Gibt es Contrarys unter uns?
Endlich habe ich einen Erklärungsansatz für das Phänomen gefunden, dass so mancher Betreiber einer Homepage sich völlig anders darstellt, als er tatsächlich ist. In meiner Erklärung muss ich dafür etwas ausholen:
Unter den nordamerikanischen Indianerstämmen gab es den kuriosen Typus des sogenannten „Contrary“. Gemeint ist damit jemand, der seine Verhaltensweisen in den genauen Gegensatz verkehrt und ausführt. Charakteristisch ist dabei eine ins Gegenteil verkehrte Sprache, bei der die tatsächliche Bedeutung umgekehrt, gewendet wird. Beispielsweise bedeutet diesem Prinzip zufolge "Nein" grundsätzlich "Ja" und "Guten Tag" bedeutet "Auf Wiedersehen!" Die verkehrte Sprache beinhaltete auch eine sogenannte „umgekehrte Reaktion“, das heißt, dass genau das Gegenteil von dem getan wird, was andere verlangen. Ruft zum Beispiel jemand, der nach dem Prinzip des Contrary handelt, "Komm näher“", so meint er jedoch, dass derjenige sich entfernen solle.
Und als ich dies las, fiel es mir schlagartig wie Schuppen von den Augen, dass es nicht nur unter den Cheyenne, Sioux oder Kiowa Menschen gibt, die das genaue Gegenteil von dem tun, was sie sagen – nein, auch mitten unter uns in unserer abendländischen zivilisierten Hightechgesellschaft ist dieser merkwürdige Typus in allen Bereichen präsent.
Und genauso wenig, wie man sich auf die Aussage eines Contrary verlassen sollte, genauso wenig sollte man sich auf Aussagen so mancher Websitebetreiber verlassen. Aber ist man erstmal mit dem Begriff des Contrary vertraut, dann hat man jetzt zumindest eine Richtlinie dafür, wie man mit den Contrarys unter uns umgehen sollte. Attribute wie „hochqualifiziert“ und „engagiert“ kann man jetzt getrost gemäß ihrem Antonym verwenden, was bedeutet, dass es sich um jemanden handelt, der mittelmäßig ist und Dienst nach Vorschrift macht.Und die Aussage eines Contrarys: „Für mich steht der Mensch im Mittelpunkt“ heißt nichts anderes, als dass es um alles Mögliche geht, aber ganz sicher nicht um den Menschen. Will man wissen, woran man wirklich ist, sollte man einfach die Contrary-Übersetzung anwenden.
P.S.: wer’s nicht glaubt, dass Contrarys tatsächlich existierten: der auf nordamerikanische Indianerkulturen spezialisierte Anthropologe Julian Steward hat die Rolle des „Contrary“ wissenschaftlich untersucht. Vielleicht haben auch manche von den Älteren unter uns schon mal Arthur Penns „Little big man“ angesehen, in dem ein Contrary sehr eindrucksvoll dargestellt wird.
behrens am 24. November 11
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Grandes Dames
Vor ein paar Tagen habe ich mir nicht nehmen lassen, mir das Gespräch von Reinhold Beckmann mit Hildegard Hamm-Brücher (90) und Margarete Mitscherlich (94) anzusehen. Was ich bei beiden als sehr beeindruckend empfand, war die Bescheidenheit, mit der die beiden mit ihrem Lebenswerk umgingen.
Margarete Mitscherlich, mit Leib und Seele Psychoanalytikerin, hat auch im Alter von nunmehr 94 Jahren nicht aufgehört, immer wieder nach den Gründen für menschliches Handeln zu fragen. Das mag zuweilen etwas festgefahren wirken, aber was daran viel wichtiger ist, ist die Lust am Dazulernen. Sie spricht von dem Bedürfnis, des „Sich selbst Kennenlernens“ und beschreibt dies näher als eine Notwendigkeit, immer wieder nach der wahren Motivation des eigenen Handelns und der des Handelns anderer zu fragen.
Hildegard Hamm-Brücher, die ihr Leben der Politik gewidmet hat, formulierte ihren Wunsch nach einer stärkeren Emanzipation der Männer, da immer noch ein großer Teil der Verantwortung den Frauen aufgebürdet wird, wodurch diese wiederum nicht die Möglichkeit haben, sich in der Gesellschaft zu engagieren. Was mich daran so beeindruckte, ist die Tatsache, dass Hildegard Hamm-Brücher in ihrer eigenen Ehe keine klassische Rollenverteilung erlebt hat. Es ist äußerst selten, dass jemand seine private priviligierte Situation nicht generalisiert, sondern in der Lage ist, zu erkennen, dass viele Menschen in weitaus schwierigeren Verhältnissen leben. Und noch seltener ist es, dass jemand nicht in erster Linie für sich selbst, sondern auch für andere etwas verändern und verbessern möchte.
Es gab noch einen dritten Gast, die zweiundneunzigjährige Vera von Lehndorff, besser bekannt als Veruschka. Bis auf das Alter gab es auf den ersten Blick keine Verbindung mit den anderen beiden Frauen, denn Vera von Lehndorff war Fotomodell und hat erst sehr spät begonnen, etwas anderes zu machen, nämlich selbst zu fotografieren. Allerdings wurde der Bogen zu den anderen beiden Frauen dann durch die Schilderung ihrer Kindheit gespannt, denn Vera von Lehndorffs Vater wurde als Widerstandskämpfer hingerichtet, als sie vier Jahre alt war. Der Nationalsozialismus war immer wieder Thema bei dem Gespräch, denn Hildegard Hamm-Brüchner war im Dritten Reich aufgrund ihrer jüdischen Großmutter großen Schikanen ausgesetzt gewesen und konnte nur durch die Unterstützung von Freunden ihre Ausbildung machen. Margarete Mitscherlich hat in ihrem Buch „Die Unfähigkeit zu trauern“ mit den psychischen Folgen des Massenwahns befasst.
Am Ende der Sendung war ich tief beeindruckt von diesen Frauen, die auch im Alter von über neunzig Jahren noch den Wunsch nach Veränderung und geistiger Bewegung haben. Alle drei Frauen bilden einen lebendigen Gegenpol zu dem verbreiteten Modell des Stillstands.
Bemerkenswert empfand ich den Satz von Margarete Mitscherlich, die beschrieb, dass sie morgens nach dem Aufwachen erstmal im Bett läge und nachdenken würde. „Man kann mit seinem Gehirn ganz gut diskutieren – fasst sie dies zusammen. Wie viele Menschen können dies wohl tatsächlich? Und wie viele Menschen wollen dies überhaupt können? Ganz sicher nicht allzu viele. Und ich kann es einfach nicht verhindern, dass mir wieder einmal die vielen kleinen Bürodamen einfallen, die schon dem allerersten Denkvorgang konsequent einen Riegel vorschieben mit ihrem lautstarken Hinweis auf „ihren Arbeitsauftrag“ oder auf die vehement verteidigte Lukrativität und die im Gegensatz zu Hildegard Hamm-Brücher und Margarete Mitscherlich keine Gelegenheit auslassen, sich selbst als hochqualifiziert und hochengagiert zu loben.
Vielleicht sind Denkerinnern eine aussterbende Spezies. Und sei’s drum – es war ein Genuss, gleich drei so interessanten Frauen zuzuhören.
behrens am 16. November 11
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Ist ein schlechter Witz trotzdem ein Witz?
Wir verkloppen jeden Juden. Ab jetzt ist es Hardcore, du Opfer.
Mit dem Schwanz in der Hand, steh ich vor dir, du Neger. Mit der rechten wird’ ich wichsen, mit der linken dich schlagen. .
Da hat sich natürlich ein kleiner Fehler eingeschlichen. Keine Panik, alles im grünen Bereich, denn Bushido hat ja nur „Schwuchteln“ und nicht „Juden“ gesungen; nur „Bitch“ und nicht „Neger“. Es gibt also gar keinen Grund zu Aufregung.
