Hermann Hesse
Es ist schon ziemlich lange her, dass ich das letzte Mal etwas von
Hermann Hesse gelesen habe, zumindest was Erzählungen betrifft, meine Gesamtausgabe seiner Gedichte nehme ich öfter zur Hand. Heute wurde in der ARD anlässlich Hesses fünfzigsten Todestag sowohl eine Romanverfilmung als auch eine kurze Dokumentation über sein Leben gezeigt. Als Hesse-Fan habe ich mir das natürlich nicht entgehen lassen.
Ich frage mich allerdings, ob ich mich eigentlich im strengen Sinn überhaupt noch als Hesse-Fan bezeichnen kann, wenn mein letzter Roman nun schon etliche Jahre zurückliegt. Und dann taucht die Frage auf, woran dies liegen könnte. Vielleicht ist es der Umstand, dass Hesses Romane in einer völlig anderen Zeit spielen. Sein Thema war oft der Ausbruch aus der kleinbürgerlichen Enge und die Befreiung von gesellschaftlichen Normen. Das wirkt in einer Zeit, in der der Einzelne mittlerweile ein Optimum an individueller Freiheit hat und in der es schon lange ein Muss ist, Normen anzuzweifeln, seltsam antiquiert.
Sicher, das Thema der Sinnsuche und Selbstverwirklichung ist zeitlos. Aber trotz der Zeitlosigkeit hat sich auch an dieser Thematik etwas geändert. Sinnsuche und Selbstverwirklichung sind längst Massenthemen geworden und nicht mehr Frage vereinzelter Außenseiter. Hermann Hesse hat sich in seinen Werken immer an das Individuum gewandt und genau das hat so viele Menschen angezogen in einer Zeit, in der sich das Individuum noch voll und ganz der Familie und der Gemeinschaft unterordnen musste. Eine Zeit, in der ganz klar und fest definiert war, was gut und was böse ist. In so einer Zeit leben wir aber schon lange nicht mehr.
Was seine Gedichte betrifft, so empfinde ich diese nach wie vor als zeitlos. Es geht um Einsamkeit, um Schmerz über die vergangene Jugend, um Todessehnsucht, um Liebe zur Natur und um die Suche nach dem, was das irdische Dasein transzendiert.
In der Dokumentation konnte man eine der seltenen Originalansprachen von Hermann Hesse hören: „Unter Glück verstehe ich die Teilhabe am ewigen Sein“. Und in dem Moment wo ich diesen Ausspruch niederschreibe, weiß ich, dass ich doch noch ein Hesse-Fan bin.
Eine ewig Gestrige kommt noch mal zu Wort
Gestern habe ich mir die Dokumentation „Der Sturz“ angesehen, in der es um das Ende der DDR ging und unter anderem auch ein langes Interview mit Margot Honecker gezeigt wurde. Mir war schon zuvor klar, dass mich so eine Sendung aufregen könnte. Und so war es dann auch. „ Es gab doch auch Feinde in der DDR, das kann man doch nicht leugnen und das welche davon eingesperrt wurden, ist doch normal, oder?“ Dazu kann man eigentlich nichts mehr sagen, denn das Mindeste, was für eine Diskussion vorhanden sein muss, ist der Konsens, dass es auch immer im Bereich des Möglichen liegt, dass eine Ansicht auch falsch sein kann. Und dieser Mindestkonsens fehlt bei Margot Honecker. Eine schon ans Pathologische grenzende Überzeugung von der eigenen Unfehlbarkeit.
Die Überzeugung von der eigenen Unfehlbarkeit hat dann auch die vielen menschlichen Tragödien verursacht. Wie zum Beispiel die eines jungen Mannes, der wegen eines Diebstahls und der simplen Tatsache, ein Punker zu sein, für viele Jahre in dem geschlossenen Jugendwerkhof Torgau, einer Disziplinierungseinrichtung der DDR-Jugendhilfe, einsaß. Die Aussage „Man wurde dort in seinem Menschsein entwürdigt. Man kann mit seiner Vergangenheit nicht abschließen, Torgau ist lebenslänglich“ läßt ahnen, welch großes Leid man dort den Kindern und Jugendlichen angetan hat. Auch die Tatsache, dass es in der DDR zu schätzungsweise 7.000 Zwangsadoptionen kam, in denen regimekritischen Eltern ihre Kinder weggenommen wurden, lässt nur ahnen, was Menschen erleiden mussten, die als regimekritisch galten.
