Ich war bisher eine Anhängerin des Journalisten Henryk M. Broder. Nicht uneingeschränkt, aber das muss ja auch nicht sein. Aber jetzt hat sich Broder eingereiht in die Front der Querdenker. Sein letzter Beitrag in der Rubrik "Broders Spiegel" macht doch einigermaßen sprachlos.
"Wieso war Geld früher ein Problem und wieso ist heute Geld kein Problem?" fragt Broder angesichts der Ankündigung der Bunderegierung, die Wirtschaft mit weiteren 180 Milliarden zu unterstützen.
Weil wir es jetzt mit einer Pandemie zu tun haben, und zwar weltweiten Ausmaßes, Herr Broder! Und gerade weil es sich um ein weltweites Ausmaß handelt, ist es auch kompletter Unsinn, Merkel als Urheber allen Übels anzusehen, denn es gibt keinen Staat, der nicht in irgendeiner Form mit Regeln und Restriktionen auf das Virus reagiert. Mal mehr, mal weniger. Und wie das Weniger aussieht, kann man an den USA sehen, wo die Zahl der Toten in furchteinflößender Schnelligkeit ansteigt.
Wenn man es schafft, auch das zu ignorieren, landet man zwangsläufig bei der Theorie der Weltverschwörung und bei Bill Gates, der der heimliche Profiteur der Impfstoffindustrie ist.
Auch ich habe übrigens ein äußerst großes Misstrauen gegenüber der Pharmaindustrie. Aber das ändert nichts an der Tatsache, dass momentan die Zahl der Toten rasant steigt und das medizinische Personal auf den Intensivstationen schon lange gefährlich am Limit ist.
Dass jemand mit soviel Grips wie Henryk M. Broder jetzt mitmischt in der Verschwörerszene trägt nicht gerade dazu bei, Vertrauen in die Zukunft zu haben. Man kann sich eben auf nichts mehr verlassen.
Nix as dütt - versteht das noch jemand?
Nix as dütt
Wenn ick mi mol wat wünschen schull,
ick wünsch mi nix as dütt:
Noch eenmol wedder Kind to wähn,
ganz tutig, dumm un lütt.
Un denn - wenn`t Heilig-Obend ward -
so in de Schummeree
ganz still in uns lütt Döns to stohn
bi Vadder an de Knee.
Un noch mol seehn, wat Licht üm Licht
sien`n Schien no boben smitt,
un allns wat bunt in`n Dannboom hangt,
dat lücht un blinkert mit.
Un noch mol rüken, wenn an`t Füer
son lütten Danntilln swehlt.
Un noch mol lüstern, wat dat klingt,
wenn uns` lütt Speeldoos speelt.
Un noch mol, wenn dat buten kloppt,
so ganz vull Angst un Freid
mien lütt Gebett dör`t Halslock quäln -
so gau un good as`t geiht.
Un denn doar stohn mit`n Fatt vull Nöt
un mit son heeten Kupp:
"O, Vadder, - Mudder, kiekt doch mol!
Ligt noch wat boben up!"
Dat is mien Wünschen Joahr för Joahr:
Noch eenmol wedder trück
in`t scheune stille Kinnerland,
in`t Land vull luder Glück!
Ick weet uns`Herrgott gift mi`t ne.
Man een Deel weet ick wiß:
Dat sick mien Jung dat jüst so wünscht,
wenn he mol sowied is.
Rudolf Kinau (1887-1975)
Ich liebe dieses Gedicht! Und ich kann es tatsächlich fast vollständig verstehen.
Die Invasion der Nobodys, oder wer zum Teufel ist der Wendler?
Ich wollte schon seit langem mal etwas über diejenigen schreiben, die immer und überall in den Medien auftauchen, ohne dass diese Menschen irgendeine Wichtigkeit haben.
Jetzt nehme ich mir die Zeit dazu und das ist ausgerechnet eine Folge von – Corona!
Nein, nicht weil man da mehr Zeit hat. Der Grund liegt vielmehr darin, dass das Phänomen der Nobodys jetzt noch deutlicher wird, denn egal welche erschreckende Ausmaße die Pandemie annimmt, egal welche neuen Hiobsbotschaften es geben mag, egal was für wirtschaftliche Ausmaße die Folge sind – wirklich interessant sind immer noch andere Dinge: was sagt der Wendler, was macht Heidi Klum mit Tom Kaulitz unter der Dusche, in wen ist Piedro Lombardi verknallt, wie sieht der Brautstrauß von Silvi Meis und die neue Frisur von Daniela Katzenberger aus und vor allem, warum guckt Kim Kardashian auf einem Instagramm Foto so merkwürdig?
