Das Leben zwischen den Stühlen
Ideologien sind Zwangsjacken für das Gehirn, hat Erica Jong einmal geschrieben und darin stimme ich ihr voll und ganz zu. Ideologien sind abgeschlossene Denksysteme, in denen paradoxerweise eben gerade das Denken ausgeschlossen wird. Vielleicht wurde am Anfang, als die Ideologie noch im Entstehen war, noch eifrig nachgedacht. Aber in dem Moment, wo eine Ideologie zur Bildung einer Bewegung führt, wird – auch das ist paradox – jede Bewegung verhindert.

Das eigentlich Schlimme an einer Ideologie ist der pathologische Zwang, jeden noch so kleinen Hauch von Kritik als Indiz für Gegnerschaft einzustufen. Und da Ideologen ja felsenfest von der Wahrheit ihrer Ideen überzeugt sind, müssen die vermeintlichen Gegner sofort und nachhaltig bekämpft werden. Ähnlich wie das hinduistische Kastensystem weisen Ideologien einem jeden seinen festen Platz zu. Es gibt ein Unten und ein Oben.

Jemand, der von keiner Ideologie überzeugt ist, gehört entweder zu denjenigen, die ein Leben frei von jeglicher Überzeugung leben, oder aber er gehört zu denjenigen, deren Leben sich zwischen den Stühlen abspielt.

Wie sieht so ein Leben zwischen den Stühlen aus? Wie ergeht es jemandem, der auf der einen Seite ein entschiedener Gegner eines Systems ist, in welchem es nur noch um Konkurrenzkampf und um Macht geht, aber der gleichzeitig auch ein entschiedener Gegner ist von Systemen, in denen man nur im Gleichschritt überleben kann?

Jemand, der zwischen den Stühlen sitzt, muss auf den kuscheligen Rückhalt der Gruppe verzichten und wird zudem noch von zwei Seiten gleichzeitig in Frage gestellt. Im Extremfall kann ein Zweifrontenkrieg daraus entstehen. Das Leben zwischen den Stühlen ist anstrengend, weil heimatlos. Man könnte meinen, dass es doch immerhin eine Gemeinschaft geben müsste zwischen all denjenigen, die sich zwischen den Stühlen befinden. Aber irgendetwas scheint jegliches Ansammeln einer größeren Gruppe zu verhindern. Man kann die zwischen den Stühlen Lebenden allerdings ab und zu in Büchern wiederfinden. Lesen, Lesen, Lesen, dann trifft man auf Gleichgesinnte. Allerdings sind die meisten von ihnen schon tot, was das Gefühl das Eigenbrötlerdaseins noch verstärkt.

Und deswegen ist es anstrengend, dieses Leben zwischen den Stühlen.