Unterwerfung von Michel Houellebecq – ein Buch für Männer über Männer
"Jeder Mann, ob er nun Sprachphilosoph, Mathematiker oder Komponist von Zwölftonmusik ist, trifft seine Fortpflanzungsentscheidung zwangsläufig nach rein äußerlichen Kriterien, die seit Jahrtausenden unverändert geblieben sind. Ursprünglich fühlen sich natürlich auch die Frauen in erster Linie von den körperlichen Vorzügen angezogen; mithilfe einer entsprechenden Erziehung ist es jedoch möglich, sie davon zu überzeugen, dass das nicht das Wesentliche ist. Man kann sie beispielsweise dazu bringen, sich von reichen Männern angezogen zu fühlen.(…)Die muslimischen Frauen waren ergeben und gefügig, damit könnte ich fest rechnen, sie waren ganz in diesem Sinne erzogen worden, und im Grunde genommen reicht das, um auf seine Kosten zu kommen; was die Küche betraf, so war mir das recht egal, aber auf jeden Fall erhielten sie die entsprechende Erziehung, so dass es in der Regel gelingen sollte, zumindest passable Hausfrauen aus ihnen zu machen."
„Unterwerfung“ von Michel Houellebecq

Schon seit einiger Zeit versuche ich, etwas über Houellebecqs Unterwerfung zu schreiben und frage mich, warum ich mich damit so schwer tue. Vielleicht deswegen, weil ich das Buch zwar einerseits nicht besonders mag, es aber andererseits einen tiefen Einblick in die Denk- und Seinsweise einer gesellschaftlichen Schicht gibt, die sich als das entlarvt, was sie eigentlich latent schon immer ausmachte – eine Bewegung, die immer meilenweit davon entfernt war, das zu leben, was sie nach außen hin so lautstark und oftmals mit Gewalt verbunden propagierte.

„Unterwerfung“ beschreibt eine Linke, deren Selbstverständnis sich hauptsächlich auf die Definition ihres Feindbildes reduziert und dabei unerschütterlich daran festhält, dass der Feind nur rechts stehen kann. Was dann darin gipfelt, bei dessen Bekämpfung jede noch so unselige Alliance einzugehen, wie zum Beispiel die der Wahl der Muslimbrüderschaft. Bei all dem geht es nicht jedoch nicht um die Linke der ersten Stunde, in der Studenten in nicht enden wollenden Diskussionen über den Kampf gegen Imperialismus Adorno und Marcuse zitierten. Es geht vielmehr um die schon seit langem gesellschaftlich etablierte Linke, die mittlerweile in satter Behäbigkeit gut bezahlte Posten in Wirtschaft, Politik oder Wissenschaft besetzt.

Der Protagonist François stellt den Typus jenes Intellektuellen dar, der zwar auf intellektuellem Gebiet überzeugt und brilliert, aber im zwischenmenschlichen Bereich eine Niete ist. Keine Frau will auf Dauer bei François bleiben, immer wird ihm irgendwann von den jeweiligen Partnerinnen mitgeteilt, dass sie „jemand anderen kennengelernt“ hätten. So verwunderlich ist dies auch nicht, denn im Buch kommen zwar immer wieder Frauen vor, aber in erster Linie erfährt der Leser nur von deren Aussehen oder sexuellen Fähigkeiten und nicht jede Frau ist so anspruchslos, sich auf Dauer mit einer derart reduzierten Wahrnehmung ihrer selbst zu begnügen. Auch zu den Eltern besteht keine besondere Beziehung, weitgehend emotionslos nimmt Francois die Nachricht über den Tod der Mutter und des Vaters entgegen und die Reaktion beschränkt sich auf die Abwicklung der Erbangelegenheiten.

Das eigentliche Thema des Buches – der Wechsel Frankreichs von einer laizistischen zu einer muslimischen Gesellschaft erscheint vor dem Hintergrund dieser Charakterisierung eines weitgehend emotions- und bindungslosen Menschentyps plötzlich nicht mehr ganz so abwegig. Aber warum sollten Menschen, denen weitgehend alles egal ist und die sich emotionslos und ohne wirkliche menschliche Bindungen ausschließlich über den Bereich des Intellekts definieren, sich vom Islam angezogen fühlen?

Die Antwort ist ebenso überraschend wie einfach: Polygamie! Plötzlich stellt es kein Problem mehr dar, bei Frauen nicht gut anzukommen. Denn das muss mann jetzt auch nicht mehr, da von nun an professionelle Heiratsvermittlerinnen die passenden Frauen aussuchen. Und die Tatsache, dass auch muslimische Frauen vielleicht nicht auf allen Gebieten fehlerlos sind, kann man durch das perfekte Jobsharing ausgleichen: die Fünfzehnjährige für Sex und die Vierzigjährige für den Haushalt. Dies beschreibt Houellebecq anschaulich, als er einen Mittfünfziger Universitätskollegen besucht und ihm dabei sowohl ein junges Mädchen mit „tiefsitzender Jeans und Hello-Kitty-T-Shirt“ begegnet, als auch eine mollige Frau in den Vierzigern, die leckere Snacks und Tee serviert. Außerdem beschreibt Houellebecq auch ebenso anschaulich die Wandlung eines sehr ungepflegten und unattraktiven Kollegen, der durch die ihm endlich mittels einer muslimischen Heiratsvermittlerin zugeführten Ehefrau plötzlich eine wesentlich gepflegtere Erscheinung erhält.

