Einbauküche oder Kerosinkocher?
Und wieder ein neues Buch: "Mein Leben in Bhutan" von Jamie Zeppa. Die kanadische Autorin hat vor vielen Jahren einen Stelle als Englischlehrerin in Bhutan angenommen. Seit einigen Jahren lebt sie wieder in Kanada und hat jetzt über ihre Jahre in Bhutan ein Buch geschrieben.

Ich habe eine enorme Bewunderung für Frauen, die sich in solche Abenteuer wagen. Und empfinde es ungemein fesselnd, über die Bewältigung eines Alltags zu lesen, der sich in absolut allem von dem unseren unterscheidet. In einem Zimmer ohne fließend Wasser, ohne Strom, ohne Kühlschrank und Herd leben. Seine Mahlzeiten auf einem Kerosinkocher zubereiten, der jederzeit zu explodieren droht. Ein Zimmer, in dem nachts die Ratten auf dem Küchenboden spielen und auch ansonsten allerhand Getier beherbergt. Zu lesen, daß all dies letztendlich keine besondere Einschränkung bedeutet. Von einer Natur zu lesen, die so atemberaubend ist, daß alles andere völlig belanglos wird.

Anfänglich ist die Autorin sehr verzweifelt und hat Angst, alles durchzustehen. Doch dann verliebt sie sich in diese einzigartige Land. Später auch in einen seiner Bewohner, mit dem sie ein Kind hat.

Es gibt noch mehr so ungewöhnliche Frauen wie Jamie Zeppa. Die Irin Dervla Murphy fuhr beispielsweise schon in den 60ern von Irland mit dem Fahrrad (Mountanbikes gab es da noch nicht!) nach Indien. Die Französin Alexandra David-Néel bereiste - zeitweilig als Mann verkleidet - in den 30er Jahren Tibet, Nepal und Indien. Mutige Frauen, die die Weite der kleinbürgerlichen Enge vorzogen. Und denen wir wunderschöne Reiseberichte verdanken.

Nicht jedem gefallen diese Reisegeschichten. Bürokolleginnen schütteln ihre Köpfe mit dem stereotypen Kommentar: "Zuhause habe ich es doch viel besser". Andere wiederum reden von völlig überflüssiger und unsinniger Selbstkasteiung.

Aber mich fasziniert nichts mehr als Menschen, die den Mut haben, solche Träume wahr zu machen. Ich selbst träume nur davon, denn ich traue mir die damit verbundenen körperlichen Strapazen nicht zu. Mit dem Fehlen von Luxus könnte ich es wahrscheinlich aufnehmen aber nicht mit den Anforderungen tagelanger Fußmärsche bei glühender Hitze oder klirrender Kälte und dem Fehlen jeglicher medizinischer Versorgung.

Ja, ich bewundere sie - diese Frauen, die einen kleinen Kerosinkocher einer Einbauküche, einem Induktionskochfeld und einem Umluftbackofen vorziehen. Soche Frauen zu treffen wäre schon Grund genug, Bhutan zu bereisen...




Alles, was ich wirklich brauche
Ich hocke auf einer Arbeitsplatte in der Küche, und während ich darauf warte, daß das Wasser zu kochen beginnt, denke ich dann, mit welchem Widerwillen ich diesen Raum anfangs betreten habe. Beim Anblick der fleckigen Wände und der rissigen Betonspüle mußte ich sehnsüchtig an warme und gut beleuchtete Küchen mit Regalen voll hübscher Dinge denken. Porzellantassen mit passenden Untertassen, Keramikdosen, wattierte Topflappen und Grillhandschuhe im gleichen Design. Tischdecken, Platzdeckchen. Ein Brotkasten, eine Butterschale, Salz- und Pfefferstreuer. Firlefanz und Plunder, denke ich jetzt. Plunder und Firlefanz.

Ich habe einen Kerosinkocher (den ich nur zum Wasserkochen benutze), einen Plastikkanister und einen funkenageneuen Gaskocher mit Gasflasche. Ein paar Blechteller und Blechbecher mit und ohne Henkel. Drei Löffel. Einen Mehlstreuer, ein Teesieb. Ein scharfes Messer. Zwei Bambuskörbe, ein Sortiment leerer Dosen mit Plastikdeckeln. Eine Bratpfanne, einen Dampfkochtopf, zwei Kochtöpfe. Eine Bierflasche mit abgelöstem Etikett (mein Nudelholz), zwei Schulterpolster (meine Topflappen), eine Plastiktüte voll Plastiktüten und einen Wasserfilter. Alles in allem ist es noch immer die hässlichste, kälteste, dreckigste, düsterste, kahlste, primitivste Küche, die ich je gesehen habe, aber ich habe alles, was ich brauche.


Jamie Zeppa "Mein Leben in Bhutan"

Andere Welten
Zeilen, die mich tief berühren. Und ich bin unendlich dankbar, daß ich etwas ähnliches schon erleben durfte. In der Steppe der Mongolei. Im Tal des Himalayas. Im tiefgründen Dschungel Borneos. Vielleicht aber auch an einem heißen Tag in der Lüneburger Heide, ganz weit ab von allem.

