Sonntag, 11. Januar 2015
Chapeau
Je suis juif
Je suis musulman
Je suis chrétien
Je suis athée
Je suis Charlie Hebdo

Je suis ici pour battre pour notre liberté. Sans liberté on ne vit plus*.

Ich bin beeindruckt von der Einigkeit, mit der die Franzosen heute geschlossen für ihre Freiheit eingetreten sind. In Deutschland würde es wahrscheinlich wie immer irgendwelche Grüppchen geben, denen es wichtig ist, ihre Abgrenzung gegen die anderen zu demonstrieren. Viele Deutsche kämpfen gern gegen etwas, aber tun sich schwer, für etwas zu kämpfen.

Ich weiß jetzt schon, dass sich so mancher – auch hier im Netz – über das Singen der Marseillaise aufregen wird. Denn Deutsche pauschalieren gern, besonders diejenigen, die selbst gern anderen vorwerfen, zu pauschalieren. Aber es gibt ein Einigkeitsgefühl jenseits von tumbem Stolz, welcher andere ausschließt um sich selbst zu erhöhen. Dieses Gefühl kann man nur kennen, wenn man sich nicht über den Unterschied zum anderen definiert, sondern über die Gemeinsamkeit.

Und deswegen bin ich über die oben angeführten Zeilen eines bei der Trauerkundgebung gezeigten Schildes auch so begeistert:

Ich bin Jude
Ich bin Muslim
Ich bin Christ
Ich bin Atheist
Ich bin Charlie Hebdo

Zu so einem Bekenntnis könnten sich Deutsche nur schwer durchringen.

Auch der Satz einer Teilnehmerin des Trauermarsches „Ich bin hier, um für unsere Freiheit zu kämpfen. Ohne Freiheit lebt man nicht mehr“ wird man hier eher selten hören. Hier gehen die Pegida-Anhänger gegen eine angebliche Überfremdung auf die Straße und die Anti-Pegida-Anhänger wiederum demonstrieren gegen die Pegida-Anhänger.

Bei alldem, was in den vergangenen Tagen geschehen ist, geht es um nicht mehr und nicht weniger als um Freiheit. Das hat nichts mit Panikmache und auch nichts mit dem sogenannten Generalverdacht gegen alle Muslime zu tun, sondern es geht um eine Weichenstellung, bei der man sich entscheiden muss, ob die Freiheit des Wortes über religiösen oder politischen Dogmen steht. Die Franzosen bringen dies fertig, ohne den Respekt vor religösen Überzeugungen zu verlieren. Chapeau!



Donnerstag, 8. Januar 2015
Was jetzt passieren sollte damit nicht noch mehr passiert

Der Anschlag auf die Redaktion der französischen Zeitung Charlie Hebdo wird nicht der letzte bleiben, andere werden folgen. Es gibt keinen Grund, darauf zu hoffen, dass derartige Anschläge aufhören.

Als Anfang der 90er Jahre in Mölln ein Brandanschlag auf ein Haus mit türkischstämmigen Bewohnern verübt wurde, bei dem zwei Kinder und eine Erwachsene getötet wurden, entschloss ich mich wie viele andere auch, an der Trauerkundgebung teilzunehmen. Zum einen war es mir wichtig, mein Entsetzen über eine so furchtbare Tat auszudrücken, zum anderen wollte ich damit auch ein Zeichen setzen gegen die rechten Gewalttäter. Ich war überrascht, dass mein damaliger Chef meinen Wunsch, in der Arbeitszeit an der Kundgebung teilzunehmen, sofort ohne Wenn und Aber akzeptierte. Ich musste nicht lange erklären, warum es wichtig ist, ein Zeichen gegen diese Form der Gewalt zu setzen.

Jetzt ist der Moment, in dem all jene Muslime, die Gewalt gegen Andersdenkende ablehnen, gemeinsam ein Zeichen setzen müssen. Ich bin es müde zu hören, wie friedlich der Islam im Grunde ist und welch großes Unrecht den Muslimen mit einer Generalverurteilung aller Muslime angetan wird. Damit konstruiert man eine Opferrolle, die angesichts der zwölf Todesopfer fehl am Platz ist. Worauf es jetzt ankommt, sind nicht Belehrungen und Retourkutschen, sondern ein entschlossenes offen bekundetes „Nein zur Gewalt“.

