Das Papa-Mama-Konto – ein gern geleugnetes Privileg
Die Frage, ob man denn nun eigentlich gut oder schlecht verdient oder ob man denn nun genug oder nicht genug gespart hat, ist fast unmöglich zu klären. Da gibt es Faktoren wie die Ausbildung, in die man investiert hat und für die man ein höheres Gehalt beansprucht als jemand, der diese Investitionen nicht gemacht hat. Da gibt es Faktoren wie hohe Kredite, die abgezahlt werden müssen. Kinder, denen ebenfalls wieder eine Ausbildung bezahlt werden muß. Die Liste ist endlos lang und macht einen wirklichen Vergleich unmöglich.
Was aber bei all den Versuchen, seine finanzielle Situation in Relation zu anderen zu stellen, grundsätzlich und hartnäckig ignoriert wird, ist das Papa-Mama-Konto. Auf dieses Konto war ich schon als Kind immer ein bißchen neidisch. Menschen, die durch ihre Eltern einen zinslosen Dauerkredit haben oder eine regelmäßige Apanage beziehen, genießen beachtliche Privilegien. Das kann man als gerecht empfinden oder auch nicht – erstaunlich ist, daß dieses Privileg von den Nutznießern völlig ignoriert wird.
Viele Menschen müssen ihren Lebensweg allein aus eigner Kraft bestreiten. Das fängt an beim Zeitungsaustragen als Schüler, das erforderlich ist, weil das Papa-Mama-Konto nicht vorhanden ist. Während Kinder mit einem Papa-Mama-Konto bei Schulschwäche Nachhilfestunden erhalten, müssen sich Kinder ohne Papa-Mama-Konto oftmals durch das Erteilen von Nachhilfestunden Geld dazuverdienen. Die Schulferien werden durch das Papa-Mama-Konto angenehm zur Erholung und zum Kennenlernen fremder Länder genutzt, während Schüler ohne dieses Konto die Arbeitswelt im Supermarkt kennenlernen, wo sie als Zuverdienst Regale einräumen.
Es geht dann später weiter beim Studium, wo die Zeit fürs Lernen eingeschränkt wird durch jede Menge Nebenjobs. Ist das Studium dann beendet, fällt ohne das Papa-Mama-Konto schon nach kurzer Zeit die Abzahlung des BAFöGs an, die schon mal bis zur Lebensmitte dauern kann. Aber schon zuvor gibt es erhebliche Unterschiede im Lebensstil. Dort wo ein Papa-Mama-Konto vorhanden ist, gibt es einen Führerschein und passend dazu das erste Auto. Die anderen fahren erstmal Fahrrad.
Kommt es dann zur Familiengründung, kommen diejenigen mit dem Papa-Mama-Konto in den Genuß eines meist nicht unerheblichen Zuschusses zum Eigenheim, ohne den dasselbe oftmals gar nicht erst möglich wäre. Ohne das Papa-Mama-Konto muß erstmal in einer engen Zweieinhalbzimmerwohnung gewohnt werden. Kommen dann die Kinder, stehen Menschen mit einem Papa-Mama-Konto nicht allein vor den damit verbundenen Ausgaben, sondern regelmäßige, lukrative Geschenke zur Geburt, Einschulung, Weihnachten e.t.c. machen die Kindererziehung einfacher.
Irgendwann geht alles zu Ende und wenn dann die Eltern das Zeitliche segnen, geht das Papa-Mama-Konto über in die Hände der Kinder, oft noch ergänzt durch ein Häuschen. Bei denjenigen ohne Papa-Mama-Konto geht gar nichts über – im Gegenteil, es entstehen Kosten durch Beerdigung und Haushaltsauflösung. Auch schon zuvor haben Menschen, die kein Mama-Papa-Konto haben in doppelter Weise mehr Verpflichtungen als diejenigen, die eben eins haben, denn oftmals müssen erstere einspringen, wenn es bei den Eltern finanziell eng wird.
Das Papa-Mama-Konto ist das Startpaket, das das Leben angenehmer und problemloser macht. Das Papa-Mama-Konto macht das Leben weniger risikoreich, denn es steht bei allen Plänen beruhigend im Hintergrund. Das Papa-Mama-Konto ist eine verläßliche Rückversicherung gegen alles, was vielleicht schief gehen könnte. Ein Privileg, das schon früh Weichen stellt für den Lebensweg und sogar den der Kinder. Das hat das Papa-Mama-Konto mit Erbkrankheiten gemeinsam - es pflanzt sich auch in die Folgegenerationen fort.
