Vorgestern stolperte ich über eine Szene des Films „Das Zeugenhaus“. Der Film spielt im Jahr 1946 zur Zeit der Nürnberger Prozesse und es geht um die vorgeladenen Zeugen, die von der amerikanischen Besatzungsmacht gemeinsam in eine Villa einquartiert werden. Zu den Zeugen gehörten sowohl NS-Täter als auch Opfer, was zuerst zu schwelenden und später zu offenen Auseinandersetzungen führt.
Zu den in der Villa lebenden Zeugen gehört auch Henny von Schirach, die Ehefrau des Reichsjugendführers Baldur von Schirach und Tochter Heinrich Hoffmanns, des Leibfotografen Adolf Hitlers. Henny von Schirach gehörte zum engeren Bekanntenkreis Hitlers und verbrachte auch Zeiten auf Hitlers Berghof. Henny von Schirach erwähnt gegenüber den anderen Bewohnern eine Auseinandersetzung mit Hitler, in der sie ihm ins Gesicht sagte, dass es unmenschlich sei, wie die Juden bei den Deportationen behandelt werden. Hitler reagierte sehr wütend und war so erbost, dass sie und ihr Mann vom Berghof verbannt wurden.
Es ist diese Szene, um die es mir hier geht, denn diese Begebenheit hat sich nachweislich tatsächlich so zugetragen. Sowohl Albert Speer, Traudel Junge und Goebbels bestätigen den Vorfall. Traudel Junge hat in ihrem Buch auch die Reaktion Hitlers sehr genau beschrieben: Henriette von Schirach, „die ja eine relativ vertrauliche Position gegenüber Hitler hatte, […] hat den Führer darauf angesprochen, dass es ganz schrecklich wäre, wie die Juden in Amsterdam behandelt werden..“ Daraufhin hätte Hitler ihr wütend geraten, sich nicht in Dinge einzumischen, die sie nicht versteht, sich über „diese Gefühlsduselei und Sentimentalität“ geärgert und den Raum verlassen. Henny von Schirach sei als Reaktion darauf nie wieder auf den Berghof eingeladen worden. Albert Speer beschreibt die Reaktion auf die Auseinandersetzung als „düstere Stimmung“ und als Grund für die Verbannung vom Berghof.
Warum beschäftigt mich diese Szene so? Weil mir bisher nicht bekannt war, ob es jemals dazu kam, dass Hitler innerhalb seines Bekanntenkreises mit Vorwürfen in Bezug auf das Vorgehen gegen die die Juden konfrontiert wurde. Wobei man sich über die Person der Henny Schirach nicht täuschen darf, denn sie war begeisterte Anhängerin Hitlers und ihr Mann war bekennender Antisemit. Und auch nach dem Krieg war bei Henny von Schirach nicht die geringste Einsicht in die Verbrechen vorhanden, wie schon an ihren merkwürdigen Buchtiteln „Anekdoten um Hitler“ und „Der Preis der Herrlichkeit“ deutlich wird.
Es ist eine absurde Situation – in grenzenloser Naivität und Unbedarftheit wirft eine junge Frau einem Mann, der nie ein Hehl aus seinem Vernichtungsfeldzug gegen die Juden gemacht hat, deren unmenschliche Behandlung vor. Der Vorwurf richtet sich gegen jemanden, der von Anfang an klar als Massenmörder erkennbarer war und dessen Programm ebenso klar erkennbar eine Verkörperung der Inhumanität darstellte. Henny von Schirach scheint dies jedoch während all den Jahren in ihrer großen Begeisterung konsequent ausgeblendet zu haben und so kommt es zu jener grotesken Situation, in der von einem Massenmörder eine Antwort darauf erwartet wird, warum er denn Menschen nicht besser behandelt.
