Dienstag, 22. September 2009
Das Spiel ist aus
In dem Werk "Das Spiel ist aus" beschreibt Jean-Paul Sartre die Welt des Todes als parallel zur Welt der Lebenden existierend. Allerdings für alle Lebenden unsichtbar. Wer stirbt, tritt ein in eine Welt der Verstorbenen. Dies beschreibt Sartre auch sehr plastisch, indem er einige Personen der Geschichte aufzählt und beschreibt, wie z.B. auch einen in der Zeit der französischen Revolution Guillotinierten, der mit seinem Kopf unter dem Arm herumläuft.

Sartre war überzeugter Atheist und hat dieses Szenario nur als dramaturgisches Mittel eingesetzt um die Konfrontation mit dem Tod zu beschreiben, bzw. die Aufgabe des Menschen, seiner Existenz gemäß zu leben. Die Aufgabe, sein Leben nicht an falsche Ziele zu verschenken.

Dennoch lohnt es sich, sich in die Vorstellung zu vertiefen, alles Vergangene plötzlich wieder um sich zu haben. Die Menschen, die man geliebt hat genauso wie die Menschen, die man gehaßt hat. Man würde bei Spazierengehen ebenso seiner Urgroßmutter und Rilke begegnen können wie seinen geldgeiernden Verwandten oder Goebbels. Liebe Freunde wären da, denen man erzählen könnte, wie es der Welt seit deren Tod ergangen ist. Und miese Zeitgenossen, über deren Tod eigentlich niemand wirklich traurig war und die nun wieder Schaden anrichten können.

Das Reich der Toten wäre nicht nur ein enorm übervölkerter Ort, sondern auch ein ständig wachsender. Wie eine Trabantenstadt. Ein Ort, der auf merkwürdige Weise geschichtslos wäre. Die die Geschichte gestaltenden Personen wären zwar präsent, aber nicht mehr in ihrer Zeit. Hitler würde genauso den Millionen getöteter Juden wiederbegegnen wie auch den Siegermächten. Große Naturwissenschaftler würden erleben, wie sich ihre Theorien bewahrheitet haben - oder eben auch nicht. Und buddhistische Reinkarnierte würde tatsächlich ihrem früheren Ich begegnen können - oder aber die Erfahrung machen, daß es dieses doch nicht existiert.

Es wäre wohl kaum erträglich, in einer Sphäre der Zeitlosigkeit der Vergangenheit ausgesetzt zu sein. Sämtlichen Fehlern, die die Menschen als Gesamtheit und der Mensch als Individuum begangen haben, ins Auge schauen zu müssen.

Gut zu wissen, daß es so nicht sein wird.

Obwohl die Möglichkeit eines Gesprächs mit Diogenes und Hesse sehr verlockend wäre. Für ersteren würde ich sogar meine geringen Griechischkenntnisse vertiefen....



Montag, 7. September 2009
Die Pädagogikfachfrauen - eine unerfreuliche Begebenheit
Vor einigen Jahren hatten wir Besuch von französischen Freunden, einem Paar mit einer kleinen, damals 4jährigen Tochter. Da wir hier in der Nähe eine sehr schöne Sauna haben, schlug ich einen gemeinsamen Saunabesuch vor. Der gefiel uns allen vorzüglich und besonders die kleine Lea war aus dem Wasser nicht mehr rauszubekommen.

Als ich mit der quietschvergnügten Lea abends über den Schwimmbadflur tobte, kamen uns zwei Frauen entgegen, von denen eine mißbilligend Lea musterte und ihr vorwurfsvoll zurief: „Du gehörst schon lange ins Bett“. Ich habe dies natürlich Leas Mutter nicht übersetzt, da ihr das wahrscheinlich die Laune verdorben hätte. Da ich ziemlich perplex war, hatte ich auch nichts erwidert.

Die kleine Lea ist ein quicklebendiges Kind, das man sich kaum ausgeglichener und fröhlicher vorstellen kann. Sie ist für ihr Alter sehr weit entwickelt und kann sich blitzschnell auf Situationen einstellen. Und ich muß ehrlich sagen: hierin unterscheidet sie sich erheblich von deutschen Kindern. Die bestimmen nämlich voll und ganz den Lebensrhythmus der Eltern und die reagieren grundsätzlich bei der kleinsten Abweichung mit stundenlangem Gequengel und Geheule.

Zuhause kommt Lea selbstverständlich meist um die gleiche Zeit ins Bett. Wenn die Eltern allerdings Urlaub machen , kann sich das auch mal ändern und es werden Unternehmungen gemacht, die eben manchmal auch später als normal enden. Ist ihr dann die Zeit zu lang, schläft Lea auf der Stelle ein.

Was soll nun dieser dumpfbackene Spruch einer deutschen Frau, die ich vom Typ her, wenn ich ehrlich bin, nur als deutsche Bauerntrutsche bezeichnen kann? Die ohne den Hauch des Nachdenkens anderen Müttern tumbe Sprüche um die Ohren haut. Ein quietschvergnügtes Kind in der Sauna, nichts deutet darauf hin, daß irgendetwas nicht in Ordnung ist - und trotzdem, die deutsche Vorstellung von Pädagogik muß befolgt werden. Aber: nicht jedes Kind benötigt das deutsche pädagogische Einheitsschema. Ein starres Schema mit Regeln wie: grundsätzlich kein Einschlafen ohne endlos langes Geschichtenvorlesen. Grundsätzlich ellenlange ermüdende Diskussionen, wenn Situationen mal aus irgendwelchen Gründen nicht gefallen. Grundsätzlich alles verhindern, was den gewohnten Tagesablauf ein bißchen verändern (und bunter machen) könnte.

