Donnerstag, 23. März 2017
Mädels, Mamas, Papas, Kids und Babys – Sprache zuckersüß
Schon seit einiger Zeit zeigt sich im deutschen Sprachgebrauch die Tendenz, Begriffe nur noch in der Verniedlichungsform zu verwenden. Angefangen hat dies damit, erwachsene Frauen als "Mädels" zu bezeichnen. Dies mögen die meisten äußerst originell und sehr witzig empfinden, mir geht es allerdings so, dass ich es als albern und dämlich empfinde.

Die Ausdrücke „Mutter“ und „Vater“ scheinen ebenfalls nicht mehr sehr beliebt zu sein und werden zunehmend durch „Mama“ und „Papa“ ersetzt. Dies ist für kleine Kinder sicherlich völlig normal und auch für Erwachsene, die ihre Eltern direkt ansprechen. Auch ich habe meine Eltern im direkten Gespräch mit Mama und Papa angeredet. Allerdings käme es mir nie in den Sinn, dies gegenüber Dritten zu tun. Wenn ich über Dinge spreche, die meine Eltern betreffen, dann spreche ich von meiner Mutter und meinem Vater. Hätte ich oder jemand meiner Freunde beispielsweise als Teenager von „meiner Mama“ gesprochen, hätte dies mit ziemlicher Sicherheit Gelächter und ein breites Grinsen ausgelöst.

Kinder auch als Kinder zu bezeichnen, gilt inzwischen auch als völlig überholt und altbacken und kommt allenfalls in Formularen oder Gesetzestexten vor, wo es – zumindest zum jetzigen Zeitpunkt – noch Kindergeld und Kindeswohl anstatt „Kidsgeld“ oder „Kidswohl“ heißt.

Den Ausdruck Baby gibt es schon lange, allerdings wurden damit auch nur Babys bezeichnet und nicht grundsätzlich jedes Kind. In Bezug auf Kinderwunsch sprachen Paare grundsätzlich davon, sich ein Kind zu wünschen und Frauen sprachen in der Schwangerschaft davon, ein Kind zu erwarten. Heute wünschen sich Paare ausdrücklich ein Baby und Frauen sprechen davon ein Baby zu erwarten.

Warum geht mir dies alles so gegen den Strich? Es ist doch schließlich nichts Schlimmes dabei, wenn sich Menschen lieber locker und fortschrittlich ausdrücken, anstatt ernsthaft und hausbacken, oder etwa nicht?

Nein, schlimm ist es tatsächlich nicht, aber ziemlich albern und lächerlich. Im Grunde stellt die Tendenz zur Verniedlichung das sprachliche Pendant zur Fungesellschaft dar, in der alles lustig, unterhaltsam und quietschvergnügt zugehen muss. Allerdings ergibt dies einen merkwürdigen Kontrast zur der ebenfalls schon seit längerem bestehenden Tendenz der Verrohung der Sprache. Niedlichen Begriffen wie Mädels, Mamas, Papas, Kids und Babys stehen auf der anderen Seite gar nicht mehr so niedliche Begriffe wie Schlampe, Hurensohn, Spasti, schwule Sau, Fotze etc. gegenüber.

Wenn Sprache auch immer ein Spiegel gesellschaftlicher Verhältnisse ist, dann muss man sich fragen, ob die Welt der Mädels, Mamas, Papas, Kids und Babys tatsächlich so zuckersüß ist, wie sie sich anhört. Als Sozialarbeiterin kann ich dies nur verneinen. Insbesondere, wenn junge Menschen davon sprechen, sich ein „Baby“ zu wünschen, sehe ich vor meinem geistigen Auge bereits die Zeit vor mir, wenn das das kleine süße Baby eben nicht mehr klein und süß ist, sondern ein Kind, das Ansprüche stellt und sehr anstrengend sein kann, was dann sehr viel öfter als früher nur noch funktioniert, wenn diverse staatliche Hilfen geleistet werden.

Der Begriff "Mädel" löst bei mir wehmütige Erinnerung an die Zeit aus, als es noch eine Frauenbewegung gab und der Ausdrück Mädel ausschließlich im dunklen geschichtlichen Zusammenhang des "Bund Deutscher Mädel" - benutzt wurde. Auch mit viel Fantasie kann ich mir den (inzwischen längst geschlossenen) Frauenbuchladen nicht als "Mädelsbuchladen" vorstellen und die (inzwischen längst nicht mehr stattfindende) Hamburger Frauenwoche auch nicht als "Mädelswoche". Manche Sachen scheinen nur bei erwachsenen Frauen zu funktionieren und nicht bei Mädels...