Mit Privilegien ist das allerdings so eine Sache. Haben möchte sie jeder, wahrhaben allerdings fast niemand. Ich persönlich habe nicht das Privileg eines Mama-Papa-Kontos gehabt. Aber dennoch gibt es andere Privilegien, in deren Genuß ich trotzdem gekommen bin und auch immer noch komme. Ich hatte beispielsweise die Möglichkeit zum Besuch des Gymnasiums. Ich mußte zwar als Kind mit meiner Schwester ein Winzzimmer teilen, als Jugendliche hatte ich aber dann ein eigenes Zimmer für mich allein. Ich mußte Gott-sei-Dank niemals in einer Hochhaussiedlung wohnen, sondern durfte Natur genießen. Nachdem ich eine Zeitlang eine körperliche schwere, völlig unterbezahlte Arbeit ausgeübt habe, war ich in meinem Beruf tätig und habe gut verdient (was allerdings alle meine Kollegen abstritten). Auch jetzt empfinde ich mich – wieder im Gegensatz zu meinen Kollegen – nicht als Geringverdiener und bin mir durchaus bewußt, welche Annehmlichkeiten meine Arbeit bietet. Vergleiche ich mich mit meinen Freunden und Bekannten, von denen viele im gewerblichen Bereich arbeiten oder Hartz-IV-Empfänger sind, fühle ich mich privilegiert – und dies nicht wenig.
Ich kenne Menschen, die sozial privilegiert sind und denen dies durchaus bewußt ist. Menschen, die sich trotz einer finanziell abgesicherten Situation für die Lage der Hartz-IV-Empänger interessieren und engagieren. Denen trotz der Tatsache, nicht selbst betroffen zu sein, das Thema Armut nicht egal ist. Soziale Ungleichheit gab es immer und wird es auch immer geben. Das Gefährliche ist daran, diese Tatsache einfach auszublenden und die eigenen Privilegien nicht als solche einzustufen oder als für jeden gegeben anzusehen.
Das, was Privilegien für andere so unerträglich macht, ist nicht die Tatsache des Privilegs an sich – daran kann man sich im zunehmenden Alter gewöhnen. Das Unerträgliche ist die Tatsache, daß Privilegierte ihre Privilegien nicht nur hartnäckig leugnen, sondern – im Gegenteil – sich meist auch noch auf der Seite der Benachteiligten wähnen. Und dies ist oft bei den Nutznießern eines Papa-Mama-Kontos nicht selten der Fall. Das Papa-Mama-Konto schafft Möglichkeiten, von denen diejenigen, die es nicht besitzen, nur träumen können. Wer ein Papa-Mama-Konto hat, hat enormes Glück. Und das sollte er verdammt noch mal auch zugeben!
P.S.: das Papa-Mama-Konto ist manchmal auch ein Schwiergerpapa-Schwiegermama-Konto!
Liebe und Leidenschaft
Sie ist schön und mehr als schön; sie ist voll von Überraschungen. Schwarz wiegt in ihr vor: und alles, was sie einem offenbart, ist nächtlich und tief. Ihre Augen sind zwei Höhlen, in denen wie durch Nebel, das Geheimnis glitzert, und ihr Blick leuchtet auf wie der Blitz: ein Feuerausbruch in der Finsternis. Ich würde sie mit der schwarzen Sonne vergleichen, wenn man sich ein schwarzes, das Glück und das Licht ausgießendes Gestirn vorstellen könnte. Doch sie läßt eher an den Mond denken, der sie mit seinem bedrohlichem Einfluß gezeichnet haben muß; nicht der weiße Mond der Idyllen, de einer kalten Braut gleicht, sondern der böse und berauschende, in der Tiefe einer Gewitternacht schwebende, und von den eilenden Wolken gerüttelte Mond; nicht der friedliche, verschwiegene Mond, den den Schlaf der reinen Menschen besucht, sondern der dem Himmel entrissene, besiegte und aufrührerische Mond, den die thessalischen Hexen in harter Nötigung zwingen, auf dem erschreckten Grase zu tanzen. In Ihre schmalen Stirn wohnen hartnäckiger Wille und Raublust. Doch unten an diesem beunruhigenden Gesicht, wo bewegliche Nasenflügel das Unbekannte und Unmögliche einsaugen, leuchtet mit unaussprechlicher Anmut, das Lachen aus einem großen, roten und weißen und entzückenden Munde, der von dem Wunder einer prachtvollen Blume träumen läßt, aufgeblüht auf vulkanischer Erde.