Dieses Fleckchen Erde hat etwas, das einen mit tiefer Zufriedenheit erfüllt. Der alte, aber gut erhaltene Tempel ist von harmonisch gegliederten Reisfeldern umgeben und wird von einem ausladenden, duftenden Eukalyptusbaum beschattet. Das Mittagslicht überzieht alles mit einem Glanz, doch der Fluß ist das einzige, was sich bewegt. Nirgendwo ist ein Zeichen menschlicher Aktivität auszumachen, und es überkommt mich wieder dieses gewisse Gefühl – das Gefühl, für die Landschaft in der ich stehe, zu modern und zu oberflächlich zu sein.

Ich versuche, mir auszumalen, wer ich sein würde, wenn ich mein ganzes Leben lang hier bei diesem Tempel am Fluß gelebt hätte. Ich frage mich, was ich mir ersehnen würde, wenn ich ohne die Werbung aufgewachsen wäre, die mir erzählt, was ich mir wünsche: schlanker, reicher und attraktiver zu sein, besser auszusehen, schöner zu duften, alles zu sein, was nur irgend möglich ist, ein schnelleres Auto zu haben, ein strahlenderes Lächeln, seidigere Haare, ein weißeres Weiß, komm, beeil dich, versäume nichts, laß dir dieses Sonderangebot nicht durch die Lappen gehen. Wenn ich statt dessen vierundzwanzig Stunden lang das schweigende Gewicht der Berge in mich aufgenommen hätte, den steten Sog des Flusses, das Sirren heißen weißen Lichts, das sich in schwarze Felsen einbrennt.

Jamie Zeppa

Da drängt sich Henry David Thoreau auf: „Ich ging in die Wälder, denn ich wollte wohl überlegt leben. Intensiv leben wollte ich, das Mark des Lebens in mich aufsaugen, um alles auszurotten, was nicht lebend war. Damit ich nicht in der Todesstunde inne würde, dass ich gar nicht gelebt hatte.“

In der Natur kann man es noch spüren, das was Thoreau "Mark des Lebens" nennt. Man kommt dann nicht mehr umhin, sie wieder zu spüren: die pure Lebendigkeit.

Kein wirkliches Happyend
Gestern habe ich das Buch von Jamie Zeppa zuende gelesen und will noch mal kurz über den Schluß berichten. Die Autorin lebt seit einigen Jahren wieder in ihrer Heimat Kanada. Grund für die Rückkehr war die Tatsache, daß sich das Zusammenleben mit ihrem bhutanischen Mann durch die Geburt ihres gemeinsamen Sohnes erheblich kompliziert hatte (das kommt einem erschreckend bekannt vor...). Außerdem wurden irgendwann doch kulturelle Unterschiede sichtbar, die durch die anfängliche heftige Verliebtheit verdeckt worden waren. Durch die Gründung einer Familie war es Jamie Zeppa plötzlich wichtig, ein Haus zu haben, dann war ihr das Haus wiederum zu klein und als endlich ein größeres Haus bezogen wurde, lag es ihr zu weit abseits. Ich kam mir wie die Fischersfrau aus dem Märchen vor, die von ihrer Hütte in ein Schloß zieht und immer neue Wünsche hat, bis sie schließlich alles verliert...Aus Furcht vor diesen unbestimmbaren und scheinbar unaussprechlichen Unterschieden zwischen uns konzentrierte ich mich auf das Sichtbare und Konkrete: unsere äußere Umgebung.

Es kommt wohl selten vor, daß jemand diese Falle so gut erkennt. Normalerweise stolpern die Menschen hinein, ohne zu bemerken, daß es eine Falle ist. Die Rückkehr muß für die Autorin entsetzlich ernüchternd gewesen sein: Ich las die Beschreibung eines Astronauten über seinen Wiedereintritt in das Gravitationsfeld der Erde: Er nannte es die körperlich schmerzhafteste Erfahrung seines Lebens. Ich stellte mir vor, wie es sich anfühlte, in einem schadhaften, mit schlechten Leitungen versehenen Apparat zu stecken, der letztendlich dein eigener Körper ist. Bhutan zu verlassen und Kanada wiederzubetreten war ähnlich gewesen. Nach Erleiden schwerster seelischer Pein war ich in einem schadhaften Apparat gefangen, der mein eigenes Leben war.

Im Buch kommen auch die sozialen Probleme Bhutans nicht zu kurz. Die im Süden lebenden Nepalesen müssen sich gnadenlos anpassen und haben keine Möglichkeit der Meinungsäußerung. Die weise Erkenntnis einer Freundin lautete, daß man Bhutan vielleicht nur deswegen so liebe, weil man weiß, daß man es wieder verlassen muß. Das kommt einer tragischen Liebe gleich, die man niemals wirklich überwindet. Man wird dann immer zwischen zwei Stühlen sitzen. Immer hin- und hergerissen sein zwischen zwei Kulturen.

Dennoch gibt sich die Autorin dem Pessimismus nicht völlig hin. Sie betrachtet es als ihren Weg und die Rückkehr in ihre Heimat als etwas, was sie als Fortsetzung der Reise ansieht, denn es gibt bei allen Reisen keinen Weg zurück, sondern nur nach vorn. Auf jeden Fall genieße ich Bücher, in denen man an fremden Welten teilhaben kann. In denen es nicht um den ganzen völlig überflüssigen Mist geht, mit dem sich die meisten Menschen beschäftigen, sondern um das Kennenlernen von Menschen. Um das Eindringen in andere Lebensräume, Lebensträume und Wertvorstellungen. Solche Bücher machen die Welt weiter und bunter.