Vielleicht wird der Unterschied der sprachlichen Aussage deutlich, wenn man einfach mal die konservative Ausdrucksform in die verniedlichende Ausdrucksform übersetzt. Das habe ich gemacht und das hier kam dabei heraus:

Aus August Bebels: “Die Frau und der Sozialismus” wird jetzt „Das Mädel und der Sozialismus“.

Aus Hermann Hesses oder Franz Kafkas „Brief an den Vater“ wird jetzt der „Brief an den Papa”.

Aus Heinrich Heines Gedicht "An meine Mutter" wird jetzt das Gedicht "An meine Mama".

Aus Nancy Fridays “Wie meine Mutter“ bzw. „My mother myself“ wird jetzt “Wie meine Mama“ bzw. “My mummy myself”.

Aus Alice Millers: "Das Drama des begabten Kindes“ wird jetzt „Das Drama des begabten Kids“

Aus Oriana Fallacis „Brief an ein nie geborenes Kind“ wird jetzt „Brief an ein nie geborenes Baby“.

Wie bereits gesagt – alles keine Katastrophe. Aber dennoch alles seines sprachlichen Ausdrucks beraubt und zu einer lächerlichen Babysprache degradiert. Ich bin mir übrigens ganz sicher, dass ich mir niemals ein Buch mit dem Titel „Wie meine Mama“ gekauft hätte und auch niemals Interesse daran gezeigt hätte, einen „Brief an den Papa“ zu lesen. Jedenfalls nicht, seitdem ich älter als neun Jahre alt bin….



Samstag, 4. Februar 2017
Was vom Feminismus übrig blieb – oder wofür haben wir eigentlich gekämpft?
Es gibt Dinge, die hätte ich als Teenager für völlig unmöglich gehalten. Es geht um Dinge, die hart erkämpft wurden und von deren ewiger Existenzberechtigung ich damals felsenfest überzeugt war, aber die jetzt immer öfter in Frage gestellt werden.

Als ich Kind war, gab es noch den sogenannten Kuppeleiparagraphen, der es unter Strafe stellte, wenn ein unverheiratetes Paar gemeinsam in einer Wohnung nächtigte. Kein Sex ohne Heirat – und falls doch, dann musste zumindest ein Verlobungsring vorhanden sein, was jedoch noch keine Garantie darstellte, sondern vom Wohlwollen des Vermieters oder Hotelbesitzers abhing. Wobei betont sei, dass die gesellschaftliche Beurteilung gegenüber Männern weitaus milder ausfiel als gegenüber Frauen. Das wurde unter anderem deutlich an dem merkwürdigen Gesetz des sogenannten „Kranzgeldes“, bei dem es sich um eine finanzielle Entschädigung handelte, die einer „unbescholtenen“ Verlobten von ihrem Verlobten gezahlt werden musste, falls es doch nicht zur Heirat kam und sie keine Jungfrau mehr war, wodurch sie quasi an „Wert“ eingebüßt hatte. Homosexuellen ging es noch schlechter, denn bis Ende der Sechziger Jahre gab es den Paragraphen 175, der Homosexualität unter Strafe stellte.

Im Schulsystem sah es auch nicht viel besser aus, auf den Haupt- und Realschulen gab es bis Mitte der Siebziger tatsächlich noch die Aufteilung in Koch- und Werkunterricht, der selbstverständlich nicht frei gewählt werden konnte, sondern durch die Geschlechtszugehörigkeit bestimmt wurde. Meine Schwester besuchte noch ein sogenanntes Mädchengymnasium, in dem es keine Jungen gab. Berufsausbildungen waren in vielen Bereichen stark nach Geschlechtern getrennt (was übrigens auch jetzt noch der Fall sein kann). Es gab keine Malerinnen, Tischlerinnen oder Automechanikerinnen und auf der anderen Seite gab es für typisch weibliche Berufe wie Kindergärtnerin oder Arzthelferin noch nicht einmal eine männliche Bezeichnung.

