Wenn man ein Buch gar nicht aus der Hand legen kann – die Revolution von 1848
Ich habe schon seit langem ziemliche Schwierigkeiten, einen Roman zügig zu Ende zu lesen. Ganz anders ergeht es mir hingegen mit manchen Geschichtsjournalen. So ist die Überschrift auch nicht ganz korrekt, denn es ist im eigentlichen Sinne kein Buch, das ich nicht aus der Hand legen kann, sondern ein Journal zum Thema der Revolution von 1848. Mein Geschichtswissen hat leider ziemliche Lücken und so habe ich es mir schon vor einigen Jahren vorgenommen, dies zu ändern und ich kaufe mir daher regelmäßig Journale zu Geschichtsthemen. Aber natürlich fesselt mich nicht jedes Thema gleichermaßen. Jetzt habe ich jedoch anscheinend „meine“ Epoche gefunden, die mein besonderes Interesse auf sich zieht.
Der Vormärz, also die Zeit zwischen 1830 und 1848, beeindruckt mich deswegen so ungemein, weil es dabei um eine sehr bewegte Zeit des Erwachens zum mündigen Bürger geht, die den Beginn des Aufbegehrens gegen Untertänigkeit, gegen Unfreiheit des Geistes und gegen Klassendenken darstellt. Für mich charakterisiert Hesses oft zitierter Ausspruch „Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne“ perfekt die Aufbruchsstimmung jener Epoche. Eine Zeit, in der man sich noch ganz dem Enthusiasmus der Idee der Freiheit und Gleichheit hingeben konnte, denn man ahnte weder, dass die Revolution scheitern würde, noch ahnte man – und das ist für mich ein noch wichtigerer Aspekt – dass Revolutionen nur die jeweiligen Machthaber, nicht aber den Machtmissbrauch abschaffen. Mit anderen Worten: man konnte sich voll und ganz seinen Utopien einer gerechteren Welt hingeben.
1848 ist Höhepunkt und zugleich Ende der Romantik, jener Epoche, deren Ideal nicht die kognitive Erkenntnis, sondern das Gefühl war. Novalis, Clemens Brentano, Ludwig Uhland, Henry David Thoreau, Victor Hugo, Germaine de Staël sind sehr unterschiedliche Beispiele für die Bandbreite dessen, was an neuen Impulsen in diese Zeit einging.
Und was mich natürlich besonders beeindruckt, sind die schillernden Frauengestalten, die diese Epoche ausmachen. Kämpferinnen wie Fanny Lewald, Luise Otto-Peters und Emma Herwegh. Oder Salonnières wie Rahel von Ense-Varnhagen, die mit ihren Salons all denjenigen Raum gaben, die es nicht dabei belassen wollten, sich über das Altbekannte auszutauschen, sondern die Gleichgesinnte suchten, um sich über neue Ideen auseinanderzusetzen.
Besonders bedeutsam erscheint, dass die die Bewegung des Vormärz zeitgleich zum Biedermeier existierte, also zu der Bewegung des Rückzugs ins Private und Unpolitische. Und irgendwie erinnert mich dies – auch wenn mancher diesen Vergleich als zu gewagt empfinden mag – an das Zusammenspiel der Adenauerära mit dem Aufkommen der 68er. Bestimmte Umstände produzieren ihre eigenen Gegenspieler.
In unserer jetzigen Zeit haben wir alles, wofür so hart und verlustreich gekämpft wurde – Pressefreiheit, Versammlungs- und allgemeines Wahlrecht, Gleichheit vor dem Gesetz. Niemand darf jetzt noch dafür eingesperrt werden, dass er sagt, was er denkt. Allerdings denkt kaum noch jemand. Und genauso ist es mit dem hart erkämpften Versammlungsrecht, denn außer Schlagermoves, Loveparaden und Fußballweltmeisterschaften gibt es kaum noch große Versammlungen. Auch die Gleichheit vor dem Gesetz scheint inzwischen zumindest nicht mehr für alle erstrebenswert zu sein, denn wie ist es sonst erklärbar, dass manche hartnäckig dafür kämpfen, Mädchen nicht am Sportunterricht teilnehmen zu lassen und selbst erwachsenen Frauen zu verbieten zu können, sich ohne die Erlaubnis vom Vater oder Bruder frei zu bewegen. Und was die Frauenfrage betrifft – inzwischen nennt man Frauen Mädels und eine erschreckend große Zahl jener Mädels interessiert sich weitaus mehr für Modellshows als für das politische Geschehen.
Mit anderen Worten – 1848 wurde hart für etwas gekämpft, für das man sich inzwischen gar nicht mehr interessiert. Vielleicht zieht mich die betreffende Zeit gerade deswegen so an – es wurde mit vollem Enthusiasmus aufbegehrt und der Optimismus wurde dabei noch nicht durch Erfahrungen getrübt. Man konnte sich dem Traum von einer besseren und gerechteren Welt voll und ganz hingeben.
