Wenn Sisyphos’ Stein nicht mehr rollt
Hat man schon mal darüber nachgedacht, was passieren würde, wenn Sisyphos von seinem Fluch erlöst werden würde? Wenn der Stein endlich auf dem Berge liegen bleiben und Sisyphos sich ausruhen dürfte?
Das Zu-Ende-bringen einer Aufgabe. Das Erreichen eines Ziels. Die Umsetzung einer Idee. Stillstand. Ruhe. Raum für Neues.
Das Beenden mühevoller Wege. So wie bei Reformen. Umstürzen. Revolutionen. Was folgte, nachdem das Ziel erreicht war, war niemals das Erwartete. Der Stillstand hat nicht die Erlösung gebracht, die so sehnlichst gewünscht wurde. Rußland, China, Iran. Auch wenn man nicht in die Ferne schaut, kann man sehen, daß das Stillstehen des Steins den Menschen nicht das erhoffte Glück gebracht hat. Menschen können träge werden. Und ein Zuviel kann unzufriedener machen als ein Zuwenig.
Anscheinend hat Camus erkannt, daß der Fluch des Sisyphos der eigentliche Segen der Menschen ist. Die Bewegung auf ein Ziel hin. Das Sich-Anstrengen für eine Sache. Das Wollen. Das In-Anspruch-genommen-Sein von etwas.
Sisyphos ist ein Verfluchter. Aber sein Fluch schützt ihn vor noch Schlimmeren.
behrens am 29. Juli 09
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Noch immer Salinger
Mich läßt Peter Nolls Kommentar über Salingers "Fänger im Roggen" einfach nicht los. Die ganze Thematik auf eine Kurzformel gebracht: Die viel stärkere Sensibilität der Jungen gegenüber Ungerechtigkeit, Routine, Langeweile und besonders: Lüge. Das Leben eines normalen, robusten und erfolgreichen Erwachsenen kann nur eine Lebenslüge sein.
Für mich könnte man die mehr als treffende Aussage noch erweitern um den Begriff der Mittelmäßigkeit. Erwachsenwerden heißt letztendlich, langsam an Mittelmäßigkeit zu ersticken. Sein Leben mit Bausparverträgen, Tupperware, Einbauküchen und Junggesellenabenden vermüllen. Soviel faule Kompromisse machen, daß es schon nach Verwesung riecht. Ein geordneter Messie sozusagen. Irgenwann auf einem geordnetem Müllberg zu sitzen. Von dem man die eigentliche Welt nur noch von weitem sehen kann.
Durchschnittlicher, angepaßter und feiger werden. Alles Lebendige zugunsten von völlig Überflüssigem aus dem Leben verbannen. Sich immer weniger vom Durchschnitt unterscheiden.
Nie mehr Genie sein. Nie mehr Muse. Nie mehr Heldin.
In der Hölle der Projektion
Ein Dieb glaubt, daß ein jeder stiehlt.
Edgar Watson Howe (1853-1937)
Wie recht Howe damit hat. Und seine Erkenntnis stimmt leider nicht nur in Bezug auf Diebe. Auch ein Opportunist glaubt, daß jeder seinen Vorteil sucht. Ebenso glaubt jeder Lügner, daß niemand die Wahrheit sagt. Menschen, die eine falsche Außendarstellung an den Tag legen, halten jeden für unecht.
Was würden wir nur machen, wenn wir den anderen so wahrnehmen würden, wie er tatsächlich ist? Wenn wir den Blick nicht mehr davor verbergen könnten, daß wir zwar Laster haben, aber andere nicht. Wenn wir uns schonungslos in unserer ganzen Unvollkommenheit erkennen müßten.
Dann wäre es kaum erträglich und wir müßten uns ändern.
Und deswegen ändern wir uns dann letztendlich doch nicht – weil wir alle Diebe sind, die alle anderen für Diebe halten und ständig Angst haben, bestohlen zu werden.
behrens am 28. Juli 09
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