Freitag, 2. September 2011
Müde und erschöpft und Thema Seelenverwandtschaft
Bin eben erst von der Arbeit zurückgekommen und habe fast 13 Stunden ohne Unterbrechung gearbeitet. Und weil ich zu aufgekratzt zum schlafen bin, habe ich mir die Rilke-Gedichtseite aufgerufen. Die Wirkung von Rilkes Gedichten auf mich ist verlässlich – ich komme wieder zu mir. Etty Hillesum, die ebenfalls ein sehr großer Rilke-Fan ist, hat mal geschrieben „Rilke ist für mich realer als ein Umzug“. Das klingt zwar ein wenig holperig, aber letztendlich ist es dass, was ich auch empfinde.

Es gibt so etwas wie eine Seelenverwandtschaft, das Gefühl, den gleichen Ursprung zu haben. Gleiche Wertigkeiten. Gewissermaßen eine Bestätigung, dass man nicht allein ist mit seinen Abneigungen und Vorlieben. Die Abneigung gegen Städte zum Beispiel verbindet mich mit Rilke (mit Hesse übrigens auch). Ob das eine Alterserscheinung ist? Als Jugendliche liebt man den Rummel und die vielen Menschen. Jugendliche wünschen sich, dass etwas passiert. Am besten laut und bunt. Ich genieße immer mehr die Stille. Obwohl – es gibt auch Ausnahmen. Wenn ich an Prag oder an Vientiane denke, kommt doch wieder ein Gefühl dafür auf, wie anziehend Städte sein können. Ein guter Kompromiss sind kleine kuschelige Städte. Calw (Hesses Geburtsstadt) zum Beispiel oder Husum.

Wie dem auch sei. Ich werde – Dank Rilkes Gedichten – endlich ruhiger und kann hoffentlich gleich schlafen. Bin mir gar nicht sicher, ob man so einfach Gedichte (Rilke ist noch keine Hundert Jahre tot) hier zitieren darf. Ich tue es in der Annahme, dass dies erlaubt ist.

Die großen Städte sind nicht wahr; sie täuschen
den Tag, die Nacht, die Tiere und das Kind;
ihr Schweigen lügt, sie lügen mit Geräuschen
und mit den Dingen, welche willig sind.

Nichts von dem weiten wirklichen Geschehen,
das sich um dich, du Werdender, bewegt,
geschieht in ihnen. Deiner Winde Wehen
fällt in die Gassen, die es anders drehen,
ihr Rauschen wird im Hin- und Wiedergehen
verwirrt, gereizt und aufgeregt.

Sie kommen auch zu Beeten und Alleen.



Mittwoch, 31. August 2011
Eine These, die zum Nachdenken anregt
“Überhaupt ist zu beobachten, daß die verführerische westliche Lebensart mit ihrem gepflegten Hedonismus und materialistisch praktizierten Atheismus bei den Kindern muslimischer Einwanderer innerhalb weniger Jahre schafft, was christlichen Missionaren über Jahrzehnte nicht gelungen war: junge Muslime ihrer Religion zu entfremden und ihnen diese als Fortschritthemmnis erscheinen zu lassen."
Murat Wilfried Hofmann aus „Der Islam als Alternative“

Bin gestern beim Stöbern in Wikiquote auf diesen Satz gestoßen, der mich zum Nachdenken angeregt hat. Der Satz ähnelt einem Gedanken, den ich auch schon in Bezug auf Situation der Tibeter hatte. Solange die Chinesen versucht haben, den Tibetern ihre Religion mit Gewalt zu nehmen, hat dies das genaue Gegenteil bewirkt und die Tibeter haben an ihrer Religion noch viel überzeugter festgehalten. Seit einigen Jahren gibt es aber eine andere Strategie, denn es wird einfach ein Stück westliche Welt in Tibet angesiedelt, die wahrscheinlich ihre Wirkung auf die Jugendlichen nicht verfehlt. Westliche Pop- und Rockmusik und Jeans scheinen etwas Magisches an sich zu haben. Etwas, was alles Traditionelle hoffnungslos überflüssig und lächerlich wirken lässt. Wer will schon in der Schaffelljacke herumlaufen, wenn die anderen Jeansjacken von Lee oder Lewis tragen? Wer will schon den monotonen Hirtenliedern lauschen, wenn nebenan Rap oder Hip-Hop gespielt wird?

Gestern und heute wurden die Sendungen „Die wilden Siebziger“ wiederholt, die ich mir natürlich angesehen habe. Daniel Cohn-Bendit kommentierte die Demonstrationen anlässlich des Vietnamkriegs mit der Bemerkung, dass diese eine Wende darstellten im Verhältnis zu Amerika, denn es war das erste Mal, dass die Übermacht und die Überlegenheit Amerikas angezweifelt wurde. Plötzlich wurde der Freund, der den hungernden Nachkriegsdeutschen Carepakete geschickt hatte zum Feind, der sich überall mit einem Herrschaftsanspruch breitmacht.

