Einmal im Jahr
Einmal im Jahr treffe ich mich mit drei alten Freunden. Zwei davon sind eine frühere Mitschülerin, bzw. ein Mitschüler und die dritte Freundin kenne ich auch schon seit meinem fünfzehnten Lebensjahr.

Es war ein bisschen wie Weihnachtsbescherung, denn ohne uns verabredet zu haben, hatte jeder ein kleines Geschenk für die anderen mitgebracht. Ich habe von S. eine aus einer afrikanischen Kokosnuss geschnitzte kleine wunderschöne Schale bekommen. S. ist seit zwei Jahren nach Afrika ausgewandert und kommt einmal im Jahr zu Besuch nach Deutschland. Schon früher war S. jemand, die so viel wie möglich selbst gemacht hat und so ist auch die Kokosnuss eine Eigenkreation. Schon früher war S. jemand, die man sich nur schwer in einer Stadtwohnung vorstellen kann und jetzt wohnt sie mit ihrem Mann in Ghana in einem kleinen Dorf. Natürlich geht das nicht ohne Heimweh und gerade deswegen bewundere ich diesen Schritt so. Irgendwie war für uns früher Auswandern immer mal wieder ein Thema, aber gemacht hat es letztendlich nur einer von uns.

Von M. habe ich ein spezielles Duftöl bekommen. M. beschäftigt sich mit Düften und ihren Wirkungen. Auch wenn ich nicht unbedingt den Zugang habe zu diesem Bereich, so gefällt mir der Duft sehr gut. Und ich war ein wenig gerührt, als M. mir erzählte, was sie sich bei der Auswahl des Dufts gedacht hat, denn sie hat von unserem letzten Gespräch vor einem Jahr genau behalten, in welcher Situation ich mich befinde. Während ich mich schon daran gewöhnt habe, dass von Menschen, mit denen ich tagtäglich zu tun habe/hatte, die absurdesten Fehleinschätzungen gemacht werden, trifft M. mit ihrer Einschätzung trotz der langen Zeit, die wir keinen Kontakt hatten, genau ins Schwarze. M. fährt schon seit vielen Jahren Taxi, hat aber seit einigen Jahren wieder angefangen, zusätzlich wieder in ihrem erlernten Beruf als Goldschmiedin zu arbeiten. Schon in der Schule hat M. mit voller Begeisterung am Kunstunterricht teilgenommen.

Von meinem Mitschüler Mi. habe ich zwei Bücher bekommen, deren Auswahl auch genau ins Schwarze getroffen hat. So gut, dass ich eines (Franz Jalics) schon besitze. Das andere von Viktor Frankl und Pinchas Lapide lese ich gerade mit Feuereifer, denn es geht genau um „mein“ Thema. Ich bin sowieso ein großer Viktor Frankl Fan und wundere mich eigentlich, dass ich nicht schon viel früher auf seine Bücher gestoßen bin. Mi. hat gerade zwei schwere Wochen hinter sich, denn sein Sohn wurde in der Sylvesternacht völlig grundlos so schwer zusammengeschlagen, dass er auf die Intensivstation kam. Glücklicherweise geht es dem Sohn inzwischen besser und es werden keine Folgeschäden bleiben. Während mich so eine Gewalttat unbändig wütend macht, erträgt Mi. es mit bewundernswerter Ruhe.

Irgendwie sind die Kontakte ein wenig auf das Klassentreffen vor drei Jahren zurückzuführen. Ein Schritt in die Vergangenheit muss nicht immer ein Schritt zurück sein, auch wenn dies paradox klingt. Aber man kann sich manchmal so weit weg von dem entwickeln, was man eigentlich für sein Leben geplant hatte, dass das Auffrischen von Erinnerungen wieder die Augen dafür öffnet, wie wenig die eingeschlagene Richtung noch stimmig ist. Meine Freunde sind zwar der Meinung, dass Sozialarbeit genau das ist, was zu mir passt, aber das ist vielleicht genau der Punkt, denn ich befinde mich ja schon lange nicht mehr unter Sozialarbeitern. Man landet manchmal genau dort, wo man überhaupt nicht hin wollte und auch überhaupt nicht hin passt.

In der Literatur und in Filmen werden Ausflüge in die Vergangenheit meist als deprimierend oder zumindest ernüchternd dargestellt. Ein Stereotyp der zwei Pole des Stehenbleibens und der Weiterentwicklung. Aber das kann eben auch genau umgekehrt sein.

Darüber sollte man eigentlich mal ein Buch schreiben…




Ich glaube, es sind die Begegnungen mit Menschen, mit denen man solche Gleichklänge und zwischenmenschliche Unverkrampftheiten erlebt, die einen auch sich selbst wieder näher bringen. Man treibt bisweilen im luftleeren Raum und braucht dann Kontakte, um sich wieder selbst zu spüren. Allein im eigenen Universum kann man nur begrenzte Zeit sein, dann muss man wieder neu angestupst werden.

Es klingt nach viel Wärme und aufrichtiger Beziehung, was Du über Deine Freunde schreibst. Ich finde es wunderschön. Ganz gleich, was für ein Fazit sich für Dich persönlich aus solchen Begegnungen ergibt, man spürt ihren eigenen Wert zwischen Deinen Zeilen.

Gleichklänge ist ein passender Ausdruck. Vor allem passt er auch in seiner Verkehrung ins Gegenteil - Missklänge. Wenn etwas nicht zusammenpasst, dann kommt jämmerliches Gedudel dabei heraus. Ich schätze mich wirklich glücklich, dass es in meinem Leben Menschen gibt, mit denen ich mich austauschen kann - und sei es auch nur sehr selten.