Freitag, 19. Oktober 2012
Lehrstunden der Liebe – Lust och fägring stor
Es gibt nur wenige Filme, die die Zartheit der ersten Liebe so zum Ausdruck bringen, wie dieser Film, der in der Zeit um 1943 in Schweden spielt. Ein 15jähriger Schüler verliebt sich in seine Lehrerin, die nach anfänglicher Abweisung seine Liebe erwidert. Irgendwann ist die Liebe dem Versteckspiel und dem Altersunterschied nicht mehr gewachsen. Und es endet so, wie es oft endet – das, was in Zartheit und Anmut beginnt, wandelt sich in Verletzung und Grausamkeit.

Obwohl ich keine Kennerin klassischer Musik bin, hat mich das „Lascia ch`io Pianga mia cruda sorte“ aus Händels Rinaldo tief berührt „Lass mich beweinen mein grausames Schicksal“ ist die Untermalung der Blicke und Gesten, mit denen sich die zarte Liebe zwischen dem ungleichen Paares langsam anbahnt. Wenn es ein Gedicht gibt, das in dem Film seine Ensprechung findet, dann „Zärtlichkeiten“ von Stefan Zweig (1881-1942):

Ich liebe jene ersten bangen Zärtlichkeiten,
die halb noch Frage sind und halb schon Anvertrauen
weil hinter ihnen schon die andren Stunden schreiten,
die sich wie Pfeiler wuchtend in das Leben baun.


Diesen wunderschönen kurzen Ausschnitt ansehen lohnt sich:

http://www.youtube.com/watch?v=3ckEBz5P5Ao&feature=share&list=PL2AB5EFC0A6A9B673



Mittwoch, 3. Oktober 2012
Polen – nicht so richtig Ausland
03.09.12
Wir haben uns entschlossen, vor unserem einwöchigen Urlaub im Allgäu ein paar Tage nach Polen zu fahren. Heute verbringen wir die dritte Nacht in dem winzigen Ort Chmielén, der etwa 20 km von der Kleinstadt Jelenia Gora entfernt in Schlesien liegt. Wir sind in einer kleinen Pension gelandet, die einem Museum gleicht. Der Besitzer handelt mit Antiquitäten und so gibt es jede Menge wunderschöner alter Möbel und genauso schönem alten Porzellan und anderen alten Hausrat.

Mir kommen die Tage in Polen vor wie eine Zeitreise. Es gibt soviel Gebäude, die seit Jahrzehnten nicht restauriert wurden. Manche sind völlig verfallen, andere sind zwar noch bewohnbar, haben aber eine ziemlich zerbröckelte Fassade und andere wiederum sind liebevoll restauriert. Und alles, was alt ist, wirkt auf mich irgendwie sehr deutsch, wogegen die nicht sehr zahlreichen Neubauten für mich einen undefinierbaren Stil haben, den ich nicht einordnen kann. Vielleicht bilde ich mir dies auch nur ein und hat damit zu tun, dass meine Mutter aus einer polnischen Region stammt, die vor dem Krieg deutsch war und die ich aus Erzählungen eben auch nur als deutsch kenne. Vielleicht liegt es auch daran, dass die deutsche Sprache hier zwar nicht gesprochen wird, aber auf allen alten Beschriftungen noch präsent ist. Die Vorratsdosen aus Porzellan in den Trödelläden sind beispielsweise mit „Mehl“ „Zucker“ „Salz“ e.t.c. beschriftet genauso wie die Teller für Silberhochzeiten und die Gläser mit Namenszügen. Auch die Gedenktafeln an den vielen Kirchen sind in Deutsch beschrieben. Und unser Ort Chmielén ist auf der Karte auch mit „Langwasser“ verzeichnet, genauso wie Jelenia Gora auch „Hirschberg“ heißt.

Ich genieße das Fahren durch die Dörfer, in denen Gänse und Hühner noch auf den Höfen frei herumlaufen. Jetzt blühen gerade die Dahlien und Astern, die die kleinen Vorgärten hinter den schiefen Holzzäunen in allen Farben leuchten lassen. Es hat einen eigentümlichen Reiz, wenn etwas ausnahmsweise mal nicht dem Zeitgeist angepasst, sondern in seiner ursprünglichen Form belassen wurde. Wobei der Grund natürlich nicht in Nostalgie begründet ist, sondern in mangelndem Geld. Ich selbst bin in einem kleinen Bauerndorf geboren und habe als Kind den Sechzigerjahre-Boom miterlebt, in dem jedes Naturmaterial durch Plastik ersetzt wurde. Alte handgedrechselte Bauerntüren wurden herausgerissen und verheizt und durch neue Verbundglastüren ersetzt. Die schönen alten Butzenfenster wurden durch riesige moderne Fensterscheiben ersetzt und ein ehemals schönes Bauernhaus wurde so zu einer Karikatur. Zwar hat man mittlerweile versucht, diese Fehler wieder durch auf alt getrimmte Fenster und Türen zu ersetzen, aber das Resultat ist nicht sehr überzeugend – zumindest nicht, wenn man es auch noch anders kennengelernt hat.

Was mich hier in Polen sehr erstaunt, ist die Tatsache, dass auf der einen Seite viele Häuser aussehen, als würden sie demnächst auseinanderfallen, auf der anderen Seite sieht man aber fast nur nagelneue große Autos. Während anscheinend kein Geld für Farbe oder die Reparatur der Holzwände vorhanden ist, scheint Geld beim Autoverkauf keine Rolle zu spielen. Mein Freund und ich sind erst seit zwei Jahren im Besitz eines Autos, weil uns ein Auto bisher einfach immer zu teuer war. Die Befürchtung meines Freundes, dass unser Auto hier gestohlen werden könnte, ist völlig unbegründet, denn unser 16 Jahre alter Kleinwagen wirkt hier wie ein Museumsstück.

