Mittwoch, 29. April 2015
Eine kleine große und sehr ungewöhnliche Frau
Ich mag eigentlich weder Rap noch Hip Hop besonders , aber eine Ankündigung im Programm der Hamburger langen Nacht der Museen weckte sofort mein Interesse. Es handelte sich um die „Microphone Mafia“, die zusammen mit Esther Bejarano auftrat. Esther Bejarano ist eine 90jährige Holocaustüberlebende, die im sogenannten Mädchenorchester von Auschwitz Akkordeon spielte.
Esther Bejarano
In der Microphone Mafia spielt auch Esther Bejaranos Sohn Joram und der türkischstämmische Sänger Kutlu Yurtseven mit. Nicht nur eine ungewöhnliche Zusammensetzung in Hinsicht auf den kulturellen Hintergrund, sondern auch auf die Altersstruktur, die drei Generationen umfasst.

Ich konnte mir kaum vorstellen, dass eine derartig ungewöhnliche Zusammenstellung harmonieren könnte. Aber es funktionierte! Die Rapp-Passagen Kutlu Yurtsevens wechselten sich mit dem glockenhellen Gesang Esther Bejananos.ab. Die Texte handelten meist von dem Wunsch nach Freundschaft, Verständigung und Frieden. Esther Bejarano sang auch Boris Vians „Le deserteur“.

Eine kleine Szene wird mir im Gedächtnis bleiben: Als die Gruppe ihre erste Pause machte, ruhte sich Esther auf einem Stuhl aus, woraufhin Kutlu Yurtseven sofort eine eine Decke holte und sie sorgfältig zudeckte. Nach eigenen Aussagen fühlt er sich von Esther Bejarano, die seine Großmutter sein könnte „eingeenkelt“.

Ich beschäftige mich viel mit Auschwitz und musste mir während des Konzerts immer wieder vorstellen, wie Esther Bejarano dort gemeinsam mit anderen Häftlingen buchstäblich um ihr Leben spielte. An der Rampe stehend im Bewusstsein, dass die meisten der ankommenden Häftlinge sofort in den Tod geschickt werden, musste sie fröhliche Musik spielen. Nur durch ihre Musikalität hat sie das Grauen des KZs überlebt. Trotz allem, was ihr angetan wurde, ist sie weder verbittert noch hasserfüllt, sondern widmet sich ihrer Vision der Völkerverständigung. Ein wenig hat mich Esther Bejarano in ihrem Humanismus an die im KZ ermordete Etty Hillesum erinnert, über die ich hier auch schon geschrieben habe. Ich ließ es mir nicht nehmen, ihr nach dem Konzert die Hand zu schütteln. Die Hand einer kleinen kaum 150 cm großen Frau, die durch die Hölle gegangen ist und die mit ihrer Musik der Verständigung eine enorme Größe beweist.



Samstag, 28. Februar 2015
Unterwerfung von Michel Houellebecq – ein Buch für Männer über Männer
"Jeder Mann, ob er nun Sprachphilosoph, Mathematiker oder Komponist von Zwölftonmusik ist, trifft seine Fortpflanzungsentscheidung zwangsläufig nach rein äußerlichen Kriterien, die seit Jahrtausenden unverändert geblieben sind. Ursprünglich fühlen sich natürlich auch die Frauen in erster Linie von den körperlichen Vorzügen angezogen; mithilfe einer entsprechenden Erziehung ist es jedoch möglich, sie davon zu überzeugen, dass das nicht das Wesentliche ist. Man kann sie beispielsweise dazu bringen, sich von reichen Männern angezogen zu fühlen.(…)Die muslimischen Frauen waren ergeben und gefügig, damit könnte ich fest rechnen, sie waren ganz in diesem Sinne erzogen worden, und im Grunde genommen reicht das, um auf seine Kosten zu kommen; was die Küche betraf, so war mir das recht egal, aber auf jeden Fall erhielten sie die entsprechende Erziehung, so dass es in der Regel gelingen sollte, zumindest passable Hausfrauen aus ihnen zu machen."
„Unterwerfung“ von Michel Houellebecq

Schon seit einiger Zeit versuche ich, etwas über Houellebecqs Unterwerfung zu schreiben und frage mich, warum ich mich damit so schwer tue. Vielleicht deswegen, weil ich das Buch zwar einerseits nicht besonders mag, es aber andererseits einen tiefen Einblick in die Denk- und Seinsweise einer gesellschaftlichen Schicht gibt, die sich als das entlarvt, was sie eigentlich latent schon immer ausmachte – eine Bewegung, die immer meilenweit davon entfernt war, das zu leben, was sie nach außen hin so lautstark und oftmals mit Gewalt verbunden propagierte.

