Samstag, 3. Oktober 2015
Israel (1) - erste Eindrücke
03.10.2015
Seit nunmehr einer Woche bin ich in Israel. Die Entscheidung, nach Israel zu reisen, fiel mir nicht ganz leicht. Einerseits wollte ich schon seit langem nach Israel, andererseits ist es natürlich bedenklich, in ein krisengeschütteltes Land zu fahren. Außerdem war es diesmal nicht möglich, gemeinsam mit meinem Freund zu reisen, so dass ich diese Reise ganz allein antreten musste. Es ist schon ewige Zeiten her, dass ich allein gereist bin und ich habe, ehrlich gesagt, keine sehr guten Erinnerungen daran. Passanten Letztendlich siegte aber meine Reiselust und außerdem ist das Viertel in dem ich wohne auch nicht gerade sicher, denn auch hier gab es schon tödliche Messerstechereien, Schlägereien und Schießereien direkt vor meiner Haustür.

Warum gerade Israel? Ich interessiere mich sehr für Religionen und nachdem ich nun schon diverse buddhistische und auch einige muslimische Länder bereist habe und auch hinduistisch und taoistisch geprägte Regionen kennengelernt habe, habe ich den Wunsch, auch die jüdische Kultur näher kennenzulernen.

Ich hätte gern schon am zweiten Tag ein wenig über meine Reiseeindrücke geschrieben, aber ich schlug mich erst einmal mit den Tücken der Technik herum, denn seitdem jeder ein Smartphone oder ein Tablet hat, stellen die guesthouses keine PCs mehr für die Gäste zur Verfügung. In weiser Voraussicht hatte ich mir zwar schon vor einem halben Jahr ein Tablet gekauft, es aber ohne zu nutzen einfach liegen lassen. Ich tippe grundsätzlich mit zehn Fingern und für mich ist es eine Zumutung, im Ein-Finger System zu tippen. inzwischen habe ich mich aber ein wenig mit der Sprachaufnahme vertraut gemacht und so versuche ich jetzt, wie ich es üblicherweise auf meinen Reisen tue, ein kleines Reisetagebuch zu schreiben.

Nachdem ich also am vergangenen Samstag in Tel Aviv ankam, machte ich meine erste Bekanntschaft mit der Sabbathruhe, denn es war nicht möglich, Geld aus dem Bankautomaten zu erhalten. Am Sabbat darf kein Geld nachgefüllt werden, und da es schon spät am Abend war, war der Automat völlig leer.

Meine erste Nacht verbrachte ich nicht in einem Hotel sondern in einer Jugendherberge wo ich das Zimmer mit zwei Frauen teilte. Es ist schon ewige Zeiten her, dass ich so etwas gemacht habe, aber die Erfahrung war die gleiche: es ist wesentlich unbequemer, aber auch wesentlich interessanter.

Bei den beiden Frauen handelt es sich um Türkinnen - Mutter und Tochter - die für 2 Wochen Israel bereisen. Die etwa 20 jährige Tochter zeigt mir sofort sehr viele Fotos, die sie mit ihrem smartphone gemacht hat und sie beschreibt lebhaft ihre Eindrücke. Die meiste Zeit hielten die beiden sich in den palästinensischen Gebieten auf, aber beide haben auch die christlichen Stätten besucht. Die junge Frau betont, dass sie sich sehr für alles interessiert, was mit Religionen zu tun hat. Für mich bestätigt sich wieder einmal aufs neue, dass Reisen das geeignetste Mittel gegen Vorurteile ist, denn weder in meinem Wohnviertel noch in dem Viertel, indem ich arbeite habe ich trotz der Tatsache, dass dort überwiegend türkischstämmige Menschen wohnen, jemals jemanden kennengelernt, der sich auch nur im geringsten für andere Religionen interessiert. Als ich morgens aufwache, sehe ich wie sich die Mutter für das Gebet vorbereitet . Sie breitet einen kleinen Teppich aus und bindet sich ein Kopftuch um. Sie betet dann leise flüsternd, offenbar will sie mich nicht wecken. Beim Abschied sage ich der Tochter, dass sie unbedingt einen Blog machen sollte, indem sie ihre vielen Erlebnisse beschreibt und ihre wunderschönen Fotos zeigt.
Fortsetzung Israel (2) hier



Dienstag, 12. Mai 2015
KZ-Neuengamme – die letzten Zeitzeugen
Am Stadtrand von Hamburg befindet sich das frühere Konzentrationslager Neuengamme und in der vergangenen Woche jährte sich der Tag der Befreiung zum siebzigsten Mal, was Anlass für eine große Gedenkfeier war. Schon vor 10 Jahren war ich bei der damaligen Gedenkfeier anwesend, aber diesmal hatte ich mir mehr Zeit genommen.

Zur Feier erschienen 54 der letzten Überlebenden. Viele saßen im Rollstuhl und waren auf eine Begleitperson angewiesen. Zu den Rednern der Gedenkfeier gehörte auch der 88jährige Janusz Kahl, der als 17jähriger während des Aufstands im Warschauer Ghetto nach Deutschland deportiert wurde und 1945 ins KZ-Neuengamme kam. Janusz Kahl erwähnte in seiner Rede, dass es lange Zeit keineswegs selbstverständlich war, ein Gedenkzentrum einzurichten, sondern dies erst erkämpft werden musste. Janusz Kahl ist Musiker und zu den Feierlichkeiten gehörte auch die Aufführung seines Werkes Tryptichon, das von zwei jungen Schülern vorgetragen wurde. Es gab auch andere bekanntere musikalische Vorträge wie der Chant des Partisans und Bella ciao.