Genauso absurd wie Henny von Schirachas naiv vorgebrachte Kritik fällt auch Hitlers Reaktion aus. Der unumschränkte Herrscher über Deutschland und Herrscher in spe über die gesamte Welt verlässt beleidigt den Raum wie ein kleiner Junge, der von der Mama zu Unrecht getadelt wurde. Man stellt sich unweigerlich die Frage, warum jemand, der sich der Rechtmäßigkeit seines Antisemitismus so ungemein sicher ist, durch den naiv vorgetragenen Vorwurf der Unmenschlichkeit dermaßen seine Fassung verliert. Umso mehr, als doch seiner Ideologie entsprechend Unmenschlichkeit eine Tugend und keine Schwäche darstellt, der man sich folglich auch nicht schämen muss. Wieso wird jemand, der Millionen von fanatischen Menschen hinter sich hat, die bereit sind für ihn zu sterben, durch einen einzigen Satz einer im Grunde völlig unwichtigen Frau dermaßen verunsichert?
Wenn ich mir die Szene bildhaft vorstelle und vor mir den Mann sehe, der sich in einem krankhaften Größenwahn dazu berufen fühlte, erst Deutschland und dann die ganze Welt zu unterwerfen und der in einem ebenso krankhaften Hass die Verantwortung für alle Übel dieser Welt auf die Juden projizierte – was spielte sich in dessen Denken ab, als ihm von einer durch und durch treu ergebenen jungen Frau der Vorwurf der Unmenschlichkeit gemacht wurde? Was löst es bei jemandem aus, der sich für unfehlbar und von höheren Mächten berufen wähnt, wenn sich unter das uneingeschränkte Bejubeln seines Handelns doch einmal ein winziger Funken Kritik einschleicht?
Die grenzenlose Unbedarftheit Henny von Schirachs und die ins Lächerliche gehende Reaktion Hitlers erinnern mich an Hannah Arendts Theorie der „Banalität des Bösen“. Dieser Theorie zufolge ist das Böse nicht das Werk von monströsen Psychopathen und menschlichen Ungeheuern, sondern das der ganz normalen Durchschnittsbürger. Menschen, die grundsätzlich noch nicht einmal pathologisch gefühlskalt sein müssen, sondern die durchaus in der Lage sein können, Unmenschlichkeit als Unrecht zu empfinden. Und die trotz des subjektiven Empfindens von Unrecht dem Verursacher dieses Unrechts keinen Widerspruch leisten.
Es ist diese Banalität des Bösen, die das Ungeheure zu etwas Allgegenwärtigem machen, das zeitlos ist und weit über das Dritte Reich hinausgeht. Das Dritte Reich mag Vergangenheit sein, die ihm zugrunde liegenden menschlichen Mechanismen bestehen nach wie vor und finden sich wiederkehrend in den alltäglichen Situationen unseres Lebens. Es wird immer Menschen geben, die sich berufen fühlen anderen Ordern zu geben und für die es keinen größeren Frevel gibt, als den der Kritik an ihrem Handeln. Und genauso wird es immer Menschen geben, die diese Ordern und Verbote in blinden Gehorsam befolgen.
Nein, es geht eben nicht nur um die großen Diktatoren, die sadistischen Kapos und die fanatischen Gefolgsmänner. Es geht genauso um den kleinen Angestellten, der eifrig auf eine Position hinarbeitet, in der er vom Getretenwerden zum Treten wechselt. Es geht genauso um den Geschäftsführer, der sich geschickt Bedingungen schafft, in denen niemand mitbekommt, wie in die eigene Tasche gewirtschaftet wird und Menschen Unrecht zugefügt wird. Es geht genauso um die kleine Bürohilfe, die das alles mitansieht und trotz des Wissens über die Unrechtmäßigkeit in dumpfer Gewohnheit treu ihre Pflicht erfüllt. Es geht genauso um den Kaufmann, der in soziale Arbeitsfelder eindringt und in Menschen nichts anderes sieht als eine Einkommensquelle.