„Unterwerfung“ beschreibt eine Linke, deren Selbstverständnis sich hauptsächlich auf die Definition ihres Feindbildes reduziert und dabei unerschütterlich daran festhält, dass der Feind nur rechts stehen kann. Was dann darin gipfelt, bei dessen Bekämpfung jede noch so unselige Alliance einzugehen, wie zum Beispiel die der Wahl der Muslimbrüderschaft. Bei all dem geht es nicht jedoch nicht um die Linke der ersten Stunde, in der Studenten in nicht enden wollenden Diskussionen über den Kampf gegen Imperialismus Adorno und Marcuse zitierten. Es geht vielmehr um die schon seit langem gesellschaftlich etablierte Linke, die mittlerweile in satter Behäbigkeit gut bezahlte Posten in Wirtschaft, Politik oder Wissenschaft besetzt.

Der Protagonist François stellt den Typus jenes Intellektuellen dar, der zwar auf intellektuellem Gebiet überzeugt und brilliert, aber im zwischenmenschlichen Bereich eine Niete ist. Keine Frau will auf Dauer bei François bleiben, immer wird ihm irgendwann von den jeweiligen Partnerinnen mitgeteilt, dass sie „jemand anderen kennengelernt“ hätten. So verwunderlich ist dies auch nicht, denn im Buch kommen zwar immer wieder Frauen vor, aber in erster Linie erfährt der Leser nur von deren Aussehen oder sexuellen Fähigkeiten und nicht jede Frau ist so anspruchslos, sich auf Dauer mit einer derart reduzierten Wahrnehmung ihrer selbst zu begnügen. Auch zu den Eltern besteht keine besondere Beziehung, weitgehend emotionslos nimmt Francois die Nachricht über den Tod der Mutter und des Vaters entgegen und die Reaktion beschränkt sich auf die Abwicklung der Erbangelegenheiten.

Das eigentliche Thema des Buches – der Wechsel Frankreichs von einer laizistischen zu einer muslimischen Gesellschaft erscheint vor dem Hintergrund dieser Charakterisierung eines weitgehend emotions- und bindungslosen Menschentyps plötzlich nicht mehr ganz so abwegig. Aber warum sollten Menschen, denen weitgehend alles egal ist und die sich emotionslos und ohne wirkliche menschliche Bindungen ausschließlich über den Bereich des Intellekts definieren, sich vom Islam angezogen fühlen?

Die Antwort ist ebenso überraschend wie einfach: Polygamie! Plötzlich stellt es kein Problem mehr dar, bei Frauen nicht gut anzukommen. Denn das muss mann jetzt auch nicht mehr, da von nun an professionelle Heiratsvermittlerinnen die passenden Frauen aussuchen. Und die Tatsache, dass auch muslimische Frauen vielleicht nicht auf allen Gebieten fehlerlos sind, kann man durch das perfekte Jobsharing ausgleichen: die Fünfzehnjährige für Sex und die Vierzigjährige für den Haushalt. Dies beschreibt Houellebecq anschaulich, als er einen Mittfünfziger Universitätskollegen besucht und ihm dabei sowohl ein junges Mädchen mit „tiefsitzender Jeans und Hello-Kitty-T-Shirt“ begegnet, als auch eine mollige Frau in den Vierzigern, die leckere Snacks und Tee serviert. Außerdem beschreibt Houellebecq auch ebenso anschaulich die Wandlung eines sehr ungepflegten und unattraktiven Kollegen, der durch die ihm endlich mittels einer muslimischen Heiratsvermittlerin zugeführten Ehefrau plötzlich eine wesentlich gepflegtere Erscheinung erhält.

