Samstag, 12. Januar 2013
Die merkwürdige Institution der Zeitehe
Der Islam erlaubt niemals, dass eine Frau Sex mit hunderten Männern hat. Es sei denn, die Männer zahlen dafür und kommen für den Unterhalt auf. Darum geht es in der Zeitehe. Leute, die nicht genug Geld für eine Ehe haben, können eine Zeitehe eingehen.
Aussage eines Mullahs in der Dokumentation „Im Basar der Geschlechter“

Schon immer empfand ich die Zeitehe, die es im schiitischen Islam gibt, als eine sehr kuriose Einrichtung. Die Zeitehe, persisch Mutah, erlaubt es den schiitischen Muslimen, eine Ehe auf Zeit einzugehen, wobei die Dauer sich auf eine halbe Stunde bis zu vielen Jahren erstrecken kann.

Vorgestern gab es nun eine Dokumentation auf Arte über die Zeitehe, die ich mit Spannung verfolgt habe. Es gibt einige Vorschriften für den Abschluss einer Zeitehe. Zum Beispiel darf nach Aussage des Mullahs eine Jungfrau nur eine "nicht sexuelle" Zeitehe eingehen. Was man darunter zu verstehen hat, hat der Mullah sehr direkt beschrieben: „Es darf keine Penetration stattfinden, weder von vorn noch von hinten.

Die islamische Beschränkung auf vier Ehefrauen gilt für die Zeitehe nicht. Zwischen zwei Zeitehen müssen zwei Monatsblutungen liegen, damit die Vaterschaft eindeutig ist. Auf die Frage, ob dies für eine Frau nach den Wechseljahren auch gilt, antwortet der Mullah: „Nein, da gilt diese Vorschrift nicht“. Lachend fügt er hinzu: „Aber wer will schon so eine Frau?“

Ein anderer Mullah erklärt den Sinn der Zeitehe mit der Aussage: „Der Islam verlangt Respekt vor der Sexualität“. Dieser Satz hat mir zu Denken gegeben. Was könnte damit wohl gemeint sein? Der Gedanke, für Sexualität Respekt einzufordern, wird wahrscheinlich von vielen grundsätzlich nicht als falsch eingestuft. Unstrittig ist jedoch, dass es fast unmöglich sein dürfte, hierfür Normen zu definieren. Es kommt ja oftmals schon zwischen lediglich zwei Menschen zu zu keiner Einigkeit in dieser Frage. Zudem ist dieses Thema sehr anfällig für Polemik, was ich auch hier beim Bloggen schon erlebt habe. Polarisierungen scheinen bei diesem Thema fast unvermeidlich zu sein, da es leider immer wieder das wenig konstruktive Bedürfnis gibt, dieses komplizierte und sehr sensible Thema mit Schubladenkategorien abzublocken. Nichtsdestotrotz ist das Phänomen Zeitehe viel zu interessant um sich damit nicht auseinanderzusetzen.

Während ich die Sendung ansah, fiel mir ein früherer aus dem Iran stammender Bekannter ein. Von ihm weiß ich, dass im Iran Prostitution durchaus existiert. Allerdings muss tatsächlich vor dem Sex geheiratet werden. Unterlässt man dies, muss die Frau mit Todesstrafe rechnen und auch der Mann erhält eine Strafe.

Man wird unschwer leugnen können, dass hinter den vielen Vorschriften, die es im Islam in Bezug auf Sexualität gibt – und es gibt derer wirklich viele – die unverrückbare Angst vor der selbstbestimmten und unabhängigen Frau steckt, die tut und lässt, was sie will. Konsequenterweise gibt es die Möglichkeit per Zeitehe mehrere Ehepartner zu haben auch nur für Männer. Aber davon abgesehen ist die Formulierung: "Der Islam erlaubt niemals, dass eine Frau Sex mit hunderten Männern hat, es sei denn, die Männer zahlen dafür und kommen für den Unterhalt auf " höchst erstaunlich, denn im Klartext heißt dies nichts anderes als „Ohne Geld kein Sex“. Man könnte fast an die Hartlinerinnen des Feminismus erinnert werden, für die jede Form des heterosexuellen Sex gleichbedeutend mit Prostitution war und deren Resümee dann darin gipfelte, Prostituierte als die wahren selbstbefreiten Frauen hochzustilisieren.

Was auch immer es zu der Institution der Zeitehe zu sagen oder zu assoziieren gibt – es bleibt ein Kuriosum. Und obwohl die Zeitehe zumindest eine Art Notlösung für die fehlende sexuelle Freiheit ist, stellt sie eine Farce dar, die zwar einerseits die sexuelle Zwangsmoral entlarvt, diese andererseits aber erst recht stabilisiert.



Sonntag, 6. Januar 2013
Einmal im Jahr
Einmal im Jahr treffe ich mich mit drei alten Freunden. Zwei davon sind eine frühere Mitschülerin, bzw. ein Mitschüler und die dritte Freundin kenne ich auch schon seit meinem fünfzehnten Lebensjahr.

Es war ein bisschen wie Weihnachtsbescherung, denn ohne uns verabredet zu haben, hatte jeder ein kleines Geschenk für die anderen mitgebracht. Ich habe von S. eine aus einer afrikanischen Kokosnuss geschnitzte kleine wunderschöne Schale bekommen. S. ist seit zwei Jahren nach Afrika ausgewandert und kommt einmal im Jahr zu Besuch nach Deutschland. Schon früher war S. jemand, die so viel wie möglich selbst gemacht hat und so ist auch die Kokosnuss eine Eigenkreation. Schon früher war S. jemand, die man sich nur schwer in einer Stadtwohnung vorstellen kann und jetzt wohnt sie mit ihrem Mann in Ghana in einem kleinen Dorf. Natürlich geht das nicht ohne Heimweh und gerade deswegen bewundere ich diesen Schritt so. Irgendwie war für uns früher Auswandern immer mal wieder ein Thema, aber gemacht hat es letztendlich nur einer von uns.

