Freitag, 28. Juni 2013
Die eigene Begrenztheit anerkennen - Abschied von Idealen
In dem Buch „Sammle Deine Kraft“ von Henri J. M. Nouwen geht es um das Recollectio-Haus, in dem Menschen, die durch ihre Arbeit im sozialen Bereich irgendwann einmal an den Punkt gekommen sind, an dem die Kraft zum Weitermachen fehlt, lernen möchten, mit ihren Kräften anders umzugehen. Man sollte sich nicht daran stören, dass es sich dabei um eine konfessionelle Einrichtung handelt, denn es geht bei weitem nicht um ein religiöses Thema, sondern um ein Thema, das alle Menschen betrifft, die Gefahr laufen, soviel zu investieren, dass irgendwann gar nichts mehr geht.

In den im Recollectio-Haus angeboten Kursen wird die Möglichkeit angeboten, zu erlernen, wie man sich der Arbeit im sozialen Bereich widmen kann, ohne dabei selbst auszubrennen. Mir ist aus dem Buch der Satz im Gedächtnis hängengeblieben: „Die eigene Begrenztheit anerkennen“. Was ist mit diesem Satz gemeint und an wen richtet er sich? Es geht bei der Anerkennung der eigenen Begrenztheit darum, zu akzeptieren, dass von den vielen Dingen, die man gern ändern möchte, nur ein sehr winziger Teil wirklich geändert werden kann. Wer mit offenen Augen durch das Leben geht, sieht sehr viel Leid und sehr viel Dinge, die dringend einer Änderung bedürfen. Dies ist natürlich nicht nur auf diejenigen begrenzt, die im sozialen Bereich arbeiten, sondern betrifft auch all jene, die unabhängig von ihrer Berufswahl Interesse für das zeigen, was sich im sozialen Leben ereignet. Im sozialen Bereich ist dies jedoch noch komprimierter. Man sieht Familien, in denen Kinder völlig vernachlässigt werden, man sieht Altenheime, in denen alte Menschen vor sich hinvegetieren, man sieht Armut, die eine wirkliche Teilhabe am gesellschaftlichen Leben nahezu unmöglich macht und man sieht Menschen, die so sehr am Leben leidern, dass sie keinen anderen Ausweg mehr sehen, als ihr Leben wegzuschmeißen.

Man sieht allerdings außerdem auch durchaus Möglichkeiten, die die Chance auf zumindest kleine Veränderungen bieten könnten. Und dies macht es vielleicht gerade so schwer, denn man lernt irgendwann, dass diese Möglichkeiten mehr oder weniger ungenutzt bleiben, weil es an Menschen fehlt, die sich dafür einsetzen. Dies alles kann irgendwann dazu führen, zu resignieren und die alltäglichen Belastungen nicht mehr zu bewältigen und daran zu zerbrechen.

„Die eigene Begrenztheit anerkennen“ heißt zu akzeptieren, dass die eigenen Kräfte nicht ausreichen, um jedem die Bitte um Hilfe erfüllen zu können. Man muss lernen, Menschen auch abzuweisen ohne dabei ein schlechtes Gewissen zu bekommen. Und man muss mit dem Begriff Mitleid anders umgehen. Dieser Begriff wird ist ja schon seit längerem umgedeutet in ein Gefühl, welches mit Geringschätzigkeit dem anderen gegenüber verbunden ist. Dies halte ich für eine komplette Fehlinterpretation. Aber Mit-Leid ist dennoch ein zweischneidiges Schwert, denn es hilft niemandem, wenn statt einer Person letztendlich zwei leiden. Ich halte Mitleid für eine sehr wichtige menschliche Eigenschaft. Aber man muss sich davor hüten, dieses Gefühl mit sich herumzutragen. Mitleid muss auf einen Impuls zum Handeln begrenzt bleiben, wenn es nicht selbstzerstörerisch wirken soll.

Ich habe das besagte Buch zu diesem Thema schon vor längerem gelesen. Jetzt kommt es mir wieder in den Sinn, weil ich von einem sehr unerfreulichen familiären Konflikt erfahren habe, der eigentlich nur deswegen so eskalieren konnte, weil dies von professioneller Seite auch unterstützt wurde. Ich würde gern in irgendeiner Form einen Ratschlag geben, aber leider weiß ich in der Angelegenheit auch nicht weiter und dies muss ich eben auch voll und ganz akzeptieren. Was es so schwer macht, ist die Tatsache, dass es sich nicht um etwas Unvermeidbares handelt, sondern um eine Situation, die durchaus hätte vermieden werden können, wenn nur Interesse daran bestanden hätte. Und dies muss ebenso akzeptiert werden wie auch die eigene Begrenztheit – auch die Fähigkeit zu einem mitmenschlichen Umgang ist bei vielen begrenzt.