Diese beiden Positionen geben ein merkwürdiges Kontrastprogramm ab. Auf der einen Seite macht sich die amerikanische Lebensart mit ihren Shoppingcentern, Fernsehserien und ihrer allgegenwärtigen Lust am Oberflächlichen bis in die letzten Winkel der Erde breit. Auf der anderen Seite gab es durchaus auch mal eine Epoche, in der ein heftiger Überdruss gegen den amerikanischen Vormachtsanspruch bestand. Anscheinend ist der aber irgendwie versandet. In den islamischen Ländern ist dieser Überdruss jetzt plötzlich wieder aufgetaucht.

Zurück zu Murat Wilfried Hofmann. Auch wenn man mit seinem Bekenntnis zum Islam nicht übereinstimmt, so kann man dennoch nicht abstreiten, dass seine These zutrifft. Eine Religion mit einer anderen Religion zu bekämpfen – der Ausdruck „bekämpfen“ drückt schon aus, worum es geht – ist in der Tat nur bedingt erfolgreich. Die westliche Lebensart jedoch hat einen ungetrübten Siegeszug angetreten. Ich habe nun schon so einige Länder bereist und es war kein einziges Land dabei, das frei von amerikanischem Einfluss war. Überall MC-Donalds und Coca Cola. Überall Westfernsehen und westliche Kleidung. Manchmal durchaus in friedlichen Nebeneinander mit den jeweils landesüblichen Pendants. Auf Bali beispielsweise tragen die Jugendlichen sowohl Jeans als auch den traditionellen Sarong und gehen sowohl in die Disco als auch in den Tempel. Trinken Coca Cola genauso gern wie Kokosnussmilch. Aber es gibt eben keine Jugendlichen, die gänzlich ohne die Westversion auskommen.

Was ist es nur, dass diese Lebensart so erfolgreich macht?



Samstag, 27. August 2011
Authentizität und Erfolg
Vor kurzem habe ich ein wenig in eine Dokumentation über Madonna hineingezappt. Ein bisschen später habe ich einen Teil der Aufzeichnung eines Auftritts von Amy Winehouse angesehen. Ein anschaulicheres und deutlicheres Beispiel für den Kontrast von Authentizität und Nichtauthentizität hätte man nicht haben können.

Ich mochte Madonna noch nie und habe es nie auch nur ansatzweise nachempfinden können, was man an ihrer Micky-Mouse-Stimme finden kann. Es gibt durchaus Lieder, die man im Auto vielleicht mal unbewusst mitsummt – wie das bei eingängigen Melodien nun mal der Fall ist. Viele – auch gerade junge Frauen – sind beeindruckt von den Bühnenshows, die Madonna inszeniert. Aber auch das kann ich überhaupt nicht nachempfinden. Jeder Tanzschritt genau festgelegt. Jede Geste und Mimik exakt einstudiert. Kostümwechsel und Beleuchtung – alles ein minuziös geplanter Ablauf.

Und dann Amy Winehouse. Eine Stimme, die direkt unter die Haut geht. Da ich mich so gut wie gar nicht mehr für aktuelle Musik interessiere, bin ich erst sehr spät auf Amy Winehouse aufmerksam geworden. Irgendwann habe ich mir ein YouTube Video angesehen, weil ich doch mal neugierig war. Und als ich die Stimme hörte, war es sofort um mich geschehen. Ich bin ein ausgesprochener Stimmenmensch, das heißt, eine Stimme kann mich sehr beeindrucken und auch sehr abstoßen.

Auf der einen Seite eine show, die in ihrer Perfektion und minuziöser Durchführung an den Ablauf einer Militärparade erinnert. Auf der anderen Seite eine show, bei der es reine Glücksache ist, ob sie überhaupt stattfindet oder aber gleich ins Wasser fällt. Bei der man nie sicher sein kann, ob es in einem Debakel endet oder in einem Glanzstück. Auf der einen Seite die immer perfekt durchgestylte und durchtrainierte Madonna, deren shows ein Musterbeispiel an Perfektion darstellen. Auf der anderen Seite die mit merkwürdigen tattoos und zerzauster Bienenkorbfrisur verzierte Amy, die oftmals lallend über die Bühne torkelte.

Madonna symbolisiert ein wenig den amerikanischen Traum. Schaut her, was für Wunder man mit Disziplin und eisernem Willen alles erreichen kann! Sich nie gehen lassen, seine Leben voll und ganz der Planung von Erfolg widmen. Selbst mit 52 Jahren noch gut aussehen und über die Bühne wirbeln wie ein Teenager. Und als Markenzeichen dabei immer wieder in eine andere Rolle schlüpfen.

Amys Stimme und Leben erinnert an das von Janis Joplin. Bei beiden verkörpert die Musik weitaus mehr als nur Musik. In den Liedern schwingen all die Gefühlswelten die ein Leben ausmachen – Leiden, Wut, Glück, Liebe, Zweifel, Trauer. Eine Authentizität, die manchmal schon fast an die Schmerzgrenze gehen kann. Bei Madonna dagegen ist nichts authentisch, in ihren unzähligen Selbstinszenierungen ist ihre Authentizität irgendwie abhanden gekommen. Ein bisschen merkwürdig ist es schon, dass man damit soviel Erfolg haben kann.