Merkwürdig mutet an, dass sich Erich und Margot Honecker m Januar 1990 nach Verlust ihrer Wohnung nicht an die Parteigenossen wandten, sondern ausgerechnet an die Institution, die sie zeitlebens vehement bekämpft hatten – die Kirche. Ausgerechnet ein Pastor, dessen Kindern einzig und allein aufgrund der Tatsache, Pastorenkinder zu sein, ein Studium verboten wurde, gab den Honeckers Asyl. Und nicht nur das, er stellte sich auch schützend vor die beiden, als sich wütende Gruppen vor dem Haus formierten. Ein Zeitzeuge formuliert treffend: „Der oberste Atheist bittet um Asyl und ein vom Regime verfolgter Christ stellt sein Haus zur Verfügung und wohnt mit ihm zehn Wochen zusammen“. Man kann schon fast Mitleid mit den Honeckers bekommen, wenn man sich vorstellt, wie sie gelitten haben mögen in engster Nähe mit Menschen, die an Unsinn wie Nächstenliebe und Gewaltverzicht glauben anstatt an die Diktatur des Proletariats.
Der Film kreist um die Gründe für das Aufbegehren in der DDR und um den Zorn, der sich über die Willkür der Staatsgewalt und über die rigorose Unterdrückung jeglichen kritischen Denkens gebildet hatte. Es kommt sowohl die Wut als auch der Schmerz über das Erlittene zum Ausdruck. Von all dem bleibt Margot Honecker allerdings völlig unberührt. Sie versteht diese neue Welt nicht mehr, in der einer unfehlbaren Frau wie ihr nicht mehr bedingungslos gehorcht wird.
Und dennoch sagt auch jemand wie Margot Honecker ab und zu etwas, dem man zustimmen muss. Zum Beispiel, wenn sie Politiker als Spielbälle der Banken bezeichnet. Dies ist es vielleicht auch, was so manchem der den alten Zeiten Nachtrauernden den Blick zurück so verklärt. Denn die lang ersehnte Freiheit entpuppte sich nicht als Paradies. Kapitalismus ist eine Riesenkrake, die nur diejenigen leben lässt, die sich in einem durch das Recht des Stärkeren bestimmten System behaupten können. Ein System, in dem Gewinnmaximierung zur erklärten Lebensdevise geworden ist. Aber selbst ein barbarisches und unmenschliches Prinzip rechtfertigt es nicht, Menschen einzusperren und ihnen das Denken zu verbieten. Gott-sei-Dank haben das mittlerweise viele begriffen. Allerdings eben nicht Margot Honecker. Sie ist ein erschreckendes Beispiel für einen gegen jeglichen Lernprozess resistenten Menschen.
Für mich besteht das eigentlich Bedeutsame im Zusammenbruch der DDR und der Wiedervereinigung in der Entlarvung der Ideologien. Die Ideologie der Chancengleichheit hat genauso wenig überlebt wie die Ideologie der Freiheit. Chancengleichheit steht zum Widerspruch zu einem System, in dem nur die Parteikonformen Chancen erhalten. Freiheit steht im Widerspruch zu einem System, in dem immer mehr Menschen zu arm sind, um ihre Freiheit nutzen zu können.
Der blaue Engel – Macht, Grausamkeit und Feigheit
Es gibt für mich kaum einen Film, der Doppelmoral, Untertanentum und Konservatismus so beeindruckend ausdrückt wie „Der blaue Engel“. Der Film spielt in der nachwilhelminischen Zeit, die gekennzeichnet ist durch kleinbürgerliche Enge und Autoritätsgläubigkeit. Es geht um das Zugrundegehen eines Gymnasialprofessors, das sich ereignet vor dem düsteren Hintergrund einer Erziehung, die durch Freudlosigkeit und ängstliches Ducken vor der Autorität gekennzeichnet ist. Es scheint, als ob sich Lehrer und Schüler gleichermaßen gegenseitig hassen.