Es ist schwer, sich von Idealen zu verabschieden. Das gilt für die auf die eigene Person bezogenen Ideale genauso wie für die Ideale, die die Möglichkeiten von Veränderungen betreffen.

Das Ideal des Möglichen zu ersetzen durch die Realität der Begrenztheit – darum geht es wohl. Einfach ist es nicht.



Montag, 24. Juni 2013
Eine schlimme Geschichte
Kürzlich habe ich von einem Bekannten aus meinem beruflichen Umfeld eine ziemlich schlimme Geschichte gehört. Es geht um die fünfzehnjährige Tochter einer seiner Bekannten, die sich von ihrem Freund trennen wollte. Das ist in diesem Alter sicherlich nicht allzu ungewöhnlich, da viele Freundschaften im Teenageralter nicht von Dauer sind. Der Freund wollte allerdings die Trennung nicht akzeptieren und setzte das Mädchen unter Druck mit Nacktfotos, die er von ihr besaß. Er drohte, die Fotos ins Internet zu stellen und als das Mädchen sich nicht einschüchtern ließ und bei der Entscheidung zur Trennung blieb, machte er seine Drohung wahr und stellte die Fotos über Facebook ins Netz. Als daraufhin dann auch noch diverse Leute über das Mädchen herzogen, trieb sie das so in die Verzweiflung, dass sie versuchte, sich das Leben zu nehmen.

Mich hat diese Begebenheit sehr schockiert, wobei ich über diese Thematik natürlich auch schon vorher in den Medien gehört hatte, da es ja mittlerweile schon einige durch Internethetze verursachte Teenagerselbstmorde gibt. Vor einiger Zeit gab es den Film „Homevideo“ in dem es um einen Jungen geht, der sich beim Masturbieren filmt und der sich das Leben nimmt, als der Film in falsche Hände gerät und im Netz veröffentlicht wird. Als ich den Film sah, war mein erster Gedanke, dass es ein großes Glück ist, in einer Zeit Jugendliche gewesen zu sein, in der es noch kein Internet, kein Facebook und keine Fotohandys gab. Was privat war, blieb weitgehend auch privat. Sicher, es wurde in einer Trennungssituation schon mal von dem Verlassenen gelästert und dies war auch damals alles andere als angenehm. Aber dieses Geläster ging zwangsläufig nicht über den Bekanntenkreis hinaus. Es gab einfach nicht die Möglichkeit, Geläster und Gehetze zu multiplizieren.

Aber es kommt auch noch etwas anderes hinzu. Und das ist das, was ich hier schon einmal als die Renaissance des Wortes Schlampe beschrieben habe. Es gab mal eine Zeit, in der dafür gekämpft wurde, dass Frauen die gleiche sexuelle Freiheit wie Männer zugestanden wird. Und dieser Kampf zeigte auch Erfolg und nur noch die ewig Gestrigen hielten eisern fest am Ideal der sittsamen und sexuell enthaltsamen Frau. Und diesen ewig Gestrigen wurde heftig Kontra gegeben, wenn sie mit ihren verqueren Ansichten zu laut wurden.

Aber irgend etwas ist passiert in den letzten zwei Jahrzehnten und mittlerweile ist es wieder völlig legitim, Frauen und Mädchen wegen ihrer Sexualität an den Pranger zu stellen. Die Bushidos und Sidos dieser Welt haben großen Zulauf und das Nachplappern ihrer hirnlosen und reaktionären Texte gilt als obercool.

Eigentlich ist Älterwerden nichts besonders Angenehmes und oftmals wünscht man sich wehmütig, wieder jung zu sein. Wenn ich allerdings daran denke, wie schnell Jugendliche heute Gefahr laufen, einer Hexenjagd im Internet ausgesetzt zu sein, dann freue ich mich – und das meine ich völlig ehrlich – dass mir dies nicht mehr passieren kann.

