Freitag, 7. Mai 2010
Die Joschkas & Co
Joschka Fischer, der früher auf Anti-Atomkraft-Demos als Ausdruck seiner Überzeugung auf Polizisten einschlug, hat heute keine Probleme damit, als Berater zu arbeiten für Siemens und RWE – beides Unternehmen, die AKWs bauen. Ein lapidares „Ich schäme mich nicht“ ist seine Stellungnahme – eine der wenigen Aussagen, die ich ihm abnehme. Ich allerdings schäme mich für Menschen wie Joschka Fischer. Weil die die Ansicht unserer Eltern bestätigen, in deren Augen die Protestbewegung nichts anderes als eine jugendliche Marotte war, die irgendwann der Vernunft weicht.

Jutta Ditfurth (zur Erinnerung: früher bei den Fundi-Grünen) hat einmal treffend gesagt, dass sie Leuten wie Joschka Fischer ihre Überzeugung schon damals nicht abgenommen hat. Ich übrigens auch nicht, obwohl ich zur Anti-AKW-Zeit noch ziemlich jung war und noch nicht allzu viel Ahnung vom Geschehen hatte. Wenn ich damals auf Demos ging und dabei die – meist männlichen – Demonstranten beim Steinewerfen sah, war mir klar, dass es denen um etwas anderes als um das jeweilige Demo-Motto ging. Und wenn ich die Reden der – meist aus sehr wohlhabenden Familien stammenden – linken Theoretiker über ihre Solidarität mit der Arbeiterklasse hörte, war mir ebenfalls klar, dass es denen um etwas ganz anderes ging – nämlich einfach nur um die Rebellion gegen die Welt ihrer Väter. Sobald nämlich die Ausbildung abgeschlossen war, wurde in Papas Fußstapfen getreten – der Apfel fällt eben nicht weit vom Stamm. Selbst der unerträgliche Dieter Bohlen hat in Jugendzeiten einmal eine rote Fahne auf Papas Einfamilienhaus gehisst, bevor er dann endlich vernünftig und erwachsen wurde und anfing, Geld zu verdienen.

Zu Beginn seiner Parlamentszeit hat Joschka Fischer anlässlich der Menschenrechtsverletzungen in China noch von Boykott gesprochen und dabei die Aussage gemacht „Wenn dies Arbeitsplätze kostet, dann kostet es eben Arbeitsplätze“ – etwas, was bei mir tiefen Respekt hervorrief. Heute würde Joschka Fischer so ein Faux pas nicht mehr passieren.

Ich wurde an Joschka Fischer erinnert, als mir jemand, den ich seit über 35 Jahren nicht mehr gesehen habe, über Stayfriends eine mail schickte. Jemand, der mich damals, als er mich das erste Mal sah, sofort fragte, ob ich denn in einer Partei sei. Meiner erstaunten Antwort, dass man mit 13 Jahren doch noch gar nicht in einer Partei sein könne, antwortete er nur vorwurfsvoll „SDAJ“, was mir sofort ein schlechtes Gewissen bereitete, weil ich mir entsetzlich unpolitisch und dämlich vorkam. Ich war jetzt ein bisschen erstaunt, als er mir mailte, dass er jetzt in New York bei einem Managermagazin arbeiten würde. Meine Frage, ob er denn noch irgendwas mit der SDAJ zu tun habe, beantwortete er erst nach nochmaligem Nachfragen mit Nein, was mir ja auch klar war - "Aber er wäre noch ganz der Alte“.

Managermagazine handeln von Geldanlagen, Führungsseminaren, Luxusartikeln und pseudowissenschaftlichen Statements. Und sind geschrieben für genau diejenigen, die unsere Welt in den erbärmlichen Zustand gebracht haben, in dem sie sich jetzt und für alle Zukunft befindet. Kann man wirklich noch "Ganz der Alte" sein, wenn man jetzt solche Magazine mitgestaltet und früher in der SDAJ mitgearbeitet hat?

Aber vielleicht steckt eine tiefere Wahrheit in dem „Ich bin immer noch der Alte“. Denn schon damals ging es in Wahrheit gar nicht um ehrliche Überzeugungen. Im Grunde genommen sind die Joschkas & Co konsequenter als irgend jemand anderes – konsequent darin, ihr Fähnchen immer instinktiv nach dem günstigsten Wind zu hängen. Einmal ein falscher Fuffziger – immer ein falscher Fuffziger!



Sonntag, 2. Mai 2010
Lichtblicke
Vor einiger Zeit habe ich auf einem anderen Blog einen Beitrag gelesen, in dem Frage gestellt wurde, wann man sich denn eigentlich das letzte Mal so richtig gefreut hat.

Das ist bei mir schon Urzeiten her. Aber Freitag passierte allerdings etwas, was mir das gute alte Gefühl des Freuens wird ins Gedächtnis rief. Ich war abends auf dem Weg von meinem Büro zum Bus, als ich einen Menschenauflauf sah. Als ich näher kam, sah ich, wie zwei Männer sich lauthals stritten und kurz vor einer Prügelei standen. Dies ist eine Situation, vor der ich mich immer sehr fürchte, denn ich frage mich immer, ob ich den Mut hätte, einzugreifen. Bei den Männern handelte es sich um einen jüngeren und einen älteren, beide waren anscheinend sehr alkoholisiert und eine – ebenfalls alkoholisierte – Frau versuchte, die beiden auseinander zu halten. Als der jüngere den älteren ohrfeigte, überwandt ich mein Angst und griff ein. Und wider Erwarten hatte dies tatsächlich Erfolg, denn der Schläger zog von dannen.

