Donnerstag, 27. Oktober 2016
Sieht so Integrationsarbeit aus? Wie passen diese beiden Aussagen zusammen?
Die NSU Massentötungen dieser Menschen zeigt, wie tief der Rassismus in Deutschland, in die Institutionen, in die staatlichen Behörden nach wie vor Bestand hat. Entnazifizierung hat in Deutschland nie stattgefunden. Die Feindseligkeit gegen Türken und Islam ist so tief in dieser Gesellschaft verankert, NSU zeigt, ganz offen die staatliche Haltung, der diesen Hass maßgeblich schürt. Ausreden über Ausreden, die Ausreden sind viel schlimmer, als die Taten selbst, obwohl diese Morde für sich selbst ein SKANDAL ist.

"Diese Schlampe mit dem Namen Deutschland hat uns den Krieg erklärt – und wir schweigen immer noch…Erhofft sich die Türkei etwas von dieser Köterrasse?...Ihr nennt uns Verbrecher und wir sollen dazu schweigen. Ab jetzt könnt Ihr was erleben, Ihr Köterrasse.

Woher stammen diese beiden Aussagen? Die erste Aussage stammt aus einem Gästebucheintrag zur Sendung über rechte Gewalt in „hart aber fair“ vom 04.04.16 und die zweite Aussage stammt aus einem kürzlich geposteten Facebook Eintrag und bezieht sich auf die Resolution des Deutschen Bundestages zum Völkermord an den Armeniern 1915/1916. Die zweite Aussage wird dabei noch ergänzt mit einer Äußerung über die Integrationsbeauftragte Aydan Özoguz: „Eine Lügnerin ohne Scham, die bereit ist, alles, aber auch alles für Armenien zu geben. Wir wollen diese Verräter nicht, wir hassen sie. Das Vaterland ist uns heilig, diese Verräter gehören nicht zu uns.“

Das eigentliche Erschreckende an den beiden Aussagen ist der Umstand, dass sie von ein und demselben Autor stammen, bei dem es sich um Malik Karabulut handelt. Mir wäre es die Zeit nicht wert, hierüber hier zu schreiben, wenn Karabulut irgendeine Privatperson wäre, die im Internet hetzt, denn derer gibt es viele. Aber bei Malik Karabulut handelt es sich um einen Funktionär des Türkischen Elternbundes in Hamburg, der außerdem auch Integrationspartner der Stadt ist und in dieser Funktion die Aufgabe hat, Gespräche über die Integration türkischer Kinder zu führen.

Ich teile die von ihm vertretene Entrüstung über die feigen Morde der NSU und sehe die Entnazifizierung nach dem Krieg auch sehr kritisch. Ich bin auch der Meinung, dass die vielen Fehler bei den Ermittlungen gegen die NSU nicht zu rechtfertigen sind.

Was mich jedoch zutiefst schockiert, ist die Tatsache, dass derselbe Mann, der von einer „den Hass schürenden Haltung von Seiten des Staates gegenüber Türken und Islam“ schreibt, es als eine Kriegserklärung Deutschlands einstuft, dass der Völkermord an den Armeniern auch als solcher benannt wird. Und derselbe Mann entblödet sich nicht, eine Integrationsbeauftragte als Lügnerin und Verräterin zu beleidigen, nur weil sie nicht bereit ist, den nachweisbaren Genozid an den Armeniern als Verschwörungstheorie abzutun.

Es gibt auch heute noch Menschen in Deutschland und anderswo, die den Holocaust als Lüge darstellen, welche nur dem Zweck der Verleumdung der Deutschen dienen würde. Glücklicherweise gibt es aber genug Menschen, die hierauf sofort reagieren und diese Darstellung als das bekämpfen, was sie ist: eine Diffamierung der Opfer. Die Aussagen, die den Völkermord an den Armeniern als Lüge bezeichnen, fallen in die gleiche menschenverachtende Kategorie wie die Holocaustleugnung – allerdings mit dem Unterschied, dass der Protest gegen die Abstreitung des Völkermordes an den Armeniern wesentlich leiser ausfällt und im Übrigen diese Ansicht sogar von höchster Stelle des türkischen Staates vertreten wird und nicht nur von einigen Wenigen.