Einen Haken hat das Ganze natürlich: Warum sollten sich Frauen für ein derartiges Lebensmodell interessieren? Die Antwort bleibt Houellebecq leider schuldig. Vielleicht hat er diesen Aspekt auch schlichtweg vergessen, was ihm durchaus zuzutrauen wäre. Für das von ihm entworfene Szenario ist dies jedoch ein unverzeihlicher Fehler. Die Idee einer aus Angst vor Rechtsextremismus vom Laizismus zum Islam übertretenden Gesellschaft ist vor dem Hintergrund der schriftstellerischen Freiheit, die durchaus auch immer Fiktion beinhalten darf, sicherlich akzeptabel, aber das Schuldigbleiben einer Erklärung, warum Frauen plötzlich ihren Platz in der Gesellschaft aufgeben und den einzigen Sinn im Dasein der Rolle einer Ehefrau sehen sollten, ist es nicht. Ich habe ein halbes Jahr in Frankreich gelebt und kann mir auch mit viel Fantasie keinen Grund vorstellen, warum eine Französin begeistert darüber sein sollte, verschleiert herumzulaufen, ihren Job aufzugeben und ihrem Mann gehorchen zu müssen.

Ich war beim Lesen des Buches oft hin- und hergerissen. Zum Einen empfand ich als regelrecht befreiend, dass jemand die Linke endlich mal so charakterisiert, wie sie oftmals in der Realität leider ist – Menschen, mit erschreckenden Defiziten, was die tatsächliche Mitmenschlichkeit angeht. Zum anderen empfand ich an manchen Stellen so etwas wie Ekel, wenn beispielsweise beschrieben wird, wie der ältliche Protagonist sich von jungen attraktiven Frauen sexuell versorgen lässt – in einer Art, die genauso wenig Erotik beinhaltet, wie etwa die Beschreibung einer Gymnastikübung. Und auch die Vorstellung einer Fünfzehnjährigen im Bett mit einem alten Mann löst bei mir abstoßende statt erotische Assoziationen aus.

Wenn es irgendetwas gibt, wofür man Houellebecq in Bezug auf sein Buch dankbar sein muss, dann dafür, dass er – ob gewollt oder nicht – deutlich macht, dass eine linke Überzeugung für viele noch nie einen Widerspruch zum Sexismus darstellte. Dafür gibt es so viele Beispiele, dass man gar nicht alle nennen könnte – Andreas Baader, der seine Partnerinnen misshandelte und seine Mitstreiterinnen als "meine Zofen" bezeichnete, Klaus Röhl, der seine Tochter sexuell missbrauchte, Karl Marx, der nach bester Gutsherrenmanier von seiner Dienstmagd sexuelle Verfügbarkeit erwartete und das gemeinsame Kind konsequent verleugnete, die vielen linken Politiker, die in steter Regelmäßigkeit ihre Ehefrauen gegen erheblich jüngere Modelle austauschen, Dominique-Strauss Kahn, der sich im Anschluss an politische Treffen zur Entspannung mit jungen Prostituieren versorgen lässt. Auch in meinem Bekanntenkreis gibt es so manchen, der zwar mit erhobener Faust gegen die Ausbeutung der Arbeiter auf die Straße ging, sich aber standhaft weigert für die eigenen Kinder Unterhalt zu zahlen, geschweige denn sich an der Verantwortung zu beteiligen. Männer, die gern lauthals für das Selbstbestimmungsrecht der Entrechteten dieser Welt eintreten, die aber kein Problem mit sexueller Nötigung der eigenen Partnerin haben, genauso wenig, wie es ihnen Skrupel bereitet, die Partnerin zur Abtreibung zu nötigen.

Was würden all diese Männer insgeheim davon halten, wenn ihnen plötzlich durch die Bekennung zum Islam die Möglichkeit eingeräumt werden würde, mehrere Frauen zu haben? Natürlich hätten die meisten Männer ein Problem damit, sich einem Gott zu unterwerfen, zumal die Linke traditionsgemäß Atheismus zum Dogma erhebt. Aber als Entschädigung würden sich die Frauen wiederum ihnen unterwerfen – wiegt das nicht die Unterwerfung an einen ohnehin nur abstrakten Gottes wieder auf? Bis ans Ende seiner Tage sowohl sexuell als auch haushälterisch versorgt sein. Eine junge Frau für den Sex, eine ältere für den emotionalen Halt und vielleicht eine Gleichaltrige für den perfekten Haushalt mit kulinarischen Höhepunkten? Da wäre dann sogar immer noch die Möglichkeit einer weiteren Frau – denn der Islam erlaubt ja bekanntlich derer vier – für noch mehr Bedürfnisse.

Und deswegen ist Houellebecqs Unterwerfung ein Buch in erster Linie ein Buch für Männer.