Professor Unrat scheitert daran, dass seine Autorität verkörpernde Position nicht vereinbar ist mit der Heirat einer zweitklassigen Varietesängerin. Obwohl das Kleinbürgertum sich schon immer magisch angezogen fühlte von der Welt des Tingeltangels, in der all das erlaubt ist, was im eigenen starren und sittenstrengen Wertesystem verpönt ist, gilt die unumstößliche Regel, derzufolge sich niemand offen zu dieser Anziehung bekennen darf. An dem Wechsel in diese andere Welt zerbricht Professor Unrat.
Die Schüler des Professors sind keine Kinder mehr, sondern junge Erwachsene. Und trotzdem verstecken sich diese ängstlich blitzschnell unter dem Tisch oder hinter dem Paravent, als der die Autorität verkörpernde Professor naht. Auf bedrückende und anschauliche Weise fallen hier die sinnbildliche und konkrete Bedeutung des Begriffs „Ducken und Kuschen“ zusammen. Durch den gesellschaftlichen Abstieg des Professors wechseln die Positionen. Nicht mehr der Lehrer hat jetzt die Position des Überlegenen, sondern die Schüler. All jene, die zuvor noch geduckt und gekuscht hatten, schlagen jetzt zurück. Wobei bezeichnend ist, dass die Konstellation einer Einzelperson gegen eine Gruppe sich wandelt in die einer Gruppe gegen eine Einzelperson.
Für mich ist der Film nicht nur eine beeindruckende Charakterstudie eines gescheiterten Menschen, sondern auch eine bemerkenswert Studie über das zwangsläufige Zusammenspiel von Feigheit, Macht und Grausamkeit. Feigheit findet seine Entsprechung in der Freude an Grausamkeit. Wer einsteckt, ohne aufzumucken, konserviert seine Wut so lange, bis sie sich in Grausamkeit gewandelt hat. Und diese Grausamkeit gleicht einem Tier, das so lange auf der Lauer liegt, bis sich das potentielle Opfer in der unterlegenen Position befindet. Dann – und nur dann – schlägt sie zu. Immer aus dem sicheren Hinterhalt und dabei mit sichtbarem Genuss, denn schließlich wurde auf diesen Moment lange gewartet. Selbst wenn das Opfer schon wehrlos am Boden liegt, wird nochmals nachgetreten.
Ja sicher, die Schüler sind letztendlich auch nur Opfer eines entwürdigenden Erziehungssystems. Aber niemand ist ausschließlich Opfer. Wäre dies der Fall, dann würden wir alle als vorprogrammierte Maschinenmenschen in Diktaturen leben. Feigheit ist immer ein klares Ja zu allem Bestehenden und ein klares Nein zu Veränderung. Mögen die Machtverhältnisse auch noch so verhasst sein – Feigheit ist die Voraussetzung für deren Konservierung und bildet eine Koalition mit ihr und mit dem Unrecht.
Mit dem Film „Der blaue Engel“ assoziiere ich drei Bilder: Die Schüler, die sich – obwohl erwachsen – wie kleine Jungen mit schreckverzerrten Gesicht unter den Tisch ducken. Dann die die Szene, in der die Schüler im Schutz der sicheren Gruppe ihren Lehrer hasserfüllt und laut grölend verhöhnen. Und letztendlich Emil Jannings, der als Professor Unrat noch im Tod das Lehrerpult umkrallt, als würde es nichts anderes geben, das jemals wichtig für ihn war. Ein Mensch, dessen Dasein eine Metamorphose von der gefürchteten Autorität hin zur verlachten Witzfigur durchmachte.
Diese drei Bilder sind es, die diesen Film für mich so düster und unheimlich machen.
behrens am 23. Februar 12
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