Die beiden Protagonisten dieser absurden Situation – Henny von Schirach, die unbeirrt ihrem Führer die Treue hält, obwohl sie das Unrecht und Leid erkennt, das er anderen zufügt. Eine unbedarfte Frau, die selbst nach ihrer Verbannung noch um Verständnis für einen Massenmörder wirbt. Und auf der anderen Seite ein kleiner Gefreiter, der sich zum unangefochtenen Alphatier einer Nation hochgearbeitet hat, aber den dennoch eine einzige Kritik so aus dem Konzept bringt, dass er wie ein schmollendes Kind wegläuft. Ein Lehrstück über das, was den autoritären Charakter im Wesentlichen ausmacht – das Stehenbleiben auf einer kindlichen Entwicklungsstufe, in der ein Kind mit allen Mitteln und um jeden Preis trotzig seinen Willen durchsetzen will.
Felsenküsten, Soldatenfriedhöfe, Gaumenfreuden – Reisen durch die Bretagne und die Normandie
01.10.14 Paris
Gestern sind wir in Paris angekommen und der Kontrast von Natur und Stadt könnte nicht größer sein. Eben noch Möwengeschrei und Felsklippen, jetzt überfüllte Metros und Hochhäuser. Aber ich hole hier etwas nach, was ich während meiner Zeit in Paris sträflich versäumt habe – endlich
einmal die Krypta der Kathedrale von St. Denis anzusehen. Es ist beeindruckend, dass hier der größte Teil der französischen Könige und Königinnen gemeinsam beigesetzt wurden. Aber noch beeindruckender ist, dass hier auch schon die Gebeine vieler Karolinger und sogar einiger Merowinger beigesetzt sind.
Die Glasfenster der Kathedrale von St. Denis gehören zu den ältesten Kirchenfenstern überhaupt. Obwohl ich alles andere als sicher im Bestimmen der einzelnen Kunstepochen bin, wird mir einmal mehr klar,
was die große Bedeutung des Übergangs von den romanischen Bauten zu den gotischen in erster Linie ausmacht – die regelrechte Überflutung durch Licht. Und weil es eben nicht nur einfache Glasfenster waren, durch die das Licht hinein strömte, sondern filigrane Darstellungen der Bibel in den schillernsten Farben, muss das auf die damaligen Kirchgänger wie eine Offenbarung gewirkt haben.
29.09.14 Cap Fréhel und Dol-de-Bretagne
Der wohl schönste Teil der Steilküste der Bretagne befindet sich am Cap Fréhel. Die Höhe ist schwindelerregend, was noch dadurch verstärkt wird, dass keine Mauern oder Zäune vorhanden sind. Kormorane sitzen entweder regungslos in ganzen Kolonien auf den Felsen oder aber fangen blitzartig im Sturzflug Fische.
Es gibt natürlich noch andere Touristen außer uns, aber merkwürdigerweise kann dies dem Ort nicht den Zauber der Einsamkeit nehmen. Man hört nur den Wind und manchmal für kurze Zeit von weitem leise das Motorengeräusch von Jachten.
Auf dem Rückweg von Cap Fréhel fahren wir über Dol-de-Bretagne, wo wir uns den großen Menhir ansehen wollen. Als ich das erste Mal ein Foto eines Menhirs gesehen habe, hat mich dies unweigerlich an die Hinkelsteine von Obelix erinnert. Und genauso wenig wie man weiß, was genau Obelix denn nun mit den vielen Hinkelsteinen macht, die er fortwährend mit sich herumträgt, genauso wenig kann man es wirklich eindeutig sagen, welche genaue Funktion die Menhire in ihrer Zeit hatten. Sicher ist nur, dass sie sakrale Bedeutung hatten. Über die Form der Rituale und Zeremonien weiß man nichts.
Aufgrund der wenig hilfreichen Beschreibung meines Reiseführers finden wir den Menhir erst sehr spät und es ist fast schon dunkel. Der Menhir steht ohne irgendwelches ansonsten übliches touristisches Beiwerk wie Cafés oder Souvenirshops einfach so auf einem Feld über dem langsam die Mondsichel aufgeht. Wir sind völlig allein und es ist still, so dass man sich kaum der Magie dieses Anblicks entziehen kann. Man kommt ein wenig ins Nachdenken über die völlig unterschiedliche Form sakraler Stätten. Da gibt es auf der einen Seite die riesigen Kathedralen, die mit einem
unbeschreiblichen Aufwand an menschlicher Arbeitskraft und ausgeklügelter Architektur geschaffen wurden und da gibt es einen großen Stein, der einfach so wie ihn die Natur geschaffen hat in unveränderter Form auf einem Feld steht. Die Funktion beider Stätten ist die Gleiche – der Versuch, sich etwas Höheres als den Menschen zu vergegenwärtigen. Dennoch gibt es einen entscheidenden Unterschied, denn einmal bezieht sich die Anbetung auf etwas von Menschenhand Geschaffenes und das andere Mal bezieht sich die Anbetung auf einen Teil der Schöpfung.
27.09.14 Mittelalter in Dinan
Eigentlich hat man in vielen Teilen der Bretagne das Gefühl, die Zeit sei ein wenig stehengeblieben. In Dinan jedoch hat man das Gefühl einer Reise ins Mittelalter. Die Stadt liegt oberhalb des Flusstals der Rance und schon von weitem sieht man die riesige über die Rance führende Brücke. Enge verwinkelte Gassen mit Fachwerkhäusern, die durch die Jahrhunderte teilweise abgesackt sind und manchmal aussehen, als würden sie im nächsten Augenblick umkippen.
In einem Geschäft kaufe ich ein Buch mit Rezepten für bretonische Crepes bzw. Gallettes, wie sie hier heißen und dabei höre ich das erste Mal die bretonische Musik, die mir auf Anhieb gefällt. Glockenhelle Frauenstimmen und Dudelsack – ähnliche Klänge habe ich auch schon von Gruppen auf Mittelaltermärkten gehört, aber die bretonische Musik ist ruhiger und melodischer.
26.09.14 Cancale. Austern - das erklärte Gegenteil von Fastfood
In der gesamten Bretagne werden Austern in den Restaurants angeboten, aber in Cancale befindet sich die größte Austernzucht. Von der Strandpromenade aus kann man die merkwürdigen rechteckigen Becken sehen und am Weg hinab zur Austernzucht befindet sich der Austernmarkt. Es sind insgesamt nur etwa 10 Stände, aber trotzdem ist der Markt sehr berühmt. Man bekommt einen Teller mit sechs oder 12 Austern und ein bis zwei Zitronen. Der Teller und die Zitronenschalen werden zurückgegeben und die Austernschalen werden über die Strandbalustrade gekippt. So wie andernorts Wege mit Kies bedeckt sind, ist der Strandweg entsprechend über und über mit Austernschalen bedeckt, deren Perlmutt in der Sonne schimmert. Es gibt nicht nur die normalen Austern, sondern auch riesige sogenannte „Pferdefussaustern“, die in der Tat so groß wie ein Hufeisen sind.
Es scheint keinen Franzosen zu geben, der diese Meeresfrüchte nicht genießt. Mir erschließt sich diese Vorliebe leider nicht, aber dennoch schaue ich gern dabei zu, mit welchem Genuss Franzosen die Austern verzehren. In den Restaurants und am Markt wird das Austernessen regelrecht zelebriert. Wenn man
bedenkt, dass die eigentliche Meeresfrucht nur sehr klein ist, dann ist es erstaunlich, wieviel Zeit ein Franzose benötigt, ehe die geringe Masse an Austernfleisch verzehrt ist. Einen größeren Unterschied zum Fastfood gibt es wohl nicht.
Das erste Austernessen in diesem Urlaub verlief übrigens nicht sehr erfreulich, sondern endete für meinen Freund mit heftigem Erbrechen und langen Sitzungen auf dem Clo. Was ihn allerdings nicht abhalten konnte, schon am übernächsten Tag wieder zwei Portionen zu sich zu nehmen. Die Versuchung war einfach zu groß.