Einen Haken hat das Ganze natürlich: Warum sollten sich Frauen für ein derartiges Lebensmodell interessieren? Die Antwort bleibt Houellebecq leider schuldig. Vielleicht hat er diesen Aspekt auch schlichtweg vergessen, was ihm durchaus zuzutrauen wäre. Für das von ihm entworfene Szenario ist dies jedoch ein unverzeihlicher Fehler. Die Idee einer aus Angst vor Rechtsextremismus vom Laizismus zum Islam übertretenden Gesellschaft ist vor dem Hintergrund der schriftstellerischen Freiheit, die durchaus auch immer Fiktion beinhalten darf, sicherlich akzeptabel, aber das Schuldigbleiben einer Erklärung, warum Frauen plötzlich ihren Platz in der Gesellschaft aufgeben und den einzigen Sinn im Dasein der Rolle einer Ehefrau sehen sollten, ist es nicht. Ich habe ein halbes Jahr in Frankreich gelebt und kann mir auch mit viel Fantasie keinen Grund vorstellen, warum eine Französin begeistert darüber sein sollte, verschleiert herumzulaufen, ihren Job aufzugeben und ihrem Mann gehorchen zu müssen.

Ich war beim Lesen des Buches oft hin- und hergerissen. Zum Einen empfand ich als regelrecht befreiend, dass jemand die Linke endlich mal so charakterisiert, wie sie oftmals in der Realität leider ist – Menschen, mit erschreckenden Defiziten, was die tatsächliche Mitmenschlichkeit angeht. Zum anderen empfand ich an manchen Stellen so etwas wie Ekel, wenn beispielsweise beschrieben wird, wie der ältliche Protagonist sich von jungen attraktiven Frauen sexuell versorgen lässt – in einer Art, die genauso wenig Erotik beinhaltet, wie etwa die Beschreibung einer Gymnastikübung. Und auch die Vorstellung einer Fünfzehnjährigen im Bett mit einem alten Mann löst bei mir abstoßende statt erotische Assoziationen aus.

Wenn es irgendetwas gibt, wofür man Houellebecq in Bezug auf sein Buch dankbar sein muss, dann dafür, dass er – ob gewollt oder nicht – deutlich macht, dass eine linke Überzeugung für viele noch nie einen Widerspruch zum Sexismus darstellte. Dafür gibt es so viele Beispiele, dass man gar nicht alle nennen könnte – Andreas Baader, der seine Partnerinnen misshandelte und seine Mitstreiterinnen als "meine Zofen" bezeichnete, Klaus Röhl, der seine Tochter sexuell missbrauchte, Karl Marx, der nach bester Gutsherrenmanier von seiner Dienstmagd sexuelle Verfügbarkeit erwartete und das gemeinsame Kind konsequent verleugnete, die vielen linken Politiker, die in steter Regelmäßigkeit ihre Ehefrauen gegen erheblich jüngere Modelle austauschen, Dominique-Strauss Kahn, der sich im Anschluss an politische Treffen zur Entspannung mit jungen Prostituieren versorgen lässt. Auch in meinem Bekanntenkreis gibt es so manchen, der zwar mit erhobener Faust gegen die Ausbeutung der Arbeiter auf die Straße ging, sich aber standhaft weigert für die eigenen Kinder Unterhalt zu zahlen, geschweige denn sich an der Verantwortung zu beteiligen. Männer, die gern lauthals für das Selbstbestimmungsrecht der Entrechteten dieser Welt eintreten, die aber kein Problem mit sexueller Nötigung der eigenen Partnerin haben, genauso wenig, wie es ihnen Skrupel bereitet, die Partnerin zur Abtreibung zu nötigen.

Was würden all diese Männer insgeheim davon halten, wenn ihnen plötzlich durch die Bekennung zum Islam die Möglichkeit eingeräumt werden würde, mehrere Frauen zu haben? Natürlich hätten die meisten Männer ein Problem damit, sich einem Gott zu unterwerfen, zumal die Linke traditionsgemäß Atheismus zum Dogma erhebt. Aber als Entschädigung würden sich die Frauen wiederum ihnen unterwerfen – wiegt das nicht die Unterwerfung an einen ohnehin nur abstrakten Gottes wieder auf? Bis ans Ende seiner Tage sowohl sexuell als auch haushälterisch versorgt sein. Eine junge Frau für den Sex, eine ältere für den emotionalen Halt und vielleicht eine Gleichaltrige für den perfekten Haushalt mit kulinarischen Höhepunkten? Da wäre dann sogar immer noch die Möglichkeit einer weiteren Frau – denn der Islam erlaubt ja bekanntlich derer vier – für noch mehr Bedürfnisse.

Und deswegen ist Houellebecqs Unterwerfung ein Buch in erster Linie ein Buch für Männer.