Donnerstag, 21. Juli 2011
Und wieder eine Eva Braun
Gestern las ich in der Zeitung, dass bei der richterlichen Anhörung von Rupert Murdoch jemand aus dem Publikum versuchte, den Medienmogul mit Farbe zu bespritzen. Sofort stürzte sich die Ehefrau Wendi auf den Anreifer und verpasste ihm eine schallende Ohrfeige.

Da haben wir es wieder: das Eva-Braun-Syndrom. Was immer für Schweinereien der Gatte verursacht hat – Eva verteidigt ihn wie eine Löwin ihr Junges. Sie ist grundsätzlich und prinzipiell von der Unschuld ihres Schatzis überzeugt. Wer es wagt, auch nur die geringste Kritik an ihrem unfehlbaren Mann zu äußern, bekommt ihren ungezügelten Zorn zu spüren.

Ein anderes Beispiel - vor kurzem sah ich eine Doku über Frauen, die einen Mörder als Partner haben und es wurde über eine Frau berichtet, deren Mann fünf Frauen umgebracht hat. Trotz einwandfreier DNS-Beweise und der Tatsache, dass der Ehemann anfangs alle Morde gestanden hatte - die Ehefrau ist felsenfest von seiner Unschuld überzeugt. Er war doch immer gut zu ihr - und dies reicht ihr als Unschuldsbeweis.

Egal, was ihr Schatz verbrochen haben mag – Eva verzeiht es ihm. Ob Bespitzelung, Erpressung, Mord, Kinderpornos, Bestechung, Betrug oder gefälschte Vergütungsabrechnungen (auch hier gibt es Eva Brauns!) – wer eine Frau mit Eva-Braun-Syndrom an seiner Seite hat, lebt mit einem uneingeschränkten Freibrief für alles, was er jemals getan hat und noch tun wird. Und es gibt so viele Evas…



Mittwoch, 20. Juli 2011
Ein Juwel
Eigentlich wollte ich meinen Blog für eine Weile nicht mehr öffentlich machen, weil ich mir die Art des Umgangs miteinander anders vorgestellt habe. Aber eben bin ich auf dieses Video gestoßen. Ich liebe dieses Gedicht von Paul Celan - obwohl es nicht im eigentlichen Sinne Liebe ist, sondern vielleicht mehr Ehrfurcht. Und es ist tatsächlich von Paul Celan selbst gesprochen, so dass es mir noch viel mehr Gänsehaut verursacht als dies schon beim Lesen der Fall ist. Und da ist die Lust einfach zu groß, weiterzumachen und ich kann der Versuchung nicht widerstehen, hier auf dieses Juwel hinzuweisen. Todesfuge:

Übrigens hat dieses Video bei YouTube einen schauerlichen Kommentar erhalten (wobei mir bei Youtube schon sehr oft fürchterliche Kommentare aufgefallen sind). Vielleicht eine Erinnerung daran, dass man Kommentare einfach nicht immer so ernst nehmen sollte...



Sonntag, 26. Juni 2011
Heimat
Und tatsächlich gibt es ein Gedicht über die Gegend, die ich meine Heimat nenne. Viele Gegenden und Landstriche sind schöner und spektakulärer. Aber Heimat entzieht sich den objektiven Kriterien. Und es ist berührend, wie jemand liebevoll und zugleich auch mit einem Anflug von Bitterkeit über die Heimat schreibt:

Von Karin Kiwus (geb. 1942):

Lange bin ich nicht mehr
wie früher im Dezember
im Alten Land
die Feldwege entlanggekommen an Backsteingehöften
hinter braunen Kanälen hinter niedrigen
splitternden Zäunen und runden Rhododendronbüschen

Die ziehende Wärme aus den Fenstern
nach außen geöffnete Flügel verhakt
im Wind die milchigen Gardinen
weich gerafft über dem Efeu im Topf
den Alpenveilchen und den Begonien

Die gelben Äpfel an unbelaubten Bäumen
die Wäscheleinen in den Gärten
das Brombeergestrüpp und der zertretene Kohl
das graue Gerümpel vor dem Schuppen
und scharrende Tiere am Verschlag

Die nackte Luft zwischen den Deichen
der blanke Ausblick über die Ebenen
scharf wie eine Kaltnadelradierung
weitwinklig bis zum Meer
die flache Sönne klirrend unter den Fußsohlen
und die Hände fühllos fremd wie Prothesen

Die Nachmittage waren voll
selbstverständlicher Versprechen
der Himmel schneehell
wie eine Märzbecherwiese
und die Zukunft dahinter
ein sicherer Schimmer über dem Tau
so leicht und groß und griffbereit