Von M. habe ich ein spezielles Duftöl bekommen. M. beschäftigt sich mit Düften und ihren Wirkungen. Auch wenn ich nicht unbedingt den Zugang habe zu diesem Bereich, so gefällt mir der Duft sehr gut. Und ich war ein wenig gerührt, als M. mir erzählte, was sie sich bei der Auswahl des Dufts gedacht hat, denn sie hat von unserem letzten Gespräch vor einem Jahr genau behalten, in welcher Situation ich mich befinde. Während ich mich schon daran gewöhnt habe, dass von Menschen, mit denen ich tagtäglich zu tun habe/hatte, die absurdesten Fehleinschätzungen gemacht werden, trifft M. mit ihrer Einschätzung trotz der langen Zeit, die wir keinen Kontakt hatten, genau ins Schwarze. M. fährt schon seit vielen Jahren Taxi, hat aber seit einigen Jahren wieder angefangen, zusätzlich wieder in ihrem erlernten Beruf als Goldschmiedin zu arbeiten. Schon in der Schule hat M. mit voller Begeisterung am Kunstunterricht teilgenommen.

Von meinem Mitschüler Mi. habe ich zwei Bücher bekommen, deren Auswahl auch genau ins Schwarze getroffen hat. So gut, dass ich eines (Franz Jalics) schon besitze. Das andere von Viktor Frankl und Pinchas Lapide lese ich gerade mit Feuereifer, denn es geht genau um „mein“ Thema. Ich bin sowieso ein großer Viktor Frankl Fan und wundere mich eigentlich, dass ich nicht schon viel früher auf seine Bücher gestoßen bin. Mi. hat gerade zwei schwere Wochen hinter sich, denn sein Sohn wurde in der Sylvesternacht völlig grundlos so schwer zusammengeschlagen, dass er auf die Intensivstation kam. Glücklicherweise geht es dem Sohn inzwischen besser und es werden keine Folgeschäden bleiben. Während mich so eine Gewalttat unbändig wütend macht, erträgt Mi. es mit bewundernswerter Ruhe.

Irgendwie sind die Kontakte ein wenig auf das Klassentreffen vor drei Jahren zurückzuführen. Ein Schritt in die Vergangenheit muss nicht immer ein Schritt zurück sein, auch wenn dies paradox klingt. Aber man kann sich manchmal so weit weg von dem entwickeln, was man eigentlich für sein Leben geplant hatte, dass das Auffrischen von Erinnerungen wieder die Augen dafür öffnet, wie wenig die eingeschlagene Richtung noch stimmig ist. Meine Freunde sind zwar der Meinung, dass Sozialarbeit genau das ist, was zu mir passt, aber das ist vielleicht genau der Punkt, denn ich befinde mich ja schon lange nicht mehr unter Sozialarbeitern. Man landet manchmal genau dort, wo man überhaupt nicht hin wollte und auch überhaupt nicht hin passt.

In der Literatur und in Filmen werden Ausflüge in die Vergangenheit meist als deprimierend oder zumindest ernüchternd dargestellt. Ein Stereotyp der zwei Pole des Stehenbleibens und der Weiterentwicklung. Aber das kann eben auch genau umgekehrt sein.

Darüber sollte man eigentlich mal ein Buch schreiben…



Donnerstag, 3. Januar 2013
Mäuse und Nussknacker
Mir hat mal jemand gesagt, dass man sich klassische Musik erarbeiten muss und da ist auch etwas dran. Am vergangenen Wochenende wurde ich von meinem Freund zu Tschaikowskys Nussknackersuite eingeladen. Wohlweislich habe ich mir davor nochmals E.T.A. Hoffmanns „Nussknacker und Mäusekönig“ durchgelesen und mir dann auch ein wenig bei YouTube einen Vorgeschmack geholt.

Dann kam schließlich der Abend im wunderschönen Lübeck, wo es noch einen kleinen Weihnachtsmarkt gab, dem wir vor der Vorstellung auch noch einen kurzen Besuch abstatteten. Wir hatten sündhaft teure Karten und saßen so dicht an der Bühne, dass man sehen konnte, wie die Tänzer schwitzten und nach einem Tanz völlig außer Atem waren. Die Kostüme waren wunderschön und die Tänzer des Bolschoiballetts waren beeindruckend.

Ballett und Oper sind für mich immer noch eine fremde Welt, denn ich wurde niemals an diesen Bereich herangeführt, obwohl ich eigentlich aus einer sehr musikalischen Familie stamme. Dafür sehe ich es vielleicht aber auch mit dem „Auge des Anfängers“ wie die Zen-Buddhisten es zu nennen pflegen.

Ballett ist etwas völlig Anachronistisches, denn weder die vollendete Ästhetik noch die zugrundeliegenden Themen passen zu unserer jetzigen Zeit. Heute liegen weder Nussknacker unter dem Weihnachtsbaum noch aufziehbare Puppen. Aber vielleicht ist es eben gerade deswegen noch viel märchenhafter, als es zur Zeit seiner Entstehung war.

Meine Lieblingsfigur war eine kleine Maus, die nur am Anfang als aufziehbares Spielzeug unter dem Weihnachtsbaum zu sehen war. Die Maus guckte so faszinierend böse und war so hartnäckig steif in ihren Bewegungen, dass man den Blick gar nicht von ihr lassen konnte.

Und dies hier war mein Lieblingstanz – der Zuckertanz: