Dienstag, 13. Oktober 2015
Israel (6) – ein orangefarbener Hoffnungsschimmer
Fortsetzung von Israel (5)
Eine Frage, die mich während meiner ganzen Reise beschäftigt hat, ist die Frage, ob es jemals Hoffnung auf Frieden für Israel geben wird. Obwohl ich schon vor meiner Reise sehr viel über Israel und Judentum gelesen habe, habe ich keine Antwort auf diese Frage gefunden. Allerdings gab es eine kleine Begebenheit an meinem letzten Tag in Israel. Beim Schlendern durch die Stadt sah ich vor mir zwei Jugendliche in leuchtend orangen T-shirts auf denen zu lesen war „jews and arabs in coexistence“. Die beiden Jugendlichen verschwanden zu schnell aus meinem Blickfeld, als dass ich sie hätte ansprechen können – was ich liebend gern getan hätte. Aber auch wenn dies nicht möglich war, so wecken diese fünf Worte Hoffnung. Es gibt sie also – Menschen, die die gegenseitige Zerstörung beenden wollen und auf Frieden setzten.
Jews and Arabs
Fortsetzung Israel (7) hier



Israel (5) – ein wenig wie Klassenreise
Fortsetzung von Israel (4)
Old Jaffa Hostel, 09.10.2015
Das kann in Israel passieren, wenn man nicht vorher bucht – mein Einzelzimmer war nur für 2 Tage frei und zunächst sieht es so aus, als ob noch nicht einmal ein Dormitory frei ist, aber dann bleibt doch noch ein Bett unbelegt. Ich ziehe also in ein Zehnbettzimmer um, das genau über einer Restaurantzeile liegt. Das letzte Mal habe ich im Alter von 19 in einer Jugendherberge übernachtet. Schon die beiden letzten Nächte konnte ich nur mit Ohrstöpseln schlafen, die allerdings auch keine vollständige Stille verschaffen. Heute Nacht kommt dann noch eine Schlafmaske hinzu, weil die helle Außenbeleuchtung das Zimmer fast taghell scheinen lässt. Mit diesen Hilfsmitteln lässt es sich dann aber wider Erwarten doch ganz gut schlafen. Old Jaffa Hostel Übrigens unterscheiden sich sowohl das jetzige Hostel als auch das Fauzi Azar in Nazareth optisch sehr von unseren Jugendherbergen, denn sowohl Gemeinschaftsräume als auch Einzelzimmer sind nicht so nüchtern wie bei uns gestaltet, sondern mit Unmengen von alten Schwarzweiß-Familienfotos dekoriert. Dadurch fühlt man sich ein bisschen wie jemand, der privat bei einer Familie zu Gast ist.

Ich stelle mir unweigerlich die Frage, ob ich nicht doch etwas zu alt für solche Art zu reisen bin. Aber ich bin längst nicht die Älteste hier, da ist zum Beispiel noch die 82jährige Südafrikanerin Ruth, die zuvor sogar auf dem Boden (!) der Dachterrasse geschlafen hat. Ruth hat bis vor kurzem ehrenamtlich in der Armee im Bereich des Recyclings gearbeitet. Sie ist überzeugte Christin und möchte Israel unbedingt unterstützen. Es ergibt sich ein lebhaftes Gespräch zwischen uns beiden, bei dem deutlich wird, dass Ruth trotz ihres proisraelischen Engagements die Behandlung der Palästinenser verurteilt. Wir unterhalten uns auch über ihre Situation in Südafrika und sie sagt mir, dass die Gewalt gegen Weiße so zugenommen hat, dass sie sich dort nicht mehr wohl fühlt und so manche jüngere Menschen jetzt Südafrika verlassen. Sie erzählt auch von der dortigen hohen Vergewaltigungsrate und dass immer wieder sogar Babys vergewaltigt werden, weil noch an Magie geglaubt wird, der zufolge Sex mit einem Baby Aids heilen würde. Es ist ein sehr düsteres Bild, das Ruth zeichnet und auch wenn ich nicht in allem zustimme, wird für mich verständlich, warum sie vor dem Hintergrund ihres südafrikanischen Lebensalltags Israel als weitaus weniger unsicher empfindet.

