Eine schlimme Geschichte
Kürzlich habe ich von einem Bekannten aus meinem beruflichen Umfeld eine ziemlich schlimme Geschichte gehört. Es geht um die fünfzehnjährige Tochter einer seiner Bekannten, die sich von ihrem Freund trennen wollte. Das ist in diesem Alter sicherlich nicht allzu ungewöhnlich, da viele Freundschaften im Teenageralter nicht von Dauer sind. Der Freund wollte allerdings die Trennung nicht akzeptieren und setzte das Mädchen unter Druck mit Nacktfotos, die er von ihr besaß. Er drohte, die Fotos ins Internet zu stellen und als das Mädchen sich nicht einschüchtern ließ und bei der Entscheidung zur Trennung blieb, machte er seine Drohung wahr und stellte die Fotos über Facebook ins Netz. Als daraufhin dann auch noch diverse Leute über das Mädchen herzogen, trieb sie das so in die Verzweiflung, dass sie versuchte, sich das Leben zu nehmen.

Mich hat diese Begebenheit sehr schockiert, wobei ich über diese Thematik natürlich auch schon vorher in den Medien gehört hatte, da es ja mittlerweile schon einige durch Internethetze verursachte Teenagerselbstmorde gibt. Vor einiger Zeit gab es den Film „Homevideo“ in dem es um einen Jungen geht, der sich beim Masturbieren filmt und der sich das Leben nimmt, als der Film in falsche Hände gerät und im Netz veröffentlicht wird. Als ich den Film sah, war mein erster Gedanke, dass es ein großes Glück ist, in einer Zeit Jugendliche gewesen zu sein, in der es noch kein Internet, kein Facebook und keine Fotohandys gab. Was privat war, blieb weitgehend auch privat. Sicher, es wurde in einer Trennungssituation schon mal von dem Verlassenen gelästert und dies war auch damals alles andere als angenehm. Aber dieses Geläster ging zwangsläufig nicht über den Bekanntenkreis hinaus. Es gab einfach nicht die Möglichkeit, Geläster und Gehetze zu multiplizieren.

Aber es kommt auch noch etwas anderes hinzu. Und das ist das, was ich hier schon einmal als die Renaissance des Wortes Schlampe beschrieben habe. Es gab mal eine Zeit, in der dafür gekämpft wurde, dass Frauen die gleiche sexuelle Freiheit wie Männer zugestanden wird. Und dieser Kampf zeigte auch Erfolg und nur noch die ewig Gestrigen hielten eisern fest am Ideal der sittsamen und sexuell enthaltsamen Frau. Und diesen ewig Gestrigen wurde heftig Kontra gegeben, wenn sie mit ihren verqueren Ansichten zu laut wurden.

Aber irgend etwas ist passiert in den letzten zwei Jahrzehnten und mittlerweile ist es wieder völlig legitim, Frauen und Mädchen wegen ihrer Sexualität an den Pranger zu stellen. Die Bushidos und Sidos dieser Welt haben großen Zulauf und das Nachplappern ihrer hirnlosen und reaktionären Texte gilt als obercool.

Eigentlich ist Älterwerden nichts besonders Angenehmes und oftmals wünscht man sich wehmütig, wieder jung zu sein. Wenn ich allerdings daran denke, wie schnell Jugendliche heute Gefahr laufen, einer Hexenjagd im Internet ausgesetzt zu sein, dann freue ich mich – und das meine ich völlig ehrlich – dass mir dies nicht mehr passieren kann.

Was bleibt, ist tiefes Mitgefühl mit denjenigen, auf die im Netz Jagd gemacht wird. Mitgefühl mit den Jugendichen, die meist noch zu unsicher und fragil sind, um sich über die Meinung anderer hinwegzusetzen und Mitgefühl mit den Eltern, die dem ganzen Geschehen in der virtuellen Welt meist hilflos und ohnmächtig gegenüber stehen.

Ich bin absolut pessimistisch, was die Möglichkeiten eines Kampfes gegen Internetmobbing angeht. Die virtuelle Welt ist mittlerweile so fest verankert im alltäglichen Leben, dass diese Entwicklung nie mehr umkehrbar sein wird. Und gerade die Jugendlichen, die mit der Kommunikation via Internet aufgewachsen sind, werden nicht mehr in der Lage sein, auf diese zu verzichten. Man könnte noch argumentieren, dass ja nicht alle Jugendlichen im Internet mobben. Aber das ist ein schwacher Trost, denn es gibt keine Garantie dafür, dass sich Jugendliche immer die richtigen Freunde suchen – das war auch schon früher nicht anders. Und es reicht, dass jemand einmal leichtsinnig war und dem Falschen etwas anvertraut oder offenbart. Etwas, das ins Netz gerät und dann unter Umständen von jemandem irgenwo gespeichert wird, hat die Eigenschaft, unsterblich zu sein. Da muss man schon verdammt selbstbewusst sein, um über den Dingen zu stehen.

Komisch, jetzt wo ich über dieses Thema schreibe, fällt mir die Doppeldeutigkeit des Wortes “Netz” auf. Die positive ist, die des Vernetztseins im Sinne von sozialem Kontakt. Die negative Bedeutung ist die des Fang-Netzes – wer einmal drin ist, kommt nicht wieder raus!




Es schockiert mich immer wieder, von solchen Geschichten zu hören. Was mich daran aber großteils am meisten stört, ist die absolute Unreife mancher Beteiligten.
In welcher Welt leben wir denn bitte, dass ein Mädchen sich nicht dazu entschließen darf, ihren Freund zu verlassen?
Mag sein, dass ihn das verletzt. Wen verletzt es nicht, wenn einen ein geliebter Mensch verlässt? Aber das gibt ihm nicht das Recht dazu, Dinge aus dem Privatleben des Mädchens oder der Beziehung preis zu geben.
Genauso wie es meiner Meinung nach auch nach dem Ende einer Beziehung niemanden etwas angeht, wie das Sexualleben besagter Beziehung aussah. Wenn es für alle Beteiligten in Ordnung geht, derartige Dinge zu verraten, bitte, aber nicht ohne Einverständnis!

Viele haben heute einfach keine Vorstellung mehr von Privatleben. Und ja, ich denke, darin sind zum Teil die sozialen Netzwerke schuld.

Das ist ja gerade das Fatale – Reife muss man sich erst mühsam erwerben und es gehört zum Jungsein, dass man eben noch nicht reif ist und somit auch oftmals sehr unüberlegte Dinge tut.

Und es stimmt, die sozialen Netzwerke tragen zum Verlust des Privaten bei. Der Begriff des Sozialen Netzwerks ist ein Euphemismus, der suggeriert, es würde sich um etwas ausschließlich Positives handeln. Auch wenn soziale Netzwerke nicht grundsätzlich etwas Negatives darstellen, so geht mir das ständige Herausstellen der positiven Aspekte allmählich auf den Geist. Auch früher lebte man nicht isoliert, sondern war in irgendeiner Form vernetzt. Aber es war dazu überwiegend das persönliche Gegenüber erforderlich und man konnte nicht im Schutzraum des Anonymen herumwüten. Sicher, es gab auch früher anonyme Briefe und Denunziationen – derartige Dinge sind so alt wie die Menschheit – aber es war eben ungleich schwerer dies zu praktizieren und es konnte leichter nachgewiesen werden. Ein Individuum konnte sich nicht hinter einem Nickname verstecken, sondern musste sich mit dem eigenen Namen präsentieren.