Es gab immer eine Hierarchie und es wird immer eine Hierarchie geben, wenn es um den Kampf gegen Diskriminierung, Hetze und Gewalt geht. Geht es „nur“ um Frauen, dann wird schon mal ein Auge zugedrückt. Nicht, dass es im Selbstverständnis der sich als-ach-so-kritisch und ach-so-engagierten linken Männer keinen Platz für die Problematik der Gewalt gegen Frauen geben würde. Nein, natürlich hat jeder schon mal todesmutig Front gegen Frauendiskriminierung gemacht und hat natürlich auch die obligatorischen Bücher – Schwarzer, Beauvoir, Millet – im Bücherregal stehen. Aber natürlich kann man das nicht vergleichen mit der Diskriminierung von Ausländern oder anderen Randgruppen. Und irgendwie muss man ja auch mal sehen, dass das eine privat und das andere eben gesellschaftlich ist.
Man sollte ihm nicht so viel Aufmerksamkeit widmen, diesem Mann, der ständig von seiner Mama spricht und dem man beileibe nicht anmerkt, dass er angeblich kurz vor dem Abitur stand. Im Grunde könnte man auch darüber lachen, dass jemand, dessen Texte grottenschlecht sind, einen Beitrag zur Integration geleistet haben soll. Entsprechend dem urkapitalistischen Grundsatz, dass alles, was sich gut verkauft, auch gut sein muss, hat man kommerziellen Erfolg mit Qualität gleichgesetzt. Und weil Bushido ein „Mensch mit Migrationshintergrund" ist, ist sein kommerzieller Erfolg mit Integration gleichgesetzt worden. Er hätte im Grunde auch genauso gut weiter mit Drogen dealen können und – vorausgesetzt er hätte dadurch Reichtum erlangt – dies wäre dann auch ein Beispiel für gelungene Integration gelobt worden.
Aber da ich am Anfang so gemein zwei Schimpfwörter einfach gegen zwei andere Schimpfwörter ausgetauscht habe, hier ein Originalauszug eines Interviews mit unserem Integrationsspezialisten:
Jeder weiß, dass man mich über meine Mutter auf jeden Fall provozieren kann. Und ich hab halt keinen Bock, dass ich dann halt mit Alice Schwarzer da sitze und sie merkt dann, ich krieg den halt nicht über die Macho-Schiene und auf einmal sagt sie: „Wie waren denn die Titten damals von deiner Mutter, als du als kleiner Junge dran gesaugt hast?“ So, das wäre dann ein Punkt gewesen, da hätte ich ihr gesagt: „Weißt du was, ganz ehrlich, fick dich ins Knie du Fotze!“ so. Hätt’ ich auch so gesagt, ja klar, das wär’ dann auch’n Punkt, wo ich dann nicht drauf achte, nach Motto hey, lass uns jetzt gut miteinander reden, denn wenn dieser Punkt eintritt, dann gibt’s nix mehr von wegen Zeiten ändern dich und reif und überlegt und entspannt dann sag ich ihr ganz ehrlich: „Fick dich ins Knie!“
Eines sollte man noch anmerken: Bushido hat in seiner Rede anlässlich der Bambi-Verleihung gesagt, dass sich Menschen ändern und er heute nicht mehr die gleichen Dinge sagen würde wie vor zehn Jahren. Das vorab zitierte Interview gab er anlässlich seines Films im vergangenen Jahr – wahrscheinlich muss man jetzt noch neun Jahre warten, ehe er uns nicht mehr mit seinen geistreichen „Fick dich ins Knie“ Kommentaren beglückt. Zeiten ändern sich, das mag wohl sein. Aber Bushido nicht.
Einen Echo, einen MTV-Avard, ein Bambi – kommt als nächstes das Bundesverdienstkreuz? Oder vielleicht doch lieber der Friedensnobelpreis?