Nein, auch ich bin leider nicht unempfänglich für Tratsch und ich schließe mich voll und ganz Erica Jongs Erkenntnis „Tratsch ist Opium fürs Volk“ an. Aber selbst Tratsch sollte eine Mindestanforderung erfüllen und die betreffende Person sollte durch irgendetwas aus der Masse herausragen. Reicht es wirklich, dass jemand mal vor neun Jahren von einem Bachelor bis zur zweiten Halbzeit eine Rose erhalten hat? Ist jemand tatsächlich schon ein Promi, wenn er bei DSDS mitgemacht hat oder vielleicht noch nicht mal dies, sondern es lediglich zu einem „Recall“ gebracht hat? Muss man jedes Mal, wenn man im Handy Nachrichten lesen will, auf jemanden aufmerksam gemacht werden, weil der in der vierten Staffel im Dschungelkamp war?
Es gibt mehrere Wege, um Nobody-Promi zu werden. Für Frauen eignet sich da besonders der Start als Spielerfrau, der Aufstiegchancen bietet zur Jurorin von Gesangswettbewerben und dann die Möglichkeiten wie beispielsweise die einer Unterwäsche-Designerin bietet. Für Männer besteht diese Möglichkeit nicht, die müssen in der Regel erstmal selbst den Gesangskandidaten, den Bachelor oder den Bauern auf Brautschau abgeben um dann in Dschungelcamps, Sommerhäuser oder Container eingeladen zu werden.
Ja, es mag stimmen, Tratsch ist immer und überall dämlich und früher war es auch nicht anders. Ich kann da ganz gut mitreden, da meine Eltern einen Lesezirkel hatten. Neue Revue, Bunte, Quick, Neue Post etc. Kaum fing ich an zu lesen, wurde ich auch schon vertraut mit dem schweren Schicksal von Soraya, den Eheproblemen von Liz Taylor und Richard Burton und den Wohnverhältnissen von Heino. Ich erinnere mich noch genau, wie ich von unendlichem Neid erfüllt war, als ich mir die Fotoreportage über die Geburtstagsfeier irgendeines der Kinder des Schahs ansah. Ein eigener Spielplatz! Und dann erst die schönen Kleider von Farahnaz!
Die Welt der Illustrierten bestand aus Königen, Prinzessinnen, Schlagersängern, Schauspielern, Familiendynastien wie die der Thyssens, Bohlen-Halbachs und den Krupps sowie den Politikergattinnen, sofern sie sich Wohltätigkeitszwecken widmeten.
Also doch das Gleiche wie die Lombardis, Kadashians und die Wendlers? Ja und nein. Ein Schauspieler wird durch seine Filme bekannt, ein Schlagersänger durch seine Musik. Diese Bekanntheit stellt sich aber erst nach getaner Arbeit ein und ist abhängig davon, ob die Masse Gefallen daran findet. Angehörige von Monarchien stehen vom Tag der Geburt an im Focus, ohne dazu irgendetwas beigetragen zu haben und später kann der Job Repräsentationspflichten beinhalten, deren Wichtigkeit für eine Gesellschaft nicht unbedingt hoch ist, aber immerhin mit Arbeit verbunden ist. Zu einer Familiendynastie zu gehören, kann mit Arbeit verbunden sein, oder aber sich aufs Jet-Setting beschränken, wie dies bei Arndt von Bohlen-Halbach der Fall war.
Vielleicht ist das einer der Unterschiede – am Anfang eines Promis steht ein gesellschaftlicher Rang, eine künstlerische Arbeit, ein politisches Amt oder eine gesellschaftlich (mehr oder weniger) bedeutungsvolle Aufgabe. Am Anfang eines Nobodys jedoch steht eine Castingshow, in der mittelmäßige Künstler und andere mittelmäßige Nobodys nach ihrem mittelmäßigen Kriterien Mittelmäßigkeit küren. Und das setzt sich dann exponentiell – wie Corona – fort bis zur Invasion.
Und das ist er, der Unterschied: früher waren unbedeutende Menschen lediglich ein kleiner Teil des öffentlichen Lebens. Mittlerweile gibt es jedoch eine regelrechte Nobody-Industrie und die liefert unerschöpflichen Nachschub, so dass die Nobodys im öffentlichen Leben die Mehrheit bilden.