25.09.14 Mont St. Michel
Nachdem man sich spiralförmig durch die engen Gassen und Treppen mit den vielen Souvenirshops und Restaurants durchgearbeitet hat, gelangt man irgendwann zum eigentlichen Kern des Mont St. Michel, nämlich zur auf der Spitze gelegenen Abtei.
Der Kreuzgang und der Ausblick sind genauso fantastisch, wie in den Reiseführern beschrieben. Ich hatte immer gedacht, dass es Wattwanderungen nur in unserer Nordsee gibt, aber auch hier sind viele Gruppen im Watt unterwegs, die von oben wie bunte Ameisen aussehen.
Sakralbauten haben für mich immer etwas Beeindruckendes. Aber anders als eine Kathedrale ist der Mont St. Michel eben nicht nur ein durch Menschenhand entstandenes Gebilde, sondern gleichermaßen auch ein Naturerlebnis und er erinnert mich irgendwie an die griechischen Klöster in Meteora, bei denen man auch darüber staunt, wie Menschen es geschafft haben, die vielen Steine und Balken in schwindelnde Höhe zu transportieren.
24.09.2014 Roche Torin, Bretagne - kaputtes Navi und Jeanne d'Arcs Tränen
Als wir gestern schon fast an dem Ort angelangt waren, in dem sich unsere telefonisch reservierte Ferienwohnung befindet, gab das Navi plötzlich den Geist auf und wir mussten auf altbewährte Art mit Hilfe von Landkarten suchen. Nicht ganz einfach, wenn es sich nur um Straßendörfer handelt, die oft gar nicht verzeichnet sind. Vollends chaotisch wurde es dann, als sich herausstellte, dass mein Freund beim Reservieren versehentlich die Telefonnummer vertauscht hatte und wir dadurch an einer völlig anderen Adresse ankamen. Allerdings war die dortige Vermieterin sehr nett und redselig und malte uns genau auf, wo sich die gebuchte Unterkunft befand. Ziemlich genervt kommen wir dann in Roche Torin an. Der Ort liegt nicht weit vom Mont Michel, die auf einer Felseninsel gelegene berühmte Klosterburg. Durch die lange Suche hatten wir keine Zeit, uns die Insel näher anzusehen, aber sie taucht immer wieder wie eine Fata Morgana in der untergehenden Sonne am Horizont auf.
Heute Morgen sehen wir auf dem Weg zum Frühstücksraum unseren Vermieter, der auf einem riesigen Tisch im Hof mit einem Hackebeil zwei Schafe zerlegt. Die „Patronne“ erzählt uns, dass sie und ihr Mann regelmäßig selbst schlachten, obwohl sie jetzt nicht mehr soviel Viehzucht wie früher betreiben. Jeden zweiten Satz beendet sie mit „C’est comme ça!“ – „So ist es“! Das erinnert mich an die Comicserie „Frühstück bei Stephanie“ in der Stephanie in regelmäßigen Abständen „Es is’ ja wie es is’“ von sich gibt. Aber auch unser norddeutsches „Muscha“, das gleichbedeutend ist mit „Ich muss ja“ (= „da muss man durch“) fällt mir ein.
Auf der gestrigen Fahrt nach Mont Michel hielten wir in Rouen. Dort befindet sich die berühmte Kathedrale Notre-Dame de Rouen, deren Bau im 11. Jahrhundert begann. Die gotische Kathedrale ist riesig und in den Seitenschiffen befinden sich viele kleine Kapellen – Kapelle der heiligen Anne, der heiligen Marguerite, des heiligen Julien um nur einige zu nennen. Und eine der vielen Kapellen ist Jeanne d’Arc gewidmet, die hier in Rouen hingerichtet wurde.
