Religiöse Toleranz – wenn Nathan der Weise ein Jahrhundert später gelebt hätte
Ich habe mal ein Gedankenspiel darüber angestellt, was wäre, wenn Gotthold Ephraim Lessing rund 100 Jahre später gelebt hätte, also nicht im Jahr 1729 geboren worden wäre, sondern im Jahr 1829. Er wäre dann Zeitgenosse gewesen von den Philosophen Auguste Compte (*1798), Ludwig Feuerbach (*1804) und Karl Marx (*1818). Und somit hätte Lessing in einer Zeit gelebt, in der auch drei bedeutende Religionskritiker gelebt haben.
Wenn ich mein Gedankenspiel weiter spinne, dann hätte dies auch Einfluss auf Lessings
Ringparabel aus dem Werk „Nathan der Weise“ gehabt. In der Ringparabel, die ein Plädoyer für religiöse Toleranz darstellt, wäre es dann vielleicht nicht nur um die drei großen monotheistischen Religionen gegangen, sondern auch um den Atheismus. Und dies hätte eine hochinteressante Thematik dargestellt. Der Streit darüber, ob das Gottesbild seine wahre Entsprechung in der Vorstellung von Jahwe, Jesus oder Allah hat, wäre dann erweitert um die Vorstellung, dass das Gottesbild seine Entsprechung in einem Irrtum hat. Und genauso, wie die Religionen eine zweifelhafte Beweisanführung für ihre eigene Richtigkeit haben, so ist dies auch beim Atheismus der Fall.
Wenn Feuerbach formuliert, dass man erst durch die Verneinung eines Lebens nach dem Tode zur ungeteilten Bejahung des Lebens gelange, dann blendet er all jene aus, die sich trotz einer Jenseitsannahme voll und ganz dem Leben widmen (wie z.B. Ernesto Cardenal, um nur einen Namen zu nennen). Seine These wird aber auch nicht all jenen gerecht, die trotz ihrer Verneinung einer Jenseitsvorstellung auch das Leben voll und ganz verneinen, wie z.B. eben jener hier aufgeführte Auguste Compte, der versucht hat, seinem Leben ein Ende zu setzen. Die marxistische These von der Religion als Opium des Volkes, mag für all jene zutreffen, die jede Ungerechtigkeit als Wille Gottes interpretieren und rechtfertigen, aber das sind nun mal nicht alle Menschen, wie man unter anderem daran erkennen kann, dass es diverse kirchliche Träger gibt, die sich konsequent für die Beseitigung von sozialen Ungerechtigkeiten einsetzen – und zwar nicht nur durch Beten oder Suppenküchen, sondern auch durch Hilfe zur Selbsthilfe und durch Mitgestaltung sozialer Strukturen.
Aber kommen wir zurück zu meinem Gedankenspiel von der Ringparabel, in der es darum geht – in sehr vereinfachter Form – welcher Weg der Richtige ist. Nathan der Weise weigert sich, eine klare Antwort darauf zu geben, was ihn eben auch als Weisen auszeichnet, denn im Gegensatz zur Ideologie bekennt sich Weisheit zu ihrem Nichtwissen. Statt einer Antwort gibt Nathan der Weise den Rat – auch das sehr vereinfacht – sich die Resultate der verschiedenen Wege anzusehen und erst dann zu entscheiden, welcher der richtige ist. Und genau dies sollte man vielleicht einfach einmal tun, man sollte sich vorurteils- und ideologiefrei ansehen, was eine jüdische, muslimische, christliche
und atheistische Überzeugung aus dem Menschen als Individuum und als soziales Wesen macht. Man sollte sich die unzähligen Für und Wider vor Augen halten und sich fragen, ob denn wirklich die jeweils Andersdenkenden so viel schlechter miteinander umgehen als diejenigen, die der eigenen Überzeugung angehören.
Religionen
und Atheismus (wie gut, dass es die Funktion des Fettdrucks beim Bloggen gibt…) sind von Vorurteilen geprägt gegen die jeweils Andersdenkenden. Religionen
und Atheismus sind unfähig, jenseits ihrer Dogmen zu denken, wobei weder Gläubige noch Atheisten davor gefeit sind, in den Bereich der Plattitüden, Diffamierungen und Unterstellungen abzurutschen.
Warum machen wir’s nicht einfach so wie es Nathan der Weise rät? Weil wir eben nicht weise sind…
Das Leben zwischen den Stühlen
Ideologien sind Zwangsjacken für das Gehirn, hat Erica Jong einmal geschrieben und darin stimme ich ihr voll und ganz zu. Ideologien sind abgeschlossene Denksysteme, in denen paradoxerweise eben gerade das Denken ausgeschlossen wird. Vielleicht wurde am Anfang, als die Ideologie noch im Entstehen war, noch eifrig nachgedacht. Aber in dem Moment, wo eine Ideologie zur Bildung einer Bewegung führt, wird – auch das ist paradox – jede Bewegung verhindert.