Ja, die Romantik und 1848 ist „meine“ Epoche. Und ich freue mich darauf, noch vieles zu diesem Thema zu lesen.
Das Bonmot zum Mittag
“In unseren Ohren dröhnt der Gleichschritt von Millionen Leisetretern.“
Johann Kaspar Lavater (1741-1801)
Einen furchterregenden Umstand sogar noch poetisch ausdrücken – eigentlich unmöglich, aber Lavater ist es gelungen. Es mag paradox anmuten, aber Leisetreter können tatsächlich Dröhnen verursachen. Besser hätte man es nicht sagen können.
behrens am 16. Juni 14
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Hedgefonds, Derivate, CDOs – mein Versuch, den Bankencrash zu verstehen und wieso mich die Thematik an einen Science Fiction erinnert
Was ist schon der Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank
Berthold Brecht (1898 – 1956)
Ich habe eigentlich nie ganz verstanden, was genau bei dem Bankencrash 2007 passiert ist. Die Finanzwelt ist nicht gerade ein Bereich, der bei mir großes Interesse auslöst und so habe ich es immer wieder verschoben, mich mit der Materie zu befassen. Jetzt habe ich mir allerdings mal einen Ruck gegeben und den Versuch gemacht ein wenig in die Materie einzudringen. Vieles verstehe ich auch jetzt noch nur ansatzweise, aber das, was ich inzwischen verstanden habe, ist furchteinflößend. Hedging, Leerverkäufe, Derivate – Begriffe, die eingebettet sind in eine Finanzwirtschaft, die mittlerweile eine Eigendynamik entwickelt hat, die den verantwortlichen Akteuren zunehmend aus den Händen gleitet.
Während ich früher noch ganz naiv gedacht habe, an der Börse wird mit Werten gehandelt, dann bin ich jetzt eines Besseren belehrt worden, denn ein viel lukrativeres Geschäft ist der Handel mit Schulden. Wobei jede Überschaubarkeit verlorengegangen ist, denn Kredite werden zu einem Mix (genannt ABS CDO) zusammengestellt, bei dem es aber nicht bleibt, sondern von dem wiederum weitere Produkte (somit weitere CDOs) geschaffen werden. Wer also einen Kredit bei einer Bank aufgenommen hat, kann irgendwann nicht mehr nachvollziehen, wohin der inzwischen gewandert ist und in welchem Produkt er sich befindet.
Das Ausschlaggebende ist jedoch, dass als Finanzinstrument nicht mehr normale Fonds fungieren, sondern sogenannte Hedgefonds. Diese unterliegen weit weniger Regulierungen als normale Fonds und stehen außerdem nicht allen offen, so dass sich die Aktionen weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit abspielen. Und eignen sich somit vorzüglich für hochspekulative Geschäfte. Dies trifft genauso auf ein noch dubioseres Finanzinstrument zu – das Derivat. Ein Derivat ist etwas noch Abstrakteres, denn es stellt keinen eigenen Wert da, sondern leitet sich von anderen Basiswerten ab. Mit den Derivaten kann man wiederum durch die Kalkulation mit Hebeln sehr große Summen bewegen und dies kann schlimmstenfalls auch zu einer volkswirtschaftlichen Bedrohung führen. Eine weitere Möglichkeit ist, auf Verluste zu wetten. Aktien in der Hoffnung auf deren Wertsteigerung zu kaufen war gestern – heute investiert man an der Börse in Verluste. Treten diese ein – gewissermaßen als self-fulfilling prophecy – kann man sich somit am Verlust anderer gesund stoßen.
Das Fazit all dieser dubiosen Machenschaften ist, dass Börsengeschäfte schon lange nicht mehr aus Beobachtung der Bewegungen des Marktes bestehen, sondern dass mit den zur Verfügung stehenden Möglichkeiten der Markt selbständig bewegt wird. Die Dynamik ist somit eine völlig andere. Man kann durch die machtvollen Mittel der Hedgefonds und der Derivate ganze Schlüsselindustrien und schlimmstenfalls ganze Nationen in Abhängigkeit bringen. Man bewegt den Markt über weitere Fondsgesellschaften so, dass Aktienwerte sinken und kauft diese dann en masse auf. Oder man verursacht die Abhängigkeiten über großangelegte Kreditvergabe und schert sich einen Dreck darum, ob bei x-fachen Weiterverkauf der Kredite die Zinsen irgendwann und irgendwo so ansteigen, dass die Kreditnehmer massenweise bankrott gehen. Bei all dem hat sich dann der Grundsatz, Kredite nur an solvente Kreditnehmer zu vergeben, längst als hinderlich erwiesen und es wird speziell ein Klientel angesprochen, das überhaupt nicht über die Mittel zur Rückzahlung verfügt. "Suprime"-Kredite – zweitklassige Kredite – früher als viel zu risikoreich undenkbar, haben vor dem Hintergrund des Weiterverscherbelns von Krediten die sorgsame Auswahl bei der Kreditvergabe abgelöst. Schlechtes Gewissen hat dabei niemand denn es gilt konsequent die Devise des „selbst-schuld-wenn-man-nicht-rechnen-kann.“
Das eigentlich Perfide bei all den Machenschafen ist, dass die Gewinne in private Taschen wandern, während die Verluste von der Öffentlichkeit getragen werden müssen. Die gleichen Banker, die sich grundsätzlich empört jede Einmischung staatlicherseits verbeten, schreien plötzlich lauthals nach dem Staat. Der reagiert auch prompt und schießt Milliarden zu, damit die Banken, die als „systemrelevant“ eingestuft werden, weiterbestehen. Und so ist dann auch kein Ende abzusehen und es kann fröhlich weitergezockt werden.