Wundern tut mich auch die Tatsache, dass es nicht nur unseren deutschen „Lidl“ gibt, sondern tatsächlich auch den französischen Carrefour. Und aus Neugier habe ich den auch für den Kauf unseres Reiseproviants aufgesucht – es gab nichts, was ihn von dem französischen Original unterscheidet. Vor etwa zwanzig Jahren erzählte mir eine polnische Kollegin, dass ein polnisches Kaufhaus grundsätzlich leere Regale hatte und selbst eine Reise in die damalige DDR immer eine Art Shopping-Tour in ein Kaufparadies darstellte. Nun gut, zwanzig Jahre kommen einer Generation gleich, innerhalb der sich viel verändern kann. Aber ich kann mir nicht helfen – irgendwie kommt mir der Wandel dennoch zu schnell vor.

An unserem letzten Tag vor der Rückfahrt besuchen wir Jelenia Gora und haben Glück, dass dort gerade Markttag ist. Ich liebe Märkte, egal in welchem Land. Hier macht es den Anschein, als ob es oftmals nicht nur professionelle Händler sind, die ihre Waren anbieten, sondern auch Leute, die irgend ein Produkt wie z.B. Honig, Schmalz, Kräutersaft e.t.c. in kleiner Auflage nebenbei produzieren. Polen Markt
Alles wirkt daher sehr familiär. Auf einer Bühne singen und tanzen Roma-Frauen. Dabei wechselt der Eindruck einer auf Touristen gemünzten Darbietung mit einer Veranstaltung, die auch ohne Publikum so ablaufen würde. Wir sehen uns dies von einem winzig kleinen Café an, dessen Interieur mit seinen vielen Regalen und Dosen an meinen Kaufmannsladen erinnert.

Polen ist auch das Land Karel Woytilas. Auch wenn in jeder Kirche ein Bild des jetzigen Papstes vorhanden ist, so blitzt auch immer irgendwo ein Bild Woytilas aus jungen Tagen hervor. Woytila und Polen sind untrennbar miteinander verbunden. Die Kirchen in Polen sind nach wie vor in erster Linie zum Beten da und erst an zweiter Stelle Denkmäler und Besichtigungsobjekte. Und auch wenn jemand ein Foto machen will, kommt es vor, dass er zuvor auf die Knie fällt.

Kurz vor dem Urlaub hatte ich mir die Dokumentation „Sommer 39“ angesehen, der in eindringlicher und anschaulicher Weise deutlich machte, welch Leid und Zerstörung wir Deutschen diesem Land zugefügt haben. Trotzdem wurden wir während unseres kurzen Urlaubs von den Polen immer freundlich und zuvorkommend behandelt. Ich verlasse dieses Land nachdenklich, denn ich stelle mir vor, wie schmerzhaft es für meine Mutter und meine Großeltern gewesen sein muss, dieses schöne Land für immer verlassen zu müssen. Und mir wird einmal mehr die unbändige Zerstörungskraft des Krieges bewusst, der nicht nur das Leben der Opfer zerstört, sondern auch das der Täter.



Sonntag, 30. September 2012
Fremde und Vertraute
Vorhin bin ich so spät zum Joggen gegangen, dass es fast schon dunkel war – was ich eigentlich normalerweise tunlichst vermeide. Aber abgesehen davon, dass mir ein wenig mulmig dabei war, so mutterseelenallein um unseren See zu joggen, war es wunderschön, den Vollmond und den aufsteigenden Abendnebel zu sehen. Und ich genoß die Herbstluft, die diesen unvergleichlichen Geruch hat – nach Erde, Laub und Regen. Ich kam nicht umhin, an die Zeilen von Mathias Claudius zu denken: „Der Wald steht schwarz und schweiget, und aus den Wiesen steiget der weiße Nebel wunderbar.“

Wieder zuhause, habe ich mir eine Arbeit vorgenommen, die ich schon lange vor mich hingeschoben habe – mir mal das Fotoalbum meiner Mutter vorzunehmen und lose Bilder einzuordnen, alles in die richtige Reihenfolge zu bringen und zu beschriften. Jetzt bin ich endlich fertig (ich habe das Gefühl, ich brauch für so etwas länger als andere) und mir ist ganz eigentümlich, denn die meisten der auf den Fotos Abgebildeten sind inzwischen tot. Und die Orte, die mir von meiner Kindheit vertraut sind, gibt es so, wie ich sie kenne schon lange nicht mehr. Immer mehr von dem mir Vertrauten existiert nicht mehr.

Ich glaube, es gibt kein Gedicht, das mein Gefühl so gut in Worte fasst wie „Der Park“ von Reinhold Schneider (1903-1958):

Ich denke hier der Zeit, die, tiefverhaßt,
Mich und mein Leben widerwillig trägt,
Mit der mein Wesen nie zusammenpaßt,

Darin der Puls von anderen Zeiten schlägt,
Ob ich zu früh, ob ich zu spät geboren,
Ich geb mein Spiel mitsamt der Zeit verloren.


„Mit der mein Wesen nie zusammenpasst“ – besser kann man es nicht ausdrücken. Beruhigend, dass es anderen auch so geht. Vielleicht liebe ich Lyrik deswegen so, weil man das Gefühl hat, auf Gleichgesinnte zu treffen. Fast schon wie alte Bekannte.