Das eigentlich Schlimme an einer Ideologie ist der pathologische Zwang, jeden noch so kleinen Hauch von Kritik als Indiz für Gegnerschaft einzustufen. Und da Ideologen ja felsenfest von der Wahrheit ihrer Ideen überzeugt sind, müssen die vermeintlichen Gegner sofort und nachhaltig bekämpft werden. Ähnlich wie das hinduistische Kastensystem weisen Ideologien einem jeden seinen festen Platz zu. Es gibt ein Unten und ein Oben.
Jemand, der von keiner Ideologie überzeugt ist, gehört entweder zu denjenigen, die ein Leben frei von jeglicher Überzeugung leben, oder aber er gehört zu denjenigen, deren Leben sich zwischen den Stühlen abspielt.
Wie sieht so ein Leben zwischen den Stühlen aus? Wie ergeht es jemandem, der auf der einen Seite ein entschiedener Gegner eines Systems ist, in welchem es nur noch um Konkurrenzkampf und um Macht geht, aber der gleichzeitig auch ein entschiedener Gegner ist von Systemen, in denen man nur im Gleichschritt überleben kann?
Jemand, der zwischen den Stühlen sitzt, muss auf den kuscheligen Rückhalt der Gruppe verzichten und wird zudem noch von zwei Seiten gleichzeitig in Frage gestellt. Im Extremfall kann ein Zweifrontenkrieg daraus entstehen. Das Leben zwischen den Stühlen ist anstrengend, weil heimatlos. Man könnte meinen, dass es doch immerhin eine Gemeinschaft geben müsste zwischen all denjenigen, die sich zwischen den Stühlen befinden. Aber irgendetwas scheint jegliches Ansammeln einer größeren Gruppe zu verhindern. Man kann die zwischen den Stühlen Lebenden allerdings ab und zu in Büchern wiederfinden. Lesen, Lesen, Lesen, dann trifft man auf Gleichgesinnte. Allerdings sind die meisten von ihnen schon tot, was das Gefühl das Eigenbrötlerdaseins noch verstärkt.
Und deswegen ist es anstrengend, dieses Leben zwischen den Stühlen.
behrens am 25. Januar 12
|
Permalink
| 0 Kommentare
|
kommentieren
Spät aber nicht zu spät - warum ich mein Weltbild jetzt überdenken muss
Manchmal passieren Dinge, die mein pessimistisches Weltbild ins Wanken bringen. Vor Kurzem habe ich eine lange Mail von einer mir völlig unbekannten Frau erhalten. Der Anlass der Mail liegt schon Jahre zurück und bestand in einem ziemlich miesen Verhalten, das jemand mir gegenüber an den Tag gelegt hat. Damit meine ich nicht unsachliche Kritik oder Polemik, sondern obszöne Beleidigungen und üble Diffamierungen. Ich war nicht unbedingt die Erste, die von dem Betreffenden einen heftigen Schlag unter die Gürtellinie erhalten hat, aber doch jemand, auf den sich der Besagte eine Weile eingeschossen hatte. Und genau das hatte dann den Rattenschwanz von Reaktionen zur Folge, der letztendlich dazu führte, dass ich meinen Betreuerblog nicht mehr in einer Gemeinschaftshomepage verlinken durfte, frei nach der Devise: „Wer beleidigt wird, hat dies wohl auch irgendwie verdient“.
Und jetzt bekomme ich also Jahre danach eine Mail. Und ich bin völlig erstaunt, dass sich jemand – den ich noch nicht einmal kenne – die Mühe macht, mir ausführlich zu schildern, dass es auch anderen so wie mir erging und dass sich einige der Geschädigten sich deswegen sogar schon zusammen geschlossen hatten.
Es gibt sie also doch, die von mir schon als ausgestorben betrauerte
„Solidarität! Jenes Verhalten, das jemandem den Rücken stärkt, wenn er zu Unrecht angegriffen wird und das so unverzichtbar ist, wenn man nicht vor allem und jedem kuschen will. Dieses Verhalten, dass das genaue Gegenteil darstellt zu fadenscheinigen
„Tu-quoque-Argumenten, die einzig und allein dazu dienen, sich aus der Verantwortung zu ziehen.
Was mich nachdenklich stimmt, ist der Umstand, dass ich von jemand mir völlig Unbekannten Rückendeckung erhalte, während gerade diejenigen aus meinem direkten Umfeld, für die ich mich in so mancher Situation vehement stark gemacht habe, nicht nur jede Solidarität vermissen ließen, sondern mir stattdessen auch noch in den Rücken fielen.
Aber nichtsdestotrotz ist es beruhigend, dass es doch noch Menschen gibt, die nachempfinden können, wie schlimm es ist, miesen Beleidigungen ausgesetzt zu sein. Menschen, die wissen, wie ungemein wichtig es in so einer Situation für den Betroffenen ist, von anderen Rückhalt zu erfahren.
Tja, ich muss wohl mein Weltbild überdenken. Aber in diesem Fall tue ich dies gern…
P.S.:
Was ist eigentlich das Gegenteil von Solidarität? Ich glaube, es ist Opportunismus. Während die Solidarität sich auf die Seite der Schwächeren stellt, stellt sich der Opportunist grundsätzlich auf die Seite der Stärkeren.
behrens am 20. Januar 12
|
Permalink
| 0 Kommentare
|
kommentieren