Geht endlich auf die Straße. Wenn Ihr die Gewalt gegen Andersdenkende für unvereinbar mit dem Islam haltet, zeigt dies endlich öffentlich. Setzt endlich ein Zeichen gegen all jene, die sich berufen fühlen, im Namen ihres Glaubens Menschenleben zu zerstören.

Sicher – ob man damit weitere Gewalttaten aufhalten kann, ist nicht gewiss. Aber zumindest ist es der längst überfällige Schritt um den Glaubensfanatikern deutlich zu machen, dass die große Mehrheit der Muslime nicht hinter ihnen steht. Und mit Sicherheit wird dies auch die einzige realistische Möglichkeit sein, um all jenen, die Angst vor dem Islam haben, deutlich zu machen, dass Islam nicht gleich Gewalt ist. Und auf jeden Fall wird dies mehr Überzeugungskraft haben als die Generalanklage des Rassismus.

Vielleicht ist es ja noch nicht zu spät. Zumindest dann nicht, wenn ein wirklicher Wille zum Frieden vorhanden sein sollte.

Edit: ich wünschte, ich hätte Unrecht behalten: je suis paris



Donnerstag, 1. Januar 2015
Das kleine Stalingrad zu Sylvester
Es ist schon lange her, dass ich wirklich Spaß an Sylvester hatte. Mittlerweile könnte ich gut und gern darauf verzichten. Ich wohne in einem Viertel, in dem regelrecht aufgerüstet wird was Böller und Raketen angeht. Und längst scheint es den Betreffenden dabei riesigen Spaß zu machen, die Raketen nicht gen Himmel, sondern direkt auf Autos oder Fenster zu schießen. Böller in Richtung von Menschen zu werfen gab’s schon zu meiner Jugend, allerdings waren die wesentlich kleiner und nicht vergleichbar mit den jetzigen XXL-Böllern, die weitaus gefährlich sind. Ich erinnere mich mit Wehmut an einige Sylvesterabende, die ich in einem Ferienhaus in Dänemark verbracht habe. Nur von weitem einige Raketen und Böllerschüsse – so richtig angenehm. Bei einem Sylvesterabend in Paris war es nicht viel anders.

Ältere Menschen, die den Krieg miterlebt haben, sagen oft, dass die Sylvesterknallerei wieder die fürchterlichen Kriegserinnerungen lebendig werden lässt. Und das fiel mir gestern ein, als wir die Rückkehr in unsere Wohnung erst antraten, als das Geballere ein wenig nachließ. Wobei man wirklich von „ein wenig“ sprechen muss, denn es knallte und schepperte immer noch heftig. Man fühlt sich wie ein gehetztes Tier, wenn man versucht, nicht in die Schusslinie von Jugendgruppen zu geraten, die es zum Brüllen komisch finden, ihre Böller in Richtung Menschen zu werfen. Vor unserer Wohnung dann ein Schlachtfeld aus Böllerkartons, Verpackungen und Flaschen fürs Abschießen der Raketen. Und es loderten tatsächlich aus einem der Müllhaufen Flammen, so dass der Begriff „Schlachtfeld“ wirklich nicht übertrieben ist. In Hamburg gab es fast 220 Brände in der Sylvesternacht und mehr als 1.000 Feuerwehreinsätze.

Leider lag ich die meiste Zeit zwischen Weihnachten und Sylvester krank auf dem Sofa, so dass aus unserem Plan nach Dänemark zu fahren nichts wurde. Aber nächstes Jahr wird mich keiner daran hindern Reißaus zu nehmen. Wohin ist mir letztendlich egal – Hauptsache weg aus dieser fürchterlichen Gegend, aus der ab dem 30.12. ein Miniaturstalingrad wird.