Auf dem Marktplatz erinnert ein Platz mit einer Gedenktafel an sie. Obwohl inzwischen etliche Jahrhunderte vergangen sind, lässt mich die Grausamkeit erschauern, mit der hier eine unschuldige junge Frau hingerichtet wurde.
In Rouen findet man das, was woanders oftmals schon seit langem durch Supermärkte verdrängt wurde – Fachhandel. Es gibt kleine Geschäfte, in denen es nur Haushaltsartikel gibt, Seifen und Parfümgeschäfte, Schustereien,
ein kleiner Laden ausschließlich für Reinigungsartikel, Chocolaterien und sogar einen Geigenbauer. Dazu viele kleine Galerien. All diese kleinen Geschäfte befinden sich in engen Gassen mit Fachwerkhäusern.
Vor einer der Chocolaterien steht eine kleine deutsche Reisegruppe und die Leiterin erklärt, dass nur die Chocolaterien hier in Rouen die Spezialität „Les armes de Jeanne d’Arc“ anbieten und sie macht darauf aufmerksam, dass schon der Geruch beim Betreten des Geschäfts betörend ist. Ich beschließe daraufhin, hineinzugehen, und tatsächlich – ich habe noch nie so einen betörenden Schokoladengeruch wahrgenommen, wie in dieser Chocolaterie. Ich kaufe mir auch eine Probierpackung der larmes de Jeanne d’Arc, die sich als Mandeln entpuppen, die mit einer Art Mischung aus Kakao und Vanille umhüllt sind und genauso gut schmecken, wie sie riechen.
22.09.2014 Normandie, Dieppe - Charcutrie und Kämpfer der Resistance
Nachdem wir bis fast 2.00 Uhr nachts kein freies Hotel in der Gegend um Amsterdam fanden, übernachteten wir irgendwo in einem holländischem Motel an der Autobahn. Heute sind wir nun in Dieppe gelandet, einem Küstenort in der Normandie, und wieder suchen wir vergeblich nach einem erschwinglichen kleinen Hotel, so dass wir schließlich notgedrungen in einem großen und sehr teueren Hotel am Strand übernachten. Ich fange schon an, mich zu fragen, ob ein Pauschalurlaub nicht doch seine Vorteile hat, weil alles durchorganisiert ist, aber unser „Gite“, so nennt man eine kleine Ferienwohnung, in Ourville-la-Riviére überzeugt mich, dass es sich doch lohnt, sich vor Ort etwas zu suchen. Der Ort besteht nur aus einer handvoll Häuser und es ist himmlisch ruhig. Unsere Vermieterin verwöhnt uns morgens mit selbstgemachten Konfitüren.
Dieppe erinnert mich mit seiner riesigen Steilküste an Rügen. Abends essen wir im „New Haven“ und obwohl ich schon viele Male in Frankreich fantastisch gegessen habe, ist dies wohl das beste Menü, das ich jemals genoss: warmer Schafskäsesalat, Meeresfrüchteteller und „Ile flotant“ eine traumhafte Crème.
Am folgenden Tag lassen wir uns nicht davon abschrecken, dass es schon relativ kühl ist und machen ein Picknick am Strand. Wir decken uns dazu in einer „Charcutrie“ ein. Charcutrie bezeichnet sowohl das, was man in Deutschland als „Aufschnitt“ bezeichnet, als auch ein Geschäft, in dem ausschließlich frische Waren angeboten werden , wie Salate, Quiches und Pasteten in allen Variationen. Bei uns würde so ein Geschäft wohl am ehesten als Delikatessengeschäft bezeichnet werden.
Etwas für die Normandie sehr Bezeichnendes ist die Allgegenwärtigkeit des zweiten und ersten Weltkriegs. Soldatenfriedhöfe und Denkmale erinnern an den Einmarsch der Deutschen im ersten und an die Landung der Alliierten im zweiten Weltkrieg.
Außerdem gibt es auch Denkmale, die den Kämpfern der Resistance gewidmet sind.