Auch mit anderen Reisenden ergeben sich kurze Gespräche und eine junge Hamburgerin teilt meinen Eindruck, dass hier viel mehr ältere Reisende unterwegs sind als in anderen Ländern, wie zum Beispiel in Südostasien. Ich mache mir Gedanken über die möglichen Gründe. Mein Eindruck ist, dass ein Teil der Israelreisenden sehr geschichtsinteressiert ist und ein weiterer Teil das Land wegen der christlichen Stätten bereist. Leute, die einfach nur Fun haben wollen, wie man sie manchmal in Thailand oder Bali trifft, findet man hier hingegen weniger. Dies liegt mit Sicherheit auch daran, dass Israel ein enorm teures Reiseland ist, das das Budget von Studenten schnell übersteigt. Allerdings wird auch hier in Israel jede Menge Unterhaltung geboten, wie zum Beispiel auch hier in Jaffa, dessen Restaurantzeile mich an das Szeneviertel der Hamburger Schanze erinnert. Als äußerst angenehm empfinde ich die Musik, die hier gespielt wird. Weder Techno noch House, stattdessen Blues- und Rockraritäten.

Wider Erwarten habe ich doch ein paar Stunden fest durchgeschlafen und freue mich auf die schöne Dachterrasse auf der ich meine letzten Stunden vor dem Abflug verbringen werde.

Noch ein paar Worte zu Jaffa: genau wie in Jerusalem gibt es eine kleine Altstadt, die aus vielen kleinen Treppen und engen Gassen besteht. Allerdings ist hier erfreulicherweise nicht alles mit Souvenirshops übersäht, sondern es gibt kleine Galerien und echtes Kunsthandwerk. Viel zu teuer zum Kaufen, aber wunderschön anzusehen. Jaffa liegt direkt am Meer und es gibt einen kleinen Hafen und beim Schlendern stoße ich auf die St. Peters Church. In der Kirche, deren Wände aus rötlichem Marmor bestehen und deren Fenster bunt schillernd Heilige darstellen, werden Choräle gespielt und ich bleibe mindestens eine halbe Stunde, um diese meditative Atmosphäre zu genießen.
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Montag, 12. Oktober 2015
Israel (4) - It's just a normal thing here
Fortsetzung von Israel (3)
Jaffa,06.10.15
Nach den 2 unfreiwilligen Tagen in Tiberias bin ich heute Mittag in Jaffa angekommen. Ich hatte zuerst ein wenig gehadert mit der Tatsache, in Tiberias festzusitzen, denn außer der Lage am schönen See Genezareth ist Tiberias mehr oder weniger langweilig. Aber am letzten Abend wog dann ein Erlebnis das Ganze wieder auf. Als ich nach dem Abendessen noch etwas an der Strandpromenade schlenderte, hörte ich von weitem einen ohrenbetäubenden Lärm. Als ich mich näherte, sah ich, wie vor einem als Sabbathaus ausgeschilderterten Gebäude Männer um einen Tisch mit zwei Thorarollen tanzten. Ich hatte so eine Zeremonie einige Tage zuvor schon einmal in einer Synagoge gesehen. Tora TanzDies hier unterschied sich jedoch erheblich davon, denn während in der Synagoge nur gesungen wurde, wurde hier als Begleitung zum Tanz sehr laute Musik vom Mischpult gespielt. Allerdings nicht, wie man vielleicht erwarten würde, die typischen traditionellen religiösen Gesänge, sondern eine ziemlich schrille Mischung aus einer Art orientalischem Pop und Techno! Und der Tanz wurde auch nicht gemaechtlich und gesittet aufgeführt, sondern erinnerte mehr oder weniger an etwas, das man am ehesten als einen fröhlichen Hexenkessel bezeichnen könnte. Beeindruckend war vor allem, dass es sich keineswegs nur um junge "moderne" Männer handelte, sondern auch einige ältere orthodoxe Gläubige unter den Tänzern waren, die mit ihren klassischen traditionellen schwarzen Mänteln, großen Hueten, Stirnlocken und Bärten zu der äußerst modern und schrill anmutenden Musik mindestens genauso ausgelassen wie die Jungen mittanzten.