Nachdem die eigentliche zweistündige Gedenkfeier beendet war, sah man viele der ehemaligen Häftlinge über das Gelände gehen, manche schilderten dabei ihren Begleitern ihre Erinnerungen. Ich selbst nahm mir auch die Zeit, mir in Ruhe das Gelände anzusehen. Die Gefühle dabei kann man nur schwer beschreiben, denn die Natur bildete einen großen Kontrast zu diesem Ort des unsäglichen Leidens. An diesem sonnigen Frühsommertag blühte überall auf den zahlreichen Wiesen, die einen Großteil des Geländes ausmachen, Unmengen von gelbem Löwenzahn. Auch die nahe Umgebung des KZs kann man nicht anders als idyllisch und schön bezeichnen – alte Bauernhäuser, Gärten, Baumalleen und Obstplantagen. So lautet denn auch der Titel eines Buches, an dem auch Janusz Kahl mitgearbeitet hat treffenderweise „Die Hölle in der Idylle“.

Was mag wohl in den Überlebenden vorgehen, wenn sie diesen Ort jetzt wiedersehen? Ein Ort der Entmenschlichung an dem ein einzelnes Menschenleben völlig wertlos war und der Tod allgegenwärtig. Bei manchen der früheren Häftlinge konnte man in den Gesichtern wahrnehmen, wie die leidvollen Erinnerungen an diesem Ort wieder gegenwärtig werden.

Als ich einem älteren Herrn beim Anziehen seines Mantels behilflich sein wollte, bemerkte ich plötzlich, dass es sich um Janusz Kahl handelte. Ich konnte nicht umhin, ihm zu sagen wie sehr mir seine Musik gefallen hatte. Es ergab sich dann ein kurzer Wortwechsel, der mich tief berührt hat und den ich deswegen hier auch nicht wiedergeben möchte. Manche Begegnungen verändern etwas in einem Menschen und für mich war dies hier der Fall. Es ist ein Geschenk, jemandem begegnen zu dürfen, der sich trotz des unbeschreiblichen Leids, das ihm und anderen zugefügt wurde, ohne Hass und Verbitterung mit ganzem Herzen für eine Aufarbeitung und Aussöhnung einsetzt.
http://www.kz-gedenkstaette-neuengamme.de/livestream/
http://www.kz-gedenkstaette-neuengamme.de/fileadmin/user_upload/aktuelles/2015/Reden/Rede_Kahl_dt.pdf



Mittwoch, 29. April 2015
Eine kleine große und sehr ungewöhnliche Frau
Ich mag eigentlich weder Rap noch Hip Hop besonders , aber eine Ankündigung im Programm der Hamburger langen Nacht der Museen weckte sofort mein Interesse. Es handelte sich um die „Microphone Mafia“, die zusammen mit Esther Bejarano auftrat. Esther Bejarano ist eine 90jährige Holocaustüberlebende, die im sogenannten Mädchenorchester von Auschwitz Akkordeon spielte.
Esther Bejarano
In der Microphone Mafia spielt auch Esther Bejaranos Sohn Joram und der türkischstämmische Sänger Kutlu Yurtseven mit. Nicht nur eine ungewöhnliche Zusammensetzung in Hinsicht auf den kulturellen Hintergrund, sondern auch auf die Altersstruktur, die drei Generationen umfasst.

Ich konnte mir kaum vorstellen, dass eine derartig ungewöhnliche Zusammenstellung harmonieren könnte. Aber es funktionierte! Die Rapp-Passagen Kutlu Yurtsevens wechselten sich mit dem glockenhellen Gesang Esther Bejananos.ab. Die Texte handelten meist von dem Wunsch nach Freundschaft, Verständigung und Frieden. Esther Bejarano sang auch Boris Vians „Le deserteur“.

Eine kleine Szene wird mir im Gedächtnis bleiben: Als die Gruppe ihre erste Pause machte, ruhte sich Esther auf einem Stuhl aus, woraufhin Kutlu Yurtseven sofort eine eine Decke holte und sie sorgfältig zudeckte. Nach eigenen Aussagen fühlt er sich von Esther Bejarano, die seine Großmutter sein könnte „eingeenkelt“.

Ich beschäftige mich viel mit Auschwitz und musste mir während des Konzerts immer wieder vorstellen, wie Esther Bejarano dort gemeinsam mit anderen Häftlingen buchstäblich um ihr Leben spielte. An der Rampe stehend im Bewusstsein, dass die meisten der ankommenden Häftlinge sofort in den Tod geschickt werden, musste sie fröhliche Musik spielen. Nur durch ihre Musikalität hat sie das Grauen des KZs überlebt. Trotz allem, was ihr angetan wurde, ist sie weder verbittert noch hasserfüllt, sondern widmet sich ihrer Vision der Völkerverständigung. Ein wenig hat mich Esther Bejarano in ihrem Humanismus an die im KZ ermordete Etty Hillesum erinnert, über die ich hier auch schon geschrieben habe. Ich ließ es mir nicht nehmen, ihr nach dem Konzert die Hand zu schütteln. Die Hand einer kleinen kaum 150 cm großen Frau, die durch die Hölle gegangen ist und die mit ihrer Musik der Verständigung eine enorme Größe beweist.