Donnerstag, 28. Januar 2010
Einbauküche oder Kerosinkocher?
Und wieder ein neues Buch: "Mein Leben in Bhutan" von Jamie Zeppa. Die kanadische Autorin hat vor vielen Jahren einen Stelle als Englischlehrerin in Bhutan angenommen. Seit einigen Jahren lebt sie wieder in Kanada und hat jetzt über ihre Jahre in Bhutan ein Buch geschrieben.

Ich habe eine enorme Bewunderung für Frauen, die sich in solche Abenteuer wagen. Und empfinde es ungemein fesselnd, über die Bewältigung eines Alltags zu lesen, der sich in absolut allem von dem unseren unterscheidet. In einem Zimmer ohne fließend Wasser, ohne Strom, ohne Kühlschrank und Herd leben. Seine Mahlzeiten auf einem Kerosinkocher zubereiten, der jederzeit zu explodieren droht. Ein Zimmer, in dem nachts die Ratten auf dem Küchenboden spielen und auch ansonsten allerhand Getier beherbergt. Zu lesen, daß all dies letztendlich keine besondere Einschränkung bedeutet. Von einer Natur zu lesen, die so atemberaubend ist, daß alles andere völlig belanglos wird.

Anfänglich ist die Autorin sehr verzweifelt und hat Angst, alles durchzustehen. Doch dann verliebt sie sich in diese einzigartige Land. Später auch in einen seiner Bewohner, mit dem sie ein Kind hat.

Es gibt noch mehr so ungewöhnliche Frauen wie Jamie Zeppa. Die Irin Dervla Murphy fuhr beispielsweise schon in den 60ern von Irland mit dem Fahrrad (Mountanbikes gab es da noch nicht!) nach Indien. Die Französin Alexandra David-Néel bereiste - zeitweilig als Mann verkleidet - in den 30er Jahren Tibet, Nepal und Indien. Mutige Frauen, die die Weite der kleinbürgerlichen Enge vorzogen. Und denen wir wunderschöne Reiseberichte verdanken.

Nicht jedem gefallen diese Reisegeschichten. Bürokolleginnen schütteln ihre Köpfe mit dem stereotypen Kommentar: "Zuhause habe ich es doch viel besser". Andere wiederum reden von völlig überflüssiger und unsinniger Selbstkasteiung.

Aber mich fasziniert nichts mehr als Menschen, die den Mut haben, solche Träume wahr zu machen. Ich selbst träume nur davon, denn ich traue mir die damit verbundenen körperlichen Strapazen nicht zu. Mit dem Fehlen von Luxus könnte ich es wahrscheinlich aufnehmen aber nicht mit den Anforderungen tagelanger Fußmärsche bei glühender Hitze oder klirrender Kälte und dem Fehlen jeglicher medizinischer Versorgung.

Ja, ich bewundere sie - diese Frauen, die einen kleinen Kerosinkocher einer Einbauküche, einem Induktionskochfeld und einem Umluftbackofen vorziehen. Soche Frauen zu treffen wäre schon Grund genug, Bhutan zu bereisen...



Samstag, 23. Januar 2010
Hoppla - Geistig obdachlos!
Heute Nacht habe ich ein wenig über die Weimarer Republik gelesen. Unter dem Kapitel „Deuter und Denker“ wurden Wissenschaftler und Philosophen aus der Weimarer Zeit vorgestellt. Unter anderem auch Siegfried Kracauer (1889-1966), ein soziologisch geschulter Journalist, der einer der ersten war, der sich dem Film als Phänomen der neuen Massenkultur widmete. Und dabei stieß ich zu schon sehr später Stunde auf ein Zitat, das mich wieder hellwach machte:“ Die Masse der Angestellten unterscheidet sich vom Arbeiter-Proletariat darin, daß sie geistig obdachlos ist“.

Da gab es also schon vor langer Zeit jemanden, der nicht, wie allgemein üblich, den Arbeitern einen geistigen Mangel - denn Obdachlosigkeit ist ein Mangel - diagnostiziert, sondern den Angestellten. Das stellt die herkömmliche Ansicht auf den Kopf. Trifft aber mitten ins Schwarze. Auch wenn man heute den verstaubten Begriff des Arbeiter-Proletariats zu Seite legen muss, gibt es immer noch Differenzierungen in der Arbeitswelt, die vielleicht nicht so sehr aus einer wirklich soziologischen Sicht resultieren als vielmehr aus der Sicht der Menschen über sich selbst. Die Menschen, die nicht körperlich arbeiten, definieren sich nach wie vor als diejenigen, deren Arbeit anspruchsvoller ist als die körperliche Arbeit. Und schon seit ewigen Zeiten beizeichnen diese Menschen ihre Arbeit als „Geistige Arbeit“.