Aber dann ging ein Ruck durch die Bundesrepublik und es wurde heftig und lautstark gekämpft sowohl gegen die starren Geschlechtsrollen als auch gegen die sexuelle Zwangsmoral. Ich selbst war in den Anfängen dieser Zeit noch ein Kind, aber als Teenager habe ich bereits profitiert von dem gewaltigen gesellschaftlichen Umschwung. Vieles fiel dabei nicht in den Schoß und musste hart erkämpft werden. Als Mädchen abends oder sogar nachts allein auszugehen war beispielsweise längst nicht selbstverständlich und war nicht selten mit Hausarrest oder Schlägen verbunden. Dennoch haben sich die meisten Mädchen und junge Frauen davon nicht abschrecken lassen. Denn ist ging um nicht mehr und nicht weniger als um das Recht auf Selbstbestimmung.

Hätte mir damals jemand gesagt, dass die hart erkämpften Rechte jemals wieder in Frage gestellt werden würden, dann hätte ich ihm nie und nimmer geglaubt. Wäre mir damals beispielsweise davon erzählt worden, dass es Jahrzehnte später allen Ernstes wieder Eltern gibt, die ihren Töchtern die Teilnahme an Klassenfahrten oder am Schwimmunterricht verbieten, hätte ich demjenigen einen Vogel gezeigt. Was ich mit absoluter Sicherheit für einen Witz gehalten hätte, wäre der Umstand, dass man sich im Internet künstliche Jungfernhäutchen bestellen kann. Und es hätte in mir entsetzte Ungläubigkeit ausgelöst, dass es Mädchen gibt, die von ihren Brüdern zusammengeschlagen werden, wenn sie selbstbestimmt leben wollen. Den Begriff des „Ehrenmordes“ hätte ich damals überhaupt nicht verstanden (was heute nicht unbedingt anders ist), da ein Mord definitiv nichts mit Ehre zu tun haben kann. Wenn mir jemand gesagt hätte, dass es einmal einen Silvesterabend geben würde, an dem sich Männer zusammenrotten, um Frauen wie Vieh in die Enge zu treiben und sexuell zu missbrauchen, dann hätte ich dies für einen geschmacklosen Scherz gehalten. Als genauso abwegig hätte ich es empfunden, dass es einen Mordaufruf zur Folge haben könnte, wenn ein Schriftsteller in literarischer Freiheit über die homosexuellen Gefühle eines Religionsstifters schreibt.

Ich war wohl sehr naiv in meinem Glauben, dass gesellschaftliche Errungenschaften wie Gleichheit und Selbstbestimmung nicht so einfach in Frage gestellt werden können. Ja, es stimmt – wir haben eine Bundeskanzlerin und sogar eine Verteidigungsministerin und an den Hochschulen studieren in vielen Fachbereichen mittlerweile sogar mehr Frauen als Männer. Aber was ändert dies daran, dass jetzt wieder Geschlechterapartheit gefordert wird und das Recht auf die weibliche Selbstbestimmung in Familie, Ausbildung und Öffentlichkeit mit allen Mitteln verteufelt wird?

Wollen wir wirklich wieder in diese dunklen Zeiten zurück? Bestimmte Menschen scheinen genau dies zu wollen. Vielleicht könnte ich dies noch verstehen, denn wenn man über die eigenen Grenzen hinausschaut, wird offensichtlich, wie viele Menschen diese Wertsysteme vertreten und niemand kann sich anmaßen, zu bestimmten, welche Wertsysteme denn nun die besten sind. Allerdings werde ich nie verstehen, warum jetzt ausgerechnet diejenigen Verständnis für den Rückschritt zu den alten Zeiten einfordern, die bisher vehement freiheitliche Werte verteidigt haben. Dieselben Menschen, die früher vehemt gegen Geschlechterapartheit und sexuelle Zwangsmoral gekämpft haben, verharmlosen diese jetzt im Namen der Toleranz. War das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung wirklich nur eine Episode?

Um Frage der Überschrift dieses Beitrags zurückzukommen, was übrig blieb vom Feminismus, so könnte es bald vielleicht nicht viel mehr sein, als eben die Bundeskanzlerin und die Verteidigungsministerin. Wir werden höchstwahrscheinlich nicht so enden, wie in Michel Houellebecqs “Unterwerfung”, aber wir sind aus vielerlei Gründen ähnlich mit ideologischer Blindheit geschlagen, wie es von ihm beschrieben wird.



Mittwoch, 21. Dezember 2016
Das Bonmot zur Mitternacht
Die entscheidende Frage für den Menschen ist: Bist du auf das Unendliche bezogen oder nicht?
Carl Gustav Jung (1875 - 1961)