Es erfüllt mich mit tiefem Entsetzen, dass jemand, der in einer so verächtlichen und primitiven Weise über geschichtliche Fakten redet, allen Ernstes als „Integrationspartner“ fungiert. Aber weitaus mehr bestürzt mich, welche tiefsitzende Menschenverachtung hinter den von Karabulut vertretenen Ansichten steckt, denn ganz offensichtlich schert es ihn einen feuchten Dreck, ob Menschen ermordet werden, solange es sich dabei um Menschen handelt, die nicht seiner Nationalität oder Religion angehören. Da wird dann plötzlich nicht von Rassismus gesprochen, sondern von Lügen und Verrat. Und es ist diese Einteilung in schützenwertes und in unwertes Leben, die man nur mit allergrößter Sorge betrachten kann. Nimmt man dann noch den unseligen Hass auf Meinungsfreiheit, die Bedrohung Andersdenkender, sowie den hartnäckigen Versuch, ausnahmslos jede kritische Betrachtung in die Nähe von Pegida und AFN zu rücken hinzu, dann kann einem angst und bange werden.

Ich möchte abschließend noch erwähnen, dass es sich bei Malik Karabulut nicht um einen Menschen ohne Bildung und ohne Qualifikation handelt – Karabulut ist Diplom-Betriebswirt.



Mittwoch, 5. Oktober 2016
Irgendetwas läuft gewaltig schief in Deutschland
Eben lief eine Diskussion im Fernsehen, in der die Islamexpertin Lamya Kaddor sich zum Thema mangelnde Integration äußerte und dabei wiederholt darauf hinwies, dass man sich bei denjenigen, die sich für einen Weg in die Gewalt entscheiden und sich von der IS anwerben lassen, immer wieder fragen muss, warum es dazu kam und was an der Integration falschgelaufen ist. Deutschland hätte dabei eine „Bringschuld“, was immer Kaddor damit meinte.

Vor einigen Tagen äußerte sich SPD-Mitglied Wolfgang Thierse zu den Dresdner Anschlägen gegen eine Moschee und ein internationales Kongresszentrum. Er betonte dabei, dass man so etwas nicht mit Perspektivlosigkeit und sozialen Problemen entschuldigen dürfe.

Zwei Standpunkte, die sich offensichtlich diametral entgegenstehen. Oder vielleicht doch nicht? Bei der Thematik der Gewaltbereitschaft unter Muslimen wird auf das Gebot der Ursachenforschung und das Gebot der Suche nach der Verantwortung der Gesellschaft verwiesen und hierbei fallen immer wieder die Argumente der Perspektivlosigkeit und der mangelnden Bildung. Bei den gewaltbereiten Pegida-Anhängern hingegen wird genau dies als falsch angesehen und Ursachen und Mitverantwortung der Gesellschaft sind gefälligst außer Acht zu lassen.

Ich komme immer mehr zu der Erkenntnis, dass Menschen ohne Feindbilder nicht leben können. Der fundamentalistische Islam braucht das Feindbild der Ungläubigen, die es überall und jederzeit zu bekämpfen gilt. Pegida und andere rechtsgerichtete Bewegungen brauchen das Feindbild der fremden und bedrohlichen Kultur, gegen die man sich mit aller Kraft wehren muss.

Das Interessante daran ist jedoch, dass damit der Feindbildkreislauf noch nicht vollständig ist. Denn auch Menschen wie Lamya Kaddor brauchen das Feindbild Pegida, weil es belegt, dass man selbst lediglich Opfer ist und völlig grundlos angefeindet wird. Und auch Menschen wie Wolfgang Thierse brauchen das Feindbild Pegida, weil man dadurch ein gesellschaftliches und somit komplexes Problem bequem auf ein einziges reduzieren kann. Darüber hinaus erfüllt die öffentliche Verurteilung von Pegida nebenbei auch die wichtige Funktion, deutlich zu machen, dass man selbstverständlich auf der „richtigen“ Seite steht. Gerade dieser Punkt ist nicht zu unterschätzen. Menschen, die in ihrem Alltag eigentlich kaum mit dem Thema Migration zu tun haben, weil sie weder an Orten mit vielen Migranten wohnen, noch an Arbeitsplätzen mit vielen Migranten arbeiten und zu deren Bekannten- und Freundeskreis oftmals auch erstaunlich wenig Migranten gehören – gerade diejenige Menschen nutzen gern die Möglichkeit, sich öffentlich vehement gegen Pegida zu positionieren.

In der schriftlichen Diplomprüfung meines sozialwissenschaftlichen Studiums ging es beim dem Thema sozialtherapeutischer Handlungsansätze unter anderem um die „Gegenüberstellung und Vergleich des monokausalen und des systemischen Standpunktes“. Ich hasse solche hochtrabenden Formulierungen, die keine andere Funktion haben, als etwas Einfaches zu etwas Komplizierten aufzubauschen. Denn man kann dies natürlich auch verständlicher formulieren, wie zum Beispiel: Gegenüberstellung und Vergleich des Ansatzes der Nichtberücksichtigung mit dem Ansatz der Miteinbeziehung familiärer und gesellschaftlicher Hintergründe. Letzterer Ansatz steht momentan anscheinend nicht mehr hoch im Kurs: sich die Mühe machen, einen Blick auf Zusammenhänge zu werfen und das Zusammenspiel von familiären und sozialen Faktoren zu berücksichtigen. Wir sind wieder in der Zeit der einfachen Erklärungen gelandet. Das erspart nicht nur das Nachdenken, sondern vor entbindet uns auch von der Mitverantwortung.

Ich glaube nicht, dass das, was sich gerade in Deutschland abspielt, schon als Bürgerkrieg bezeichnet werden kann. Aber ich würde nicht mehr ausschließen, dass es eine dahingehende Entwicklung gibt. Und diese Entwicklung wird ganz bestimmt nicht durch Standpunkte verhindert, wie sie Lamya Kaddor oder Wolfgang Thierse vertreten. Auf der einen Seite die Ansicht, Menschen nur als Opfer der Gesellschaft zu sehen, ohne dabei im Geringsten zu hinterfragen, ob deren Gewaltbereitschaft vielleicht doch auch etwas mit den familiären und kulturellen Wertvorstellungen zu tun haben könnte. Auf der anderen Seite der Standpunkt, dass Menschen anscheinend völlig grundlos, quasi aus tiefster Böswilligkeit Hass und Feindschaft gegen andere entwickeln.

Wir sind mehr denn je davon entfernt, uns die Mühe des genauen Hinsehens zu machen. Denn dann würden wir so manches sehen, was unbequem und anstrengend ist und die Bequemlichkeit der Einteilung in Opfer und Täter erschwert. Und dann müssten wir vielleicht sogar irgendwann auf unsere liebgewonnenen Feindbilder verzichten.



Freitag, 5. August 2016
Ich hatte gehofft, dies läge hinter uns – eine Demo für die Diktatur
Am vergangenen Wochenende sind rund 40.000 Menschen auf die Straße gegangen um ihre Sympathie für einen Diktator zu bekunden. Und ich frage mich, ob nur ich allein Angst vor der Gefahr habe, die sich durch diese antidemokratische Bewegung abzeichnet. Ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass diese Bewegung früher oder später in der Gründung einer entsprechenden Partei münden wird. Auf Bundesebene mag dann die Fünf Prozent Hürde noch eine Schwierigkeit darstellen, auf Kommunalebene kann dies aber vereinzelt durchaus Erfolg haben. Aber auch abgesehen davon muss man sich fragen, was es eigentlich für eine Gesellschaft bedeutet, wenn eine Bevölkerungsgruppe offen für ein streng hierarchisches System eintritt, das erbarmungslos gegen jeden vorgeht, der sich nicht völlig systemkonform verhält. Ein System in der die Äußerung von Kritik grundsätzlich als zu ahnende Beleidigung gewertet wird.

Und mir fällt ein, was mir ein Bekannter über seine Erfahrungen während einer in den 70er Jahren gemachten Türkeireise erzählte. Es passierte ihm nämlich mehrmals, als er die Frage nach seiner Nationalität mit „deutsch“ beantwortete, dass er die Reaktion erhielt: „Hitler guter Mann!“ Und auch in der Gegenwart bin ich schon oft mit offener Sympathie für die deutsche antisemitische Vergangenheit konfrontiert worden.

Man mag jetzt wieder das ständig angeführte Argument vorbringen, es würde sich doch nur um eine kleine Minderheit handeln. Unglücklicherweise habe ich jedoch sehr oft gerade mit dieser kleinen Minderheit zu tun. Und die Geschichte lehrt, dass aus kleinen Minderheiten unter Umständen sehr schnell große entwickeln können. Manchmal frage ich mich, ob dies wirklich das Land ist, in dem ich meinen Lebensabend verbringen möchte.