Worüber ich mich freue? Darüber, dass ich mich nicht von meiner Angst habe einschüchtern lassen. Ich hätte sicher nicht eingegriffen, wenn zwei Zuhälter mit Messern aufeinander losgegangen wären. Aber dennoch bin ich froh mich getraut zu haben, denn wenn ich nichts gemacht hätte, wäre mir mit Sicherheit das halbe Wochenende verdorben gewesen.

Und während ich dann mit dem lange vermissten Gefühl des Freuens nach Hause fuhr, fielen mir dann auch noch mehr Dinge ein, über die ich mich gefreut hatte. Emails, in denen es intensiven Austausch gab oder Zustimmung zu den Dingen, für die ich eintrete. Unterstützung, die mir von anderen gegeben wird und die man so dringend braucht, damit man den Mut nicht verliert, sich nicht allem und jedem zu beugen.

Also, wenn ich resümiere, dann kommen dabei so manche Lichtblicke heraus. Lichtblicke sind – wie der Name schon aussagt – nur Blicke und noch nicht das Licht selbst. Aber mehrere dieser Lichtblicke können einen dunklen Tunnel erhellen.



Dienstag, 27. April 2010
Benjamin Stein: Die Leinwand – ein Roman des Zweifelns
Normalerweise lese ich Bücher sehr langsam und lege sie oftmals angelesen für Monate beiseite um sie dann später wieder weiter zu lesen, denn ich habe schon seit längerem eine Art Lesehemmung. Aber am Wochenende war es anders. „Die Leinwand“ von Benjamin Stein habe ich an knapp zwei Tagen durchgelesen.

Ein sehr ungewöhnliches Buch. Es gibt zwei verschiedene Erzählungen, die man von beiden Seiten zu lesen beginnen kann. In der Mitte treffen sich die beiden Erzählungen. Das Buch lässt den Leser eintauchen in die jüdische Welt und man erfährt viel über jüdische Bräuche und jüdische Mystik. Es gibt zwei jüdische Protagonisten, deren Lebenswege sich irgendwann kreuzen. Beide lieben Bücher und beide sind in ihrer Jugend durch Reglementierungen daran gehindert worden, sich ihren Lesestoff frei zu wählen.

Am Ende sind dem Leser einige Dinge klar, aber viele Fragen bleiben offen. Es geht in dem Buch in erster Linie um die Unzuverlässigkeit und die Subjektivität unserer Erinnerungen. Während die erste Hauptfigur, der Arzt Amnon Zichroni, die außergewöhnliche Gabe besitzt, die Erinnerungen anderer Menschen mitzuerleben, leidet Jan Wechsler, die andere Hauptfigur, offenbar an einem erheblichen Verlust seiner Erinnerungen und weiß nicht mehr so recht, wer er eigentlich ist. Anscheinend verschmelzen irgendwann die Erinnerungen beider Hauptpersonen zu einer einzigen Identität. Und es gibt eine dritte Hauptperson, die die eigenen Erinnerungen so umgewandelt hat, dass sie für die Außenwelt ein Lüge darstellen, durch die seine Existenz schließlich zerstört wird.

Wie ich erst nach dem Lesen des Buches herausgefunden habe, steckt hinter der dritten Hauptperson die reale Person des Binjamin Wilkomirski, der detailliert seine Kindheit in verschiedenen KZs beschrieben hat, in denen er nachweislich jedoch niemals war. Anscheinend wurde bis jetzt nie geklärt, ob Wilkomirski absichtlich gelogen hat, oder aber ob er tatsächlich überzeugt ist, die von ihm beschriebenen Ereignisse so und nicht anders erlebt zu haben. Verwirrend an der Erzählung ist, dass die Biographie des Schriftstellers Jan Wechsler Ähnlichkeiten mit der des Autors hat – deren Realität aber wiederum in der Erzählung letztendlich in Frage gestellt wird.

Gleich am Anfang des Buches hat mich eine Aussage sehr beeindruckt: „Unsere Erinnerungen sind es, die uns zu dem machen, was wir sind. Unser Gedächtnis ist der wahre Sitz unseres Ich. Erinnerung aber ist unbeständig, stets bereit, sich zu wandeln. Mit jedem Erinnern formen wir um, filtern, trennen und verbinden, fügen hinzu, sparen aus und ersetzen so im Laufe der Zeit das Ursprüngliche nach und nach durch die Erinnerung an die Erinnerung. Wer wollte da noch sagen, was wirklich geschehen ist? “.

Dies hinterläßt mehr Zweifel als Klarheiten. Dass die Wirklichkeit möglicherweise ganz anders ist, als das, was wir als Wirklichkeit wahrzunehmen scheinen, taucht sowohl im Buddhismus als auch in der abendländischen Philosophie auf und ist somit keine Neuheit. Aber das Ungewöhnliche an diesem Buch ist, dass man hier in diese Vorstellung hautnah hineingezogen wird. Man beginnt zu zweifeln und grübeln und versucht, sich eine plausible Lösung zu schaffen. Es steckt ganz tief in unserem menschlichen Wesen, wissen zu wollen, was wahr ist und was nicht. Und wenn es so ist, wie es dieses Buch schildert, dann ist Wahrheit immer etwas zeitlich Begrenztes und wird durch unsere Erinnerung gewandelt. Und da wir alle unsere eigenen Erinnerungen haben, wird diese Wahrheit niemals den Anspruch des Absoluten erfüllen können.

Ganz schon verwirrend. Habe gleich demjenigen, der mir das Buch geschenkt hat, gemailt und etliche Fragen gestellt.