Auf der Fahrt nach Dieppe besuchen wir den kleinen Ort Guise, in dem sich das Grab der Großeltern meines Freundes befindet. In Frankreich ist es üblich, kleine Marmorplatten auf die Gräber zu stellen mit Aufschriften wie zum Beispiel „Für meine Eltern“ oder „Unserer Schwester“ etc. Auf dem Grab des Großvaters steht eine kleine Grabplatte mit der Aufschrift „Les ancients combatants“ – Die ehemaligen Kämpfer. Während dies In Deutschland ungute militaristische Assoziationen wecken würde, ist die Bedeutung in Frankreich eine völlig andere, denn hier werden damit diejenigen bezeichnet, die gegen die Besatzung gekämpft und in der Resistance ihr Leben riskiert haben.
Ich versuche, mich ein wenig mit der Geschichte der Bretagne und der Normandie vertraut zu machen. Die bretonische Geschichte ist durch die Tatsache beeinflusst, dass die normannischen Herzöge über lange Zeit auch englische Könige waren und somit eine Doppelfunktion innehatten. Während die Franzosen die Herrschaftsansprüche der englischen Krone als Anmaßung ansehen, habe ich als Nichtfranzösin durchaus vor Augen, dass es ja ursprünglich die Normannen waren, die zuerst die Herrschaft in England an sich rissen. Und irgendwie meint man, manchmal immer noch einen Hauch der alten Erbfeindschaft zu spüren. Die von den Engländern als „Kollateralschaden“ bezeichneten Bombardierungen im zweiten Weltkrieg haben im wahrsten Sinne Feuer auf die alten Wunden gegossen.
21.09.2014 Amsterdam- Prostituierte hinter Glas und Stadt der Fahrräder
Auf dem Weg nach Frankreich machen wir einen Zwischenstopp in Amsterdam. Ich war das letzte Mal im Alter von ca. 15 Jahren in Amsterdam und habe kaum noch verlässliche Erinnerung. Jetzt scheint mir Amsterdam eine ähnliche Entwicklung wie auch Hamburg gemacht zu haben, denn während es früher eine absolute Ausnahme darstellte, dass zu Restaurants auch draußen befindliche Tische gehören, so ist dies heute gang und gäbe.
Entsprechend enger aber auch lebhafter wird es auf der Straße. Nachdem wir tatsächlich einen Parkplatz gefunden haben, drängen wir uns also durch die engen Gassen. Wir passieren dabei auch das Rotlichtviertel. Als Hamburgerin ist dies für mich absolut nichts Ungewöhnliches, denn es ist nicht viel anders als unsere Herbertstraße auf St.Pauli. Allerdings war ich dort schon gefühlte hundert Jahre nicht mehr und so war es irgendwie doch ein wenig ungewohnt, zumal damals die Frauen mehr oder weniger gelangweilt in den Schaufenstern saßen und dabei lasen, sich unterhielten oder strickten, während sich jetzt die Frauen eng an die Scheibe pressen und dabei nervös mit den Fingerspitzen auf die Fensterscheibe trommeln.
Diesmal sah ich auch das erste Mal Coffeeshops. Schwer vorstellbar, dass es in Deutschland möglich wäre, ganz legal einfach so ein paar Gramm Haschisch abwiegen zu lassen, als würde es sich um Gewürze oder Tee handeln. Es macht auch niemand den Eindruck, vollgedröhnt zu sein, sondern diejenigen, die an den Tischen sitzen unterhalten sich meist angeregt.
Was besonders beeindruckend ist, sind die Unmengen von Fahrrädern, die nicht nur mitsamt ihren Fahrern präsent sind, sondern auch durch die riesigen Fahrradparkplätze.
Man kann sich überhaupt nicht vorstellen, dass jemand in der Lage ist, unter den tausenden von Fahrrädern, die sich auf einem einzigen Parkplatz befinden, sein eigenes Rad wieder zu finden.
Alles in allem ist Amsterdam doch etwas hektisch und so freue ich mich, dass es morgen weiter Richtung Frankreich geht.