Nach einer Weile wurden die beiden Thorarollen von dem Tisch genommen und abwechselnd von den tanzenden Männern herumgereicht, wobei die Rollen dabei immer wieder auch kurz zu den Aussenstehenden gehalten wurden, die die Rollen dann küssten. Bei der Zeremonie handelte es sich um den letzten Tag des Sukkot, also des Laubhüttenfestes, bei dem die Lesung der Thora ihren Abschluss findet und gleichzeitig den Beginn für die neue jährliche Thoralesung bildet.

Ich kann nur schwer beschreiben, welch überaus glücklicher Ausdruck sich während dieser Zeremonie in den Gesichtern der Menschen widerspiegelte. Tora Tanz2 Es war offensichtlich, dass die beiden Thorarollen für die Anwesenden etwas unvergleichbar Glueckbringendes und Seligmachendes darstellten. Entsprechend wurde der Tanz auch immer ausgelassener und wilder.

Wie bereits erwähnt, hat mich die Tatsache, Zeugin eines sso beeindruckenden und unvergleichlichen Ereignisses sein zu dürfen, mit dem ungeplanten Aufenthalt in Tiberias versöhnt.

Tiberias o4.10.2015
Ich habe von den Gewalausschreitungen in Jerusalem erst vor kurzem erfahren, als ich mich noch in Nazareth aufhielt. Da ich nicht ständig online bin und außerdem seit gestern abend damit beschäftigt war , meine Weiterfahrt nach Tiberias zu organisieren, wurde ich erst durch eine SMS von Zuhause darüber informiert.

Es ist nicht nur am Sabbat fast unmöglich, sich von einem Ort zum anderen zu bewegen, sondern an diversen anderen Feiertagen auch. Und heute ist immer noch Laubhüttenfest, das Sukkot, und aus diesem Grund fahren bestimmte Busse nicht, so dass ich notgedrungen ein Taxi nehmen musste, das mich dann zu einer 12 km noerdlich von Tiberias gelegenen Jugendherberge fuhr, die von meinem Reisefuehrer verheißungsvoll als "schönste Jugendherberge Israels" beschrieben wurde. Diese war jedoch ausgebucht und somit musste ich wieder nach Tiberias zurück fahren, obwohl ich eigentlich überhaupt nicht vorhatte, dort zu bleiben. Ich hatte zwar vorab die schönste Jugendherberge Israels angemailt und daraufhin auch eine Antwort erhalten. Diese war allerdings etwas missverstaendlich, so dass ich nochmals nachfragte. Leider erhielt ich aber die zugesagte Antwort nicht. Der Mitarbeiter an der Rezeption begründete dies dann lapidar mit: "Am Sabbat arbeiten wir nicht." See Genezareth Nun bin ich also nicht im Norden Galiäas, aber immerhin am See Genezareth, an dessen Strandpromenade ich ein fürstliches Mahl zu mir nehme.

Aber zurück zu den Ereignissen hier. Als ich mich mit dem sehr hilfsbereiten Mitarbeiter meines Hotels über die Anschläge unterhielt, antwortete er mir lächelnd: "It's just the normal thing here." Es könne auch an jedem anderen Platz etwas schlimmes passieren, letztendlich liegt es nicht in unseren Händen, fügte er noch dazu.