Freitag, 20. Februar 2015
Nackte Kinder sind echt cool, oder?
Die Musik der Scorpions hat mich eigentlich nie übermäßig interessiert. Trotzdem las ich einen dem 50jährigen Jubiläum gewidmeten Artikel, in dem einzelne Stationen der Band beschrieben wurden. Dabei entdeckte ich dann ein abstoßendes Plattencover*, auf dem ein kleines Mädchen von vielleicht sechs bis neun Jahren splitternackt mit leicht gespreizten Beinen in Pinup-Pose provozierend in die Kamera schaute. Das Kind sitzt hinter einer Glasscheibe und genau über dem Geschlechtsteil befindet sich ein Sprung. Die Platte trug den sinnigen Namen „Virgin Killer“.

Bei Wikipedia las ich dann nach, dass das Cover, „das ein kindliches nacktes Mädchen hinter einer gesprungenen Glasscheibe zeigte, von vielen Leuten als pornografisch empfunden wurde und teilweise mit Kinderpornografie in Verbindung gebracht wurde.“ Eine etwas verwirrende Beschreibung „Ein kindliches nacktes Mädchen“ das kann auch eine 18jährige sein, die einfach noch ein wenig kindlich aussieht. Hier handelt es sich jedoch ganz eindeutig um ein Kind, dass noch weit von der Pubertät entfernt ist. „Als pornographisch empfunden“ und „teilweise mit Kinderpornographie in Verbindung gebracht“ – das ist ebenfalls sehr vage ausgedrückt, denn bei der Abbildung handelt es sich definitiv um Kinderpornographie.

Die 1976 produzierte Platte, die übrigens später den Titel der „LP des Jahres“ erhielt, landete bei einigen Ländern auf dem Index, was dann letztendlich die Scorpions bewog, sich für ein anderes Cover zu entscheiden. Was geht in den Köpfen solcher Männer vor, die sich darin gefallen, ein kleines Kind als kleines geiles Luder zu inszenieren? Darüber kann man nur spekulieren, aber wahrscheinlich gar nichts. Da die 70er Jahre meine Zeit sind, kann ich mit ziemlicher Sicherheit sagen, warum es keine Einwände gab, die einen derartig menschenverachtenden Dreck von vorneherein verhindert hätten. „Spießig, kleinbürgerlich, verklemmt, frigide, scheinheilig, reaktionär“ – das waren die gängigen Totschlagargumente, die Diskussionen von vorneherein unmöglich machten. Natürlich wollte niemand mit solchen Attributen identifiziert werden und so wurde dann oftmals brav der Mund gehalten. Die Macher und Befürworter derartiger Bilder empfanden sich meist als coole progressive Kunstavantgardisten, die ihre künstlerischen Ergüsse als unverzichtbare Befreiung von kleinbürgerlichen Zwängen hochstilisierten.

Aber um ehrlich zu sein – so viel anders ist dies auch jetzt noch nicht. Während ich diese Zeilen schreibe, erinnere ich mich wieder daran, dass vor längerer Zeit einer meiner Beiträge zu einem anderen Blog verlinkt wurde, in dem dann eine ziemlich dümmliche Interpretation erfolgte. Meine Kritik an der allgegenwärtigen Vermarktung der Sexualität (die wohl kaum jemand ernsthaft bestreiten wird) wurde in Verbindung gebracht mit überkommenden Moralvorstellungen, die – wie sollte es auch anders sein – nur eine Folge christlich verklemmter Ethik sein können. Besagter Blogbetreiber weilt jedoch nicht mehr unter uns, so dass ich jetzt frank und frei schreiben kann, ohne dabei eine Verlinkung zu einer oberlehrerhaften Abhandlung über die Zerstörung der ach-so-freien-Sexualität durch christliche Moralvorstellungen zu riskieren.

Übrigens treibt das besagte Plattencover bei Ebay den Preis in die Höhe, denn während man die Platte mit dem späteren Cover schon für den Preis von 15,50 € ersteigern kann, kostet die Platte mit dem ursprünglichen Cover 89,00 €.

Mittlerweile haben die Mitglieder der Scorpions selbst Kinder und wahrscheinlich auch schon Enkelkinder. Ob die Scorpions ihr kleinen Töchter oder Enkeltöchter wohl auch für so ein Plattencover zur Verfügung stellen würden? Wohl kaum. Aber das ist natürlich etwas gaaanz anderes...

*Wer sich selbst von der Machart des Covers überzeugen will, kann unter Eingabe der Begriffe "Scorpions" und "Virgin Killer" bei Google-Bilder das Cover aufrufen.