Das brauchen quengelige deutsche Kinder – aber Lea eben nicht. Es sollte zu denken geben, daß Lea viel ausgeglichener und vergnügter ist als die meisten deutschen Kinder. Aber mit dem Denken hapert es offensichtlich bei den deutschen Pädagogikfachfrauen. Bloß nichts in Frage stellen. Bloß nichts von anderen Kulturen lernen. Und bloß keine Denkanstöße zulassen. In diesem Zusammenhang fällt mir meine frühere Mitarbeiterin ein, die ein Gespräch über das heutige Zubettgehverhalten von Kindern brüsk unterbrach mit dem empörten Einwand, daß ich ja überhaupt nichts beurteilen könne, da ich keine Kinder hätte. Dieser Logik folgend müßten dann eigentlich auch alle Bücher von Anna Freud, Maria Montessori, Helene Helming, Clara Grunwald e.t.c. sofort aus dem Verkehr gezogen werden. Alle diese Pionierinnen der Pädagogik hatten nämlich keine Kinder und dürften sich somit überhaupt nicht zu dem Thema Kind äußern. Meine Freundin, Mutter von drei Kindern, sieht es übrigens genau umgekehrt: Menschen, die Kinder haben, neigen dazu, die Erfahrungen mit den eigenen Kindern für die einzig wahren zu halten und tun sich schwer damit, andere Einstellungen zu akzeptieren.

Wie dem auch sei. Der für jede Gelegenheit strapazierte Spruch: „Kinder brauchen Regeln“ sollte nicht das Nachdenken über die Regeln als solche überflüssig machen. Und vielleicht lohnt sich ein Blick über den Tellerrand hin zu den Ländern, wo Kinder noch Kinder und keine kleinen Prinzen und Prinzessinnen sind. Und vor allem sollten die Regeln nicht in einen Maßregelvollzug ausarten. Bei dem stehen die kleinen Prinzen und Prinzessinnen dann zwar eindeutig im Mittelpunkt, aber ein glückliches und entspanntes Familienleben bedeutet das noch lange nicht. Und meist machen die Eltern auch den gleichen Eindruck wie die Vollzugsbeamten: gestresst und auf den Feierabend wartend.



Invasion der Dummheit
Plappernde Sekretärinnen, die sich aus Aktenordnern und Terminplaneren kleine Festungen gebaut haben, in denen sie wie wie Großfürstinnen regieren. Was schon immer so war, muß auch so bleiben.

Ehefrauen, die sich kleine Puppenstuben gebaut haben, in denen Kinder und Ehemann wie kleine Zinnsoldaten strammstehen. In kleinen Puppenstuben herrscht oft ein hartes Regiment. Ordnung ist das halbe Leben. Für das ganze Leben ist die Puppenstube zu klein. Manchmal glaubt man zu ersticken.

Es gibt viele Dinge, die sich nie ändern. Dazu gehören die Aktenordnerfestungen und die Zinnsoldaten-Puppenheime.



Samstag, 5. September 2009
Etty Hillesum
Blaise Pascal hat mal geschrieben: "Je länger ich die Menschen betrachte, desto mehr liebe ich meinen Hund". Ich habe gar keinen Hund, aber ich kann diesen Aphorismus für mich entsprechend wandeln in "Je länger ich dumme Menschen betrachte, desto mehr liebe ich Literatur". Eigentlich ist es beunruhignd, den letztendlich nur fiktiven Menschen den Vorrang zu geben vor den realen Menschen aus Fleisch und Blut. Aber ich bin schon seit langem in Kreise geraden, in denen das Denken besorgniserregend wenig wenig praktiziert wird. Ich meine dabei nicht das Denken über Möglichkeiten der Zeitersparnis, der Geldanlage oder der Außendarstellung, sondern das Nachdenken. Die geistige Beschäftigung mit etwas. Zum Beispiel mit dem Menschen. Nicht über das, was man in ihn projiziert, sondern über den Menschen mit seiner ihm eigenen Persönlichkeit.

Vor einiger Zeit habe ich hier Etty Hillesum zitiert, von der ich allerdings bisher auch nur ein Zitat und nie das Buch selbst gelesen hatte. Das habe ich inzwischen nachgeholt und mir das Buch "Das denkende Herz" besorgt. Das Buch basiert auf Tagebuchaufzeichnungen, die die Holländerin Etty Hillesum in den Jahren 1941-1943 gemacht hatte bevor sie in Auschwitz ermordet wurde.

Ich hatte ein wenig Anlaufschwierigkeiten mit dem Buch, aber jetzt bin ich drin. Vielleicht hat alles seine Zeit und vor ein paar Wochen war es eben noch nicht soweit. Etty Hillesum ist aus zwei Gründen im Moment das, was ich so dringend brauche. Zum einen ist es eben dieser Mangel an Möglichkeit des geistigen Austauschs. Zum anderen hat sie genau das, was mir fehlt: Verständnis für die Schwächen der anderen. Sei es Dummheit, sei es primitive Gewalttätigkeit - Etty Hillesum trägt in sich einen tiefen Humanismus, der über die eigene Person als Betroffene hinausgeht. Leid ist für sie so etwas Universelles, daß es überhaupt nicht an den eigenen Erfahrungen festgemacht werden darf. Es geht um Größeres.

Und sie hat - im Gegensatz zu mir - erkannt, daß Denken nicht der Weg ist: Mit Denken komme ich ja doch nicht weiter. Denken ist eine schöne und stolze Beschäftigung beim Studieren, aber aus schwierigen Gemütszuständen kann man sich nicht "herausdenken". Dazu muß man anders vorgehen. Man muß sich passiv verhalten und horchen. Wieder den Kontakt mit einem Stückchen Ewigkeit finden .

Ich werde dieser großartigen Frau hier in meinen Kommentaren in ihrem Buch folgen.