebens zu verlieren. Es ist eine Wohltat, zu erleben, dass es so viel mehr gibt, als nur die graue Bürowelt mit ihrer lächerlichen Hierarchie und Aufgeblasenheit. Eine Erinnerung daran, dass es auch noch Menschen gibt, die noch andere Theman als Geld & Prestige kennen.

Mein Reise-Resümee besteht darin, mich wieder daran zu erinnern, dass die Welt bunt ist. Und nicht nur grau. Eine bunte Welt der Vielfalt mit spannenden Orten und interessanten Menschen.
Opfergaben

Und hier nochmal die vollständige Reiseroute:

Ankunft in Kuala Lumpur. Nach zwei Tagen (Hotel Sempurna) weiter mit dem Bus nach Kuala Terengganu (Ping Anchorage). Am nächsten Tag von dort weiter nach Kota Bharu und von dort mit dem Boot nach Perhentian. Nach vier Tagen wieder zurück und eine Nacht in Kota Bharu und dann wieder mit dem Bus nach Kuala Lumpur, dort eine Nacht. Am nächsten Tag mit dem Flugzeug nach Kota Kinabalu auf Borneo, dort eine Übernachtung. Vor dort nach Sandakan und danach direkt zum Jungel-Resort. Nach sieben Tagen zurück und drei Nächte in Kuala Lumpur im FirstInn.