Ich lese während meiner Reise ein wenig über die jüdische Religion und vor diesem Hintergrund kann ich diese Haltung besser verstehen, auch wenn es mir schwerfaellt, jegliches Geschehen als gottgegeben anzusehen. Letztendlich bleibt aber den Menschen, die hier in Israel leben - egal welcher Glaubensrichtung sie angehören - gar keine andere Wahl, als die allgegenwärtige Gewalt hinzunehmen.
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Montag, 5. Oktober 2015
Israel (3) - Im Fauzi Azar in Nazareth
Fortsetzung von Israel (2)
Nazareth 02.10.15
Habe gerade eben noch den Bus nach Nazareth erreicht. Leicht ist es nicht, sich zu den richtigen Busstationen durchzufragen. Mein Guesthouse habe ich durch das Internet entdeckt. Das Fauzi Azar in Nazareth hätte ich allein wahrscheinlich nicht gefunden, aber im Bus spricht mich ein Amerikaner an, der schon einmal dort war und jetzt erneut dorthin will und so gehen wir zusammen. Die Altstadt ist ähnlich wie die in Jerusalem, kleine, enge Gassen mit ausschließlich Geschäften. Allerdings sind die merkwürdigerweise um 19.00 Uhr schon alle geschlossen, so dass alles sehr unwirklich wirkt, fast wie eine Geisterstadt.

Das Fauzi Azar ist nicht irgendein Hotel im Ort, sondern fast schon eine Institution hier in Nazareth. Am folgenden Morgen mache ich eine vom Guesthouse gratis angebotener Tour durch die Stadt, die mit einer kleinen Einführung in die Geschichte des Guesthouse begann. Das rund zweihundert Jahre alte Haus, in dem sich das Fauzi Azar befindet gehört seit Generationen einer arabischen Familie. Die junge Frau, die in perfektem Englisch die Familiengeschichte schildert, erzählt die Geschichte ihres Großvaters, der in den 80er Jahren bei einem Brand im Haus ums Leben kam. Er opferte sich selbst, um das Haus seiner Familie zu retten und den Brand zu löschen. Irgenwann später machte dann ein Geschäftsmann der verwitweten Großmutter das Angebot, sie bei der Führung eines Guesthouses zu unterstützen. Das Ungewöhnliche daran ist, dass es sich bei diesem Mann um einen Juden handelte, der keine Bedenken hatte, gemeinsam mit einer arabischen Familie ein Guesthouse zu führen. Die Großmutter fand die Vorstellung eines gemeinsamen Geschäfts zuerst abwegig und erwiderte auf diese Idee: "Don't talk about piece between jews and arabs ." Aber dann siegte doch die Vorstellung, den in der Unterhaltung sehr kostspieligen Familienbesitz auf diese Art behalten zu können. Fauzi Azar InnBei allem wirkten die Töchter und Enkelkinder unterstützend mit und beim Erzählen der Enkelin wird deutlich, dass das Haus, für das ihr Großvater sein Leben opferte, ein starkes Band zwischen den Familienmitgliedern bildet.

Mein Zimmer gleicht mit seinem hohen aus Natursteinen gemauerten Deckengewölbe eher einem Kirchenraum als einem Zimmer. Und der Innenhof mit Gewächsen und Springbrunnen erinnert an ein Serail. Kein Wunder, dass dieses Guesthouse fast immer ausgebucht ist.
https://abrahamhostels.com/nazareth/the-fauzi-azar-story/

In Nazareth besuche ich die sogenannte Verkündigungskirche, die an der Stelle gebaut wurde, an der Maria die Geburt ihres Sohnes verkündet worden sein soll. Die Kirche ist absulut modern, aber in der Mitte befindet sich tatsächlich sehr altes Gemäuer. Chinesische Madonna in der VerkündigungskircheWas allerdings viel beeindruckender ist, sind die vielen Mariendarstellungen an der um die Kirche herumführenden Mauer. Es sind dort Mariendarstellungen von jedem Land angebracht. So gibt es dann eine Abbildung, auf der Maria und Jesus chinesische Kimonos tragen und chinesische Gesichtszüge haben. Die aus Thailand stammende Abbildung gleicht eher einem buddhistischen Tempelbild als einem biblischen. Und auch die aus Südamerika stammenden Abbildungen sehen völlig anders aus als gewohnt in ihren farbenprächtigen Gewändern.
Fortsetzung Israel (4) hier