Es gibt Frauen, die man besiegen und derer man sich in Liebe erfreuen möchte; aber bei ihr sehnt man sich danach, unter ihrem Blick langsam zu sterben.
Charles Beaudelaire (1821-1871)
Da ich seit einiger Zeit hier einen Beitrag mit dem Titel
Ehe und Moral und einen von mir ständig ergänzten Kommentar "Kleine Gemeinheiten über die Ehe" habe, ist es an der Zeit, auch mal dem Thema Liebe ein bißchen Aufmerksamkeit zu widmen.
Und genauso wenig wie Ehe etwas mit Liebe zu tun hat, so hat auch Leidenschaft nichts mit Liebe zu tun. Es mag Berührungspunkte geben, aber die Qualitäten beider Gefühle sind völlig andere. Und darüber möchte ich ein wenig schreiben.
Das Dumme an der Dummheit
Ich werde von einigen Freunden immer mal wieder darauf angesprochen, warum ich mich denn so oft über Dummheit aufrege und schnell fällt dann der Vorwurf der Arroganz. Erstes stimmt, letzteres nicht. Ich lebe nicht in dem Glauben, intelligenter als andere zu sein. Wenn ich versuche, mich mit philosophischen Texten zu befassen, brauche ich oftmals Stunden für nur ein- bis zwei Seiten und ich stoße schnell an meine geistigen Grenzen. Obwohl ich Rilke liebe, gibt es viele Gedichte von ihm, deren Sinn mir nicht aufgeht. Die Quantenphysik wird mir trotz großem Interesse immer ein Rätsel bleiben. Das, was mich – zugegebenermaßen – so oft zutiefst aufregt, ist nicht die Dummheit als Gegensatz der Intelligenz. Das wäre in der Tat arrogant. Das Charakteristische an der Dummheit ist nicht das Nicht-Wissen. Das Charakteristische an der Dummheit ist das Nicht-Wissen-Wollen. Gewissermaßen das Zelebrieren des Verharrens im Nicht-Denken. Dummheit ist die kategorische Ablehnung des Wortes Warum. Die strikte Verweigerung des Suchens nach Ursachen.
Dummheit ist keine Eigenschaft. Dummheit ist ein freiwillig erwählter Zustand. Eine Entscheidung für das Verblöden und gegen die Weiterentwicklung. Und Dummheit ist gefährlich. Sogar extrem gefährlich. Kommandos werden oft von intelligenten Menschen gegeben – befolgt werden sie aber meist von dummen. Die Atombombe ist von höchst intelligenten Menschen entwickelt worden. Gezündet wurde sie von weniger intelligenten Menschen.
Das eigentlich Dumme an der Dummheit ist jedoch ihre Dominanz. Wenn Dummheit und Intelligenz zusammentreffen, dann hat grundsätzlich die Dummheit die Oberhand. Denn die Intelligenz ist gezwungen, sich auf das Niveau der Dummheit zu begeben – der umgekehrte Weg ist naturgemäß nicht möglich. Dummheit setzt da einen Punkt, wo eigentlich noch Vieles folgen müßte. Wo ein Für-und-Wider und ein Nachdenken unentbehrlich wäre. Dummheit setzt Grenzen, an denen sich andere den Kopf einrennen. Und Dummheit kann zu einer gefährlichen Waffe werden, mit der man auf andere einschlägt.
Nein, liebe Freunde; Wut auf Dummheit ist kein Zeichen von Arroganz. Vielmehr ein Zeichen von Leiden. Dummheit kann nämlich wehtun – zumindest den anderen.
Nein!
Die Abweisung
Ich schreibe mit der Rabenfeder,
mein Herr.
Mein Herz, Ihr Herz
Ihre Ehre, meine Ehre
haben nichts gemein.
Ich schreibe mit der Rabenfeder.
Ich schreibe mit der Rabenschwärze
das Zeichen: Nein.
Ida Gerhardt (1905-1997)
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Selten hat jemand das Wort Nein so kraftvoll in Worte gefaßt. Rabenschwarze Lettern. Sollte man viel öfter schreiben. Manche Menschen verdienen ein rabenschwarzes Nein. In Riesenlettern. Unübersehbar, so daß es jeder sieht.
Bei manchen Menschen ist es schon lange überfällig - dieses große, rabenschwarze Nein. Aber gerade bei denjenigen, für die dieses Nein so dringend notwendig wäre, fehlt es den meisten an Mut. Allenfalls ein kleines, blasses, kaum sichtbares in Miniaturlettern hingekritzeltes Nein. Und das reicht bei weitem nicht!
behrens am 15. Oktober 09
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