In einem der vielen Youtube-Videos zur Thematik der Finanzwirtschaft wurde eine Gruppe Mathematiker vorgestellt, die ein Computersystem entwickelten, das konstant mit sämtlichen Daten der Weltwirtschaft gespeist wird, aus denen dann die Investitionsprognosen abgeleitet werden. Die Mathematiker sind immer noch dabei, die Formeln für dieses System weiterzuentwickeln und zu verbessern. Die Computeranlage ist riesig und wird jetzt zusätzlich auch noch mit Daten über vergangene Wirtschaftskrisen gespeist, weil auch dadurch die Gesetzmäßigkeiten des Marktes und somit die Prognosen weiter spezifiziert werden. Auch hier gilt – Marktinformationen sichten, auswerten und Investitionen selbst planen war gestern – heute kann der Computer selbständig die Ergebnisse umsetzen und die Aktionen an der Börse vorgeben.
Irgendwie erinnert mich dies an Arthur C. Clarkes Science Fiction „2001 Odyssee im Weltraum“. In der Erzählung entwickelt der Bordcomputer HAL 9000 plötzlich ein Eigenleben und es sind nicht mehr die Menschen, die ihn kontrollieren, sondern jetzt hat er die Kontrolle über die Menschen übernommen. Dabei wird dann ein Teil der Bordbesetzung getötet, bzw. von ihm geopfert. Soweit ist HAL 9000 nicht mehr von jenem Börsencomputer entfernt. Auch bei dem geht es nicht mehr um das menschliche Wohl und es ist nicht ausgeschlossen, dass es zu Aktionen kommt, die Katastrophen hervorrufen und Menschenleben vernichten.
Was mich ebenfalls an einen Science Fiction erinnert, sind die Begrifflichkeiten. Man spricht von „Leerverkäufen“ und von „Realwirtschaft“ im Gegensatz zur Geldwirtschaft. Kann man tatsächlich einen Verkauf ohne eine Ware tätigen? Und ist das Gegenteil von „real“ nicht vielmehr „irreal“? Oder vielleicht noch treffender „surreal“? Wie kann ein Handel mit einem sogenannten Derivat, das gar nicht eigenständig existiert, sondern ein abgeleiteter Wert ist, eigentlich funktionieren? Während eine Aktie immer noch einen Gegenwert von etwas real Existierenden darstellt, ist ein Derivat eine Wahrscheinlichkeit. Das kann ich mir dann eigentlich nur so wie eine Pferdewette vorstellen, bei der man durch den Wetteinsatz nicht Anteilseigner des Pferdes wird, sondern einen Anteil auf die Wahrscheinlichkeit eines Gewinns erwirbt. Der entscheidende Unterschied besteht allerdings darin, dass das Pferd völlig unabhängig vom Wetteinsatz gut oder schlecht läuft, während das Derivat (das ja eigenständig gar nicht real existiert…) erst durch die in es erfolgende Investition ins Leben gerufen wird und letztendlich dadurch selbst wiederum Gewinn und Verlust beeinflusst.
Wie weit sind wir gekommen, dass man die Existenz ganzer Nationen von Wetteinsätzen abhängig macht, die von Menschen getätigt werden, die den Hals nie voll genug bekommen? Menschen, denen angesichts der unvorstellbar hohen Summen und der immensen Machtbefugnisse ihr Gewissen abhanden kam. Das, was davon vielleicht noch übrig sein mag, wird dann nicht selten mit der Gründung einer Stiftung beruhigt. So kann man für sich selbst und für die auf Schweitzer Internate geschickten Sprösslinge eine Scheinwelt errichten, die ausblendet, dass man die Menschheit in ein Wettbüro verwandelt hat.
Last-not-least sei noch erwähnt, dass in Amerika die Gesetze, die den Machenschaften der Banken Grenzen setzten, nicht von der Regierung G.W. Bush, sondern von der Bill Clintons abgeschafft wurden. Die enge Verknüpfung von Banken und Politik ist offensichtlich an keine politische Couleur gebunden.
behrens am 22. Mai 14
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