Im Mittelalter, als Lesen und Schreiben eine Fähigkeit weniger Auserwählter und fast immer mit einer umfangreichen Bildung verknüpft war, mag der Begriff „Geistig“ zugetroffen haben. Aber heutzutage ist dies nicht nur falsch sondern auch völlig lächerlich. Ein Standesdünkel einer Klasse ohne Stand.

Nach Kracauer geht es dem Angestellten nie um Inhalte, sondern nur um Glanz (im Sinne von Wirkung nach außen), er möchte in erster Linie auf unkomplizierte Art genießen und sich nicht mit Problemen auseinandersetzen. Von dem Genuß der Umwelt möchte er sich nicht durch ernste Gespräche ablenken lassen:

Das Höhere ist dem/der Angestellten nicht Gehalt, sondern Glanz. Es ergibt sich ihm nicht durch Sammlung, sondern in der Zerstreuung".

Geistig obdachlos – darüber könnte man lange nachdenken, denn Kracauer sagt ja nicht Geistig beschränkt. Es dreht sich also nicht um ein eingeschränktes Wissen sondern um ein Wissen, das in irgendeiner Weise unbeheimatet ist. Ein beliebiges überall anwendbares und austauschbares Wissen. Ohne Bezug auf irgendetwas oder irgendwen und ohne jeden Hintergrund. Lesen, Schreiben, Rechnen. Vielleicht für ein Möbelgeschäft, ein Ingenieurbüro, ein Krankenhaussekretariat – vielleicht auch für eine rechte Partei oder aber eine linke. Auswechselbar und überall einsetzbar - eben ohne Obdach.

Und ob ich will oder nicht - mir kommt die Darstellung Etty Hillesums ins Gedächtnis, die über ihre Arbeit in einem Büro klagt und ihre Kollegen dabei nicht gerade liebevoll beschreibt als: " sie sind in bezug auf ihre eigene Person optimistisch verblendet, sie intrigieren und verteidigen ehrgeizig ihre Pöstchen, das Ganze ein riesiger Saustall". Das deckt sich mit Kracauers Begriff der geistigen Obdachlosigkeit, denn es fehlt in der Tat das "gemeinsame Dach", das über das formale Arbeiten Hinausgehende.



Mittwoch, 20. Januar 2010
Ausdruck der Seele
Ich kann mir keinen Zustand denken, der mir unerträglicher und schauerlicher wäre, als bei lebendiger und schmerzerfüllter Seele der Fähigkeit beraubt zu sein, ihr Ausdruck zu verleihen.

Michel de Montaigne (1533-1592)

Es bleibt vieldeutig, was Montaigne mit «Ausdruck der Seele» meinen könnte. Vielleicht meint er die Verletztheit, die eine Seele empfinden kann, vielleicht auch die Wut oder die Angst. Vielleicht auch die Liebe zu jemandem oder die Abneigung gegen jemanden. Aber zu einer lebendigen Seele gehört für Montaigne die Fähigkeit, Gefühle nicht nur zu haben, sondern diese auch auszudrücken.

Und obwohl Montaigne vor über 400 Jahren gelebt hat, deckt sich seine Erkenntnis mit der heutiger Psychologie. Es macht krank, sich verstellen zu müssen. Wenngleich genau dies meist von der Gesellschaft gefordert wird. Und zwar zu allen Zeiten und in allen Kulturen. Obrigkeiten akzeptieren, gesellschaftliche Rollen erfüllen, Verantwortung tragen – all dies ist mit dem Gebot verbunden, seine Gefühle unterdrücken zu müssen. Und wenn dies sich erst einmal verfestigt hat, geht auch die Fähigkeit des Ausdrucks verloren. Dann ist aus einer Entscheidung ein Zustand geworden.

Aber man kann gegen dieses Gebot auch rebellieren. Auch das ist zu jeder Zeit und überall geschehen. Rebellion gegen selbsternannte unfähige Autoritäten. Gegen absurde Rollenvorschriften. Gegen zuviel Verantwortung. Gegen Ungerechtigkeit. Und es ist diese Rebellion, die die Seele braucht. Durch die sie ihre Lebendigkeit bewahrt. Und durch die sie ihr Menschsein lebt. Denn genau dies ist der Gegensatz zur leblosen Maschine, die sich einfach nur steuern und bedienen läßt ohne sich selbst Ausdruck zu schaffen.

Das klare und laute Nein gegen all das, was eine Seele krank macht.