Was bleibt, ist tiefes Mitgefühl mit denjenigen, auf die im Netz Jagd gemacht wird. Mitgefühl mit den Jugendichen, die meist noch zu unsicher und fragil sind, um sich über die Meinung anderer hinwegzusetzen und Mitgefühl mit den Eltern, die dem ganzen Geschehen in der virtuellen Welt meist hilflos und ohnmächtig gegenüber stehen.

Ich bin absolut pessimistisch, was die Möglichkeiten eines Kampfes gegen Internetmobbing angeht. Die virtuelle Welt ist mittlerweile so fest verankert im alltäglichen Leben, dass diese Entwicklung nie mehr umkehrbar sein wird. Und gerade die Jugendlichen, die mit der Kommunikation via Internet aufgewachsen sind, werden nicht mehr in der Lage sein, auf diese zu verzichten. Man könnte noch argumentieren, dass ja nicht alle Jugendlichen im Internet mobben. Aber das ist ein schwacher Trost, denn es gibt keine Garantie dafür, dass sich Jugendliche immer die richtigen Freunde suchen – das war auch schon früher nicht anders. Und es reicht, dass jemand einmal leichtsinnig war und dem Falschen etwas anvertraut oder offenbart. Etwas, das ins Netz gerät und dann unter Umständen von jemandem irgenwo gespeichert wird, hat die Eigenschaft, unsterblich zu sein. Da muss man schon verdammt selbstbewusst sein, um über den Dingen zu stehen.

Komisch, jetzt wo ich über dieses Thema schreibe, fällt mir die Doppeldeutigkeit des Wortes “Netz” auf. Die positive ist, die des Vernetztseins im Sinne von sozialem Kontakt. Die negative Bedeutung ist die des Fang-Netzes – wer einmal drin ist, kommt nicht wieder raus!



Samstag, 15. Juni 2013
Andenken an Iris und daran, dass die Welt bunt ist und nicht grau
Bald jährt sich der vierte Todestag meiner Freundin Iris.

Bei der Grabstätte, in der Iris beigesetzt wurde, handelt es sich um ein Urnengrab, in dem auch ihre geliebte Großmutter beigesetzt wurde und auf dem sich lediglich eine kleine Grabplatte befindet. Leider ist das Grab für mich so weit entfernt, dass ich es nicht mal eben so aufsuchen kann.

Vor einiger Zeit las ich hier darüber, dass jemand im eigenen Garten für seine verstorbenen Freunde und Familienmitglieder kleine, sehr liebevoll gestaltete Gedenkstätten angelegt hat. Ich finde diese Idee wunderschön und kommentierte dann, dass ich so etwas auch gern für meine Freundin gestalten würde, was aber leider daran scheitert, dass ich keinen Garten habe. Und dann erhielt ich auf meinen Kommentar eine Antwort, die mir die Sprache verschlug: "das requiem" für ihre verstorbene freundin hat mich sehr bewegt, ich werde für ihre iris einen kleinen gedenkstein anlegen und ihr davor ein blümchen pflanzen. lassen sie mich nur bitte wissen, welche pflanze ihre freundin gemocht hat." Inzwischen wurde wie man oben auf dem Foto sehen kann, der Platz auch angelegt und es soll sogar noch der Namenszug hinzukommen.

Mir fehlen auch jetzt die Worte für diese Begebenheit. Die Bloginhaberin kennt weder mich noch meine Freundin und ich bin auch erst vor kurzem auf den Blog aufmerksam geworden. Trotzdem wird mir jetzt dieses Geschenk zuteil. Meine Freundin, die ein herzensguter Mensch war und in ihrem viel zu kurzem Leben sehr viel leiden musste, hat dieses Andenken verdient.

Wenn Menschen spontan anderen etwas geben oder ihnen helfen, dann werde ich daran erinnert, dass die Welt bunt ist und nicht grau. Durch meine berufliche Tätigkeit wurde ich in ein Umfeld gezogen, in dem es vielen (allerdings nicht allen) vorrangig um Geld geht und in dem diese Vorrangigkeit wirkliches Interesse an andern Menschen immer mehr verdrängt. Dennoch ist dieses Umfeld nicht stellvertretend für die ganze Welt. In der gibt es nämlich nach wie vor Menschen, deren Handeln von Mitmenschlichkeit geprägt ist.

Fast hatte ich dies schon vergessen und ich bin dankbar, dass mich Feuerlibelle wieder daran erinnert hat.